Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrags

Es besteht grundsätzlich keine rechtliche Pflicht einer Koalition, mit einer anderen Koalition einen Tarifvertrag zu schließen oder auch nur über einen solchen zu verhandeln. Die Annahme einer solchen Rechtspflicht bedarf einer gesonderten Anspruchsgrundlage. § 19 Tarifvertrag für Kulturorchester (TVK) enthält keine eindeutige Verpflichtung der Tarifvertragsparteien zum Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags.

Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrags

Eine gerichtliche Verurteilung einer Tarifvertragspartei zum Abschluss eines bestimmten; vom klagenden Tarifpartner vorgelegten Entwurf eines Tarifvertrags kann mithin nur erfolgen, wenn eine rechtlich verbindliche Verpflichtung hierzu besteht. Diese muss sich ebenso zweifelsfrei wie der Inhalt der eingeklagten Erklärung aus der Verpflichtungsgrundlage (bspw. einem Vorvertrag oder einer tariflichen Regelung) ergeben. Ansonsten besteht allenfalls ein Verhandlungsanspruch der Tarifparteien gegeneinander.

Die vorliegenden Entscheidung des Bundesarbeitsgericht lag ein Rechtsstreit zwischen der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein zugrunde: Die klagende Gewerkschaft (Deutsche Orchestervereinigung) hatte mit dem beklagten Arbeitgeberverband (Deutscher Bühnenverein) seit Jahren Tarifverträge für die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder von Kulturorchestern geschlossen. Für die Vergütung sehen die tariflichen Regelungen in § 19 Tarifvertrag für Kulturorchester (TVK) eine Anpassungsverpflichtung vor, nach der bei einer allgemeinen Veränderung im Bereich der Kommunen und der Länder die Gehälter der tarifunterworfenen Musiker „durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen“ sind. Hieraus hat die klagende Gewerkschaft einen Anspruch gegen den beklagten Verband abgeleitet, einem von ihr formulierten Tarifvertragsentwurf zuzustimmen. Nach ihrer Auffassung sind die letzten Entgelterhöhungen im TVöD/VKA bzw. TV-L „eins zu eins“ umzusetzen. Der Deutsche Bühnenverein hat dagegen die Auffassung vertreten, die Anpassungsklausel im Manteltarifvertrag enthalte lediglich eine Verhandlungspflicht.

§ 19 TVK hat folgenden Wortlaut:

§ 19 Anpassung der Vergütungen

(1) Werden die Arbeitsentgelte der unter den TVöD/VKA fallenden Beschäftigten rechtsverbindlich allgemein geändert, sind die Vergütungen der Musiker, deren Arbeitgeber den TVöD/VKA anwendet oder anzuwenden hat, diesen Veränderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen.
(2) Werden die Arbeitsentgelte der unter den TV-L fallenden Beschäftigten rechtsverbindlich allgemein geändert, sind die Vergütungen der Musiker, deren Arbeitgeber den TV-L anwendet oder anzuwenden hat, diesen Veränderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen.
(3) Wendet ein Arbeitgeber weder den TVöD/VKA noch den TV-L an und werden die Arbeitsentgelte der Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung seines überwiegenden unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen Trägers rechtsverbindlich allgemein geändert, sind die Vergütungen der Musiker diesen Veränderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen.
(4) Findet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 bei einem Arbeitgeber eine allgemeine Änderung der Arbeitsentgelte keine oder nicht in voller Höhe Anwendung, wird für die Musiker dieses Arbeitgebers zwischen den Tarifvertragsparteien eine gesonderte tarifliche Vereinbarung abgeschlossen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Köln1 haben die Klage der Deutschen Orchestervereinigung abgewiesen. Und das Bundesarbeitsgericht hat nun auch die Revision der Gewerkschaft zurückgewiesen und eine Rechtspflicht des Arbeitgeberverbandes zum Abschluss eines bestimmten Tarifvertrages verneint: Zwar kann sich ein solcher Anspruch grundsätzlich aus einem verbindlichen Vorvertrag oder aus einer eigenen vorher vereinbarten tariflichen Regelung ergeben. Eine entsprechende Verpflichtung kann aber nur dann anerkannt werden, wenn sich sowohl der darauf gerichtete Bindungswille als auch der hinreichend konkretisierte Inhalt der angestrebten Tarifeinigung aus der verpflichtenden Regelung selbst ergibt. Für den Inhalt des Tarifvertrages bedeutet dies regelmäßig, dass es nur eine einzige, der Vorgabe entsprechende Regelungsmöglichkeit geben darf. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, besteht – wie hier – lediglich eine – qualifizierte – Verhandlungspflicht der Tarifpartner.

