Die Kündigungsandrohung gegenüber dem Betriebsratsbeisitzer in der Einigungsstelle

Droht der Arbeitgeber einem vom Betriebsrat benannten Beisitzer wegen dessen Äußerungen in der Einigungsstelle eine Kündigung an, oder leitet er ein Verfahren nach § 103 BetrVG ein, kann dies eine unzulässige Behinderung imSinne des § 78 BetrVG darstellen. In einem solchen Fall ist auch der Betriebsrat in eigenen Rechten aus § 76 BetrVG verletzt.

Die Kündigungsandrohung gegenüber dem Betriebsratsbeisitzer in der Einigungsstelle

Bereits in dem Beschluss vom 05.06.20131 hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen eine deutliche Abgrenzung vorgenommen, wie weit unter kündigungsrechtlichen Gesichtspunkten die arbeitsvertragliche Stellung des Beisitzers und dessen betriebsverfassungsrechtliche Stellung zu trennen sind. Zur arbeitsvertragsrechtlichen Seite der Fragestellung gehört, wie weit der Beisitzer für die Ausübung einer Nebentätigkeit als Beisitzer in Einigungsstellen anderer Filialen einer Nebentätigkeitsgenehmigung bedarf, weil er insoweit (auch) in eigenem wirtschaftlichen Interesse tätig wird, ferner wie weit durch derartige auswärtige Tätigkeiten die Arbeitszeiteinteilung an seiner eigenen Filiale stört.

Hätte sich die Arbeitgeberin in ihren Anträgen nach § 103 BetrVG auf diese Aspekte beschränkt, wären betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen bezüglich des Einigungsstellenverfahrens selbst nicht betroffen. So betrifft die von der Arbeitgeberin vorgelegte Entscheidung des landesarbeitsgerichts München2 eben nur den Aspekt der Teilnahme an den Sitzungen bzw. der Freistellung von der Arbeitseinteilung. Das LAG Rheinland-Pfalz hat in dem Verfahren nach § 103 BetrVG maßgeblich auf die fehlende Genehmigungsfähigkeit einer gewerblichen Nebentätigkeit, die zusätzliche Vergütungsansprüche gerade gegen den Arbeitgeber begründet, abgestellt. Beide genannten Entscheidungen berühren gerade nicht die Frage, ob und in welcher Weise die Tätigkeit der Einigungsstelle als ganze betroffen ist, wenn der Arbeitgeber konkrete Äußerungen eines Beisitzers zitiert und zum Gegenstand individualrechtlicher Verfahren macht.

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Durch die Bestellung zum Beisitzer in einer Einigungsstelle und deren Annahme kommt zwischen dem Beisitzer und dem Arbeitgeber kraft Gesetzes ein betriebsverfassungs-rechtliches Schuldverhältnis zustande3. Im Rahmen dieses betriebsverfassungsrechtlichen Schuldverhältnisses hat der Arbeitgeber auch das Tätigwerden von betriebsfremden dritten Personen zu dulden. Ein „Veto-Recht“ des Arbeitgebers gegen bestimmte Personen als Beisitzer der Einigungsstelle sieht das Gesetz nicht vor. Selbst in gravierenden Fällen kann der Arbeitgeber nur unter ganz besonderen Umständen vom Betriebsrat verlangen, eine bestimmte Person nicht als Beisitzer zu benennen4. Vorliegend hat die Arbeitgeberin auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene auch gar nicht versucht, etwa durch einen Antrag an das Arbeitsgericht, der Bestellung des ehemals Arbeitnehmer als Beisitzer zu widersprechen.

Allerdings kommt dieses besondere betriebsverfassungsrechtliche Schuldverhältnis erst mit der Annahmeerklärung durch den Beisitzer zustande. Insofern mag durchaus erwogen werden, ob der Streit über das „ob“ der Teilnahme an den Sitzungen der Einigungsstelle ausschließlich im Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Beisitzer zu klären ist. Denn insofern liegt es im Verantwortungsbereich des Beisitzers, ob er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und der Übernahme der Beisitzertätigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht miteinander zu vereinbaren vermag. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Fragestellung, dass die Arbeitgeberin vorliegend die inhaltlichen Verhandlungspositionen des ehemals Arbeitnehmers in der Einigungsstellenverhandlung selbst durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu sanktionieren versucht hat.

