Entlastungsbetrag für Alleinerziehende

§ 24b Abs. 1 Satz 2 EStG vermutet unwiderlegbar, dass ein Kind, das in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist, zu dessen Haushalt gehört.

Entlastungsbetrag für Alleinerziehende

Die Meldung eines Kindes in der Wohnung eines Alleinerziehenden begründet mithin eine unwiderlegbare Vermutung für die Haushaltszugehörigkeit des Kindes, so dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende zu gewähren ist.

Dies entschied jetzt der Bundesfinanzhof in dem Fall eines im Streitjahr 2010 verwitweten Vaters einer Tochter, für die ihm Kindergeld zustand. Die Tochter war zwar in der Wohnung des Vaters gemeldet. Da sie aber in einer eigenen Wohnung lebte, lehnte es das Finanzamt ab, dem Kläger den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) zu gewähren. Der Bundesfinanzhof setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Entlastungsbetrags fest:

Nach § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG können alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 € im Kalenderjahr von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG anzunehmen, wenn das Kind in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist. Nach der Entscheidung des BFH vermutet § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG unwiderlegbar, dass ein Kind, das in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist, zu dessen Haushalt gehört. Danach kann der Alleinerziehende bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen den steuerlichen Entlastungsbetrag auch dann beanspruchen, wenn das Kind tatsächlich in einer eigenen Wohnung lebt.

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Der Bundestag hat am 18.06.2015 das Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags beschlossen, wonach u.a. der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ab dem Jahr 2015 erhöht werden soll1; er soll von bisher 1.308 € auf 1.908 €, zudem für jedes weitere Kind um zusätzliche 240 € steigen. Der Bundesrat hat dem noch nicht zugestimmt.

Alleinstehende Steuerpflichtige können nach § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 EUR im Kalenderjahr von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG anzunehmen, wenn das Kind in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist.

Ein Kind, das -wie im Streitfall- zwar in der Wohnung des alleinstehenden Steuerpflichtigen gemeldet ist, aber tatsächlich in einer eigenen Wohnung lebt, gehört i.S. des § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG zum Haushalt des Steuerpflichtigen. Die Meldung nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG begründet eine unwiderlegbare Vermutung der Haushaltszugehörigkeit2. Das vom Bundesfinanzhof vertretene Gesetzesverständnis beruht auf einer am Wortlaut, den Gesetzesmaterialien und der Gesetzessystematik orientierten Auslegung des § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG.

Der Wortlaut des § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG deutet erkennbar darauf hin, dass es sich um eine unwiderlegbare Vermutung handelt („Die Zugehörigkeit zum Haushalt ist anzunehmen, wenn …“). Er enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass bei Vorliegen einer Meldung die vom Gesetz unterstellte Haushaltszugehörigkeit widerlegt werden kann.

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In den Gesetzesmaterialien zu dem im Streitjahr anwendbaren § 24b Abs. 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.07.20043 heißt es: „Bei Meldung des Steuerpflichtigen und seines Kindes mit Haupt- oder Nebenwohnsitz unter einer gemeinsamen Adresse wird durch die Neuregelung gesetzlich fingiert, dass das Kind zum Haushalt gehört (räumliches Zusammenleben bei gemeinsamer Versorgung).“4. Der Gesetzgeber wollte mithin eine unwiderlegbare Vermutung schaffen.

Dass § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG als unwiderlegbare Vermutung gewollt ist, folgt auch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 24b Abs. 1 Satz 3 EStG und § 24b Abs. 2 EStG.

§ 24b Abs. 1 Satz 3 EStG trifft eine Kollisionsregelung für den Fall, dass ein Kind bei mehreren Steuerpflichtigen gemeldet ist. Es kommt dann auf die tatsächliche Haushaltsaufnahme (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG) an. Wenn die Vermutung gemäß § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich widerlegbar wäre, hätte es dieser Regelung nicht bedurft.

Während nach § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG infolge der Meldung die Haushaltszugehörigkeit anzunehmen ist, vermutet § 24b Abs. 2 Satz 2 EStG das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft, wobei diese Vermutung nach § 24b Abs. 2 Satz 3 EStG ausdrücklich widerlegbar ist. Beide Regelungen stehen in engem Zusammenhang und betreffen unterschiedliche Voraussetzungen für die Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende. Hätte daher der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der Haushaltszugehörigkeit i.S. des § 24b Abs. 1 Satz 2 EStG ebenfalls als widerlegbare Vermutung ausgestalten wollen, hätte er dies -wie in Abs. 2 Sätze 2 und 3 geschehen- auch in Abs. 1 zum Ausdruck bringen müssen.

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Hieran fehlt es. Die unterschiedliche Ausgestaltung dieser „Vermutungsregeln“ belegt, dass auch unterschiedliche Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollten.

Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag wird auch durch den festgestellten Verstoß gegen das Niedersächsische Meldegesetz nicht ausgeschlossen.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Wesen einer unwiderlegbaren Vermutung. Eine unwiderlegbare Vermutung kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie davon unabhängig ist, ob eine Abweichung vom tatsächlichen Sachverhalt vorliegt und worauf diese beruht5.

Zum anderen bestehen nach Wortlaut und Systematik keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vermutung der Haushaltszugehörigkeit widerlegbar sein soll.

Dies deutet darauf hin, dass das Gesetz auch bei Verstößen gegen das Melderecht die Unwiderlegbarkeit der Vermutung nicht beseitigen will.

§ 24b Abs. 1 Satz 2 EStG begegnet als unwiderlegbare Vermutung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die unwiderlegbare Vermutung ist gerechtfertigt durch ihren Vereinfachungszweck und die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers6.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.05.20097. Die vom Bundesverfassungsgericht dort angestellte Erwägung, soweit § 24b EStG auf die tatsächlichen Verhältnisse abstelle, sei die Finanzbehörde nicht durch das Gesetz gehindert, diese Verhältnisse aufzuklären, betrifft nur § 24b Abs. 2 EStG. Sie steht im Zusammenhang mit der Frage, ob § 24b EStG im Hinblick auf die Beanstandungen des Bundesrechnungshofs in seinen Bemerkungen 2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes8 unter einem strukturellen Vollzugsdefizit leide. Diese Beanstandungen bezogen sich nicht auf das Tatbestandsmerkmal der Haushaltszugehörigkeit von Kindern gemäß § 24b Abs. 1 EStG, sondern auf das Tatbestandsmerkmal des Alleinstehens der Steuerpflichtigen gemäß § 24b Abs. 2 EStG. Die Frage der Haushaltszugehörigkeit von Kindern und ihres Nachweises war in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden Fall nicht strittig.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. Februar 2015 – III R 9/13

  1. vgl. im Einzelnen Bundesratsdrucksache 281/15[]
  2. gl.A. Blümich/Selder, § 24b EStG Rz 23; Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 24b Rz 12; a.A. Dürr in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 24b Rz 10; Krömker in Herrmann/Heuer/Raupach, § 24b EStG Rz 11; Seiler in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 24b Rz 4; Jachmann/Henschler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 24b Rz B 4; Steiner in Lademann, EStG, § 24b Rz 11[]
  3. BGBl I 2004, 1753[]
  4. BT-Drs. 15/3339, S. 11[]
  5. vgl. MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl., § 292 Rz 4[]
  6. vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, unter D.I., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2009 – 2 BvR 310/07, BStBl II 2009, 884[]
  8. BT-Drs. 16/3200, S. 212[]