Der Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit – Steuersparen beim Berliner Testament

Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten, so bleibt trotz des zivilrechtlichen Erlöschens des Pflichtteilsanspruchs erbschaftsteuerrechtlich sein Recht zur Geltendmachung des Pflichtteils als Folge der Regelung in § 10 Abs. 3 ErbStG bestehen. Erklärt der Berechtigte in einem solchen Fall gegenüber dem Finanzamt, er mache den Anspruch geltend, ist dies erbschaftsteuerrechtlich unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Verpflichtete damit rechnen musste, den Anspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt der Mitteilung an das Finanzamt noch nicht verjährt ist.

Der Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit – Steuersparen beim Berliner Testament

Diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs regelt einen alltäglichen Fall: Der verstorbene Vater (V) wurde von seiner Ehefrau, der Mutter (M), aufgrund eines sog. Berliner Testaments allein beerbt. Erbschaftsteuer war für diesen Erwerb von Todes wegen nicht festzusetzen, weil die der Mutter zustehenden Freibeträge (§§ 16 und 17 ErbStG) nicht überschritten waren. Die Tochter, die nach dem Tod des Vaters gegenüber der Mutter keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht hat, ist die Alleinerbin der später verstorbenen Mutter. In diesem Fall eröffnet nun der Bundesfinanzhof die Möglichkeit, in Höhe des rechnerisch nach dem Tod des Vaters bestehenden Pflichtteilsanspruchs das von der Mutter ererbte Vermögen zu schmälern:

Zu den nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG u.a. Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen (§§ 2303 ff. BGB). Damit übereinstimmend gilt ein Pflichtteilsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erst dann als Erwerb von Todes wegen, wenn er geltend gemacht wird.

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Dem bloßen Entstehen des Anspruchs auf einen Pflichtteil mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu, und zwar sowohl gegenüber dem Berechtigten als auch gegenüber dem Verpflichteten. Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs ist im Interesse des Berechtigten geschehen und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt1.

Die „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden2. Ist dies geschehen, entsteht die Erbschaftsteuer für den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung. Hinsichtlich des Abzugs des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit wirkt dessen Geltendmachung hingegen auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) zurück, stellt also ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Nachlassverbindlichkeiten können nicht isoliert, sondern nur im Rahmen der Festsetzung der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden.

Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete seinerseits, bevor der Pflichtteilsanspruch durch Erfüllung3 oder aus anderen Gründen, etwa aufgrund eines Erlassvertrags4, erloschen ist, geht die Verbindlichkeit gemäß §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB zivilrechtlich auf dessen Erben über, ohne dass es auf die vorherige Geltendmachung des Anspruchs ankommt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Pflichtteils stellt dabei abweichend vom Zivilrecht erbschaftsteuerrechtlich nur dann eine vom Pflichtteilsverpflichteten als Erblasser herrührende Schuld und somit eine gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehbare Nachlassverbindlichkeit dar, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hatte oder ihn nunmehr geltend macht. So kann etwa der Berechtigte, der den Verpflichteten nicht beerbt, den Pflichtteil gegenüber dessen Erben geltend machen.

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Geschieht dies vor der Verjährung des Anspruchs (§§ 195, 202 Abs. 2 BGB, früher § 2332 Abs. 1 BGB, vgl. dazu Art. 229 § 23 EGBGB), so gilt der Pflichtteilsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Erwerb des Pflichtteilsberechtigten von Todes wegen. Der Erbe des Verpflichteten kann dann die Verbindlichkeit aus dem geltend gemachten Pflichtteilsanspruch gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG als Nachlassverbindlichkeit abziehen.

Dies gilt auch dann, wenn der ursprüngliche Verpflichtete nicht damit rechnen musste, den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen, und deshalb durch diesen nicht wirtschaftlich belastet war; denn die Geltendmachung des Pflichtteils wirkt, wie bereits dargelegt, hinsichtlich dessen Abzugs als Nachlassverbindlichkeit auf den Eintritt des ursprünglichen Erbfalls (hier: Tod des V) zurück. Der Bundesfinanzhof hat bereits im Jahr 20115 auf die eingeschränkte Bedeutung des Kriteriums der wirtschaftlichen Belastung des Erblassers für den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten hingewiesen.