Die Tarifregelung des § 19 TVK enthält keinen hinreichenden Anspruchsgrund für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch. Aus ihr ergibt sich grundsätzlich keine Verpflichtung des Beklagten, einem bestimmten Tarifvertrag zuzustimmen, sondern allenfalls ein qualifizierter Verhandlungsanspruch.

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Ein Anspruch einer Tarifvertragspartei gegen die andere auf Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Er kann sich aus einer vorher zwischen den Parteien vereinbarten Verpflichtung ergeben, die etwa in einem vorher abgeschlossenen Tarifvertrag oder einem Vorvertrag geregelt worden ist. Angesichts der Bedeutung eines Tarifvertrags und dessen unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse der Tarifgebundenen bedarf die Annahme, aus einer Verpflichtungsvereinbarung ergebe sich ein solcher Abschlussanspruch und nicht etwa nur ein – qualifizierter – Verhandlungsanspruch, ganz besonderer Eindeutigkeit und Klarheit. Erforderlich ist nicht nur ein entsprechend deutlicher Rechtsbindungswille, sondern auch die eindeutige Festlegung in der Verpflichtungsvereinbarung, welche konkreten Regelungen der abzuschließende Tarifvertrag enthalten soll. Fehlt es an einer solchen Eindeutigkeit, kann im Zweifel nicht von einem Anspruch auf Abschluss eines ganz bestimmt ausformulierten Tarifvertrags ausgegangen werden.

Die Tarifvertragsparteien können grundsätzlich vereinbaren, Tarifverhandlungen mit dem Ziel eines bestimmten Tarifvertrags aufnehmen zu wollen oder einen Tarifvertrag mit einem bestimmten Wortlaut abzuschließen. Ein solcher Anspruch kann auch gerichtlich durchgesetzt werden.

Ein Tarifvertrag, der auch Abschluss, Inhalts- und Beendigungsnormen enthält, die für die Arbeitsverhältnisse Dritter (zumindest auf Arbeitnehmerseite) unmittelbar und zwingend gelten, kommt im Normalfall in der beiderseitigen Ausübung des Grundrechts der positiven Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) in autonomen freien Verhandlungen der Tarifvertragsparteien – ggf. nach einem Arbeitskampf, zustande. Dabei besteht grundsätzlich keine rechtliche Pflicht einer Koalition, mit einer anderen Koalition auch nur Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu führen. Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer koalitionsspezifischen Betätigung in erster Linie Privatrechtssubjekte und können deshalb schon aufgrund der in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit frei entscheiden, mit wem sie welche Tarifverträge schließen und – bereits im Vorfeld – mit wem sie hierüber verhandeln wollen. Dies sichert für die Koalitionen das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG noch einmal gesondert2.

Aus bereits abgeschlossenen Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien können sich jedoch Verpflichtungen ergeben, die einen Anspruch auf konkrete Tarifverhandlungen oder gar auf Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags zur Folge haben. Dies kann in einem vorangegangenen Tarifvertrag3 oder in einem gesonderten Vorvertrag der Parteien4 geregelt worden sein. Ein solcher Anspruch ist grundsätzlich auch einklagbar.

Ein Tarifvertrag gestaltet in der Regel nicht nur die rechtlichen Beziehungen zwischen den Tarifvertragsparteien selbst, sondern enthält – insbesondere in seinem normativen Teil – regelmäßig verbindliche Regelungen für die Rechtsbeziehungen der tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse. Deshalb bedarf die Annahme einer Verpflichtung zum Abschluss eines ganz bestimmten Tarifvertrags einer eindeutigen und unmissverständlichen Grundlage. Bleiben Zweifel, ob eine solche vereinbart worden ist oder ob die Tarifvertragsparteien nicht nur eine Verpflichtung zur Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen vereinbart haben, kann eine Abschlusspflicht bezüglich eines konkreten ausformulierten Tarifvertrags nicht angenommen werden.

