Kindergeld für in Deutschland tätige polnische Gewerbetreibende

Kindergeld für in Deutschland tätige polnische Gewerbetreibende, solange für das Kind in Polen Kindergeld bezahlt wird? Das Finanzgericht Baden-Württemberg verneint dies:

Kindergeld für in Deutschland tätige polnische Gewerbetreibende

Zwar war der Kläger in dem vom Finanzgericht Baden-Württemberg entschiedenen Verfahren als polnischer Staatsbürger innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit Mai 2004 freizügigkeitsberechtigt. Auch könnte der Kläger im streitigen Zeitraum nach den vorgelegten Stundenaufschrieben zumindest bis Mai 2008 seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 9 AO im Inland gehabt haben (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Ferner war auch das in Polen lebende Kind T gemäß § 63 Abs. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1, Abs. 3 EStG dem Grunde nach kindergeldrechtlich zu berücksichtigen, da sie das 18. Lebensjahr nicht vollendet hat. Dem Anspruch des Kläger steht jedoch entgegen, dass nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG deutsches Kindergeld nicht für solche Kinder gezahlt wird, für die Leistungen im Ausland gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären und dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind.

Die Anspruchsvoraussetzungen wurden jedoch nicht zur Überzeugung des Finanzgeridchts Baden-Württemberg nachgewiesen: Es wurden keine hinreichenden Nachweise über die Rückforderung und Rückzahlung des von den polnischen Behörden für die Tochter T zunächst ausgezahlten Kindergeldes vorgelegt. Mit den gerichtlichen Aufklärungsschreiben vom 30. April 2010, vom 8. Juni 2010 sowie vom 2. September 2010 wurde der anwaltlich vertretene Kläger zur Vorlage der dort genannten Unterlagen und zur Beantwortung der gestellten Fragen aufgefordert. Der Berichterstatter hat zweimal, mit Schreiben vom 30. April 2010 und vom 8. Juni 2010, darauf hingewiesen, dass die Dokumente in deutscher Übersetzung vorzulegen sind. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2010, in dem der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, wurde dem Kläger darüber hinaus ein gerichtlicher Hinweis erteilt.

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Es obliegt dem Kläger, da es sich um einen Auslandssachverhalt im Sinne des § 90 Abs. 2 AO handelt, alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Aufklärung auszunutzen (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach eigenem Vortrag des Klägervertreters ergibt sich aus der nur in polnischer Sprache vorgelegten Anlage eine Bestätigung der polnischen Behörden, dass Kindergeldzahlungen vom Kläger in Polen zurückgefordert worden seien, da der Kläger im streitigen Zeitraum die Einkommensgrenze in Polen überschritten habe. Der Kläger hat also zumindest zunächst Kindergeldzahlungen für die Tochter T in Polen erhalten. Dies bestätigte er auch in der mündlichen Verhandlung. Ob sie zurückgezahlt worden sind, wurde weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen. Die Anlage K 9 wurde trotz zweimaligen Hinweises des Gerichts nicht in die deutsche Sprache übersetzt, was eine Verletzung der Mitwirkungspflicht darstellt. Neben den fehlenden Nachweisen bezüglich der Rückforderung und der Rückzahlung des Kindergeldes ist der klägerische Vortrag auch widersprüchlich, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausführt, im Dezember 2009 habe die Ehefrau das Kindergeld zurückgezahlt, während der als Anlage vorgelegte Rückforderungsbescheid das Datum „3. LUT 2010“, also 3. Februar 2010, aufweist. Gründe, warum eine Rückzahlung erfolgt ist, bevor der Rückforderungsbescheid ergangen ist, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Die vom Klägervertreter vorgelegte Anlage spricht dafür, dass der Kläger zumindest für den Zeitraum von Oktober 2005 bis Februar 2008 „Kindergeld“ oder kinderbezogene Zuschlagszahlungen für das Kind T nach polnischem Recht erhalten hat. Das Finanzgericht Baden-Württemberg kann aufgrund der fehlenden klägerischen Angaben und Nachweise auch nicht ausschließen, dass ebenso im Zeitraum März bis Mai 2008 und von August bis Dezember 2009 von den polnischen Behörden Kindergeld für die Tochter T gezahlt worden ist. Gründe, weswegen diese auch von dem Klägervertreter als Kindergeldzahlungen bezeichneten Leistungen dem Kindergeld nach dem EStG (mangels gleicher Zielrichtung) wirtschaftlich oder (wegen ganz geringfügiger Höhe) funktionell nicht vergleichbar sein könnten1, sind nicht ersichtlich. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat aufgrund der fehlenden klägerischen Angaben und Nachweise ebenfalls keine Kenntnis, welche Angaben der Kläger gegenüber der polnischen Familienkasse gemacht hat, damit Kindergeld zumindest zunächst gewährt worden ist. Eine Rückforderung und Rückzahlung wurde nicht zur Überzeugung des Finanzgerichts nachgewiesen. Ungeklärt ist ferner, warum der Kläger nicht für den Zeitraum August 2009 bis Dezember 2009 für die weitere Tochter G bei dem Beklagten Kindergeld beantragt hat, da nach seiner Ansicht die Anspruchsvoraussetzungen für eine Kindergeldgewährung in Deutschland für diesen Zeitraum vorliegen.

