Kindergeld für das in der Türkei lebende Kind

Ein deutscher Staatsangehöriger hat keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit1 für ein Kind, dass sich zum Schulbesuch oder zum Studium in der Türkei gewöhnlich aufhaltendes oder dort wohnhaftes Kind.

Kindergeld für das in der Türkei lebende Kind

Nach Art. 33 Abs. 1 SozSichAbk Türkei hat eine Person, die im Gebiet der einen Vertragspartei beschäftigt ist, für Kinder, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet der ersten Vertragspartei auf. Personen sind nach Art. 3 a) in Verbindung mit Art. 1 Nr. 1 des Abkommens Staatsangehörige beider Vertragsparteien, also sowohl türkische als auch deutsche Staatsangehörige. Deutsche Staatsangehörige sind damit nach dem Wortlaut zwar grundsätzlich durch das SozSichAbk erfasst, Systematik sowie Sinn und Zweck des Abkommens schließen aber aus, dass ein deutscher Staatsangehöriger hiernach Kindergeld für seine im Ausland ansässigen Kinder beanspruchen kann2.

Art. 33 Abs. 2 SozSichAbk Türkei bestimmt für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Gewährung von (Abkommens-)Kindergeld durch den Vertragsstaat Deutschland nach Art. 33 Abs. 1 erfüllt sind, in welcher Höhe dieses Kindergeld zu gewähren ist. Der deutsche (Kindergeld-)Träger wird danach verpflichtet, „den in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten türkischen Arbeitnehmern für ihre im Heimatland lebenden Kinder, Kindergeld zu den höchsten Sätzen zu gewähren, die die Bundesrepublik Deutschland für Kinder in einem anderen Anwerbeland vereinbarungsgemäß ab 1. Januar 1975 zahlt“. Ausdrücklich sind nur türkische Arbeitnehmer, also türkische Staatsangehörige, erwähnt. Die Höhe eines (Abkommens-)Kindergeldes, das an deutsche Arbeitnehmer für deren in der Türkei befindlichen Kinder zu zahlen ist, wird nicht geregelt. Wenn das SozSichAbk Türkei diese Konstellation hätte erfassen sollen, wäre sie ebenfalls in dieser Vorschrift bestimmt worden. Durch die Beschränkung der Bestimmung auf türkische Arbeitnehmer lässt sich aber schließen, dass deutsche Staatsangehörige gerade nicht erfasst sein sollten.

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Diese Auslegung wird auch durch den Sinn und Zweck des Abkommens gestützt. Dieser bestand darin, den in den 60er Jahren als Gastarbeitern angeworbenen türkischen Arbeitnehmern einen Anspruch auf das deutsche Kindergeld für ihre in der Türkei lebenden Kinder zu verschaffen3. Es ist nicht ersichtlich, dass über diesen Regelungszweck hinaus auch deutschen Staatsangehörigen für ihre in der Türkei lebenden Kindern Kindergeld gewährt werden soll, das ihnen lediglich nach den Vorschriften der §§ 62 ff EStG nicht zustünde.

Diese Auslegung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Deutschen Staatsangehörigen steht in der Regel kein Kindergeld zu, wenn ihre Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem nicht in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staat haben4. Die Bevorzugung türkischer Staatsangehöriger gegenüber Deutschen hinsichtlich ihrer in der Türkei lebenden Kinder ist vor dem Hintergrund des Regelungszweck des SozSichAbk Türkei zu sehen, dass in den 60er Jahren einen Anreiz für türkische Staatsangehörige schaffen wollte als Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland zu arbeiten, was als sachlicher Grund anzusehen ist. Selbst wenn man diesen Regelungszweck aktuell in Frage stellte, bestünde für die in Deutschland lebenden und in Deutschland eingebürgerten Eltern keine Möglichkeit, den Kreis der Leistungsbezieher auf sie unter Berufung auf die Gleichheitswidrigkeit auszudehnen5, sondern allenfalls eine Beseitigung der gleichheitswidrigen Regelung zu erreichen6.

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Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16. Juni .2010 – . 3 K 532/08

  1. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964, BGBl II 1965, 1169[]
  2. so aber ohne weitere Begründung Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, II. Kommentierung Abkommen, Abk. mit der Türkei Art. 33 Rz. 6; FG Münster, Urteil vom 17.08.2009 – 2 K 4826/08 Kg; BFH, Urteil vom 23.11.2000 – VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279 lehnt dagegen einen Kindergeldanspruch in dieser Konstellation ab, ohne überhaupt auf das SozSichAbk einzugehen[]
  3. vgl. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, II. Kommentierung Abkommen, Abk. mit der Türkei Art. 33 Rz. 4[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 26.02.2002 – VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912[]
  5. vgl. BFH vom 25.5.1977 – I R 249/74, BStBl. II 1977, 670[]
  6. vgl. z.B. BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239[]