Fachkraft für Arbeitssicherheit – und ihre Kündigung

Die Kündigung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit ist gem. § 134 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 ASiG unwirksam, wenn die Fachkraft wegen der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben benachteiligt wird. Eine unzulässige Benachteiligung kann auch in dem Ausspruch einer Kündigung liegen.

Fachkraft für Arbeitssicherheit – und ihre Kündigung

Die Kündigung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit ist dagegen nicht schon dann rechtsunwirksam, wenn der Betriebsrat der Abberufung gem. § 9 ASiG nicht ausdrücklich zugestimmt hat.

Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG sind Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit Zustimmung des Betriebsrats zu bestellen und abzuberufen. Die Bestellung und Abberufung sind von den damit verbundenen personellen Einzelmaßnahmen (Einstellung, Versetzung oder Kündigung) zu trennen. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, so liegt darin aber in aller Regel eine Abberufung1, weil damit der Tätigkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit die Rechtsgrundlage entzogen wird2. Mit der Kündigung einer als Arbeitnehmer eingestellten Fachkraft für Arbeitssicherheit ist die Abberufung aus der arbeitssicherheitsrechtlichen Funktion denknotwendig verbunden: Entfällt die vertragliche Verbindung zum Arbeitgeber, endet auch die Grundlage für ein Tätigwerden als Fachkraft für Arbeitssicherheit.

Die Zustimmung des Betriebsrats zur Bestellung oder Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist an keine Form gebunden. Sie kann sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen. Hat der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung der Arbeitssicherheitsfachkraft erteilt, so kann diese Zustimmung im Regelfall auch als Zustimmung zur Bestellung nach § 9 Abs. 3 ASiG ausgelegt werden3. Nichts anderes gilt für die Abberufung als actus contrarius zur Bestellung. Stimmt der Betriebsrat der Kündigung der Fachkraft für Arbeitssicherheit zu, ist die Zustimmung in der Regel auch als Zustimmung zur Abberufung zu werten.

Vorliegend hat die Arbeitgeberin die beabsichtigte Kündigung des Arbeitnehmers in ihrem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat damit begründet, dass die „Abteilung Arbeitssicherheit“ zum 31.12 2013 aufgelöst werde; die verbleibenden notwendigen gesetzlich geregelten Aufgaben werde der Bereich Arbeitssicherheit der C. GmbH wahrnehmen. Der Betriebsrat hat der Kündigung des Arbeitnehmers ausdrücklich zugestimmt.

Selbst wenn zugunsten des Arbeitnehmers unterstellt wird, der Betriebsrat habe der Abberufung nicht zugestimmt, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Fehlt es an der Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung gem. § 9 Abs. 3 ASiG, ist die kündigungsrechtliche Situation umstritten: Ein Teil des Schrifttums vertritt die Auffassung, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung stets eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist, ohne dass es darauf ankommt, aus welchem Grund die Kündigung erklärt wurde4. Nach Auffassung des 2. Landessozialgerichts des Bundesarbeitsgerichts soll die fehlende und nicht ersetzte Zustimmung des Betriebsrats wegen objektiver Umgehung der Mitbestimmung des § 9 Abs. 3 ASiG zumindest dann zur Unwirksamkeit einer vom Arbeitgeber erklärten Beendigungskündigung führen, wenn diese auf Gründe gestützt wird, die sachlich mit der Tätigkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit im untrennbaren Zusammenhang stehen, d.h. eine Bewertung dieser Tätigkeit beinhalten5. Ausdrücklich offen gelassen hat der 2. Landessozialgericht, ob dies auch für den Fall gilt, dass der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen kündigt, die in keinem Bezug zur Tätigkeit der Fachkraft für Arbeitssicherheit stehen6.

