Hartz IV-Regelleistungen sind verfassungswidrig

Die Regelungen der Hartz IV – Reform zur Grundsicherung für Arbeitslose findet auch weiterhin keine Gnade in Karlsruhe. Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereit vor gut zwei Jahren die derzeitige Organisation der Arbeitsgemeinschaften („Jobcenter“) für verfassungswidrig erachtet und dem Gesetzgeber eine Änderung bis Ende diesen Jahres aufgegeben hat, wurden heute auch die nach Hartz-IV-Regelleistungen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt. Das Bundesverfassungsgericht erachtet insbesondere die derzeitige prozentualen Abschläge für weitere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (also etwa für Kinder) als „ins Blaue hinein“ ohne vernünftige Berechnung festgelegt.

Hartz IV-Regelleistungen sind verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verdikt einer Verfassungswidrigkeit allerdings nicht mit dem Aussprach der Nichtigkeit der derzeitigen Regelung verbunden, sondern (nur) dem Gesetzgeber auferlegt, die Regelleistungen bis Ende diesen Jahres verfassungskonform zu regeln. Ob diese Neuregelung dann allerdings zu höheren Regelleistungen führen wird, ließ das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen.

Die derzeitige Regelung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch[↑]

Durch das sogenannte „Hartz IV-Gesetz“, das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vom 24. Dezember 2003 wurde zum 1. Januar 2005 die bis dahin bestehende Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe im neu geschaffenen Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form einer einheitlichen, bedürftigkeitsabhängigen Grundsicherung für Erwerbsfähige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zusammengefasst.

Seit Januar 2005 erhalten nunmehr erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden, nicht erwerbsfähigen Angehörigen, insbesondere Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres, Sozialgeld. Diese Leistungen setzen sich im Wesentlichen aus der in den §§ 20, 28 SGB II bestimmten Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und Leistungen für Unterkunft und Heizung zusammen. Sie werden nur gewährt, wenn ausreichende eigene Mittel, insbesondere Einkommen oder Vermögen, nicht vorhanden sind.

Die Regelleistung für Alleinstehende legte das SGB II zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens für die alten Länder einschließlich Berlin auf 345 € fest. Mehrere zusammenlebende Familienangehörige werden zu Bedarfsgemeinschaften zusammen gefasst. Nur der erste Erwachsene dieses Bedarfsgemeinschaft erhält die gleichen Leistungen wie ein Alleinstehender. Die Regelleistung für weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft werden nach dem SGB II dagegen als prozentuale Anteile der Regelleistung für Alleinstehende bestimmt. Danach ergaben sich zum 1. Januar 2005 für Ehegatten, Lebenspartner und Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft 90% dieser Regelleistung, was einem Betrag von gerundet 311 € entspricht. Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres erhalten 60% dieser Regelung, mithin einen Betrag in Höhe von 207 €, Kinder ab Beginn des 15. Lebensjahres erhalten 80% dieser Regelleistung, mithin 276 €.

Im Vergleich zu den Regelungen nach dem bis 2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz wird die Regelleistung nach dem SGB II weitgehend pauschaliert; eine Erhöhung für den Alltagsbedarf ist ausgeschlossen. Einmalige Beihilfen werden nur noch in Ausnahmefällen für einen besonderen Bedarf gewährt. Zur Deckung unregelmäßig wiederkehrenden Bedarfs ist die Regelleistung erhöht worden, damit Leistungsempfänger entsprechende Mittel ansparen können.

