Freiberufler im Zugewinnausgleich

Im Zugewinnausgleich ist grundsätzlich auch der Vermögenswert einer freiberuflichen Praxis zu berücksichtigen.

Freiberufler im Zugewinnausgleich

Bei der Bewertung des Goodwill ist ein Unternehmerlohn abzusetzen, der den individuellen Verhältnissen des Praxisinhabers entspricht. Der Unternehmerlohn hat insbesondere der beruflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung zu berücksichtigen.

Von dem ermittelten Wert der Praxis sind unabhängig von einer Veräußerungsabsicht latente Ertragsteuern in Abzug zu bringen. Diese sind nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zu bemessen, die am Stichtag vorlagen.

Bewertung der Freiberufler-Kanzlei im modifizierten Ertragswertverfahren[↑]

Für die Bewertung des Endvermögens nach § 1376 Abs. 2 BGB ist der objektive (Verkehrs-)Wert der Vermögensgegenstände maßgebend. Ziel der Wertermittlung ist es deshalb, die Praxis der Beklagten mit ihrem „vollen, wirklichen“ Wert anzusetzen. Grundsätze darüber, nach welcher Methode das zu geschehen hat, enthält das Gesetz nicht. Die sachverhaltsspezifische Auswahl aus der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Methoden1 und deren Anwendung ist Aufgabe des – sachverständig beratenen – Tatrichters2.

Der Bundesgerichtshof hat es für die Bewertung der Praxis eines Freiberuflers für sachgerecht erachtet, wenn eine Bewertungsmethode herangezogen worden ist, die von einer zuständigen Standesorganisation – hier der Bundessteuerberaterkammer – empfohlen und verbreitet angewendet wird3. Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf das Ertragswertverfahren vor.

In den aktuellen Hinweisen der Bundessteuerberaterkammer für die Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis (Stand: 30.06.2010) wird deutlicher als in den am 25.01.2007 beschlossenen Hinweisen auf die unterschiedlichen Bewertungsanlässe eingegangen und ausgeführt, dass die zu ermittelnden Werte in Abhängigkeit von dem mit der Bewertung verfolgten Zweck zu sehen seien. In erster Linie würden Entscheidungswerte ermittelt, etwa Preisobergrenzen für einen potentiellen Erwerber oder Untergrenzen für einen Veräußerer. Insofern finde das Umsatzwertverfahren als Praktikerverfahren insbesondere bei der Praxisübertragung unter Lebenden Anwendung. Ziel sei dabei nicht die Ermittlung eines konkreten, richtigen Wertes, sondern einer Verhandlungsbasis für den zwischen den Vertragspartnern auszuhandelnden Kaufpreis. Das Ergebnis beruhe immer auf den im Verlauf der Bewertung getroffenen Annahmen, die im Fall einer Veräußerung von dem Praxisinhaber beeinflusst werden könnten. Im Fall der Wertermittlung für Zwecke des Zugewinnausgleichs gehe es dagegen nicht um eine Verhandlungslösung, sondern um die Ermittlung eines objektivierten/ausgleichenden Praxiswerts. Diese Zielsetzung erfordere in der Regel eine Objektivierbarkeit des Unternehmenswertes. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) habe einen Standard für die Durchführung von Unternehmensbewertungen erarbeitet4, dem das Ertragswertverfahren zugrunde liege und der für Wirtschaftsprüfer verbindlich sei, wenn ein objektiver Wert ermittelt werden solle5.

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Damit verweisen die Hinweise der Bundessteuerberaterkammer inzwischen für Fälle, in denen nicht die Schaffung einer Verhandlungsbasis angestrebt wird, auf den IDW Standard S1, nach dem der Unternehmenswert grundsätzlich als Zukunftserfolgswert ermittelt wird und als gängige Wertermittlungsmethode das Ertragswertverfahren genannt wird6. Auch sonst wird verbreitet die Auffassung vertreten, eine Wertermittlung nach einem Umsatzwertverfahren sei zu ungenau und könne nur Anhaltspunkte für Plausibilitätsüberlegungen bieten7. Mit Rücksicht darauf ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht der Wertermittlung diese Methode zugrunde gelegt hat. Vielmehr ist das modifizierte Ertragswertverfahren für die Bewertung freiberuflicher Praxen im Zugewinnausgleich generell vorzugswürdig.

