Der Tötungsvorsatz des Pistolenschützen

Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement).

Der Tötungsvorsatz des Pistolenschützen

Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen1.

Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes2.

Hinsichtlich des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche umfassende Gesamtbetrachtung einzubeziehen3.

Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dass er, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt4. Der Schluss von einer besonders gefährlichen Gewalthandlung auf einen bedingten Tötungsvorsatz ist jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die den Vorsatz in Frage stellen können5.

Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter die Gefahr des Eintritts eines tödlichen Erfolgs ausnahmsweise nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten, ist der Tatrichter verpflichtet, sich hiermit auseinander zu setzen6.

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Diese Grundsätze gelten auch in Fallkonstellationen, in denen ein Angeklagter mit einer scharfen Schusswaffe auf sein Tatopfer schießt7. Zwar handelt es sich in der Regel um eine besonders gefährliche Gewalthandlung, in der bedingter Tötungsvorsatz nahe liegt. Dies enthebt den Tatrichter indes nicht von der Verpflichtung, die subjektive Tatseite unter Berücksichtigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände sorgfältig zu prüfen.

Bereits die tatrichterliche Erwägung, „jeder auf einen Menschen gerichtete Schuss mit einer scharfen Waffe“ lege „wegen der außergewöhnlich großen Lebensgefährlichkeit den Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz nahe“, lässt besorgen, dass der Tatrichter das Erfordernis einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände nicht hinreichend beachtet hat. Zwar kann der auf einen Menschen abgegebene Schuss mit einer scharfen Waffe wegen der außergewöhnlich großen Lebensgefährlichkeit den Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz nahe legen8. Jedoch verbietet sich auch in dieser Fallkonstellation jede schematische Lösung9. Dies gilt auch bei Abgabe von Schüssen aus kurzer Distanz10.

Der Hinweis, wonach es „in der Natur der Sache“ liege, „dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter in Verfolgung seines anders gelagerten Handlungsantriebs in der Regel über kein Tötungsmotiv“ verfüge11, greift zu kurz. Zwar trifft es zu, dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter kein Tötungsmotiv im engeren Sinne hat, weil er den tödlichen Erfolg nicht erstrebt, sondern seinen Eintritt lediglich in Kauf nimmt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dem von einem Tötungsmotiv zu unterscheidenden konkreten Handlungsantrieb keine Indizwirkung für die Frage zukommt, ob der Täter mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat oder nicht12. Die Art des jeweiligen Handlungsantriebs kann Hinweise auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft geben, zur Erreichung seines Handlungsziels gegebenenfalls schwerste Folgen in Kauf zu nehmen13.

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Der Handlungsantrieb, dem Tatopfer, das zuvor den Schützen mehrfach mit dem Tode bedroht hatte, die eigene Wehrhaftigkeit vor Augen zu führen, es in seine Schranken zu verweisen und ihm für die ausgesprochene Todesdrohung einen „Denkzettel“ zu verpassen, ist im Rahmen der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände zu berücksichtigen14. Er könnte gegen das Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes sprechen, weil insbesondere das Motiv, dem Tatopfer einen „Denkzettel“ zu verpassen, ein Überleben des Tatopfers voraussetzt.

Darüber hinaus war im hier entschiedenen Fall auch in die Erwägungen einzustellen, dass der Schütze sein Opfer tatsächlich verfehlt hat, obwohl er aus einer geringen Entfernung von wenigen Metern zweimal auf den arglosen und ihm den Rücken zuwendenden Zeugen schoss.

Schließlich hätte es im Rahmen der umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände auch eines Eingehens auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt zur Durchsetzung seiner Handlungsziele sowie seiner Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse bedurft. Hierzu hätte vorliegend Anlass bestanden, weil das Schwurgericht eine mit einer posttraumatischen Belastungsstörung einher gehende besondere Reizbarkeit und Aggressivität des Schützen festgestellt hat.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 2 StR 312/15

  1. BGH, Urteil vom 16.09.2015 – 2 StR 483/14 14; BGH, Urteil vom 27.01.2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216[]
  3. BGH, Urteil vom 11.10.2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51[]
  4. BGH, Beschluss vom 27.08.2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35[]
  5. BGH, Urteil vom 26.11.2014 – 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516, 517; Urteil vom 27.08.2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35[]
  6. BGH, Urteil vom 16.09.2015 – 2 StR 483/14 15[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.1995 – 4 StR 642/95, StV 1997, 7; Urteil vom 08.06.1993 – 5 StR 88/93, NStZ 1993, 488 f.[]
  8. BGH, a.a.O., StV 1997, 7[]
  9. Schneider, MünchKomm- StGB 2. Aufl. § 212 Rn. 22[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 01.04.1998 – 2 StR 620/97; Altvater, NStZ 1999, 18[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443[]
  13. BGH, Urteil vom 23.02.2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318; Urteil vom 22.10.2002 – 5 StR 275/02, NStZ-RR 2003, 39, 40; Beschluss vom 16.07.1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7, 8; Urteil vom 09.09.1986 – 5 StR 98/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 4[]
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