Der Abschluss von Tarifverträgen und die damit bewirkte Normsetzung ist kollektiv ausgeübte Privatautonomie5. Zumindest in ihrem normativen Teil enthalten Tarifverträge zwingend und unmittelbar wirkende Regelungen, die – wie Normen – für das Arbeitsverhältnis der tarifgebundenen Parteien gelten (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Diese Geltung für die Arbeitsverhältnisse Dritter bedingt, dass normativ wirkende Tarifbestimmungen nicht nach Vertragsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB), sondern wie Gesetze auszulegen sind6. Motive und subjektive Vorstellungen der Tarifvertragsparteien gehen daher nur insoweit in die Auslegung ein, als sie ihren Niederschlag im Wortlaut des Tarifvertrags gefunden haben7. Dem normähnlichen Charakter des Tarifvertrags trägt legislatorisch auch § 9 TVG Rechnung, der – abweichend von § 256 Abs. 1 ZPO – es den Parteien eines Tarifvertrags erlaubt, die abstrakte Auslegung des Tarifvertrags zum Gegenstand eines Feststellungsantrags zu machen8 und die vom Gericht getroffene Auslegung mit einer Rechtsverbindlichkeit für alle Gerichte ausstattet.

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Dem Normencharakter eines Tarifvertrags entspricht ferner die Begrenzung der Möglichkeit, aufgetretene Regelungslücken durch die Rechtsprechung zu schließen. Dies ist wegen des Kompromisscharakters, der „Kennzeichen des Tarifvertrages“9 ist, und wegen eines möglichen Eingriffs in die Tarifautonomie nur in besonderen Konstellationen und auch dann nur eingeschränkt möglich10. Auch ist die vom Gesetzgeber vorgesehene Privilegierung des Tarifvertrags, die in den gesetzlich geregelten Fällen zur Unterschreitung des gesetzlich angeordneten Schutzniveaus berechtigt (vgl. nur § 622 Abs. 4 BGB, § 7 ArbZG, § 13 BUrlG, aber auch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, § 9 Nr. 2 AÜG), nur aufgrund der Angemessenheitsvermutung für die von den Tarifvertragsparteien tarifautonom vereinbarten Regelungen begründet.

Schließlich beruht der regelmäßige Ausschluss der Teilkündigung eines Tarifvertrags auf dem Kompromisscharakter des gesamten Regelwerks. Eine solche Möglichkeit zerrisse die einheitliche Regelung und griffe in die ausgeübte Tarifautonomie ein11. Tarifverträge sind „regelmäßig fest verschnürte Kompromisspakete, die auseinanderfallen, wenn die Schnüre geöffnet werden“12.

Welche Ansprüche eine tarifliche Verpflichtungsvereinbarung ggf. begründet, ergibt sich aus deren Auslegung. Von einer Verpflichtung zum Abschluss eines konkreten Tarifvertrags kann nur dann ausgegangen werden, wenn sich sowohl der hierauf gerichtete Bindungswille der Tarifvertragsparteien als auch der hinreichend konkrete Inhalt der angestrebten Tarifeinigung aus der Vereinbarung selbst klar und eindeutig ergeben.

Die Tarifvertragsparteien müssen in der Vereinbarung, die eine Verpflichtung zum Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags enthalten soll, erkennbar regeln, dass mehr als nur eine bloße Verhandlungsobliegenheit gewollt ist und eine Rechtspflicht für beide Seiten geschaffen werden sollte, die im Zweifel auch gerichtlich durchsetzbar sein soll. Hinweise hierauf können sich insbesondere aus dem Wortlaut der zugrunde liegenden tariflichen Vereinbarung ergeben. So weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass die in § 19 Abs. 1 bis Abs. 3 TVK gewählte Formulierung „… sind … anzupassen“ zunächst für einen hinreichenden, unbedingten Verpflichtungswillen der Tarifvertragspartner zu sprechen scheint.

