Feststellung eines Vollrauschs

Ein Rausch i.S.d. § 323a StGB verlangt den sicheren Nachweis, dass sich der Täter in einen Zustand versetzt hat, der ihn so beeinträchtigt, dass mindestens der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht ist.

Feststellung eines Vollrauschs

Es gibt keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, der dazu berechtigt, allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration auf eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu schließen. Liegt der Wert der Blutalkoholkonzentration über 2 g Promille besteht zwar Anlass, die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu erörtern und entsprechende Feststellungen zu treffen, jedoch bedeutet dies für sich allein noch nicht, dass eine verminderte Schuldfähigkeit tatsächlich sicher anzunehmen wäre.

Die sog. Maximalrechnungsmethode (maximaler Abbauwert von 0, 2 g Promille je Stunde sowie einmaliger Sicherheitszuschlag von 0, 2 g Promille) führt zu besonders hohen Blutalkoholkonzentrationen und darf deshalb nicht zur Anwendung kommen, wenn sich die Höhe der Blutalkoholkonzentration – wie hier bei der Feststellung des Tatbestands – zum Nachteil des Täters auswirkt.

Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen.

Ein Rausch i.S.d. § 323 a StGB verlangt nach der Rechtsprechung den sicheren Nachweis, dass sich der Täter in einen Zustand versetzt, der ihn so beeinträchtigt, dass zumindest der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht ist1. Im vorliegenden Fall geht das Landgericht war davon aus, dass der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht sei, schließt dies allerdings aus dem mit Hilfe der Rückrechnungsmethode errechneten BAK-Wert von 2, 95 g Promille. Das ist schon deshalb unrichtig, weil es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz gibt, der dazu berechtigt, allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration auf eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu schließen2. Bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2 g Promille besteht lediglich Anlass, die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu erörtern und entsprechende Feststellungen zu treffen3. Das bedeutet aber nicht, dass verminderte Schuldfähigkeit bei einer solchen Konzentration sicher anzunehmen wäre. Außerdem führt die Rückrechnungsmethode zu besonders hohen Blutalkoholkonzentrationen, weil sie von einem maximalen Abbauwert von 0, 2 g Promille ausgeht und noch einen Sicherheitszuschlag von weiteren 0, 2 g Promille hinzuaddiert4. Sie darf deshalb nicht zur Anwendung kommen, wenn sich eine besonders hohe Blutalkoholkonzentration – wie hier – zum Nachteil des Täters auswirkt, weil sie die Voraussetzung für die Annahme eines Tatbestandsmerkmals, nämlich des (hinreichend schweren) Rauschs ist. Geht man, wie dies geboten ist, insoweit zugunsten des Angeklagten von dem Mindestwert von 2, 15 g Promille, den die Universität Göttingen ermittelt hat, aus, verstärken sich die Bedenken, allein wegen dieses Wertes auf verminderte Schuldfähigkeit zu schließen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem zusätzlich festgestellten Cannabiskonsum. Ohne die Hilfe eines Sachverständigen kann das Oberlandesgericht nicht beurteilen, ob die im Urteil angegebenen Werte – eventuell in Kombination mit dem Alkohol – einen erheblichen Einfluss auf die Schuldfähigkeit hatten.

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Vorsätzlich handelt nur, wer es zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich durch den Konsum des Rauschmittels in einen besonders schweren, die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindernden Rausch versetzt5. Das Gericht hat die Annahme eines Rausches demgegenüber unzutreffend mit einer früher geahndeten Tat und der Teilnahme an der Studentenfeier belegt. Wenn jemand auf einer Feier Alkohol trinkt, bedeutet das nicht, dass er mit einer Beeinträchtigung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in dem genannten Schweregrad rechnet. Dasselbe gilt für den Strafbefehl des Amtsgerichts Parchim. Dieser mag dem Angeklagten die negativen Folgen des Alkoholkonsums und dessen Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit verdeutlicht haben. Der Angeklagte hat im vorliegenden Fall bei dieser Tat jedoch keine Erfahrungen hinsichtlich eines für § 323 a StGB ausreichend schweren Rausches gemacht, weil die Blutprobe „nur“ eine Blutalkoholkonzentration von 1, 59 g Promille aufwies.