Der Goodwill einer Freiberufler-Kanzlei[↑]

Der ideelle Wert einer solchen Praxis gründet sich auf immaterielle Faktoren wie Mitarbeiterstamm, günstigen Standort, Art und Zusammensetzung der Mandanten, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren, die regelmäßig auf einen Nachfolger übertragbar sind, aber auch auf Faktoren wie Ruf und Ansehen des Praxisinhabers, die mit dessen Person verknüpft und deshalb grundsätzlich nicht übertragbar sind. Für die Vermögensbewertung im Rahmen des Zugewinnausgleichs wird der übertragbare Teil des ideellen Werts (Goodwill) nur dann zutreffend ermittelt, wenn von dem zunächst festgestellten durchschnittlichen Jahresüberschuss nicht ein pauschaler Unternehmerlohn, sondern der den individuellen Verhältnissen entsprechende Unternehmerlohn in Abzug gebracht wird. Nur auf diese Weise wird der auf den derzeitigen Praxisinhaber bezogene Wert eliminiert, der auf dessen Arbeit, persönlichen Fähigkeiten und Leistungen beruht und auf einen Übernehmer nicht übertragbar ist8.

Die Gegenmeinung hält demgegenüber den Abzug eines individuell bemessenen Unternehmerlohns nicht für gerechtfertigt. Sie vertritt die Auffassung, eine solche Verfahrensweise sei – um eine doppelte Teilhabe des Ausgleichsberechtigen, einerseits im Wege des Unterhalts, andererseits über den Zugewinnausgleich zu vermeiden , nur dann erforderlich, wenn das aus der subjektiven Leistung des Praxisinhabers resultierende Einkommen entsprechend den ehelichen Lebensverhältnissen für den Unterhalt eingesetzt werden müsse.

Die Notwendigkeit, einen um den konkret angemessenen Unternehmerlohn bereinigten Wert des Goodwill im Endvermögen des Praxisinhabers zu berücksichtigen, hängt jedoch, so der BGH, nicht von einer Konkurrenz von Zugewinnausgleichs- und Unterhaltsanspruch im Einzelfall ab, sondern besteht generell. Bei der Ermittlung des Goodwill eines Unternehmens oder einer freiberuflichen Praxis ist jeweils darauf bedacht zu nehmen, dass nur die übertragbaren Bestandteile bewertet werden. Dazu gehört der auf die persönliche Leistung des Inhabers entfallende Teil des Ertragswerts nicht9.

Individueller Unternehmerlohn[↑]

Mit welchem Betrag der individuelle kalkulatorische Unternehmerlohn zu bemessen ist, obliegt der – sachverständig beratenen – tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls.

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Rechtlich unbedenklich ist dabei für den Bundesgerichtshof die Erwägung, der individuelle Unternehmerlohn könne nicht mit dem unterhaltsrechtlich berücksichtigten Gewinn der Beklagten aus der Steuerberaterpraxis oder den Privatentnahmen bemessen werden. Zwar drückt sich die Tätigkeitsvergütung auch im Gewinn aus, der zugleich das unternehmerische Risiko und die Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals abgilt10. Dass der Gewinn grundsätzlich nicht maßgebend sein kann, folgt aber bereits daraus, dass er nicht allein auf die Leistungen des Freiberuflers selbst zurückgeht, sondern auch von seinen Mitarbeitern erwirtschaftet wird.

Im hier vom Bundesgerichtshof konkret zu beurteilenden Fall einer Steuerberaterkanzlei bedeutete dies: Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Sachverständigen C. entfällt auf den Tätigkeitsbereich „Buchhaltungsarbeiten sowie Lohn- und Gehaltsbuchführung“, in dem jedenfalls auch Mitarbeiter eingesetzt werden, ein Anteil von 43 %, während für Jahresabschlüsse und Steuererklärungen 37 % bzw. 15 % (sowie 5 % für weitere Leistungen) aufgeführt werden. Bezüglich der aus der Tätigkeit von Angestellten resultierenden Teile des Gewinns handelt es sich aber um Erträge aus der Praxis, die deren Wert beeinflussen und deshalb güterrechtlich auszugleichen sind.

Getätigte Privatentnahmen vermögen aus demselben Grund wie Gewinne keinen Aufschluss über den Betrag zu geben, der als individueller Unternehmerlohn gerechtfertigt ist. Abgesehen davon kann insofern auch nicht ausgeschlossen werden, dass Überentnahmen erfolgt sind, die sich zulasten des Praxiswerts auswirken würden. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Unternehmerlohn ebenso wenig aus dem als unterhaltsrechtlich relevant angesehenen Einkommen des Praxisinhabers hergeleitet werden kann11.

