Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Die vom Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 10.12 20131 und 3.06.20142 zur nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung aufgestellten Grundsätze sind auf die Fälle verdeckter Arbeitnehmerüberlassung übertragbar3.

Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Nach derzeitiger Rechtslage kann auch bei verdeckt praktizierter Arbeitnehmerüberlassung das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher, der im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ist, und dem verdeckt überlassenen Leiharbeitnehmer weder in direkter oder analoger Anwendung der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG noch über die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) – gleich in welcher Ausprägung – angenommen werden4.

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat bereits in seinem Urteil vom 18.12.20145 die Argumentation von Brose6, wonach eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nur für die Geschäfte gelte, für die sie vorgesehen sei, nämlich die Überlassung von Arbeitnehmern im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, als nicht zutreffend erachtet, weil auch eine sogenannte „Vorratserlaubnis“ zunächst Legalisierungswirkung entfaltet und der über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügende Werkunternehmer, der als Verleiher auftritt, sich der vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bezweckten Seriositätskontrolle gerade nicht entzogen hat, weshalb keine Veranlassung besteht, ihn als prinzipiell unzuverlässig anzusehen7. Hieran hält das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg auch im vorliegenden Urteil fest.

Ein anderes Ergebnis lässt sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg uch nicht unter dem Gesichtspunkt eines eventuellen treuwidrigen widersprüchlichen Verhaltens der Entleiherin und der Arbeitgeberinnen des Arbeitnehmers, bzw. eines individuellen Rechtsmissbrauchs begründen.

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Liegt der Rechtsmissbrauch in der Vereitelung von Rechten der Gegenpartei, so wird ihr eine Rechtsstellung zuerkannt, als ob das Verhalten nicht ausgeübt worden wäre8. Was dies im konkreten Fall bedeutet, entscheidet sich nach dem Schutzzweck des Gesetzes und der Frage, ob der Missbrauch der Verhinderung der gesetzlich an sich vorgesehenen Begründung eines Vertragsverhältnisses oder lediglich der Verkürzung einzelner Ansprüche dient9. Durch das Vortäuschen eines Werkvertrags und somit Verschleierung der tatsächlich vorliegenden verdeckten Arbeitnehmerüberlassung werden dem betroffenen Arbeitnehmer seine Rechte nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, insbesondere auf Gleichstellung mit einem vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG versagt. Nach Treu und Glauben muss er daher vertraglich und wirtschaftlich (nur) so gestellt werden, als hätte er von vornherein seine Rechte als Leiharbeitnehmer wahrnehmen können10. Dem verdeckt verliehenen Arbeitnehmer dürfen demzufolge nicht diejenigen Rechte vorenthalten werden, die ihm zugestanden hätten, wäre er offen als Leiharbeitnehmer mit Überlassungserlaubnis eingesetzt worden. Dies betrifft vor allem die in den §§ 11, 10 Abs. 4 Satz 1, 13, 13 a, 13 b AÜG geregelten Rechte und Ansprüche des Leiharbeitnehmers, nicht jedoch ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher11. Deshalb kann sich der Entleiher trotz des rechtsmissbräuchlichen Vorverhaltens auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis berufen12.

Die von der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg in ihrem Urteil vom 03.12 201413 vertretene Rechtsauffassung, wonach sich die Vertragspartner angeblicher Werkverträge, die in Wirklichkeit verschleierte Arbeitnehmerüberlassung darstellen, wegen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) nicht auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis berufen dürften, weshalb sich der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer gem. § 9 Nr. 1 AÜG als unwirksam darstelle mit der Folge, dass gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher fingiert werde14, erscheint der hier entscheidenden 3 Kammer des Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg auch aus grundrechtlichen Erwägungen nicht überzeugend. Denn dem betroffenen Arbeitnehmer würde möglicherweise auch gegen seinen Willen sein von ihm frei gewählter Arbeitgeber genommen und deshalb gegen einen anderen ausgetauscht, weil sein frei gewählter Arbeitgeber und dessen Vertragspartner sich treuwidrig verhalten haben. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle der Arbeitnehmerüberlassung der Verleiher generell der „schlechtere“ oder „unseriösere“ Arbeitgeber ist15. Diesbezüglich hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10.12 201316 zutreffend ausgeführt: „Es ist eine Vielzahl von Konstellationen denkbar, in denen Leiharbeitnehmer trotz eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG an ihrem Arbeitsverhältnis zum Verleiher festhalten und kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher eingehen wollen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn nur im Betrieb des Verleihers gem. § 23 Abs. 1 LSGchG die Vorschriften dieses Gesetzes Anwendung finden, dort eine ordentliche Kündigung kraft Vereinbarung oder kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, beim Verleiher die Arbeitsbedingungen für den Leiharbeitnehmer besser sind als beim Entleiher oder sich das Unternehmen des Entleihers in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Der Entzug des vom Leiharbeitnehmer gewählten Arbeitgebers durch Gesetz stellte einen Eingriff in seine durch Art. 12 GG geschützte Rechtsposition dar. Die Freiheit, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder dies zu unterlassen, ist Ausdruck der durch Art. 12 GG geschützten Vertragsfreiheit17. In diese wird eingegriffen, wenn ohne die zu einem Vertragsschluss erforderlichen beiderseitigen übereinstimmenden Willenserklärungen oder gar gegen den Willen einer oder auch beider Parteien kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet werden soll.“