Die Bestimmung der Höhe der Regelleistungen[↑]

Bei der Festsetzung der Regelleistung hat sich der Gesetzgeber an das Sozialhilferecht, das seit dem 1. Januar 2005 im Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) geregelt wird, angelehnt. Nach dem SGB XII und der vom zuständigen Bundesministerium erlassenen Regelsatzverordnung erfolgt die Bemessung der sozialhilferechtlichen Regelsätze nach einem Statistikmodell, das bereits in ähnlicher Form unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes entwickelt worden war. Grundlage für die Bemessung der Regelsätze ist eine Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die vom Statistischen Bundesamt alle fünf Jahre erhoben wird. Für die Bestimmung des Eckregelsatzes, der auch für Alleinstehende gilt, sind die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben der untersten 20% der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalte (unterstes Quintil) nach Herausnahme der Empfänger von Sozialhilfe maßgeblich. Diese Ausgaben gehen allerdings nicht vollständig, sondern als regelsatzrelevanter Verbrauch nur zu bestimmten Prozentanteilen in die Bemessung des Eckregelsatzes ein.

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Die seit dem 1. Januar 2005 geltende Regelsatzverordnung fußt auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 1998. Bei der Bestimmung des regelsatzrelevanten Verbrauchs in § 2 Abs. 2 Regelsatzverordnung wurde die Abteilung 10 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (Bildungswesen) nicht berücksichtigt. Weiterhin erfolgten Abschläge unter anderem in der Abteilung 03 (Bekleidung und Schuhe) zum Beispiel für Pelze und Maßkleidung, in der Abteilung 04 (Wohnung etc.) bei der Ausgabenposition „Strom“, in der Abteilung 07 (Verkehr) wegen der Kosten für Kraftfahrzeuge und in der Abteilung 09 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) zum Beispiel für Segelflugzeuge. Der für das Jahr 1998 errechnete Betrag wurde nach den Regelungen, die für die jährliche Anpassung der Regelleistung nach dem SGB II und der Regelsätze nach dem SGB XII gelten, entsprechend der Entwicklung des aktuellen Rentenwertes in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. § 68 SGB VI) auf den 1. Januar 2005 hochgerechnet.

Bei der Festsetzung der Regelleistung für Kinder wich der Gesetzgeber von den Prozentsätzen, die unter dem BSHG galten, ab und bildete nunmehr nur noch zwei Altersgruppen (0 bis 14 Jahre und 14 bis 18 Jahre). Eine Untersuchung des Ausgabeverhaltens von Ehepaaren mit einem Kind, wie sie unter dem BSHG erfolgt war, unterblieb zunächst.

Die Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 2003 führte zwar zum 1. Januar 2007 zu Änderungen beim regelsatzrelevanten Verbrauch gemäß § 2 Abs. 2 Regelsatzverordnung, jedoch nicht zu einer Erhöhung des Eckregelsatzes und der Regelleistung für Alleinstehende. Eine erneute Sonderauswertung bezogen auf das Ausgabeverhalten von Ehepaaren mit einem Kind veranlasste den Gesetzgeber zur Einführung einer dritten Alterstufe von haushaltsangehörigen Kindern im Alter von 6 Jahren bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. Diese erhalten ab dem 1. Juli 2009 nach § 74 SGB II 70% der Regelleistung eines Alleinstehenden. Seit dem 1. August 2009 erhalten schulpflichtige Kinder nach Maßgabe von § 24a SGB II zudem zusätzliche Leistungen für die Schule in Höhe von 100 € pro Schuljahr.

Die Ausgangsverfahren[↑]

Über eine Vorlage des Hessischen Landessozialgerichts1 und über zwei Vorlagen des Bundessozialgerichts2 zu der Frage, ob die Höhe der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts für Erwachsene und Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 nach § 20 Abs. 1 bis 3 und nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Alt. 1 SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am 20. Oktober 2009 verhandelt.

Vorlage des Hessischen Landessozialgerichts

In dem vom Hessischen Landessozialgericht vorgelegten Verfahren1 beziehen ein Elternpaar und ihr 1994 geborenes Kind seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von insgesamt 825 €. Die Bewilligung enthielt Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 150 €, eine Regelleistung für die Eltern in Höhe von jeweils 311 € und eine Regelleistung in Höhe von 53 € für das Kind, die sich ausgehend von der gesetzlichen Regelleistung in Höhe von 207 € daraus ergab, dass das Kindergeld in Höhe von 154 € monatlich angerechnet wurde.