Ein etwaiger Bindungswille der Tarifvertragsparteien allein genügt jedoch nicht. Auch wenn sie deutlich machen, dass sie mehr als eine bloße Verhandlungspflicht begründen wollen, ist für die Verbindlichkeit einer konkreten zukünftigen Tarifregelung deren eindeutige Bestimmbarkeit erforderlich. Der Inhalt der abzuschließenden tarifvertraglichen Einigung muss sich grundsätzlich vollständig aus der Regelung selbst ergeben, ggf. unter Heranziehung äußerer objektivierbarer Faktoren, wie etwa die Feststellung des im Tarifvertrag vorgesehenen Anlasses für den Abschluss der Neuregelung. Die „Vorvereinbarung“ setzt damit den abschließend gebildeten Willen der Tarifvertragsparteien voraus, einen Tarifvertrag mit einem bestimmten Inhalt abschließen zu wollen. Daran fehlt es, wenn die beabsichtigten Regelungen nicht zweifelsfrei und mit solcher Bestimmtheit festgelegt sind, dass sie ohne weiteres in eine Tarifregelung umgesetzt werden können13. Die Tarifvertragsparteien dürfen die Bestimmung der weiteren inhaltlichen Regelungen nicht den Gerichten überlassen. Schon eine bloße Konkretisierung einer in einer solchen Vorvereinbarung lediglich allgemein formulierten Regelung durch Richterspruch ist unzulässig; die Verurteilung zum Abschluss konkreter Tarifregelungen kann nicht über den bereits vorbestimmten oder bestimmbaren Inhalt des Vorvertrags hinausgehen14. Auch eine rein faktische Delegation der tariflichen Normsetzung auf den auslegenden Richter ist unzulässig15.

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Eine Verpflichtung zum Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags aus einer „Vorvereinbarung“ kann deshalb allenfalls angenommen werden, wenn der Inhalt des abzuschließenden Tarifvertrags so eindeutig ist, dass es nur eine einzige, der Vorgabe entsprechende Regelungsmöglichkeit gibt16. Bei einer nicht ganz eindeutigen Zuordnung zu einer der beiden Auslegungsmöglichkeiten („im Zweifel“) ist deshalb regelmäßig davon auszugehen, dass eine bloße Verhandlungspflicht begründet werden sollte. Die Gerichte – namentlich die mit dem Tarifrecht befassten – mögen es zwar gewohnt sein, bis an die Grenze der Justiziabilität (auch) Tarifverträge auszulegen und der Notwendigkeit einer Entscheidung schwieriger Auslegungsfragen gerecht zu werden17. Auch der Begriff der „sinngemäßen Anpassung“ erscheint auslegbar und könnte möglicherweise von den Gerichten im Hinblick auf den Wortlaut, den Sinn und den Zweck des Tarifvertrags und der anderen Faktoren des Auslegungskanons18 zu einer abschließenden Entscheidung sowohl darüber zugeführt werden, ob der tariflich vorgesehene Anlass einer Anpassungspflicht gegeben ist, als auch ob die zur Zustimmung des Vertragspartners gestellte Anpassungsregelung „sinngemäß“ ist oder nicht.

Dies gilt für die Annahme einer tarifvertraglichen Verpflichtung zum Abschluss eines konkreten Tarifvertrags jedoch nur eingeschränkt. Angesichts der Tatsache, dass der Abschluss von Tarifverträgen Ergebnis einer freien Verhandlung grundsätzlich gleichberechtigter Vertragspartner ist (und deshalb die Angemessenheitsvermutung für sich hat, vgl. dazu Richardi Anm. AP TVG § 3 Nr. 46), kann der Abschluss eines gesamten Tarifvertrags aufgrund einer richterlichen Entscheidung allein anhand rechtlicher Kriterien nur dann angenommen werden, wenn es sowohl an dem Bindungswillen als auch an dem konkreten Inhalt der abzuschließenden tarifvertraglichen Regelung keinerlei Zweifel gibt und geben kann. Ist dies nicht der Fall (d.h. „im Zweifel“), ist die fragliche Verpflichtungsvereinbarung dahingehend auszulegen, dass mit ihr allenfalls ein – ansonsten nicht bestehender – Anspruch auf Aufnahme von Tarifvertragsverhandlungen begründet werden soll.