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Dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 ASiG ist die kollektivrechtliche Zustimmung zur Abberufung der Fachkraft für Arbeitssicherheit als Wirksamkeitsvoraussetzung auch für die individualrechtliche Willenserklärung – die Kündigung – nicht zu entnehmen. Die Vorschrift bezweckt nach ihrem Wortlaut – anders als etwa §§ 103 BetrVG, 58 BImSchG, 4f BDSG – keine unmittelbare kündigungsrechtliche Absicherung der Fachkraft für Arbeitssicherheit, sondern hat lediglich die Abberufung der arbeitssicherheitsrechtlichen Funktion im Blick7. Sinn und Zweck des § 9 Abs. 3 ASiG sprechen ebenfalls gegen die Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit wegen Fehlens der für die Abberufung erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats. Nach allgemeiner Ansicht dient das Mitbestimmungsrecht der Stärkung der Unabhängigkeit der Amtsausübung und des Vertrauensverhältnisses zwischen den Fachkräften für Arbeitssicherheit und der Belegschaft. Dies spricht dafür, die fehlende Zustimmung zur Abberufung allein als betriebsverfassungsrechtliche Pflichtverletzung zu interpretieren, die ohne Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung bleibt8. Da § 9 Abs. 3 ASiG eine konkretisierende Sonderregelung zu § 87 Abs.1 Nr. 7 BetrVG darstellt, ist nach der dort vorherrschenden „Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung“ die Zustimmung des Betriebsrats jedoch in jedem Fall Wirksamkeitsvoraussetzung für die Abberufung aus dem Amtsverhältnis. Unterbleibt die Zustimmung, ist die Abberufung unwirksam. Der Arbeitgeber muss ein Zustimmungsersetzungsverfahren vor der Einigungsstelle einleiten (§ 9 III 2 Halbs. 2 ASiG iVm §§ 87, 76 BetrVG).

Umgekehrt bewirkt die Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung keineswegs eine Schwächung des individuellen Kündigungsschutzes: Die Abberufungsentscheidung als solche kann zwar gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden. Die infolge der Abberufung ggf. ausgesprochene Kündigung ist aber getrennt davon nach kündigungsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen: Die Abberufung kann nicht zwangsläufig eine Kündigung legitimieren: Insbesondere bei einer vorhandenen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb wird die Kündigung regelmäßig sozialwidrig sein9.

Die Kündigung ist nicht gem. § 134 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 ASiG unwirksam.

§ 8 Abs. 1 Satz 2 ASiG bestimmt, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit wegen der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht benachteiligt werden dürfen. Eine unzulässige Benachteiligung kann auch darin liegen, dass der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht10. Erforderlich ist aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Erfüllung der Aufgaben; bloße Mitursächlichkeit genügt nicht. Die Art und Weise der Erfüllung der Aufgaben muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Maßregelung liegt beim Arbeitnehmer. Er hat einen Sachverhalt vorzutragen, der auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Maßnahme des Arbeitgebers und einer vorangegangenen zulässigen Erfüllung seiner Aufgaben hindeutet. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären11. Dem Arbeitnehmer kann die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zugutekommen, insbesondere dann, wenn ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Erfüllung der übertragenen Aufgaben besteht.

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Die Arbeitgeberin stützt die Kündigung des Arbeitnehmers nicht auf Gründe, die inhaltlich mit seiner Tätigkeit als Fachkraft für Arbeitssicherheit zusammenhängen. Die Personalleiterin der Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer in einem Gespräch am 12.11.2013 im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden über die Schließung der Abteilung und den Wegfall seiner Arbeitsaufgabe informiert. In dem Anhörungsschreiben vom 12.11.2013 hat sie angegeben, der Kündigung liege die beabsichtigte Auflösung der Abteilung Arbeitssicherheit zum 31.12.2013 sowie die Wahrnehmung der notwendigen gesetzlichen Aufgaben durch den Bereich Arbeitssicherheit der J. zugrunde.

Der Arbeitnehmer hat im vorliegenden Fall keine hinreichenden Indizien vorgetragen, die den Schluss auf einen Zusammenhang zwischen der Kündigung und seiner Tätigkeit als Fachkraft für Arbeitssicherheit zulassen. Der Interessenausgleich einschließlich der Namensliste datiert auf den 28. Oktober, während sich der erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 05.03.2014 geschilderte Vorfall – die Bitte um Verschiebung des Termins zur Betriebsbegehung – zeitlich nach der Kündigungsentscheidung der Arbeitgeberin zugetragen haben soll. Die Kausalität zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung ist bei Maßnahmen des Arbeitgebers nur dann gegeben, wenn sie zeitlich der Rechtsausübung nachfolgen12.

Soweit der Arbeitnehmer zudem auf – pauschal beschriebene – Vorfälle in den Jahren zuvor verweist, lassen diese keinen hinreichenden Rückschluss auf eine hierdurch motivierte Kündigungsentscheidung der Arbeitgeberin zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Namensliste mit dem Betriebsrat vereinbart worden ist und die Kündigungsentscheidung einer Mitbeurteilung durch das Gremium des Betriebsrats unterlag. Angesichts dieser Rahmenbedingungen wären besonders aussagekräftige Indizien erforderlich, um eine Absicht der Arbeitgeberin annehmen zu können, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer nur wegen der Ausübung seiner Aufgaben als Arbeitssicherheitsfachkraft kündigen wollen.

