Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung gegenüber tariflich Altersgesicherten

Tariflich Altersgesicherte können nicht aus verhaltensbedingten Gründen mit einer sozialen Auslauffrist außerordentlich gekündigt werden. Gibt ein Arbeitgeber durch Einräumung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zu erkennen, dass ihm bis dahin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers als zumutbar erscheint, so würde die Zulassung einer außerordentlichen Auslauffristkündigung den Schutz der tariflichen Alterssicherung unterlaufen.

Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung gegenüber tariflich Altersgesicherten

Dies entschied jetzt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in dem Fall eines Krankenhausangestellten, auf dessen Arbeitsverhältnis die Vorschriften des TVöD Anwendung fanden und der hierdurch tariflich altersgesichert war.

Der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist steht die tarifliche Alterssicherung der Arbeitnehmerin gemäß § 34 Abs. 2 TVöD entgegen.

Bei verhaltensbedingten Kündigungslagen kommt gegenüber tariflich altersgesicherten Mitarbeitern eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht in Betracht. Eine solche Kündigung würde nämlich die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen kündbaren und geschützten Arbeitnehmern verwischen und letztlich im Ergebnis die tariflich geschützten Arbeitnehmer den ungeschützten gleichstellen1. Dadurch würde vorliegend der Zweck des § 34 Abs. 2 TVöD unterlaufen.

Nach § 34 Abs. 2 TVöD können Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Verwendet ein Tarifvertrag den Begriff des wichtigen Grundes, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diesen in seiner allgemein gültigen Bedeutung im Sinn des § 626 BGB gebraucht haben und nicht anders verstanden wissen wollen2. Dies gilt auch für die Regelung des § 34 Abs. 2 TVöD3.

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Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist also nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist4.

Bei der Beurteilung, ob eine Weiterbeschäftigung noch zumutbar wäre, ist bei tariflich altersgesicherten Mitarbeitern abzustellen auf eine fiktive Kündigungsfrist, die gegolten hätte, wenn eine Alterssicherung nicht bestanden hätte5.

Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen einer ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung ist somit, ob auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung eine Fortsetzung der Beschäftigung bis zum Ablauf einer fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist für den Arbeitgeber zumutbar erscheint oder nicht.

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Die Rechtsprechung lässt in besonderen Einzelfällen jedoch auch sogenannte außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist zu.

Bei betriebsbedingten Kündigungslagen können nämlich Situationen eintreten, in denen eine ordentliche Kündigung zwar gerechtfertigt wäre, eine solche jedoch wegen der Alterssicherung nicht in Betracht kommt, eine dauerhafte Weiterbeschäftigung, gegebenenfalls bis zum Renteneintritt, zum Beispiel bei Betriebsstilllegungen, dem Arbeitgeber dagegen unzumutbar wäre. In diesen Fällen ist zur Meidung einer Benachteiligung des altersgesicherten Arbeitnehmers die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist anerkannt6.

Selbiges gilt in seltenen Ausnahmefällen auch bei personenbedingten Kündigungslagen, wenn dem Arbeitgeber eine dauerhafte Weiterbeschäftigung, zum Beispiel bei dauerhafter Leistungsunmöglichkeit, gänzlich unzumutbar wäre7.

Die Fälle der betriebsbedingten und der personenbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sind jedoch davon geprägt, dass bei diesen Kündigungsgründen eine außerordentliche Kündigung in der Regel ausgeschlossen ist, weil im Regelfall trotz Vorliegen eines Kündigungsgrundes die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist dem Arbeitgeber immer zumutbar ist. Die ordentliche Kündigung und die außerordentliche Kündigung stehen bei diesen Kündigungsgründen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wird nur deshalb zugelassen, um den Arbeitnehmer nicht wegen seiner tariflichen Alterssicherung zu benachteiligen gegenüber nicht Altersgesicherten, denen ordentlich gekündigt werden kann.

Diese Situation stellt sich bei verhaltensbedingten Kündigungslagen völlig anders dar. Dort gibt es gerade kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen einer ordentlichen Kündigung und einer außerordentlichen Kündigung. Beide Kündigungsarten stehen gleichberechtigt nebeneinander. Lediglich die Schwere des Pflichtenverstoßes ist letztlich entscheidend, ob auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist noch zumutbar erscheint oder nicht. Auch eine durch eine Auslauffrist auszuräumende Schlechterstellung tariflich Altersgesicherter kann bei diesem Kündigungsgrund nicht eintreten. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht8 auch ausgeführt, dass es zweifelhaft erscheine, ob es mit dem Zweck der ordentlichen Unkündbarkeit zu vereinbaren ist, bei weniger schweren Pflichtverletzungen eine ordentliche Kündigung mit Auslauffrist zu ermöglichen, die der ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung letztlich gleichkommt. Diesen Zweifeln schließt sich die Kammer an. Bei verhaltensbedingten Kündigungen ist demnach eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgeschlossen.