Nachdem Widerspruch und Klage beim Sozialgericht erfolglos waren, legte das Hessische Landessozialgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob die Höhe der gesetzlichen Regelleistung für die Kläger des Ausgangsverfahrens verfassungsgemäß ist. Der Staat sei verpflichtet, einen am Existenzminimum orientierten Bedarf zu ermitteln und dessen Deckung zu gewährleisten. Die vom Gesetzgeber – durch Bezugnahme auf das SGB XII und die Regelsatzverordnung – übernommene Begründung für die in § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II bei Kindern im Alter von 0 bis 14 Jahren auf 60% der Regelleistung für Alleinstehende gemäß § 20 Abs. 2 SGB II, d.h. auf 207,- €, festgesetzte Regelleistung sei nicht tragfähig. Der Gesetzgeber lasse bei der Bemessung der Regelleistung für Kinder deren Betreuungs- und Erziehungsbedarf unberücksichtigt. Dieser gehöre aber nach einem Beschluss des BVerfG3 zum Existenzminimum. Die Gewährung eines zusätzlichen Betrages für Schulkinder in Höhe von 100 € pro Schuljahr ab August 2009 (§ 24a SGB II in der Fassung des FamLeistG) behebe die festgestellte Unterdeckung nicht ansatzweise.

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Außerdem verstoße die Regelung, so das Hessische Landessozialgericht, gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwischen älteren und Kleinkindern werde trotz unterschiedlichen Bedarfs kein Unterschied bei der Höhe der Regelleistung gemacht. Zudem würden gleichaltrige Kinder, deren Eltern Sozialhilfe beziehen, ohne nachvollziehbare Begründung trotz vergleichbarer Bedürfnisse teilweise besser gestellt. Darüber hinaus verstoße die Regelung gegen das Diskriminierungsverbot gegenüber Ehe und Familie (Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG), weil bei der Bemessung der Regelleistung die Gruppe der Ein-Personen-Haushalte als Referenzgruppe herangezogen worden sei, obwohl deren Einkommens- und Verbrauchsdaten erheblich unter dem Niveau der Familienhaushalte lägen. Das werde auch durch Vorteile gemeinsamen Wirtschaftens nicht ausgeglichen.

Vorlagen des Bundessozialgerichts

In dem ersten der beiden vom Bundessozialgericht vorgelegten Verfahren4 bewilligte die im Ausgangsverfahren beklagte ARGE für die aus zwei 1991 und 1993 geborenen Kindern und ihren Eltern bestehende Bedarfsgemeinschaft die Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung für Januar 2005 in Höhe von insgesamt 842,59 € und für Februar 2005 in Höhe von insgesamt 824,89 €. Davon entfielen auf die Kinder jeweils 102,56 € für Januar 2005 und jeweils 100,41 € für Februar 2005. Bei der Berechnung der Leistungen legte die ARGE eine Regelleistung von jeweils 207 € für die Kinder und Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 588,02 € zugrunde und berücksichtigte als leistungsminderndes Einkommen sowohl das für die Kinder gezahlte Kindergeld als auch Erwerbseinkommen der Eltern. Im Ergebnis handelte es sich bei den zugunsten der Kinder bewilligten Leistungen aufgrund der Regelung der § 9 Abs. 2 Satz 3 und § 19 Satz 2 SGB II a.F. ausschließlich um Leistungen für Unterkunft und Heizung, da das zu berücksichtigende Einkommen den gesetzlichen Betrag der Regelleistung überstieg. Widerspruch und Klagen vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht gegen diese Festsetzung blieben erfolglos. Mit ihrer vom Bundessozialgericht zugelassenen Revision haben die Kinder als Kläger des Ausgangsverfahrens nicht nur verfassungsrechtliche Einwände gegen die Höhe der gesetzlichen Regelleistung erhoben, sondern auch geltend gemacht, die Leistungen seien nach den geltenden Vorschriften zu niedrig festgesetzt worden, weil insbesondere ein zu hohes Einkommen der Eltern berücksichtigt worden sei.

