Die zu früh erhobene Untätigkeitsklage – und die Aussetzung des Verfahrens

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine (Verpflichtungs-)Klage -abweichend von § 44 FGO- ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (Untätigkeitsklage). Die Klage kann grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kann das Verfahren bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist, die verlängert werden kann, ausgesetzt werden.

Die zu früh erhobene Untätigkeitsklage – und die Aussetzung des Verfahrens

Die Aussetzung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kommt nicht nur bei einer zulässigen Untätigkeitsklage, die die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO erfüllt, sondern auch bei einer unzulässigen (z.B. verfrüht erhobenen) Untätigkeitsklage in Betracht. Denn auch diese kann -während der Aussetzung des Verfahrens- in die Zulässigkeit hineinwachsen1.

Genügen die Ermessenserwägungen des Finanzgericht nicht, um -anstelle das Klageverfahren auszusetzen- über die vermeintlich verfrüht erhobene (Untätigkeits-)Klage durch Prozessurteil zu entscheiden, so liegt hierin ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO2.

Indes besteht keine Aussetzungspflicht. Vielmehr hat das Finanzgericht im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob es das Verfahren mit (ggf. wiederholt verlängerbarer) Fristsetzung aussetzt oder eine -verfrüht erhobene- Untätigkeitsklage abweist1. Bei seinen Ermessensüberlegungen hat das Finanzgericht aber zu beachten, dass ein Kläger grundsätzlich nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen kann, ob die erhobene Untätigkeitsklage (möglicherweise) verfrüht erhoben worden ist und zu welchem Zeitpunkt sie gegebenenfalls in die Zulässigkeit hineinwächst. Eine zulässige Klageerhebung wird insoweit durch die tatbestandliche Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (u.a. „in angemessener Frist“, „zureichender Grund“) beeinträchtigt. Unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben (Art.19 Abs. 4 des Grundgesetzes) wird deshalb eine Aussetzung des Klageverfahrens als Korrektiv hierzu regelmäßig geboten sein. Abgesehen von prozessökonomischen Gründen wird dem Grundrecht auf wirkungsvollen, insbesondere zeitnahen Rechtsschutz überdies eher entsprochen, wenn eine Klage nicht als unzulässig abgewiesen und der Kläger auf eine erneute Klageerhebung verwiesen wird3.

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Die Mitteilung zureichender Gründe, warum in angemessener Frist sachlich nicht über den Einspruch entschieden werden kann, muss vor Klageerhebung erfolgen4.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. September 2015 – V B 135/14

  1. BFH, Beschluss in BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, unter 3. und 4., m.w.N.[][]
  2. BFH, Beschluss vom 07.03.2006 – VI B 78/04, BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, Rz 16[]
  3. BFH, Beschluss in BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, unter 4., m.w.N.[]
  4. BFH, Urteil in BFH/NV 2006, 2017, II. 1.b bb[]