Keine rechtlichen Bedenken bestehen für den Bundesgerichtshof auch gegen den Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, zunächst auf den von dem Sachverständigen ermittelten Bruttolohn für einen angestellten Steuerberater mit zehnjähriger Berufserfahrung abzustellen und diesen Betrag sodann zu individualisieren.

§ 202 Abs. 1 Nr. 2 d BewG sieht vor, die Höhe des Unternehmerlohns nach der Vergütung zu bestimmen, die eine nicht beteiligte Geschäftsführung erhalten würde. Eine entsprechende Aussage findet sich in den Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen12. Nach den Hinweisen der Bundessteuerberaterkammer kann der Unternehmerlohn eines selbständigen Steuerberaters nicht lediglich in Höhe des Gehalts eines angestellten Steuerberaters angesetzt werden, weil dies der höheren unternehmerischen Verantwortung des selbständig Tätigen nicht gerecht werden würde. Ein bloßer Rückgriff auf existierende Gehaltsumfragen greife deshalb für Zwecke der Bewertung zu kurz. Im Vergleich zu den Löhnen angestellter Steuerberater müssten für Praxisinhaber vielmehr Zuschläge für die längere Arbeitszeit und das unternehmerische Risiko kalkuliert werden. Zu bedenken sei weiterhin, dass der selbständig Tätige die Kosten für seine soziale Absicherung vollständig selbst tragen müsse. Außerdem seien ggf. Zuschläge für vorhandene Spezialkenntnisse zu berücksichtigen. Neben diesen individuellen Aspekten seien auch die regionalen Gegebenheiten und die Umsatzgröße der Praxis zu beachten13.

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Die genannten Kriterien erscheinen sachgerecht, um den individuellen kalkulatorischen Unternehmerlohn zu ermitteln. Sie bauen zutreffend auf dem Ausgangswert des Gehalts eines erfahrenen Steuerberaters auf, berücksichtigen die Notwendigkeit der aus dem Einkommen zu bestreitenden Kosten der sozialen Absicherung und sehen weiter vor, dass das konkrete Anforderungsprofil in die Beurteilung einfließt. In diesem Zusammenhang ist neben der Einbeziehung des unternehmerischen Risikos etwa Raum, der vorhandenen Leistungsbereitschaft, dem zeitlichen Arbeitseinsatz und etwaigen Spezialkenntnissen Rechnung zu tragen14.

Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Ermittlung des Unternehmerlohns zunächst Jahresbeträge von 61.000 € (für 1999 und 2001) sowie von 58.200 € (für 2002) zugrunde gelegt hat. Die Beträge beruhen auf den Angaben des Sachverständigen, der die Gehaltsumfrage des Steuerberaterverbands D. für einen Steuerberater mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung einbezogen hat, so dass auch die regionalen Gegebenheiten berücksichtigt worden sind. Die genannten Bruttobezüge hat das Berufungsgericht unter Beachtung der Bruttobemessungsgrenzen auf die vollen Sozialversicherungsbeiträge aufgestockt. In einem abschließenden Schritt hat es eine „Chefzulage“ von 15 % dieses Betrages addiert.

Bei dieser Vorgehensweise sind Aufwendungen für die soziale Absicherung indes nur im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt, die in den in die Bewertung einbezogenen Jahren nach den Angaben des Sachverständigen unter den zugrunde gelegten Bruttojahresgehältern liegt. Das setzt sich bei der „Chefzulage“ von 15 % fort, die auf das Bruttojahresgehalt einschließlich der vollen Sozialversicherungsbeiträge bezogen ist. Einem Selbständigen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber zuzubilligen, etwa 20 % seines Bruttoeinkommens für seine primäre Altersversorgung einzusetzen15. Darüber hinaus kann ein Betrag von bis zu 4 % des Bruttoeinkommens für eine zusätzliche Altersversorgung aufgewandt werden16. Weitere Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung hätten allerdings einen höheren individuellen kalkulatorischen Unternehmerlohn und damit einen geringeren Ertragswert der Praxis zur Folge.

Damit ist für den Bundesgerichtshof die Ermittlung des individuellen Unternehmerlohns insgesamt nicht zu beanstanden, wenn sie von dem Gehalt eines erfahrenen Steuerberaters ausgeht, die unternehmerische Verantwortung des selbständig Tätigen durch einen Zuschlag berücksichtigt und die regionalen Gegebenheiten einbezieht. Darüber hinaus kann im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten (Leistungsbereitschaft, zeitlicher Arbeitseinsatz, Spezialkenntnisse) Rechnung zu tragen sein, für die allerdings im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall keine Anhaltspunkte bestehen. Zusätzlich sind die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung (Altersversorgung, Kranken- und Pflegeversicherung) ohne Berücksichtigung der Bruttobemessungsgrundlage in Ansatz zu bringen.