Entgegen der Auffassung der Gewerkschaft steht dem nicht der praktische Nutzen einer bloßen Verhandlungspflicht – der zT bezweifelt wird19 – entgegen. Immerhin dürfte die Friedenspflicht aus dem Tarifvertrag bei einer solchen Konstellation weiterbestehen, wenn ein einklagbarer Tarifvertragsverhandlungsanspruch im Tarifvertrag selbst geregelt ist. Diese endet erst, wenn von evtl. vereinbarten gesonderten Kündigungsmöglichkeiten – wie auch vorliegend betr. allein die Vergütungsregelung in § 64 Abs. 1 Unterabs. 2 TVK – Gebrauch gemacht worden ist.

Ein Anspruch der Gewerkschaft auf Zustimmung zu dem formulierten konkreten Tarifvertrag besteht hiernach nicht.

Eine eindeutige Verpflichtung zur Anpassung des Tarifvertrags entsprechend dem vorformulierten Entwurf lässt aus § 19 TVK nicht ableiten. Zwar mag der Wortlaut der Tarifregelung („… sind … durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen“) einen Auftrag zum Tarifvertragsschluss nahelegen und durch die detaillierten Vorgaben in den Absätzen 1 bis 3 und durch die Tarifgeschichte verstärkt werden. Die Vorgängerregelung zum BAT in § 55 TVK 1971 hatte jeweils zu Anpassungstarifverträgen geführt, in die – so der Kläger, „ausnahmslos und ohne jede Diskussion“ – die Vergütungen der Musiker mit Festgehältern einbezogen worden seien. Aus § 19 TVK lässt sich aber weder auf der Tatbestandsseite noch auf der Rechtsfolgenseite eine hinreichende Bestimmtheit über den Inhalt eines – ohne Verhandlungsspielraum – abzuschließenden Tarifvertrags entnehmen.

§ 19 TVK fordert eine „allgemeine Änderung“ von „Arbeitsentgelten“ in einem bestimmten Tarifbereich20. Schon diese tarifliche Formulierung macht differenzierte Auslegungsüberlegungen erforderlich. Die von den Parteien übereinstimmend als Sinn und Zweck der Anpassungsverpflichtung in § 19 TVK angegebene Absicht, Erhöhungen für das nichtkünstlerische Personal der Arbeitgeber ohne weiteres an das künstlerische Personal weiterzugeben, ist bereits auf der Tatbestandsseite nicht eindeutig klar umrissen. Die Forderung, es müsse sich um eine „allgemeine Änderung“ handeln, mag zwar ausschließen, dass im Bereich des öffentlichen Dienstes neu vereinbarte Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen, zB Krankenschwestern, zum Anlass einer Anpassung genommen werden. Nicht ohne weiteres ist aber dagegen diese Frage zB bei der im allgemeinen Tarifrecht des öffentlichen Dienstes vereinbarten Ost-West-Anpassung zu beantworten. Diese betrifft ausschließlich Arbeitgeber aus den neuen Bundesländern, so dass schon fraglich ist, ob es sich dabei um eine „allgemeine Änderung“ iSv. § 19 TVK handelt. Fraglich kann im Übrigen auch sein, inwieweit Änderungen in anderen Bereichen auch als Änderungen des Arbeitsentgelts gelten21.

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Jedenfalls weist die Rechtsfolgenseite von § 19 TVK, der eine „sinngemäße Anpassung“ durch Tarifvertrag verlangt, die erforderliche Eindeutigkeit nicht auf.