Auch in der Berufungsinstanz bleibt der Vortrag des Arbeitnehmers zu den behaupteten Maßregelungen oder Benachteiligungen unsubstantiiert. Den bereits erstinstanzlich vorgetragenen „Vorfall Staubmessung“ hat der Arbeitnehmer auch im Berufungsrechtszug nicht hinreichend konkretisiert. So bleibt weiter offen, welche Messungen der Arbeitnehmer genau durchführen wollte und welche Art von Abstimmung ihm in diesem Zusammenhang angetragen worden ist. Dass Maßnahmen der betrieblichen Arbeitssicherheit in Abstimmung mit den Betriebsverantwortlichen durchzuführen sind, um Störungen des Betriebsablaufs soweit wie möglich zu vermeiden, erscheint selbstverständlich. Eine Abstimmung mit dem Ziel der Koordinierung betrieblicher Abläufe ist weder gleichbedeutend mit einem Erlaubnisvorbehalt, noch stellt sie eine Vereitelung von Maßnahmen der Arbeitssicherheit dar. Entsprechendes gilt für die vom Arbeitnehmer behauptete „Übergehung seiner Person“ bei der Abnahme technischer Anlagen. Auch hier ist nicht ersichtlich, welcher Zusammenhang zur streitgegenständlichen Kündigung bestehen soll. Der Arbeitnehmer trägt nicht einmal ansatzweise vor, dass sicherheitsrelevante Anlagen ohne Billigung der Fachkraft für Arbeitssicherheit abgenommen bzw. in Betrieb genommen worden sind.

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Im Ansatzpunkt zutreffend weist der Arbeitnehmer zwar darauf hin, dass § 8 Abs. 2 ASiG den Arbeitgeber nach allgemeiner Auffassung verpflichtet, den Fachkräften für Arbeitssicherheit bzw. der leitenden Fachkraft für Arbeitssicherheit eine Stabsstelle zuzuweisen, die mindestens unmittelbar dem Leiter des Betriebs unterstellt ist13. Diese gesetzlich vorgeschriebene Zuweisung einer bestimmten Stellung innerhalb der betrieblichen Hierarchiestrukturen dient sowohl der Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit als auch der Herausstellung der Bedeutung der Funktion der Fachkraft für Arbeitssicherheit. Ihr Einfluss als Betriebsbeauftragte zur Beratung des Arbeitgebers in Sachen des Arbeitsschutzes wird damit gestärkt. Gleichzeitig wird damit ein Ausgleich dafür geschaffen, dass die Fachkräfte für Arbeitssicherheit nicht unmittelbar weisungsberechtigt gegenüber den Beschäftigten sind. Die Darstellung des Arbeitnehmers, die unzutreffende Verortung seiner Person in der Organisationsstruktur/den Hierarchieebenen des Unternehmens stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit der vorliegenden betriebsbedingten Kündigung, erscheint nicht plausibel. An der hierarchischen Einordnung des Arbeitnehmers hat sich während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nichts geändert. Der Arbeitnehmer behauptet selbst nicht, vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung eine Korrektur seiner hierarchischen Einordnung verlangt zu haben.

Nicht zu folgen ist der Auffassung des Arbeitnehmers, die Kündigung sei „rechtswidrig“, weil die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG „verletzt“ habe.

Die Arbeitgeberin hat nach ihrem Vorbringen den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 03.12 2013 darüber informiert, dass sie auf einen externen überbetrieblichen Dienst unter fachlicher Anleitung durch die Arbeitssicherheit der C. GmbH zurückgreifen wolle. Der Betriebsrat habe unter dem 6.12 2013 der Maßnahme zugestimmt. Der Betriebsrat sei in die Planungen des neuen Arbeitssicherheitskonzepts von Beginn an eingebunden gewesen und habe diesem am 12.12 2013 ausdrücklich zugestimmt. Das Vorbringen der Arbeitgeberin bedurfte trotz des Bestreitens des Arbeitnehmers keiner Beweisaufnahme.

Im Ansatzpunkt zutreffend weist der Arbeitnehmer zwar darauf hin, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen hat, wenn entschieden wird, welche der drei gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsformen (Aufgabenerledigung durch Beschäftigung eigener Arbeitnehmer mit entsprechender Sachkunde, Bestellung freiberuflich Tätiger oder Einschaltung überbetrieblicher Dienste iSd § 19 ASiG) zu wählen ist. Die Rechtsprechung hat in Kündigungsrechtsstreitigkeiten stets zwischen den betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsfolgen mitbestimmungswidriger Maßnahmen einerseits und den kündigungsrechtlichen Auswirkungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmers andererseits unterschieden. Der 2. Landessozialgericht des Bundesarbeitsgerichts hat in ähnlichen Fallkonstellationen – Nebeneinander von kollektivrechtlicher Versetzung nach § 99 BetrVG und individualrechtlichem Ausspruch einer Änderungskündigung gem. § 2 LSGchG – eine strenge Trennung zwischen beiden Bereichen vorgenommen14. Er hat in diesen Entscheidungen ausgeführt, es sei nicht gerechtfertigt, die Wirksamkeit der Änderungskündigung davon abhängig zu machen, ob eine Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom Arbeitgeber geplanten Versetzung vorliegt bzw. nach § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzt ist, dh. ob die gesetzlich vorgesehene Mitbestimmung gewahrt ist.

