Kindergeld – das konsekutive Masterstudium als Teil der Erstausbildung

Ein Masterstudium ist jedenfalls dann Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn es zeitlich und inhaltlich auf den vorangegangenen Bachelorstudiengang abgestimmt ist (sog. konsekutives Masterstudium) und das -von den Eltern und dem Kind- bestimmte Berufsziel erst darüber erreicht werden kann1. Damit besteht unter diesen Voraussetzungen auch nach Abschluss eines Bachelorstudienganges ein Anspruch auf Kindergeld.

Kindergeld – das konsekutive Masterstudium als Teil der Erstausbildung

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall beendete der Sohn im April 2013 den Studiengang Wirtschaftsmathematik an einer Universität mit dem Bachelor-Abschluss. Seit dem Wintersemester 2012/2013 war er dort bereits für den Masterstudiengang ebenfalls im Bereich Wirtschaftsmathematik eingeschrieben und führte diesen Studiengang nach Erlangung des Bachelor-Abschlusses fort. Daneben war er 21, 5 Stunden wöchentlich als studentische Hilfskraft und als Nachhilfelehrer tätig.

Die Familienkasse hob die zugunsten der Mutter erfolgte Kindergeldfestsetzung ab dem Erreichen des Bachelor-Abschlusses auf. Sie ging dabei davon aus, dass die Erstausbildung des Sohnes mit diesem Abschluss beendet sei. Eine grundsätzlich mögliche Weitergewährung bis zum Abschluss des Masterstudiums sei nicht möglich, da das Kind während des Studiums mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet habe. Das Finanzgericht schloss sich der Auffassung der Familienkasse an.

Dem ist der BFH nicht gefolgt. Zwar ist nach der ab 2012 geltenden Fassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes Kindergeld auch weiterhin für ein in Ausbildung befindliches Kind zu gewähren, solange das Kind nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat. Es kommt dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob es sich um eine Erst, Zweit- oder Drittausbildung handelt. Allerdings entfällt der Kindergeldanspruch, wenn das Kind nach seiner Erstausbildung neben einer weiteren Ausbildung regelmäßig mehr als 20 Stunden pro Woche arbeitet. Der BFH entschied nun, dass im Streitfall das im Anschluss an das Bachelorstudium durchgeführte Masterstudium nicht als weitere, sondern noch als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu werten ist. Er stellte insoweit darauf ab, dass Bachelor- und Masterstudium in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wurden (sog. konsekutives Masterstudium) und sich daher als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellten. Da die Erstausbildung im Streitfall mit der Erlangung des Bachelor-Abschlusses noch nicht beendet war, kam es nicht darauf an, dass der Sohn der Mutter bis zur Erlangung des Masterabschlusses mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hatte.

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Die Mutter hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Streitzeitraum einen Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn Die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen im Streitfall -wie auch von der Familienkasse eingeräumt- vor. Danach ist ein über 18 Jahre altes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, zu berücksichtigen, wenn es -wie vorliegend C im Streitzeitraum- für einen Beruf ausgebildet wird.

Der Anspruch auf Kindergeld ist wegen der Erwerbstätigkeit von C im Streitzeitraum nicht ausgeschlossen. Er hatte in diesem Zeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 26.06.20132 wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht.

Die Voraussetzung „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ i.S. der Vorschrift liegt erst dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben. Dies hat zur Folge, dass auch erst dann der Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten kann3.

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Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein4. Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das „für einen Beruf ausgebildet wird“) engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs5.

Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt6.

Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das -von den Eltern und dem Kind- bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann7. Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein8. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen9 und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden10. Diese Prüfung obliegt grundsätzlich dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.

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Das angefochtene Urteil ist von anderen Maßstäben ausgegangen und daher aufzuheben. Der erste berufsqualifizierende Abschluss von C, die Erlangung des Bachelorgrades im April 2013, hat noch nicht zu einem „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ geführt.