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Für die rechtliche Beurteilung der Tätigkeit von Betriebsratsmitgliedern gilt, dass zwischen ihrer Funktion als Arbeitnehmer und ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied zu trennen ist. Ein eventuelles Fehlverhalten bei Ausübung des Betriebsratsamtes kann auf individual-rechtlicher Ebene nur dann einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, wenn zugleich eine schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten vorliegt5. Lediglich in besonders schwerwiegenden Fällen kann ein Pflichtenverstoß aus der Betriebsratstätigkeit auf das Arbeitsverhältnis „durchschlagen“. Diese Beurteilung gilt auch für die Durchführung von Einigungsstellenverfahren, wenn wie üblich Mitglieder des örtlichen Betriebsrats selbst zu Mitgliedern der Einigungsstelle bestellt sind. Entsprechendes hat aber auch zu gelten, wenn ein betriebsfremder Beisitzer zugleich in einem Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber steht. Dass der ehemals Arbeitnehmer insoweit auch wiederum Mitglied des Betriebsrats einer anderen Filiale, nämlich in T-Stadt, ist, bleibt bezüglich der Pflichtenstellung rechtlich unerheblich. Hinsichtlich ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung ist es, wie auch die Arbeitgeberin schriftsätzlich ausgeführt hat, gerade Aufgabe der Einigungsstelle, die zwischen Arbeitgeber und Belegschaft tatsächlich bestehenden Interessengegensätze im Wege der Verhandlung zu einem Ausgleich zu bringen. Für die benannten Beisitzer der Einigungsstelle gilt daher gerade das Prinzip der Parteilichkeit6. Es folgt gerade aus Sinn und Zweck des Einigungsstellenverfahrens, dass die Arbeitgeberin sich auch mit Positionen und Forderungen auf sachlicher Ebene auseinanderzusetzen hat, die im diametralen Gegensatz zu ihrem eigenen wirtschaftlichen oder organisatorischen Konzept stehen. Dass die eine oder andere Betriebspartei nicht völlig „überzogene“ oder unausgewogene Verhandlungspositionen tatsächlich durchsetzen kann, wird durch die starke Stellung des zur Neutralität verpflichteten Einigungsstellenvorsitzenden gewährleistet. Nach dieser gesetzlichen Konzeption der Funktion einer Einigungsstelle kann nicht angenommen werden, dass das Vertreten einer bestimmten inhaltlichen Verhandlungsposition zugleich die rechtliche Qualität einer Verletzung arbeitsvertraglicher Loyalitätspflichten erlangen kann. Loyalitäts- oder Rücksichtnahmepflichten können als vertragliche Nebenpflichten insbesondere dahingehend bestehen, das Ansehen oder die Interessen der Arbeitgebers durch Äußerungen gegenüber Dritten oder in der Öffentlichkeit nicht zu schädigen7. Eine derartige Situation liegt hier jedoch nicht vor. Der ehemals Arbeitnehmer hat seine Äußerungen im Rahmen eines gesetzlich vorgesehenen und nichtöffentlichen Streitschlichtungsverfahrens gemacht. Die von der Arbeitgeberin beanstandeten Forderungen, nämlich Gutschriften auf einem Arbeitszeitkonto und Streit um die Zahl der arbeitsfreien Samstage, betrafen ausschließlich die sachlichen Inhalte der zu verhandelnden Betriebsvereinbarung.

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Auch der Umstand, dass der ehemals Arbeitnehmer nicht in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied „für den eigenen Betrieb“, sondern als außenstehender Dritter in der Einigungsstelle verhandelt hat, vermag nicht dazu zu führen, dass im Hinblick auf die arbeitsvertraglichen Loyalitätsverpflichtungen andere Maßstäbe anzulegen wären. Das Arbeitsgericht Trier aaO. hat demgegenüber auch im eigenen Unternehmen strengere Loyalitätsverpflichtungen angenommen; die Beschwerdeentscheidung des LAG Rheinland-Pfalz hat das aber nicht aufgegriffen.