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Ähnliches gilt auch im Falle einer nach § 87 Abs. 1 BetrVG erforderlichen Mitbestimmung des Betriebsrats und zwar unbeschadet der vom Bundesarbeitsgericht vertretenen „Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung“, wonach die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers ist. Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen. Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind dabei nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats führt allerdings nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergeben, die zuvor noch nicht bestanden haben15. Ob auch für Fälle von Kündigungen, die gleichzeitig von mitbestimmten Maßnahmen nach § 87 BetrVG beeinflusst sind, diese Theorie uneingeschränkt anzuwenden ist, kann schon angesichts der Systematik des § 87 BetrVG einerseits und des § 102 BetrVG andererseits bezweifelt werden. Während die Sanktion der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Nichtanhörung des Betriebsrats (§ 102 BetrVG) als abschließende lex specialis im Verhältnis der Kündigung zur Mitbestimmung des Betriebsrats zu werten ist, stellt die nach § 87 Abs. 2 BetrVG anzurufende Einigungsstelle einen entsprechenden Ausgleich der Interessen der Betriebsparteien sicher. Auch verdient in diesem Zusammenhang das Argument weiter Geltung16, dass im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des § 102 BetrVG, die grundsätzlich nur eine Anhörung des Betriebsrats erfordert, eine Sonderregelung geschaffen würde, die für Kündigungen unter den Voraussetzungen einer Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG eine weitergehende Zustimmungsbedürftigkeit vorsieht.

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Es bedarf keiner Entscheidung, ob – wie der Arbeitnehmer meint – die Arbeitgeberin verpflichtet ist, für die bei ihr anfallenden Aufgaben der Arbeitssicherheit vorrangig eigene Arbeitnehmer einzusetzen.

Das Gesetz über Betriebsräte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) stellt die dort vorgesehenen Formen der Aufgabenerledigung durch Beschäftigung eigener Arbeitnehmer mit entsprechender Sachkunde, Bestellung freiberuflich Tätiger oder die Einschaltung überbetrieblicher Dienste iSd § 19 ASiG gleichberechtigt nebeneinander. Soweit der Arbeitgeber nach Maßgabe des Gesetzes zur Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit verpflichtet ist, kann er, wie sich aus § 2 Abs. 3 Satz 2 und 4 bzw. 5 Abs. 3 Satz 2 und 4 ASiG mittelbar ergibt, unter den drei gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsformen auswählen.

Der Arbeitnehmer meint, etwas anderes ergäbe sich aus Art. 7 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 19.06.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit. Der Europäische Gerichtshof hat in dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die K.-Land17 entschieden, dass zwischen Art. 7 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie ein Subsidiaritätsverhältnis bestehe und die Bestellung innerbetrieblicher Experten in jedem Fall den Vorrang haben müsse. Er stellte diese Wortauslegung in eine systematische Verbindung mit dem allgemeinen Partizipationsgrundsatz der Richtlinie, mit dem der innerbetriebliche Dialog über Sicherheit und Gesundheitsschutz zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern verstärkt werden solle. Insoweit übernahm er die ausführlichen Erläuterungen von Generalanwalt L., der in seinen Schlussanträgen18 den so begründeten Vorrang innerbetrieblicher Experten entwickelt hatte. Diese würden das Unternehmen und die Arbeitsmethoden von innen kennen, seien mit den betrieblichen Verfahren betraut, würden daher auch frühere Vorfälle kennen und seien auf dem Betriebsgelände zu erreichen. Vor allem aber hätten sie ein großes Interesse am Gesundheitsschutz, da ihre eigene körperliche Unversehrtheit und diejenige ihrer Kolleginnen und Kollegen auf dem Spiel stehe. Sie seien auf dem Betriebsgelände gut erreichbar und könnten daher auch die Bewusstseinsbildung der Beschäftigten fördern. Im Vertragsverletzungsverfahren gegen M.-Land19 hat der Europäische Gerichtshof seine Auffassung bestätigt. Auch die österreichische Regelung, in der die Subsidiarität außerbetrieblicher Experten nicht transparent normiert worden war, wurde als Vertragsverletzung qualifiziert.