Welche Folgen sich ergeben, wenn der Berechtigte den Pflichtteil erst nach dessen Verjährung gegenüber dem Erben des ursprünglichen Verpflichteten geltend macht und dieser den Anspruch trotz der Verjährung erfüllt, kann in der vorliegenden Streitsache dahingestellt bleiben.

Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten, so erlöschen sowohl der Pflichtteilsanspruch als auch die entsprechende Verbindlichkeit des ursprünglichen Erben durch die Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person (Konfusion6. Zivilrechtlich kann die Erfüllung des Anspruchs dann im Regelfall nicht mehr verlangt werden. Nur in bestimmten Ausnahmefällen gelten die infolge des Erbfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit erloschenen Rechtsverhältnisse zivilrechtlich als nicht erloschen, so bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren (§ 1976 BGB) sowie bei der Erhebung der Dürftigkeitseinrede (§ 1991 Abs. 2 BGB).

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Das Erbschaftsteuerrecht folgt hinsichtlich der Konfusion nicht der zivilrechtlichen Beurteilung. Vielmehr gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen. Gibt der Pflichtteilsberechtigte dem zuständigen Finanzamt gegenüber vor der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs eine entsprechende Erklärung ab, hat es diese zu berücksichtigen und sowohl hinsichtlich der Besteuerung des Erwerbs des Pflichtteils gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als auch hinsichtlich des Abzugs der Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit die sich hieraus unter Berücksichtigung der jeweils maßgebenden Freibeträge ergebenden steuerrechtlichen Folgerungen zu ziehen7.

Wie zu entscheiden ist, wenn der Pflichtteilsanspruch bereits beim Tod des Verpflichteten oder bei der fiktiven Nachholung der Geltendmachung des Pflichtteils durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt verjährt war, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen8.

Der der Tochter wegen der Enterbung durch den Vater zustehende Pflichtteilsanspruch ist danach unabhängig davon, ob ihn die Tochter bereits gegenüber der Mutter geltend gemacht hatte und ob Muter damit rechnen musste, den Anspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen, als Nachlassverbindlichkeit bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Erwerb der Tochter als Erbin der Mutter abzuziehen. Die Tochter hat vor der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem Finanzamt erklärt, sie mache ihn geltend, und damit die Geltendmachung mit für das Steuerrecht verbindlicher Wirkung fiktiv nachgeholt.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Februar 2013 – II R 47/11

  1. BFH, Urteile vom 07.10.1998 – II R 52/96, BFHE 187, 50, BStBl II 1999, 23; vom 19.07.2006 – II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718; und vom 31.03.2010 – II R 22/09, BFHE 229, 374, BStBl II 2010, 806, Rz 11[]
  2. BFH, Urteil in BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718[]
  3. § 362 Abs. 1 BGB[]
  4. § 397 Abs. 1 BGB[]
  5. BFH, Urteil vom 02.03.2011 – II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, Rz 87[]
  6. vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 23.04.2009 – IX ZR 19/08, NJW-RR 2009, 1059, Rz 19 f.; BFH, Urteil vom 07.03.2006 – VII R 12/05, BFHE 212, 388, BStBl II 2006, 584[]
  7. ebenso Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Rz 232, § 10 Rz 98, 183; Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 10 ErbStG Rz 85; Pahlke in Christoffel/Geckle/Pahlke, ErbStG, 1. Aufl.1998, § 10 Rz 61; Muscheler, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge –ZEV– 2001, 377, 381 f.; Moench, Deutsches Steuerrecht 1987, 139, 144; Markus Hardt, ZEV 2004, 408; a.A. FG München, Beschluss vom 27.07.1990 10 – V 3806/89, EFG 1991, 199; Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz 78; Tetens in Rödl/Preißer u.a., Erbschaft- und Schenkungsteuer, 2009, § 10 Kap.06.03.3; Högl in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 10 ErbStG Rz 57[]
  8. vgl. dazu einerseits BFH, Beschluss vom 15.05.2009 – II B 155/08, BFH/NV 2009, 1441; FG München, Urteile vom 07.10.1992 4 K 5239/89, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1993, 55; und vom 24.07.2002 4 K 1286/00, EFG 2002, 1625; FG München, Beschluss vom 30.11.2006 4 – V 4323/06, EFG 2007, 369; Weinmann in Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 67; andererseits Gebel, a.a.O., § 3 Rz 232, § 10 Rz 98, 183; Muscheler, ZEV 2001, 377, 383 f.[]
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