Das Bundessozialgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 28 Abs 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II mit Art 3 Abs 1 GG iVm Art 1, 6 Abs 2, 20 Abs 1 GG vereinbar ist, soweit die gesetzliche Regelung für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eine Regelleistung in Höhe von lediglich 60% der Regelleistung für Erwachsene vorsieht, ohne dass der für Kinder notwendige Bedarf ermittelt und definiert wurde.

Anders als bei der Ermittlung der Regelleistung für Alleinstehende habe der Gesetzgeber die von ihm selbst statuierte Sachgesetzlichkeit bei der Festsetzung des kinderspezifischen Bedarfs ohne hinreichenden Grund verlassen. Es fehle an einer eingehenden Begründung auf der Basis einer realitätsbezogenen Erfassung des speziellen Mindestbedarfs von Kindern. Unklar bleibe vor allem, wie sich der Betrag von 207 € für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zusammensetze, und es sei nicht zu erkennen, inwiefern der Gesetz- und Verordnungsgeber Bildungsausgaben in die Regelleistung von Kindern und Jugendlichen einberechnet habe. Durch die Neuregelungen zum 1. August 2009 (§ 24a SGB II in der Fassung des FamLeistG) und zum 1. Juli 2009 (§ 74 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland) werde der aufgezeigte Verfassungsverstoß der Ungleichbehandlung bzw. mangelnden Folgerichtigkeit bei der Festsetzung der Regelleistung für Kinder und Jugendliche zu Beginn des Jahres 2005 nicht geheilt, sondern vielmehr unterstrichen.

Die Verfassungsmäßigkeit der Norm sei auch im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG fraglich, weil das Sozialgeld für Kinder nach dem SGB II abschließend und bedarfsdeckend sein soll, während Kindern von Sozialhilfeempfängern einen davon abweichenden Bedarf geltend machen können.

Schließlich verstoße auch die Festsetzung einer einheitlichen Regelleistung ohne Altersstufen für alle Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es fehle jegliche Begründung dafür, warum von der bisherigen Differenzierung in § 2 Abs. 3 der Regelsatzverordnung zum BSHG abgewichen worden und für Kinder ab Vollendung des 7. Lebensjahres eine Kürzung vorgenommen worden sei, obwohl, wie der Gesetzgeber nunmehr in § 24a SGB II selbst anerkenne, Schulkinder einen höheren Bedarf aufwiesen als Kinder im Vorschulalter.

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In dem zweiten vom Bundessozialgericht vorgelegten Verfahren5 erhielt die aus den 1998 und 2000 geborenen Kindern und ihren Eltern bestehende Bedarfsgemeinschaft insgesamt 716,88 € monatlich. Davon entfielen jeweils 104,60 € monatlich auf die Kinder. Bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigte die im Ausgangsverfahren beklagte ARGE das gezahlte Kindergeld und anteilig das Erwerbseinkommen des Vaters. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage blieb in erster und zweiter Instanz ohne Erfolg. Die Vorlagefrage und die Begründung des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses in diesem Verfahren ist mit der Vorlagefrage und der Begründung des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses in dem anderen vom Bundessozialgericht vorgelegten Verfahren weitgehend identisch.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nun heute entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG erfüllen. Die Vorschriften bleiben bis zur Neuregelung, die der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, weiter anwendbar. Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung auch einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorzusehen, der bisher nicht von den Leistungen nach §§ 20 ff. SGB II erfasst wird, zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber wird angeordnet, dass dieser Anspruch nach Maßgabe der Urteilsgründe unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu Lasten des Bundes geltend gemacht werden kann.

In seinen Entscheidungsgründen wird das Bundesverfassungsgericht deutlich:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums[↑]

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Der Umfang des verfassungsrechtlichen Leistungsanspruchs kann im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Die Konkretisierung obliegt dem Gesetzgeber, dem hierbei ein Gestaltungsspielraum zukommt.

Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen.

Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelung durch das Bundesverfassungsgericht. Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs erlaubt, beschränkt sich bezogen auf das Ergebnis die materielle Kontrolle darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Innerhalb der materiellen Bandbreite, welche diese Evidenzkontrolle belässt, kann das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keine quantifizierbaren Vorgaben liefern. Es erfordert aber eine Kontrolle der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung daraufhin, ob sie dem Ziel des Grundrechts gerecht werden. Um eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, müssen die Festsetzungen der Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein.

Das Bundesverfassungsgericht prüft deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben hat, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt hat. Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle besteht für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offen zu legen. Kommt er ihr nicht hinreichend nach, steht die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang.

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Regelleistungen sind nicht evident unzureichend[↑]

Die in den Ausgangsverfahren derzeit geltenden Regelleistungen für das erste erwachsene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (345 €), für erwachsene Partner der Bedarfgemeinschaft (311 €) und für Kinder bis zum 14. Lebensjahr (207 €) können nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht als evident unzureichend angesehen werden.

Für den Betrag der Regelleistung von 345 € kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil sie zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums besonders weit ist.

Dies gilt auch für den Betrag von 311 € für erwachsene Partner einer Bedarfsgemeinschaft. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen gespart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner einen finanziellen Mindestbedarf haben, der geringer als das Doppelte des Bedarfs eines Alleinlebenden ist.

Es kann ebenfalls nicht festgestellt werden, dass der für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres einheitlich geltende Betrag von 207 € zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums offensichtlich unzureichend ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass dieser Betrag nicht ausreicht, um das physische Existenzminimum, insbesondere den Ernährungsbedarf von Kindern im Alter von 7 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zu decken.

Geeignetes Statistikmodell zur Berechnung der Regelleistung für Alleinstehende[↑]

Das Statistikmodell, das für die Bemessung der sozialhilferechtlichen Regelsätze gilt und nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Grundlage für die Bestimmung der Regelleistung bildet, ist eine verfassungsrechtlich zulässige, weil vertretbare Methode zur realitätsnahen Bestimmung des Existenzminimums für eine alleinstehende Person. Es stützt sich auch auf geeignete empirische Daten. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bildet in statistisch zuverlässiger Weise das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung ab. Die Auswahl der untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalte nach Herausnahme der Empfänger von Sozialhilfe als Referenzgruppe für die Ermittlung der Regelleistung für einen Alleinstehenden ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber konnte auch vertretbar davon ausgehen, dass die bei der Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 zugrunde gelegte Referenzgruppe statistisch zuverlässig über der Sozialhilfeschwelle lag.

Es ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben des untersten Quintils nicht vollständig, sondern als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz in die Bemessung der Regelleistung einfließen. Der Gesetzgeber hat aber die wertende Entscheidung, welche Ausgaben zum Existenzminimum zählen, sachgerecht und vertretbar zu treffen. Kürzungen von Ausgabepositionen in den Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer empirischen Grundlage. Der Gesetzgeber darf Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätigt, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststeht, dass sie anderweitig gedeckt werden oder zur Sicherung des Existenzminimums nicht notwendig sind. Hinsichtlich der Höhe der Kürzungen ist auch eine Schätzung auf fundierter empirischer Grundlage nicht ausgeschlossen; Schätzungen „ins Blaue hinein“ stellen jedoch keine realitätsgerechte Ermittlung dar.

Fehlerhafte Berechnung der Regelleistung für Alleinstehende[↑]

Die Regelleistung von 345 € ist nicht in verfassungsgemäßer Weise ermittelt worden, weil von den Strukturprinzipien des Statistikmodells ohne sachliche Rechtfertigung abgewichen worden ist.