Es kann dahinstehen, ob die innerstaatliche Umsetzung der Richtlinie im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) ausreichend transparent erfolgt ist. Die Grundsätze des Europäischen Gerichtshofs mögen bei der Ermessensausübung der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 BetrVG zu beachten sein, eine unzureichende Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der individualrechtlichen Kündigung.

Nicht zu folgen ist der Auffassung des Arbeitnehmers, die Kündigung sei „rechtswidrig“, weil sie gegen die Betriebsvereinbarung über die Arbeitssicherheit vom 01.06.1975 verstoße.

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Aus der Verpflichtung, eine „Dienststelle“ Arbeitssicherheit vorzuhalten. lässt sich bereits nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung nicht entnehmen, dass diese mit eigenen Arbeitnehmern besetzt werden muss. Eine „Dienststelle“ ist im deutschen Sprachgebrauch eine Verwaltungseinheit, eine öffentlich-rechtliche Institution, die eine gewisse organisatorische Selbständigkeit hat. Nach § 2 Abs. 2 ArbSchG gelten als Betriebe für den Bereich des öffentlichen Dienstes die Dienststellen. Dienststellen sind die einzelnen Behörden, Verwaltungsstellen und Betriebe der Verwaltungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die Gerichte des Bundes und der Länder sowie die entsprechenden Einrichtungen der Streitkräfte. Dienststelle im Sinne der Betriebsvereinbarung kann nach dem Verständnis der Betriebsparteien lediglich bedeuten, dass eine für die Belange der Arbeitssicherheit zuständige Stelle als örtliche Anlaufstelle für die dort beschäftigten Arbeitnehmer vorgesehen werden muss. Diesem Erfordernis tut die Arbeitgeberin bereits dadurch Genüge, dass sie entsprechende Räumlichkeiten für den betriebsärztlichen Dienst und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit vorhält, in denen diese als Ansprechpartner für die sich im Betrieb stellenden Fragen der Arbeitssicherheit zur Verfügung stehen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. Oktober 2015 – 4 Sa 951/14

  1. zu der vergleichbaren Konstellation gem. § 4f BDSG: vgl. BR-Drs. 618/88 S. 137[]
  2. GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, 10. Aufl., § 87 BetrVG Rn. 655[]
  3. Wank, Kommentar zum technischen Arbeitsschutz, § 9 ASiG, Rn. 12[]
  4. Kittner/Pieper, ASiG Rn 123; MünchArbR/Matthes, Bd. 3, § 344 Rn. 21; v. Hoyningen- Huene/Linck, 15. Aufl., § 13 Rz. 76; Bertzbach in: Festschrift für Däubler, 1999, S. 158, 160; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger, Kommentar zum Kündigungsschutzrecht, 6 Aufl., §§ 8, 9 ASiG, Rn. 12[]
  5. BAG 24.03.1988 – 2 AZR 369/87; zustimmend: Wank, Kommentar zum technischen Arbeitsschutz, § 9 ASiG, Rn. 10; GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, 10. Aufl., § 87 BetrVG, Rn. 655; KR/Friedrich, 10. Aufl. § 13 LSGchG, Rn. 257[]
  6. BAG 24.03.1988 – 2 AZR 369/87[]
  7. LAG Hamm 14.06.2005 – 19 Sa 287/05[]
  8. BAG 24.03.1988 – 2 AZR 269/87; Bloesinger, NZA 2004, 467; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock § 87 BetrVG Rn. 379; Galperin/Löwisch § 87 BetrVG Rn. 167; Blomeyer/Reichold , SAE 1989, 296?ff[]
  9. LAG Bremen 9.01.1998 – 4 Sa 11/97[]
  10. BAG 2.04.1987 – 2 AZR 227/86[]
  11. BAG 21.09.2011 – 7 AZR 150/10[]
  12. MünchKomm/Müller-Glöge, § 612a BGB Rn. 16[]
  13. BAG 15.12 2009 – 9 AZR 769/08[]
  14. BAG 30.09.1993 – 2 AZR 283/93; 22.04.2010 – 2 AZR 491/09[]
  15. BAG 11.01.2011 – 1 AZR 310/09[]
  16. BAG 30.09.1993 – 2 AZR 283/93[]
  17. EuGH 22.05.2003 – C-441/01, Slg 2003, I-5463[]
  18. EuGH, Slg 2003, I – 5463[]
  19. EuGH 6.04.2006 – C-428/04, Slg 2006, I-3325[]