Dem Landgericht sind darüber hinaus weitere Rechtsfehler bei der Strafzumessung unterlaufen:

So ist die Kammer zwar gemäß § 323 a Abs. 2 StGB vom Strafrahmen des § 315 c Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren) ausgegangen, sie hat aber nicht die gebotenen Feststellungen zu einer etwaigen Strafmilderung nach §§ 49 Abs.1, 21 StGB getroffen. Solche Feststellungen wären erforderlich gewesen, weil die Kammer Schuldunfähigkeit nicht ausschließen konnte und lediglich von verminderter Schuldfähigkeit ausgegangen ist. Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen. Die Kammer hätte deshalb die Milderung des Strafrahmens erwägen müssen6.

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Sodann durfte das Landgericht die Höhe der Blutalkoholkonzentration von 2, 15 g Promille, die aus Sicht der Kammer ein besonderes Maß an Pflichtwidrigkeit offenbare, nicht strafschärfend berücksichtigen. Das Landgericht hat damit in unzulässiger Weise den Grund der Strafbarkeit, nämlich den Rausch, strafschärfend gewertet haben7.

Ein weiterer Fehler ist der Kammer unterlaufen, als sie den hohen Schaden des PKW (ca. 9.000, – €) zu Lasten des Angeklagten gewertet hat. Diesen Schaden durfte die Kammer zwar als besondere Folge der Tat berücksichtigen, obgleich sich die Strafzumessung grundsätzlich an den tatbezogenen Umständen der Rauschtat zu orientieren hat8 und die Gefährdung des Täterfahrzeugs bei § 315 c StGB nicht vom Schutzbereich erfasst wird9. Das Landgericht hätte den Schaden jedoch nicht – wie geschehen – auf der Grundlage einer bloßen „Einschätzung des Zeugen Bode“ ermitteln dürfen, weil nicht erkennbar ist, weshalb der Zeuge (Polizeibeamter) über die erforderliche Sachkunde verfügt.

Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 4. Juli 2014 – 1 Ss 36/14

  1. BGH, Urteil vom 22.03.1979, 4 StR 47/79 6 f.; OLG Köln, Beschluss vom 23.01.2001, Ss 494/00 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.09.2004, 1 Ss 102/04 8; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 28.07.2006, 1 Ss 158/06 12 f.; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 323 a Rn. 7 m. w. N.; offen gelassen: BGH, Beschluss vom 18.08.1983 = BGHSt 32, 48, 54[]
  2. BGH NJW 1997, 2460[]
  3. BGH, NStZ-RR 2008, 105, 106; BGH, Beschluss vom 25.07.1990, 2 StR 246/90 11 = StV 1991, 18; OLG Hamm, Beschluss vom 03.04.2006, 3 Ss 71/06 7; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 20 Rn. 21 f. m. w. N.[]
  4. vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 20 Rn. 13[]
  5. BGH, Beschluss vom 28.06.2000, 3 StR 156/00 8; OLG Köln, Beschluss vom 05.02.2010, III 1 RVs 25/10 24; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 323 a Rn. 9 m.w.N.[]
  6. vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 17.10.1991, 4 StR 465/91 7; BGH, NStZ-RR 1996, 290; BGH, Urteil vom 28.06.2000, 3 StR 156/00 14; Münchner Kommentar/Geisler, § 323 a StGB, Rn. 80[]
  7. vgl. hierzu: BGHR § 46 Abs. 3 StGB Vollrausch 1[]
  8. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 323 a Rn. 22[]
  9. BGHSt 27, 40; BGH, Beschluss vom 19.01.1999, 4 StR 663/98 9; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 315 c Rn. 15 c[]
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Strafrecht im Februar 2015