Der in § 2 Abs. 2 Regelsatzverordnung 2005 festgesetzte regelsatz- und damit zugleich regelleistungsrelevante Verbrauch beruht nicht auf einer tragfähigen Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998. Denn bei einzelnen Ausgabepositionen wurden prozentuale Abschläge für nicht regelleistungsrelevante Güter und Dienstleistungen (zum Beispiel Pelze, Maßkleidung und Segelflugzeuge) vorgenommen, ohne dass feststand, ob die Vergleichsgruppe (unterstes Quintil) überhaupt solche Ausgaben getätigt hat. Bei anderen Ausgabepositionen wurden Kürzungen vorgenommen, die dem Grunde nach vertretbar, in der Höhe jedoch empirisch nicht belegt waren (zum Beispiel Kürzung um 15% bei der Position Strom). Andere Ausgabepositionen, zum Beispiel die Abteilung 10 (Bildungswesen), blieben völlig unberücksichtigt, ohne dass dies begründet worden wäre.

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Zudem stellt die Hochrechnung der für 1998 ermittelten Beträge auf das Jahr 2005 anhand der Entwicklung des aktuellen Rentenwerts einen sachwidrigen Maßstabswechsel dar. Während die statistische Ermittlungsmethode auf Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten abstellt, knüpft die Fortschreibung nach dem aktuellen Rentenwert an die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter, den Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung und an einen Nachhaltigkeitsfaktor an. Diese Faktoren weisen aber keinen Bezug zum Existenzminimum auf.

Folgefehler bei der Berechnung der Regelleistung für erwachsene Partner[↑]

Die Ermittlung der Regelleistung in Höhe von 311 Euro für in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebende Partner genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil sich die Mängel bei der Ermittlung der Regelleistung für Alleinstehende hier fortsetzen, denn sie wurde auf der Basis jener Regelleistung ermittelt. Allerdings beruht die Annahme, dass für die Sicherung des Existenzminimums von zwei Partnern ein Betrag in Höhe von 180% des entsprechenden Bedarfs eines Alleinstehenden ausreicht, auf einer ausreichenden empirischen Grundlage.

Fehlerhafte Berechnung der Regelleistung für Kinder bis 14 Jahre[↑]

Das Sozialgeld für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres von 207 € genügt zunächst einmal schon deshalb ebenfalls nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, weil es von der bereits beanstandeten Regelleistung in Höhe von 345 € abgeleitet ist.

Darüber hinaus beruht die Festlegung auf keiner vertretbaren Methode zur Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes im Alter bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. Der Gesetzgeber hat jegliche Ermittlungen zum spezifischen Bedarf eines Kindes, der sich im Unterschied zum Bedarf eines Erwachsenen an kindlichen Entwicklungsphasen und einer kindgerechten Persönlichkeitsentfaltung auszurichten hat, unterlassen. Sein vorgenommener Abschlag von 40 % gegenüber der Regelleistung für einen Alleinstehenden beruht auf einer freihändigen Setzung ohne empirische und methodische Fundierung. Insbesondere blieben die notwendigen Aufwendungen für Schulbücher, Schulhefte, Taschenrechner etc. unberücksichtigt, die zum existentiellen Bedarf eines Kindes gehören. Denn ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen. Auch fehlt eine differenzierte Untersuchung des Bedarfs von kleineren und größeren Kindern.

Verfassungswidrigkeit auch nach den 2007 und 2009 erfolgten Neuregelungen[↑]

Diese Verfassungsverstöße sind weder durch die Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 und die Neubestimmung des regelsatzrelevanten Verbrauchs zum 1. Januar 2007 noch durch die Mitte 2009 in Kraft getretenen §§ 74 und 24a SGB II beseitigt worden.

Die zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Änderung der Regelsatzverordnung hat wesentliche Mängel, wie zum Beispiel die Nichtberücksichtigung der in der Abteilung 10 (Bildungswesen) der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben oder die Hochrechnung der für 2003 ermittelten Beträge entsprechend der Entwicklung des aktuellen Rentenwertes, nicht beseitigt.