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Darüber hinaus wurde das Formular E 411 trotz zweimaligen Hinweises ebenfalls nicht vollständig ausgefüllt übersandt. Nach Aktenlage ist der mit Schreiben des Beklagten vom 22. April 2010 übersandte Vordruck E 411 von der polnischen Behörde weder dem Gericht noch dem Beklagten vollständig ausgefüllt übersandt worden. Der für die Gewährung der Familienleistungen in Polen zuständige Träger hat nur Teil A, nicht aber Teil B „Zaswiadczenie“ mit den Ziffern 6 bis 9 ausgefüllt (Band I der Gerichtsakte, Blatt 270 Rückseite). Daher wurde von dem polnischen Träger insbesondere keine Auskunft erteilt, ob Familienleistungen bezogen worden sind, ob nach Ansicht des polnischen Trägers ein Anspruch auf Familienleistungen bestand, oder ob ein Antrag auf Familienleistungen gestellt worden ist. Mit der Nichtvorlage der vollständig ausgefüllten Bestätigung hat der Kläger ebenfalls seine Mitwirkungspflichten verletzt. Darüber hinaus hat der Kläger auch keine anderweitigen aussagekräftigen Nachweise, z.B. Bestätigungen, Bescheide des polnischen Trägers in deutscher Übersetzung, Kontoauszüge oder Zahlungsnachweise, über die Rückforderung und Rückzahlung des in Polen gewährten Kindergeldes vorgelegt, obwohl der Kläger im Beschluss vom 13. Dezember 2010 über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auf Seite 9 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass die Rückzahlung weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen wurde.

Unabhängig davon ist ein Kindergeldanspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum August 2009 bis Dezember 2009 auch aus weiteren Gründen abzulehnen. Für diesen Zeitraum kann der Senat – neben dem Fehlen der oben genannten Anspruchsvoraussetzung – nicht feststellen, dass die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG vorliegen. Es ist nicht zur Überzeugung des Finanzgerichts nachgewiesen, dass der Kläger von August bis Dezember 2009 im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ferner sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EStG nicht gegeben. Von August bis Dezember 2009 fehlen Stundenaufstellungen der B GbR über geleistete Arbeitsstunden des Klägers. Ferner hat der Kläger für das Jahr 2009 keine konkrete Tätigkeit auf Baustellen in Deutschland vorgetragen oder nachgewiesen. Es sind auch keine hinreichende Nachweise vorgelegt worden, dass der Kläger im Jahr 2009 noch Gesellschafter der B GbR war. Der Kläger trägt selbst vor, er sei ab 1. Januar 2009 arbeitslos gemeldet gewesen. Er habe in Polen im Jahr 2009 stundenweise Aushilfstätigkeiten ausgeführt. Die Wohnung in der in X/Deutschland ist von der B GbR angemietet worden und nicht von dem Kläger. Ob der Kläger die Wohnung im Jahr 2009 noch genutzt hat oder ihm zur Verfügung stand, ist nicht nachgewiesen worden.

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Der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auf den Streitfall stehen vorrangig zu beachtende Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht entgegen. Zwar bestimmt sich die Frage, welche Kindergeldansprüche Bürgern mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union – EU – gegenüber den einzelnen Mitgliedsstaaten zustehen und in welchem Verhältnis diese Ansprüche zueinander stehen (Anspruchskonkurrenz), in erster Linie nach den Regelungen der Verordnung Nr. 1408/712. Indessen betrifft diese Rechtsnorm in ihrem persönlichen Geltungsbereich nur Personen, zu denen der Kläger nicht gehört. Denn der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verwendete Begriff des „Selbständigen“ wird durch die Definition in Anhang I Teil I Buchst. D Unterabs. B der Verordnung Nr. 1408/71 verdrängt, wenn ein deutscher Träger für die Gewährung von Familienleistungen im Sinne von Teil III Kap. 7 der Verordnung Nr. 1408/71 und damit auch für das Kindergeld zuständig ist3. Dies bedeutet, dass die Verordnung Nr. 1408/71 im Falle des Kindergelds auf Selbständige nur anwendbar ist, wenn sie in einer alle Erwerbstätigen umfassenden Altersversicherung versicherungs- oder beitragspflichtig sind4. Damit unterfallen Gewerbetreibende wie der Kläger, die im streitigen Zeitraum zwar in Deutschland selbstständig tätig gewesen sind, aber – wovon für den Streitfall auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – nicht der Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung unterliegen, nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/715.

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Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Februar 2011 – 10 K 91/10

  1. vgl. dazu BVerfG vom 08.06.2006 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33; sowie BFH vom 27.10.2004 – VIII R 104/01, BFH/NV 2005, 341; und vom 30.06.2005 – III B 9/05, BFH/NV 2005, 2007[]
  2. vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 15.11.2007 – 14 K 2642/07 Kg, EFG 2008, 1304 – Az. des BFH: III R 41/08; Blümich/Treiber, § 65 EStG Rz. 23[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 13.08.2002 – VIII R 61/00, BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869[]
  4. vgl. FG Münster, Urteile vom 26.05.2004 – 1 K 2067/01 Kg, EFG 2004, 1849; Hessischen FG, Urteil vom 23.05.2007 – 3 K 3143/06, EFG 2007, 1527; vgl. zum Vorstehenden FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2008 – 4 K 4293/08, EFG 2009, 264[]
  5. vgl. zum Vorstehenden auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2008 – 4 K 4293/08, EFG 2009, 264 m.w.N.[]