Die wiederholte Bewerbung – und die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch

Eine unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch führt bei einer wiederholten Bewerbung nicht die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbei, wenn der Bewerber kurz zuvor an einem Vorstellungsgespräch teilgenommen hatte.

Die wiederholte Bewerbung – und die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch

Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 AGG ergibt, ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus.

Aufgrund seiner Gleichstellung als Schwerbehinderter gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX auffällt der Stellenbewerber in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall unter den Behindertenbegriff gemäß § 1 AGG1.

Der Stellenbewerber wurde auch unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt, weil er im Laufe des Bewerbungsverfahrens eine weniger günstigere Behandlung erfuhr, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Stellenbewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, den vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektiven Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen2.

Bei der Frage der objektiven Eignung sind bei der Besetzung von Stellen öffentlicher Arbeitgeber Besonderheiten zu berücksichtigen. Während der private Arbeitgeber grundsätzlich frei ist, welche Anforderungen er in seiner Stellenausschreibung an Bewerber stellen will, hat der öffentliche Arbeitgeber den Grundsatz der Besten-Auslese nach Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ein Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, die mit Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient zum Einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stelle des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden soll, zum Anderen trägt er dem berechtigten Interesse des Bewerbers an seinem beruflichen Fortkommen Rechnung3.

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Aus Art. 33 Abs. 2 GG ergibt sich noch nicht, auf welchen Bezugspunkt sich die Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung beziehen. Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil. Der öffentliche Arbeitgeber hat in diesem die formalen Voraussetzungen, die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der ausgeschriebenen Tätigkeit benötigt. Mit Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss deshalb sachlich nachvollziehbar sein. Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenausschreibung bekannt gegebene Anforderungsprofil gebunden4. Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtungen nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX.

Die grundsätzliche Eignung des Stellenbewerbers wurde von dem beklagten Landkreis nicht in Abrede gestellt. Insoweit konnte das Gericht dahingestellt sein lassen, ob die Ausbildung des Stellenbewerbers zum Justizfachwirt der Ausbildung zum Verwaltungswirt oder der Angestelltenprüfung I entspricht. Die grundsätzliche Eignung des Stellenbewerbers aus Sicht des beklagten Landkreises zeigt sich bereits darin, dass der beklagte Landkreis den Stellenbewerber auf eine identische Stellenausschreibung mit einem identischen Anforderungsprofil am 10.06.2015 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat5. Hätte der Stellenbewerber dem Anforderungsprofil von vorneherein nicht entsprochen, so wäre eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 3 SGB IX entbehrlich gewesen.

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Der Stellenbewerber wurde aber nicht wegen seiner Behinderung weniger günstig behandelt.

Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung angeknüpft oder durch sie motiviert ist. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf schuldhaftes Handeln oder eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an6.

Nach § 22 AGG genügt der Bewerber seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Es genügt der Vortrag von Hilfstatsachen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Eine derartige Hilfstatsache liegt zwar grundsätzlich vor, da der Stellenbewerber entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurde. Dennoch ist im vorliegenden Fall die notwendige Indizwirkung zu versagen, da der beklagte Landkreis den Stellenbewerber zuvor aufgrund einer identischen Stellenausschreibung und in einem identischen Auswahlverfahren im Rahmen eines Vorstellungsgespräches angehört hatte.

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Im Einzelnen gilt folgendes:

Nach § 82 Satz 2 SGB IX ist der öffentliche Arbeitgeber – vorbehaltlich des Satzes 3 – verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterlässt er die Einladung, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache im Sinne des § 22 AGG7. Diese Einladung hat der beklagte Landkreis im Hinblick auf die (erneute) Bewerbung des Stellenbewerbers vom 11.07.2015 unterlassen.

Dennoch vertritt die Kammer die Auffassung, dass in der vorliegenden Fallkonstellation daraus keine ausreichende Indizien für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung des Stellenbewerbers herzuleiten sind. Der Schutzzweck des § 82 Satz 1 SGB IX besteht darin, dass ein schwerbehinderter Bewerber bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgespräches bekommen muss, selbst wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Der schwerbehinderte Bewerber sollte den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können8.

Diese Chance hat die Beklagte dem Stellenbewerber eingeräumt, in dem sie ihn am 10.06.2015 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Jedenfalls dann, wenn ein Schwerbehinderter sich auf mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil bewirbt und der Arbeitgeber ein identisches Auswahlverfahren durchführt, die für die Personalentscheidung verantwortlichen Mitarbeiter gleich bleiben und wie – im vorliegenden Fall – nur ca. 5 Wochen zwischen dem Vorstellungsgespräch und der erneuten Bewerbung liegen, bildet die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch gemäß § 82 Satz 2 SGB IX keine hinreichende Indiztatsache für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Die Chanceneröffnung durch das geführte Bewerbungsgespräch wirkt in diesem Fall auch für das neue Bewerbungsverfahren fort.

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Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bewerbungschancen des Stellenbewerbers aufgrund Änderungen in seinen Kenntnissen oder seiner Persönlichkeit verändert haben, wurden von dem Stellenbewerber weder dargelegt noch sind sie für das Gericht aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen dem ersten Bewerbungsgespräch und der erneuten Bewerbung ersichtlich. Der Stellenbewerber hat identische Bewerbungsschreiben vorgelegt, so dass der beklagte Landkreis aufgrund der vorgelegten Unterlagen und des vorangegangenen Bewerbungsgespräches diskriminierungsfrei seine Auswahlentscheidung treffen konnte. Eine Hilfstatsache für eine Diskriminierung wegen der Behinderung wurde daher seitens des Stellenbewerbers nicht ausreichend dargelegt.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass im ersten Bewerbungsgespräch die Schwerbehindertenvertretung nicht teilgenommen hat. Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung das Recht, an Vorstellungsgesprächen teilzunehmen. Dass dies von dem beklagten Landkreis (bewusst oder unbewusst) verhindert wurde, wurde durch den Stellenbewerber nicht behauptet.

Soweit der Stellenbewerber seine Entschädigungsforderung damit begründet, dass er aufgrund seiner Ausbildung der am besten geeignete Bewerber gewesen sei und nur aufgrund seiner Behinderung die ausgeschriebene Stelle der Unterkunftsleitung nicht erhalten habe, ist dieser Vortrag nicht geeignet (Hilfs-)Tatsachen für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung zu begründen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Stellenausschreibung neben einer Ausbildung weitere Faktoren wie Sozialkompetenz, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit, Entscheidungsfreudigkeit und Durchsetzungsfähigkeit in ihrem Anforderungsprofil voraussetzt.

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Arbeitsgericht Karlsruhe, Urteil vom 26. Januar 2016 – 2 Ca 425/15

  1. BAG, Urteil vom 18.09.2014 – 8 AZR 759/13, Rn. 36[]
  2. BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 188/12, Rn. 26[]
  3. BAG, 24.01.2013 – 8 AZR 188/12[]
  4. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 – 1 Sa 13/14; BAG, Urteil vom 24.01.2013 – a.a.O.[]
  5. vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 – 1 Sa 13/14, Rn. 56[]
  6. BAG, Urteil vom 26.06.2014 – 8 AZR 547/13; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 – 1 Sa 13/14[]
  7. BAG, Urteil vom 24.01.2013 – a.a.O.; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 – a.a.O.[]
  8. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 – 1 Sa 13/14[]