Eine „sinngemäße“ Anpassung setzt stets einen wertenden Prozess voraus. „Sinngemäß“ bedeutet „dem Sinn entsprechend, nicht wörtlich“22 und „nicht dem genauen Wortlaut, jedoch dem Sinn, dem Inhalt nach“23. Bei einer „sinngemäßen Anpassung“ handelt es sich strukturell nicht um die einfache Durchführung eines logisch-rechnerischen Prozesses, nach dem die Veränderung in dem einen Bereich nach einem einfachen Muster „vorher-nachher“ auf den anderen Bereich übertragen werden kann. Hierfür sind bei dem in § 19 TVK geregelten Sachverhalt die Ausgangsvoraussetzungen in beiden Bereichen einem wertenden Vergleich zu unterziehen und sodann unter Einbeziehung dessen Ergebnisses die Veränderungen in dem einen Bereich – möglichst ergebnisgetreu – im anderen Bereich nachzuvollziehen. Dabei mag es sein, dass die Veränderungen im Ausgangsbereich so strukturiert sind, dass sie streitlos und eindeutig zu einer bestimmten Änderung im anderen Bereich führen. Dies ist im Anwendungsbereich von § 19 TVK aber nicht notwendig und sicher auch nicht in der Regel der Fall. Die erforderliche Eindeutigkeit ist deshalb nicht gegeben.

So ist einer der wichtigen Unterschiede zwischen dem nichtkünstlerischen und dem künstlerischen Bereich bei den Mitgliedern des Beklagten die Unterschiedlichkeit der Vergütungsordnungen. Veränderungen der einen Vergütungsordnung lassen sich daher nicht ohne weiteres, sondern eben nur „sinngemäß“ auf die andere Vergütungsordnung übertragen. Hierbei kann von einem „Automatismus“, der nur eine einzige Lösung als zutreffend und alle Abweichungen als fehlerhaft kennzeichnet, nicht die Rede sein.

Das illustriert der vom Kläger in der Berufungsbegründung zur Erläuterung der Anpassungsverpflichtung von § 19 TVK selbst dargestellte konkrete Sachverhalt aus der Tarifrunde 2003/2004. Danach gab es im öffentlichen Dienst in dieser Tarifrunde Einigungen auf eine Tariferhöhung von 2, 4 %, die allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten sollte. Für die unteren Vergütungsgruppen (z.B. VergGr. X bis IVa BAT) sollten die Erhöhungen bereits zum 1.01.2003, für die höheren Vergütungsgruppen (z.B. VergGr. III bis I BAT) erst zum 1.04.2003 geleistet werden. Bei der Umsetzung dieser Anpassung in dem Bereich der Orchestermusiker kamen die Tarifvertragsparteien des TVK zum Ergebnis, dass die „unteren Entgeltgruppen“ des BAT den in der Vergütungsordnung des TVK geregelten Vergütungsgruppen TVK-D bis TVK-B/Fußnote entsprächen, wobei jedoch diejenigen Musiker der Vergütungsgruppe TVK-B/Fußnote, die darüber hinaus noch eine Tätigkeitszulage erhielten, zu den „höheren Vergütungsgruppen“ gezählt wurden, ebenso wie diejenigen mit einer Einstufung nach den Vergütungsgruppen TVK-A und höher. Dass dieses von den Tarifvertragsparteien des TVK letztlich vereinbarte Ergebnis nicht als das einzig mögliche, sich „arithmetisch“ aus den Anpassungsregelungen zwangsläufig und eindeutig ergeben hätte, ist evident. Wenn der Kläger hierzu berichtet hat, die Tarifvertragsparteien seien „zu dem Ergebnis“ gekommen, dann war dies nichts anderes als das Ergebnis einer Tarifverhandlung und keinesfalls eines bloßen Normvollzugs.

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Die Gewerkschaft ann sich nicht erfolgreich darauf berufen, es komme im vorliegenden Fall nur auf die Frage „0, 9 Prozent oder 1, 2 Prozent“ an, sodass sich hieraus gerade kein Spielraum ergebe und deshalb nur ein Ergebnis als „sinngemäße Anpassung“ in Betracht komme. Damit lässt sich eine Tarifabschlussverpflichtung nicht begründen. Bei der Auslegung der Tarifnorm kommt es nicht auf die einzelne fallbezogene Änderung und die Schwierigkeit oder Komplexität der „sinngemäßen Anpassung“ an, sondern auf die generelle Verpflichtung, die sich aus § 19 TVK für beide Tarifvertragsparteien ergibt. Das kann nicht – fallbezogen – einmal in eine Abschlusspflicht und ein anderes Mal in eine Verhandlungspflicht münden.

