Auslieferung, Nachtragsersuchen – und das rechtliche Gehör

Im Fall des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG ist rechtliches Gehör gewährt, wenn feststeht, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates dem Ausgelieferten das Nachtragsersuchen zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit gegeben haben, sich dazu zu äußern. Einer förmlichen Vernehmung bedarf es – im Gegensatz zu § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG – nicht.

Auslieferung, Nachtragsersuchen – und das rechtliche Gehör

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 IRG muss bei einem Ersuchen um nachträgliche Zustimmung zur Strafverfolgung ein Haftbefehl nicht beigefügt werden.

Im vorliegenden Fall wurde dem Verfolgten durch die Behörden der Slowakischen Republik Gelegenheit gegeben, sich zu dem Ersuchen zu äußern. Dass dies nicht im Wege einer förmlichen Vernehmung geschah, ist unschädlich. Einer (richterlichen) Vernehmung bedarf es gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG nur dann, wenn der Verfolgte der Verfolgung oder Vollstreckung zustimmt; in den Fällen des § 35 Abs. 1 Satz Nr. 1 IRG ist hingegen keine richterliche Vernehmung bzw. eine Vernehmung durch ein Organ mit vergleichbarer Unabhängigkeit erforderlich1. Hierfür sprechen sowohl der Wortlaut von § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG als auch der Vergleich mit § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG. Die zustimmende Erklärung bzw. der nachträgliche Verzicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG haben für den Ausgelieferten weitreichende Folgen. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Verfolgte weiterhin auf die Spezialitätsbindung besteht und einer Strafverfolgung nicht zustimmt. Alleinige Konsequenz der Erklärung ist, dass im ersuchten Staat vor einer Entscheidung über das Nachtragsersuchen das (nachträgliche) Zulässigkeitsverfahren eingeleitet und durchgeführt werden muss. Dem Grundrecht auf rechtliches Gehör, das dem Ausgelieferten durch § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG gewährleistet werden soll2, ist Genüge getan, wenn feststeht, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates dem Ausgelieferten das Nachtragsersuchen zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit gegeben haben, sich dazu zu äußern. Eine richterliche Vernehmung erscheint nicht zwingend erforderlich, um dem Ausgelieferten rechtliches Gehör zu gewähren. Seine Rechte werden durch die sich anschließende gerichtliche Prüfung im Rahmen des Zulässigkeitsverfahrens im ersuchten Staat gewahrt. Vorliegend hatte der Ausgelieferte ausreichend Gelegenheit, sich zu äußern und hat schriftlich wiederholt (nur) vorgebracht, dass einer weiteren Strafverfolgung der Spezialitätsgrundsatz entgegen stehe.

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Das Verfahren nach § 35 IRG ist gerade für den Fall vorgesehen, dass eine frühere Auslieferung der Spezialitätsbindung unterlag und stellt insoweit einen teilweisen Verzicht auf das Spezialitätserfordernis dar3. Auch ergeben sich aus dem Vorbringen des Ausgelieferten keine weiteren Umstände, die einer Bewilligung des Ersuchens entgegen stehen könnten.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 2. Juli 2015 – 1 Ausl. 288/14; 1 Ausl 288/14

  1. str.; aA: Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 35 Rn. 13; Böhm in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 35 Rn. 14[]
  2. Lagodny aaO, § 35 Rn. 13 mwN[]
  3. Lagodny aaO, § 35 Rn. 1[]