Hier wurde nicht gedealt!

Auch die „Negativmitteilung“, dass keine Gespräche über eine Verständigung stattgefunden haben, ist zu Beginn der Hauptverhandlung erforderlich.

Hier wurde nicht gedealt!

Im Strafverfahren hat das Gericht zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung stattgefunden haben. Das Bundesverfassungsgericht hat nun ausdrücklich festgestellt, dass auch eine Negativmitteilung, dass keine solchen Gespräche stattgefunden haben, erforderlich ist. Gleichzeitig hat das Bundesverfassugnsgericht zwei entgegenstehende Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofs aufgehoben, da ihnen eine Auslegung der Strafprozessordnung zugrunde liegt, die für das Bundesverfassungsgericht unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar ist.

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Dem ersten hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren1 liegt ein Urteil des Landgerichts Braunschweig2 zugrunde, mit dem der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten verurteilt wurde. Im zweiten Verfahren3 wurde der Beschwerdeführer vom Landgericht Potsdam zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt4.

In beiden Fällen legten die Beschwerdeführer Revision ein und rügten unter anderem einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, weil das Landgericht es jeweils unterlassen habe, in öffentlicher Sitzung mitzuteilen, ob und ggf. welche Vorgespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten geführt wurden. Der Bundesgerichtshof verwarf beide Revisionen als unbegründet5.

Hierbei vertrat der Bundesgerichtshof die Ansicht, dass eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben. Dies zeige bereits ein Umkehrschluss aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach dem der Vorsitzende mitteile, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt, und erkläre sich auch aus dem Sinn und Zweck der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten. Die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten dienten der „Einhegung“ der den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften. Wenn aber überhaupt keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden hätten, sei das Regelungskonzept des § 257c StPO nicht tangiert. Soweit die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 78 Abs. 2 OWiG darauf hindeuteten, § 243 Abs. 4 StPO habe die Pflicht statuieren sollen, auch eine Nichterörterung mitzuteilen, habe dies im Gesetzestext letztlich keinen Ausdruck gefunden.

Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.20136. Zwar führe das Bundesverfassungsgericht – ohne auf den entgegenstehenden Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzugehen – aus, wenn zweifelsfrei feststehe, dass überhaupt keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben, könne ausnahmsweise (lediglich) ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ausgeschlossen werden7. Gleichzeitig betone das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass die Mitteilungspflicht nur dann eingreife, wenn bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum gestanden hätten8. Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, beim Fehlen von Vorgesprächen entfalle das Beruhen des Urteils auf dem Fehlen einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, sei daher einfachrechtlich nicht schlüssig, da nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift in diesem Fall bereits kein Rechtsfehler vorliege.

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Nach alledem bedürfe es einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht, wenn überhaupt keine oder nur solche Gespräche stattgefunden hätten, die dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen seien; das „Ob“ der Handlung stehe unter dem Vorbehalt des „Wenn“. Soweit das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Negativmitteilung“ verwendet habe, beziehe sich dieser nur auf gescheiterte Gespräche9.

Vor diesem Hintergrund müsse ein Revisionsführer, der eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügen wolle, – gegebenenfalls nach Einholung von Erkundigungen beim Instanzverteidiger – bestimmt behaupten und konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt Gespräche stattgefunden hätten, die auf eine Verständigung abgezielt hätten. Denn das bloße Fehlen einer Mitteilung reiche nach dem zuvor Ausgeführten nicht aus, um einen – vom Revisionsführer darzulegenden – Rechtsfehler zu begründen.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Das Bundesverfassungsgericht nahm in beiden Fällen die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und hob die Revisionsbeschlüsse des Bundesgerichtshof auf und verwies die Sachen zurück an den Bundesgerichthof.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verstößt das der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende Verständnis des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).

Willkürverbot und Gesetzesauslegung[↑]

Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits dann, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler aufweisen. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr in einem objektiven Sinne zu verstehen10.

Zur Gesetzesauslegung hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt11: Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist12. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen13. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte; vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf14. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen – möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen15. In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen16. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen17.