Deshalb ist auch die Berufung der Gewerkschaft auf die Tarifpraxis oder die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung in § 55 TVK 1971 nicht geeignet, eine Tarifabschlussverpflichtung zu begründen.

Aus dem Umstand, dass stets eine Einigung über einen Anpassungstarifvertrag erfolgt ist, folgt noch keine rechtliche Verpflichtung zum Abschluss solcher Tarifverträge mit einem bestimmten Inhalt, und schon gar nicht das Recht, auch im Weigerungsfall gegen den Willen der anderen Tarifvertragspartei einen solchen gerichtlich zu erzwingen.

Die zu § 55 TVK 1971 ergangene Rechtsprechung kann auch nicht ohne weiteres herangezogen werden. Diese Tarifnorm enthielt eine andere Formulierung als § 19 TVK. Ferner war die konkrete Umsetzung der tariflichen Anpassungspflicht nach § 55 TVK 1971 niemals Gegenstand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Im Urteil vom 15.11.199024 ging es darum, ob auch die Änderung der tariflichen Arbeitszeit für die nichtkünstlerischen Mitarbeiter eine Anpassungspflicht auslöst (vom BAG verneint). Der Entscheidung vom 25.09.199725 lag die Frage zugrunde, welche Faktoren bei der „sinngemäßen Anpassung“ einzubeziehen seien. Änderungen in anderen Arbeitsbedingungen, zB im Arbeitszeitbereich sollten nicht einbezogen werden können. Der Tenor des vom Bundesarbeitsgericht bestätigten Urteils war nicht auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet. In ihm wurde vielmehr „festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der TVK-Musiker den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundesangestelltentarif fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, ohne dies vom Abschluß weiterer tariflichen Ersatzvereinbarungen abhängig zu machen, wenn die Veränderung der Grundvergütungen des BAT dort nur im Zusammenhang mit dem Abschluß von tariflichen Ersatzvereinbarungen erfolgt“. Damit entspricht der Wortlaut der festgestellten Verpflichtung des Beklagten demjenigen in der Tarifnorm, ohne eine konkrete Rechtsfolge – in Form der Verurteilung oder Verpflichtung einer Partei – auszusprechen. Es handelt sich damit allein um ein Urteil im Sinne von § 9 TVG über die Auslegung eines Tarifvertrags zur Frage, wie der Begriff der Grundvergütungen in § 55 TVK 1971 auszulegen war. Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht in diesem Urteil weiter ausgeführt, „daß sich der durch § 55 TVK begründete Verhandlungsanspruch nur auf diese Vergütungsbestandteile und nicht allgemein auf alle tariflichen Arbeitsbedingungen bezieht, die im Zusammenhang mit den Veränderungen der Grundvergütung im BAT vereinbart wurden“, mithin die tariflich in § 55 TVK 1971 geregelte Pflicht als einen bloßen „Verhandlungsanspruch“ charakterisiert.

Schließlich hätte die Gewerkschaft auch keinen Anspruch auf Zustimmung des Arbeitgeberverbandes zu gerade dem von ihm vorgelegten Tarifvertragsentwurf. Dieser enthält zahlreiche Regelungen, bei denen eine Zustimmungspflicht des Arbeitgeberverbandes auch dann nicht gegeben wäre, wenn man von einer grundsätzlichen Abschlussverpflichtung ausginge.