Das von C angestrebte Berufsziel konnte im Streitfall nur über einen weiteren Abschluss -also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung- erreicht werden. Das bereits im Wintersemester 2012/2013 und damit vor Abschluss des Bachelorstudiengangs in Wirtschaftsmathematik im April 2013 begonnene Masterstudium im nämlichen Studiengang lässt erkennen, dass C sein angestrebtes Berufsziel mit der Erlangung des Bachelorgrades noch nicht erreicht hatte.

Entgegen der Auffassung des Finanzgericht und der Familienkasse ist das Masterstudium von C Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs11. Es steht in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zum vorangegangenen Bachelorstudiengang12.

Bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs ist darauf abzustellen, ob die Ausbildungsabschnitte hinsichtlich der Berufssparte oder des fachlichen Bereichs im Zusammenhang stehen13. Im Streitfall ergibt sich ein solcher Zusammenhang allein schon aus dem Umstand, dass der Masterstudiengang auf dem vorherigen Bachelorstudium aufbaut (sog. konsekutives Masterstudium i.S. von § 19 Abs. 4 HRG).

Die Ausbildungsgänge standen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Ein solcher erfordert, dass das Kind nach Abschluss eines ersten -objektiv berufsqualifizierenden- Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt. Nur wenn im Anschluss an einen solchen Abschluss der weitere Ausbildungsabschnitt nicht aufgenommen wird, obwohl damit begonnen werden könnte, und der Entschluss zur Fortsetzung auch sonst nicht erkennbar wird, wird der Zusammenhang und damit die Einheitlichkeit des Ausbildungsgangs aufgehoben14. Danach war der enge zeitliche Zusammenhang im Streitfall gegeben. Denn C hatte das Masterstudium bereits vor dem Abschluss des Bachelorstudiengangs begonnen.

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Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, kommt es auf die Erwerbstätigkeit des Sohnes im Streitzeitraum nicht an. Damit entfällt eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG.

C ist als Kind auch dann zu berücksichtigen, wenn er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit möglicherweise gegenüber seinen Eltern -mangels Bedürftigkeit- keinen Unterhaltsanspruch hatte. Zwar setzte nach früherer Rechtsprechung des BFH der Kindergeldanspruch für über 18 Jahre alte Kinder eine typische Unterhaltssituation seitens der Eltern voraus15. Diese Rechtsprechung wurde jedoch inzwischen aufgegeben16. Das Erfordernis einer typischen Unterhaltssituation für den Kindergeldanspruch bei volljährigen Kindern ist seither vollständig entfallen17. Der Bundesfinanzhof schließt sich dieser Auffassung an.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. September 2015 – VI R 9/15

  1. entgegen BMF, Schreiben vom 07.12 2011 – IV C 4-S 2282/07/0001-01, BStBl I 2011, 1243[]
  2. BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802[]
  3. BFH, Urteil vom 15.04.2015 – V R 27/14, BFHE 249, 500[]
  4. BFH, Urteil vom 03.07.2014 – III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25 ff.[]
  5. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22, und in BFHE 249, 500[]
  6. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25, und in BFHE 249, 500[]
  7. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 27 und 30, und in BFHE 249, 500[]
  8. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30, und in BFHE 249, 500[]
  9. z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich[]
  10. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30 a.E., und in BFHE 249, 500[]
  11. anderer Ansicht Blümich/Selder, § 32 EStG Rz 81[]
  12. entgegen BMF, Schreiben vom 07.12 2011 – IV C 4-S 2282/07/0001-01, BStBl I 2011, 1243, Tz 19[]
  13. BFH, Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, und in BFHE 249, 500[]
  14. BFH, Urteil in BFHE 249, 500; Wendl, Finanz-Rundschau 2014, 167, 169, unter 3.b aa[]
  15. vgl. dazu z.B. BFH, Urteile vom 02.03.2000 – VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522, unter 2.a; und vom 19.04.2007 – III R 65/06, BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, unter II. 1.[]
  16. BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982, Rz 11 ff.[]
  17. vgl. BFH, Urteile vom 17.10.2013 – III R 22/13, BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257, Rz 15; vom 05.03.2014 – XI R 32/13, BFH/NV 2014, 1031, Rz 21, und in BFHE 249, 500[]
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