Die Arbeitgeberin hat jedoch in ihren Anträgen sowohl gegenüber dem Betriebsrat der Filiale T-Stadt als auch gegenüber dem Arbeitsgericht Trier deutlich herausgestellt, dass der ehemals Arbeitnehmer in der Einigungsstellenverhandlung Positionen vertreten bzw. Forderungen erhoben habe, die den Unternehmensinteressen der Arbeitgeberin erheblich entgegenstünden. Sowohl in dem Anhörungsverfahren gegenüber dem Betriebsrat als auch in dem Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht sind lediglich die Tatsachen relevant und insoweit vorzutragen, die geeignet sein sollen, rechtlich einen Kündigungsgrund zu begründen. Daraus folgt umgekehrt, dass die Arbeitgeberin gerade diesen Sachverhaltselementen maßgebliche kündigungsbegründende Wirkung beigemessen hat. Zwar ist richtig, dass mehrfach formuliert wurde, dadurch solle nur ein Loyalitätskonflikt „verdeutlicht“ werden. Andererseits steht dem gegenüber, dass in den Anhörungen an den Betriebsrat die Arbeitgeberin diese Ausführung unter einer eigenständigen arabischen Gliederungsziffer aufgeführt hat. Insofern hat die Arbeitgeberin deutlich gemacht, dass diesen Ausführungen eigenständiges Gewicht zukommen sollte. Im Übrigen ist bei der Entscheidung über einen Antrag wegen Arbeitsvertragspflichtverletzungen nach § 103 BetrVG maßgeblich eine Interessenabwägung vorzunehmen, wie weit die vorgehaltenen Vertragsverletzungen gegenüber dem gesetzlichen Bestandsschutz als Funktionsträger überwiegen. Insofern kam dem Gewicht der von der Arbeitgeberin herangezogenen Loyalitätspflichtverletzung rechtserhebliche Bedeutung zu. Damit hatten die Ausführungen der Arbeitgeberin nicht nur „illustrierende“ Bedeutung, vielmehr wurde gerade der Umstand, dass der Arbeitnehmer sich als Beisitzer in einem bewussten und kämpferischen Interessengegensatz zu seinem Arbeitgeber begeben hatte, als schwerwiegendes Fehlverhalten charakterisiert und herangezogen.

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Der Antrag scheitert auch nicht unter dem Aspekt eines sog. Globalantrages. Er ist beschränkt auf eventuell zukünftig in der Filiale 719 stattfindende Einigungsstellen. Erfasst sind Äußerungen zu den möglichen Inhalten einer Betriebsvereinbarung. Dass persönlich ehrverletzende oder gar strafbare Äußerungen insoweit keines besonderen Schutzes bedürfen, gilt auch für die Verhandlungen vor der Einigungsstelle. Eine ausreichende Abgrenzung ist nach dem Wortlaut des Entscheidungstenors aber möglich.

Soweit die Arbeitgeberin die Frage nach Geltung des Entscheidungstenors für leitende Angestellte aufgeworfen hat, ist zum einen davon auszugehen, dass es sich um eine hochgradig theoretische Fragestellung handelt, ob der Betriebsrat jemals in einer Einigungsstelle einen leitenden Angestellten der Arbeitgeberin berufen wird. Selbst wenn dies aber – etwa aufgrund dessen besonderer Sachkunde – einmal der Fall sein sollte, besteht auch in diesem Fall das rechtlich geschützte Bedürfnis des Betriebsrats, dass Beisitzer in der Einigungsstelle ungestört vor Sanktionen ihre Funktion wahrnehmen können. Diese rechtliche Begründung steht in keinem Zusammenhang mit der Abgrenzung des § 5 Abs. 3 BetrVG.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 11 TaBV 104/13

  1. LAG Nds., Beschluss vom 05.06.2013 – 11 TaBVGa 14/13[]
  2. LAG München, Beschluss vom 14.12.2012 – 4 TaBVGa 12/12[]
  3. BAG 27.07.94, 7 ABR 10/93, AP Nr. 4 zu § 76 a BetrVG 1972[]
  4. vgl. etwa LAG Hamburg 15.11.2011, 1 TaBV 15/11, jurisPR ArbR 37/2012 Nr.13, BAG 7 ABR 36/12[]
  5. etwa BAG 15.07.92, 7 ABR 466/91, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Abmahnung[]
  6. etwa BAG 11.11.97, 1 ABR 21/97, AP Nr. 1 zu § 36 BDSG; Bertzbach Anm. zu LAG B-Stadt vom 15.11.2011, juris PR-ArbR 97/2012 Nr. 3[]
  7. etwa BAG 23.10.08, 2 AZR 483/07, AP Nr. 218 zu § 626 BGB; Schaub Arbeitsrechtshandbuch 14. Aufl. § 53 Rn. 29[]
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