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Berücksichtung latenter Steuern[↑]

Von dem festgestellten Ertragswert der Praxis sind die latenten Ertragssteuern, also die Steuern abzuziehen, die für den Fall der Veräußerung anfielen.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass bei der stichtagsbezogenen Bewertung im Zugewinnausgleich eine latente Steuerlast wertmindernd ins Gewicht fällt. Dies gilt nicht nur in Fällen, in denen eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist, vielmehr handelt es sich um eine Konsequenz der Bewertungsmethode. Soweit der Wert danach ermittelt wird, was bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, darf nicht außer Betracht bleiben, dass wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer wirtschaftlich nur der um die fraglichen Steuern verminderte Erlös verbleibt. Insoweit geht es um unvermeidbare Veräußerungskosten17.

Diese Rechtsprechung hat vereinzelt Kritik erfahren. Dabei ist insbesondere darauf hingewiesen worden, dass eine noch nicht entstandene Steuerschuld wertmindernd in Abzug gebracht werde, obwohl eine solche nicht berücksichtigt werden könne18. Darüber hinaus ist beanstandet worden, dass bei der Bewertung anderer Vermögensgegenstände, etwa Grundstücken, die innerhalb der Spekulationsfrist veräußert werden, oder bei Lebensversicherungen eine latente Steuerpflicht nicht berücksichtigt werde, was aus Gründen der Gleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei19.

Der Bundesgerichtshof hält daran fest, dass eine latente Steuerlast ungeachtet einer bestehenden Veräußerungsabsicht als Konsequenz der Bewertungsmethode wertmindernd in Ansatz zu bringen ist. Die Bewertung einer freiberuflichen Praxis im Zugewinnausgleich erfolgt stichtagsbezogen und demgemäß losgelöst von einer beabsichtigten Veräußerung. Maßgebend ist, dass der am Stichtag vorhandene Wert und die damit verbundene Nutzungsmöglichkeit dem Inhaber zur Verfügung stehen. Die Nutzungsmöglichkeit bestimmt aber auch den Vermögenswert, vorausgesetzt, Praxen der entsprechenden Art werden in nennenswertem Umfang veräußert20. Ziel der Bewertung ist es deshalb, einen Wert der freiberuflichen Praxis zu ermitteln, der im Fall einer Veräußerung auf dem Markt erzielt werden könnte. Insofern folgt die Berücksichtigung latenter Ertragsteuern aus der Prämisse der Verwertbarkeit. Abgesehen davon darf nicht außer Betracht bleiben, dass wegen der mit einer Veräußerung verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer wirtschaftlich nur der um die Steuern geschmälerte Erlös verbleibt. Deshalb ist der in der BGH-Rechtsprechung angeführte Gesichtspunkt der unvermeidbaren Veräußerungskosten gerechtfertigt.

Aus Gründen der Gleichbehandlung dürfte es allerdings geboten sein, eine latente Steuerlast auch bei der Bewertung anderer Vermögensgegenstände (etwa bei Grundstücken, Wertpapieren oder Lebensversicherungen) dann zu berücksichtigen, wenn deren Veräußerung – bezogen auf die Verhältnisse am Stichtag und ungeachtet einer bestehenden Veräußerungsabsicht – eine Steuerpflicht auslösen würde. Denn eine Bewertung, die auf den am Markt erzielbaren Preis abstellt, hat die mit einer Veräußerung zwangsläufig verbundene steuerliche Belastung wertmindernd einzubeziehen.

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Hinsichtlich der Höhe der in Abzug gebrachten latenten Ertragsteuern ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der volle und nicht ein ermäßigter Steuersatz in die Berechnung einzustellen.

Ausgehend von dem im Zugewinnausgleich geltenden Stichtagsprinzip muss auch die bei einer Veräußerung anfallende Steuer nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen bemessen werden, die am Stichtag vorlagen. Eine Wertbestimmung, die sich nicht hieran ausrichten würde, könnte nicht für sich in Anspruch nehmen, den zugewinnausgleichsrechtlich maßgebenden Wert widerzuspiegeln. Der Bundesgerichtshof hat es allerdings aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Praktikabilität nicht für rechtsfehlerhaft gehalten, dass Ertragsteuern lediglich in Höhe des halben Steuersatzes angesetzt worden sind. Dabei ist er davon ausgegangen, dass zum Stichtag in der Regel nicht bekannt ist, wann und zu welchem Preis der betreffende Vermögensgegenstand tatsächlich veräußert werden wird21. An dieser Sichtweise hält der Bundesgerichtshof nicht fest. Für eine stichtagsbezogene Wertermittlung kommt es nicht darauf an, welche Ertragsteuern bei einem künftigen Veräußerungsfall tatsächlich anfallen würden. Vielmehr ist – als Konsequenz der Bewertungsmethode – die bei unterstellter Veräußerung zum Stichtag entstehende Steuerlast maßgebend. Das erfordert eine Berücksichtigung der steuerrechtlich relevanten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bezogen auf diesen Zeitpunkt22.