Das durch § 74 SGB II eingeführte Sozialgeld für Kinder ab Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres in Höhe von 70 % der Regelleistung für einen Alleinstehenden genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits deshalb nicht, weil es sich von dieser fehlerhaft ermittelten Regelleistung ableitet. Zwar dürfte der Gesetzgeber mit der Einführung einer dritten Altersstufe und der § 74 SGB II zugrunde liegenden Bemessungsmethode einer realitätsgerechten Ermittlung der notwendigen Leistungen für Kinder im schulpflichtigen Alter näher gekommen sein. Den Anforderungen an die Ermittlung des kinderspezifischen Bedarfs ist er dennoch nicht gerecht geworden, weil die gesetzliche Regelung weiterhin an den Verbrauch für einen erwachsenen Alleinstehenden anknüpft.

Die Regelung des § 24a SGB II, die eine einmalige Zahlung von 100 € vorsieht, fügt sich methodisch nicht in das Bedarfssystem des SGB II ein. Zudem hat der Gesetzgeber den notwendigen Schulbedarf eines Kindes bei Erlass des § 24a SGB II nicht empirisch ermittelt. Der Betrag von 100 € pro Schuljahr wurde offensichtlich freihändig geschätzt.

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Fehlende Regelung für laufenden Sonderbedarf[↑]

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist es desweiteren mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar, dass im SGB II eine Regelung fehlt, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsieht. Ein solcher ist für denjenigen Bedarf erforderlich, der deswegen nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen.

Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist, kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotential zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.

Da ein pauschaler Regelleistungsbetrag jedoch nach seiner Konzeption nur den durchschnittlichen Bedarf decken kann, wird ein in Sonderfällen auftretender Bedarf von der Statistik nicht aussagekräftig ausgewiesen. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gebietet allerdings, auch diesen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zu decken, wenn es im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist. Dieser ist im SGB II bisher nicht ausnahmslos erfasst. Der Gesetzgeber hat wegen dieser Lücke in der Deckung des lebensnotwendigen Existenzminimums eine Härtefallregelung in Form eines Anspruchs auf Hilfeleistungen zur Deckung dieses besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorzugeben. Dieser Anspruch entsteht allerdings erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Er dürfte angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen in Betracht kommen.

Pflicht zur Neuregelung bis zum Jahresende 2010[↑]

Die verfassungswidrigen Normen bleiben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bis zu einer Neuregelung, die der Gesetzgeber nach den Bestimmungen des heutigen Urteils bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, weiterhin anwendbar. Wegen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums ist das Bundesverfassungsgericht nicht befugt, aufgrund eigener Einschätzungen und Wertungen gestaltend selbst einen bestimmten Leistungsbetrag festzusetzen. Da nicht festgestellt werden kann, dass die gesetzlich festgesetzten Regelleistungsbeträge evident unzureichend sind, ist der Gesetzgeber nicht unmittelbar von Verfassungs wegen verpflichtet, höhere Leistungen festzusetzen. Er muss vielmehr ein Verfahren zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen entsprechend den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben durchführen und dessen Ergebnis im Gesetz als Leistungsanspruch verankern.

Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht dazu, die Leistungen rückwirkend neu festzusetzen. Sollte der Gesetzgeber allerdings seiner Pflicht zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010 nicht nachgekommen sein, wäre ein pflichtwidrig später erlassenes Gesetz schon zum 1. Januar 2011 in Geltung zu setzen.

Der Gesetzgeber ist ferner verpflichtet, bis spätestens zum 31. Dezember 2010 eine Regelung im SGB II zu schaffen, die sicherstellt, dass ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf gedeckt wird. Die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten, bei denen ein derartiger Bedarf vorliegt, müssen aber auch vor der Neuregelung die erforderlichen Sach- oder Geldleistungen erhalten. Um die Gefahr einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härtefallklausel zu vermeiden, muss die verfassungswidrige Lücke für die Zeit ab der Verkündung des Urteils durch eine entsprechende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09

  1. 1 BvL 1/09[][]
  2. 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09[]
  3. BVerfGE 99, 216, 231 ff.[]
  4. 1 BvL 3/09[]
  5. 1 BvL 4/09[]