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Eine Klage auf Abgabe einer Willenserklärung, die einem Antrag zustimmt, der aus mehreren einzelnen Punkten besteht, ist nur dann begründet, wenn jeder der einzelnen im Vertrag enthaltenen Erklärungsbestandteile von der Verpflichtung des Beklagten erfasst wird26. Das bedeutet, dass sich jede einzelne Regelung des im Antrag aufgeführten Tarifvertrags auf eine Verpflichtung des Beklagten zur Abgabe einer Zustimmung zurückführen lassen muss. Enthält das Vertragsangebot, dem der Beklagte in einer Klage nach § 894 ZPO zustimmen soll, auch nur ein Element, hinsichtlich dessen die Zustimmungspflicht nach § 19 TVK nicht besteht, ist der Antrag insgesamt unbegründet. Der Antrag lässt eine Teilung in solche Einzelregelungen, hinsichtlich derer eine Zustimmungsverpflichtung des Beklagten besteht, und solche, hinsichtlich derer dies nicht der Fall ist, nicht zu. Insoweit verhält es sich ähnlich wie bei einem sog. Globalantrag im Beschlussverfahren, der bereits dann unbegründet ist, wenn er nur für eine einzige von ihm erfasste Konstellation unbegründet ist27.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2013 – 4 AZR 173/12

  1. LAG Köln, Urteil vom 06.01.2012 – 4 Sa 776/11[]
  2. BAG 9.12 2009 – 4 AZR 190/08, Rn. 51; ebenso die hM in der Lit., vgl. zB Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 1311; Däubler/Reim/Nebe TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 126[]
  3. Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag Teil 3 Rn.20[]
  4. BAG 5.07.2006 – 4 AZR 381/05, Rn. 34 ff., BAGE 119, 1[]
  5. BAG 18.07.2006 – 1 ABR 36/05, Rn. 55, BAGE 119, 103[]
  6. st. Rspr., vgl. nur BAG 23.02.2012 – 2 AZR 44/11, Rn. 17[]
  7. BAG 19.09.2007 – 4 AZR 670/06, Rn. 32, BAGE 124, 110; 22.06.2005 – 10 AZR 631/04, zu II 1 der Gründe[]
  8. vgl. dazu ausführlich BAG 18.04.2012 – 4 AZR 371/10, Rn. 26 ff., BAGE 141, 188[]
  9. BAG 3.05.2006 – 4 AZR 795/05, Rn. 24, BAGE 118, 159[]
  10. dazu Schaub/Treber ArbR-HdB 15. Aufl. § 203 Rn. 18 ff. mwN[]
  11. Löwisch/Rieble § 1 Rn. 1385[]
  12. so anschaulich: Däubler/Deinert § 4 Rn. 173; ähnlich JKOS/Oetker Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 8 Rn. 15; Henssler/Moll/Bepler Teil 3 Rn. 228[]
  13. Henssler/Moll/Bepler Teil 3 Rn. 60[]
  14. Däubler/Reim/Nebe § 1 Rn. 22[]
  15. Wiedemann/Thüsing TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 230[]
  16. vgl. zu einer solchen Eindeutigkeit aufgrund eines Vorvertrags den Sachverhalt zu BAG 5.07.2006 – 4 AZR 381/05, BAGE 119, 1[]
  17. vgl. zB BAG 29.01.1986 – 4 AZR 465/84, BAGE 51, 59, 73 ff. zur Anlage 1a zum BAT[]
  18. vgl. dazu zB BAG 19.09.2007 – 4 AZR 670/06, Rn. 30, BAGE 124, 110; 9.04.2008 – 4 AZR 149/07, Rn. 13[]
  19. vgl. zB Berg/Kocher/Platow/Schoof/Schumann TVG-AKR/TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 436[]
  20. TVöD in Abs. 1, TV-L in Abs. 2[]
  21. verneint für Arbeitszeitänderungen im Zusammenhang mit Vergütungserhöhungen BAG 25.09.1997 – 6 AZR 77/96 – und für zusätzliche freie Arbeitstage 15.11.1990 – 6 AZR 112/89[]
  22. Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.[]
  23. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Bd. 8[]
  24. BAG 15.11.1990 – 6 AZR 112/89[]
  25. BAG 25.09.1997 – 6 AZR 77/96[]
  26. BAG 5.07.2006 – 4 AZR 381/05, Rn. 80, BAGE 119, 1[]
  27. vgl. dazu BAG 24.04.2007 – 1 AZR 252/06, Rn. 25, BAGE 122, 134; 3.05.1994 – 1 ABR 24/93, BAGE 76, 364[]