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Gerade der vorliegende Fall zeigt die Problematik anschaulich auf: Unter Zugrundelegung der von der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg im Urteil vom 03.12 2014 vertretenen Rechtsauffassung, die sich der Leiharbeitnehmer des vorliegenden Verfahrens hilfsweise zu eigen gemacht hat, könnte sich die K., die den Leiharbeitnehmer nach dem Abzug bei der Entleiher und dem erledigten Kündigungsschutzverfahren derzeit anderweitig einsetzt, unter Verweis auf das von ihr und der Entleiher an den Tag gelegte – zugunsten des Leiharbeitnehmers unterstellt – treuwidrige Verhalten und dessen Rechtsfolge (Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Entleiher nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wegen Unwirksamkeit des zwischen ihr und dem Leiharbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrages gem. § 9 Nr. 1 AÜG analog) weigern, den Leiharbeitnehmer weiter zu beschäftigen und ihn weiter zu vergüten, und ihn auf die Geltendmachung seiner Rechte gegenüber der Entleiher verweisen, ohne dass es darauf ankäme, ob dies dem Willen des Leiharbeitnehmers entspräche oder nicht. Dieses offensichtlich nicht sachgerechte Ergebnis ließe sich nur vermeiden, wenn man nicht den unabhängig von einem entgegenstehenden Willen der Parteien eingreifenden § 9 Nr. 1 AÜG entsprechend anwenden würde, sondern die genannten Rechtsfolgen (Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher unter Verlust des Arbeitsverhältnisses zum Verleiher) von einem entsprechenden Willen des Leiharbeitnehmers abhängig machen würde – beispielsweise durch Einräumung eines Widerspruchsrechts nach dem Vorbild des § 613 a Abs. 6 BGB18. Eine solche richterliche Rechtsfortbildung wäre aber mit der der Rechtsprechung nach Art.20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG zukommenden Rolle nicht mehr vereinbar. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt19. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichtsbarkeit, anstelle des Gesetzgebers Grundentscheidungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu „korrigieren“20.

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Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 9. April 2015 – 3 Sa 53/14

  1. BAG 10.12.2013 – 9 AZR 51/13[]
  2. BAG 3.06.2014 – 9 AZR 111/13[]
  3. so bereits LAG Baden-Württemberg 18.12 2014 – 3 Sa 33/14[]
  4. entgegen LAG Baden-Württemberg 3.12 2014 – 4 Sa 41/14[]
  5. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2014 – 3 Sa 33/14, BB 2015, 95[]
  6. Brose, DB 2014, 1739[]
  7. zustimmend Baeck/Winzer NZA 2015, 269; Hamann jurisPR-ArbR 14/2015 Anmerkung 1; Seier DB 2015, 494[]
  8. Hamann/Rudnik NZA 2015, 449, 452[]
  9. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 494/911 – NZA 2013, 1267; 23.09.2014 – 9 AZR 125/12 []
  10. Hamann/Rudnik aaO[]
  11. so zutreffend Hamann jurisPR-ArbR 14/2015 Anmerkung 1[]
  12. LAG Baden-Württemberg 18.12 2014 – 3 Sa 33/14 – BB 2015, 955; ArbG Stuttgart 8.04.2014 – 16 BV 121/13 – DB 2014, 1980; Seier BB 2015, 494, 498[]
  13. LAG Baden-Württemberg 3.12.2014 – 4 Sa 41/14, NZA-RR 2015, 177[]
  14. so LAG Baden-Württemberg 3.12 2014, aaO unter I. 6. der Entscheidungsgründe[]
  15. Seier DB 2015, 494, 497[]
  16. BAG 10.12.2013 – 9 AZR 51/13 – BAGE 146, 384[]
  17. vgl. BVerfG 25.01.2011 – 1 BvR 1741/09, Rn. 69, 76; BVerfG 128, 157[]
  18. vgl. Hamann juris PR-ArbR 2/2015 Anmerkung 3[]
  19. BAG 10.12 2013 – 9 AZR 51/13 – BAGE 146, 384[]
  20. Seier DB 2015, 494, 498[]
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