Danach bestehen für den BGH keine Bedenken gegen die im entschiedenen Fall in voller Höhe abgezogenen latenten Ertragsteuern. Nach der maßgebenden Rechtslage am Stichtag waren die Voraussetzungen eines tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns (§ 18 Abs. 3 iVm § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG) schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte23. Deshalb war die Steuer in voller Höhe anzusetzen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. Februar 2011 – XII ZR 185/08

  1. vgl. die Zusammenstellungen von Schröder Bewertungen im Zugewinnausgleich 4. Aufl. Rn. 67 ff. und Haußleiter/Schulz Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung 5. Aufl. Rn. 116 ff.[]
  2. vgl. etwa BGH, Urteil BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 18 mwN[]
  3. BGH, Urteil BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 19 mwN[]
  4. IDW S1[]
  5. Nr. 1 a) und b) der Hinweise[]
  6. IDW S1 Rn. 7[]
  7. vgl. IDW S1 idF 2008 Rn. 143; zur Kritik an der Wertermittlung nach dem Umsatzwertverfahren: Michalski/Zeidler FamRZ 1997, 397, 400; Kuckenburg FPR 2009, 290, 292; DaunerLieb FuR 2009, 209, 215; Olbrich/Olbrich Der Betrieb 2008, 1483, 1485; Piltz Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung 3. Aufl. S. 249 f.; OLG Hamm OLGR 2009, 540[]
  8. BGH, Urteile vom 09.02.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 Rn. 25, 28; und BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 23; vgl. auch BGH, Urteil vom 25.11.1998 – XII ZR 84/97, FamRZ 1999, 361, 364[]
  9. vgl. BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 18[]
  10. so auch Kuckenburg FuR 2008, 270, 271[]
  11. vgl. hierzu auch OLG Hamm OLGR 2009, 540; Kuckenburg FuR 2008, 270, 271; aA Weinreich FuR 2008, 321, 323[]
  12. IDW S1 idF 2008, Rn. 40[]
  13. Nr. 4 b der Hinweise, Stand: 30.06.2010[]
  14. vgl. auch Kuckenburg FuR 2008, 270, 272; Knief DStR 2008, 1895, 1896 f.[]
  15. vgl. BGH, Urteile vom 19.02.2003 – XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, 863; und vom 23.11.2005 – XII ZR 51/03, FamRZ 2006, 387, 389[]
  16. BGH, Urteil vom 11.05.2005 – XII ZR 211/02, FamRZ 2005, 1817, 1821; vom 22.11.2006 – XII ZR 24/04, FamRZ 2007, 193 f. und vom 28.02.2007 – XII ZR 37/05, FamRZ 2007, 793 Rn. 27[]
  17. BGH, Urteile vom 09.02.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622, Rn. 29 ff.; vom 24.10.1990 – XII ZR 101/89, FamRZ 1991, 43, 48; und vom 08.09. 2004 – XII ZR 194/01, FamRZ 2005, 99, 101[]
  18. Hoppenz FamRZ 2006, 449, 450; Gernhuber NJW 1991, 2238, 2242; Tiedtke FamRZ 1990, 1188, 1193 f.; Schröder Bewertungen im Zugewinnausgleich 4. Aufl. Rn. 74; vgl. auch Piltz aaO S. 156 f.[]
  19. Kogel NJW 2007, 556, 558 ff.; Haußleiter NJW-Spezial 2008, 164, 165; Hoppenz FamRZ 2006, 449, 450 f.[]
  20. BGH, Urteile in BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 20; und vom 13.10.1976 – IV ZR 104/74, FamRZ 1977, 38, 40[]
  21. BGH, Urteil vom 25.11.1998 – XII ZR 84/97, FamRZ 1999, 361, 364 f.[]
  22. vgl. auch BGH, Urteil vom 09.02.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 Rn. 30[]
  23. vgl. auch BFH BB 1995, 187 f.; und NJW 2000, 1670[]
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