Nichtveranlagungs-Bescheinigung – und die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist

Die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG beendet nicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.

Nichtveranlagungs-Bescheinigung – und die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist

Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO).

Ist eine Steuererklärung einzureichen, beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vorbehaltlich eines späteren Beginns nach § 170 Abs. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

Die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG beendet im Gegensatz zur Einreichung einer Steuererklärung nicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.

§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß gegen seine Erklärungspflicht die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls verkürzen können1.

Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks kann die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung (§ 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) nicht an die Stelle einer fehlenden Steuererklärung treten.

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Die zur Abstandnahme vom Steuerabzug bei bestimmten Kapitalerträgen erteilte Nichtveranlagungs-Bescheinigung entfaltet nach § 44a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG ihre Rechtswirkung bei der Entstehung der Kapitalertragsteuer, d.h. bei Zufluss der Kapitalerträge an den Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Da der sich auch auf diese Kapitalerträge erstreckende Einkommensteueranspruch erst danach, nämlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG), kann das Finanzamt im Zeitpunkt der Erteilung der Nichtveranlagungs-Bescheinigung das Entstehen des Einkommensteueranspruchs nicht verlässlich beurteilt haben.

Der bereits deswegen lediglich vorläufige Charakter der Nichtveranlagungs-Bescheinigung2 folgt zudem daraus, dass diese aufgrund der bloß voraussichtlichen Einkommensverhältnisse gewährt wird (§ 44a Abs. 1 Nr. 2 EStG), nur unter dem Vorbehalt des Widerrufs ausgestellt wird (§ 44a Abs. 2 Satz 2 EStG) und zurückzugeben ist, wenn das Finanzamt sie zurückfordert oder der Gläubiger den Wegfall der Voraussetzungen für ihre Erteilung erkennt (§ 44a Abs. 2 Satz 4 EStG).

Da die Festsetzungsfrist im vorliegend entschiedenen Fall damit selbst bei einer nur vierjährigen Festsetzungsfrist gewahrt ist, konnte der Bundesfinanzhof dahinstehen lassen, ob im Streitfall die Voraussetzungen einer zehnjährigen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben sind.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15. Mai 2013 – VI R 33/12

  1. vgl. BFH, Urteil vom 29.01.2003 – I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 16.10.1991 – I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322[]
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