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Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht darauf berufen, sie sei beim Ausspruch ihrer außerordentlichen Kündigung gar nicht von einer weniger schweren Pflichtverletzung ausgegangen, die nur eine ordentliche Kündigung hätte rechtfertigen können.

Vollkommen unmaßgeblich ist, ob der von der Arbeitgeberin vorgetragene Kündigungssachverhalt an sich geeignet gewesen wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen oder nicht. Die Frage, ob ein Kündigungsgrund den Arbeitgeber zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen kann, wird nämlich nicht auf der ersten Prüfungsstufe entschieden, sondern erst auf der zweiten Prüfungsstufe der Interessenabwägung.

Aber auch auf der zweiten Stufe der Interessenabwägung kommt es vorliegend zuerst einmal nicht abstrakt auf die Frage an, ob für einen objektiven und verständigen Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf einer (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Es ist vielmehr zuerst die Vorfrage zu beantworten, wie die Arbeitgeberin selbst für sich die Interessenabwägung durchgeführt hat und wie sie für sich selbst die Frage der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortbeschäftigung beantwortet hat. Dies ist in Auslegung der Kündigung als Willenserklärung gemäß § 133 BGB zu ermitteln. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften zu bleiben. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung aller erkennbarer Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, danach zu trachten, dass Gemeinte zu erkennen9. An dieses von ihr bei Ausspruch der Kündigung Gemeinte ist die Arbeitgeberin dann auch gebunden.

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Die Auslegung führt vorliegend zu folgendem Ergebnis:

Es ist festzustellen, dass die Arbeitgeberin lediglich das Gewand einer außerordentlichen Kündigung gewählt hat, um die tarifliche ordentliche Unkündbarkeit der Arbeitnehmerin überwinden zu können. Dennoch hat sie aber über die Einräumung einer sozialen Auslauffrist der Arbeitnehmerin gegenüber zu erkennen gegeben, dass sie in ihrer subjektiven Eigenwertung an sich eine Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist für zumutbar erachtete. Darauf kommt es an. Hieran hat sich die Arbeitgeberin festhalten zu lassen.

Auch die von der Arbeitgeberin aufgeführten ausschließlich sozialen Erwägungen führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Denn selbstverständlich ist ein Arbeitgeber berechtigt, sich bei seiner Eigenbewertung innerhalb der Interessenabwägung – und sei es aus sozialen Erwägungen – großzügiger zu verhalten als es ein durchschnittlicher verständiger Arbeitgeber gewesen wäre. Gibt er diese „Großzügigkeit“ aber dem Erklärungsgegner gegenüber zur Kenntnis, so ist er daran gebunden.

Die Verhältnismäßigkeit ist gestuft. Eine Abmahnung ist als minderes Mittel vorrangig vor einer ordentlichen Kündigung, eine ordentliche Kündigung als milderes Mittel vorrangig vor einer außerordentlichen Kündigung. Spricht ein Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens eine Abmahnung aus, so kann er im Regelfall, aufgrund Auslegung des Inhalts der Abmahnung, auf denselben Sachverhalt nicht auch noch eine Kündigung stützen, selbst wenn der Sachverhalt eigentlich auch zur Rechtfertigung einer Kündigung ausgereicht hätte. Im Ausspruch der Abmahnung liegt dann ein Kündigungsverzicht10. Selbiges muss auch für eine Stufe höher gelten. Lässt der Arbeitgeber „Fünfe gerade sein“ und erklärt, sich eine Weiterbeschäftigung mit der Arbeitnehmerin noch bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigung vorstellen zu können, so verzichtet er auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, auch wenn er die Kündigung wie vorliegend in Umgehung des tariflichen Kündigungsschutzes als außerordentliche Kündigung benannt hat.

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Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der von der Arbeitgeberin vorgetragene Kündigungssachverhalt zutreffend war und eine außerordentliche Kündigung hätte rechtfertigen können. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt ist.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 25. Juni 2014 – 4 Sa 35/14

  1. BAG 21.06.2012 – 2 AZR 343/11 – AP LSGchG 1969 § 15 Nr. 73[]
  2. BAG 12.01.2006 – 2 AZR 242/05 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13[]
  3. BAG 28.10.2010 – 2 AZR 688/09 – AP LSGchG 1969 § 2 Nr. 148[]
  4. BAG 9.06.2011 – 2 AZR 381/10 – AP BGB § 626 Nr. 234; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – BAGE 134, 349[]
  5. BAG 26.11.2009 – 2 AZR 272/08 – BAGE 132, 299; BAG 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – BAGE 92, 184[]
  6. BAG 21.06.2012 aaO; BAG 12.08.1999 aaO[]
  7. BAG 21.06.2012 aaO; BAG 26.11.2009 aaO[]
  8. BAG 21.06.2012 aaO[]
  9. BAG 15.05.2013 – 5 AZR 130/12 – AP BGB § 615 Nr. 131[]
  10. BAG 13.12 2007 – 6 AZR 145/07 – BAGE 125, 208[]