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Auslegung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO[↑]

Nach diesen Maßstäben ist die Auslegung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, wie sie der Revisionsentscheidung zugrunde liegt, wonach eine Mitteilungspflicht gemäß dieser Vorschrift nicht bestehe, wenn keine auf eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben, unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar. Sie verstößt in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen den eindeutigen objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.20136 herausgearbeitet wurde.

Der Wortlaut der sprachlich wenig geglückten Norm des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erscheint zwar auf den ersten Blick mehrdeutig (einerseits „ob“, andererseits „wenn“), lässt aber durch die weitere Formulierung „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt“ auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht auch für den Fall schließen, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben (sog. Negativmitteilungspflicht), weil es des Zusatzes „und wenn ja“ ansonsten nicht bedurft hätte. Da der Gesetzeswortlaut selbst bei einer Ersetzung des „ob“ durch ein „dass“ wegen der nachfolgenden konditionalen Doppelung („wenn“, „und wenn ja“) unverständlich bliebe, ist nicht das „ob“, sondern das „wenn“ als Redaktionsversehen einzuordnen und die Vorschrift dahingehend zu verstehen, dass der Vorsitzende mitteilt, ob Erörterungen stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt18.

Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wenn in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO von „Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung“ die Rede ist, lässt dies allein den Schluss zu, dass zu Beginn der Hauptverhandlung in jedem Fall eine Mitteilung – sei es positiv oder negativ – zu erfolgen hat. Eine klare Bestätigung dieser Sichtweise findet sich in § 78 Abs. 2 OWiG, der für die Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid folgende Sonderregelung trifft: „§ 243 Absatz 4 der Strafprozessordnung gilt nur, wenn eine Erörterung stattgefunden hat; § 273 Absatz 1a Satz 3 und Absatz 2 der Strafprozessordnung ist nicht anzuwenden.“

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Daraus ergibt sich im Umkehrschluss eindeutig, dass im „normalen“ Strafprozess eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch dann besteht, wenn keine Erörterung stattgefunden hat. Anderenfalls wäre § 78 Abs. 2 Halbsatz 1 OWiG sinnlos.

Auch die Materialien zum Verständigungsgesetz belegen eindeutig, dass der Gesetzgeber für den „normalen“ Strafprozess eine Negativmitteilungspflicht einführen wollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Verständigungsgesetzes19 heißt es bezüglich § 78 Abs. 2

OWiG: „Für diese wenigen „geeigneten“ Fälle ist es auch grundsätzlich gerechtfertigt, die im Strafverfahren aufgestellten prozessualen Anforderungen und Bedingungen auch im Bußgeldverfahren greifen zu lassen. Als eine nicht gerechtfertigte Anforderung erschiene es jedoch, auch den Regelfall, also das Unterlassen einer solchen Verständigung, protokollieren zu müssen; das gleiche gilt für die in § 243 Absatz 4 StPO-E enthaltene Pflicht, auch eine Nichterörterung mitzuteilen. In § 78 Absatz 2 OWiG-E wird daher die Protokollierungspflicht nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO-E für nicht anwendbar erklärt und die Mitteilungspflicht nach § 243 Absatz 4 StPO-E auf die Fälle beschränkt, in denen eine Erörterung im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden hat.“

Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der Einführung einer Negativmitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit folgenden Erwägungen entgegengetreten20: „Eine Mitteilung des Vorsitzenden, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung stattgefunden haben, ist weder erforderlich noch zweckmäßig. Nur für den Fall, dass Gespräche mit dem Ziel einer einvernehmlichen Absprache tatsächlich stattgefunden haben, besteht ein Bedürfnis, dies in der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung mitzuteilen und hierdurch transparent zu machen.“

Über Negativtatsachen braucht hingegen nicht berichtet zu werden, da diese nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sind. Dies entspricht auch dem Grundsatz der negativen Beweislast [sic!] des Protokolls über die Hauptverhandlung. Eine anderweitige Regelung stünde daher nicht im Einklang mit der Systematik des Strafverfahrens.

Dementsprechend hat der Bundesrat folgende abweichende Fassung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorgeschlagen: „Haben Erörterungen nach den §§ 202a, 212 zum Zwecke einer möglichen Verständigung (§ 257c) stattgefunden, so teilt der Vorsitzende dies und deren wesentlichen Inhalt mit.“

Dieser Vorschlag ist jedoch nicht Gesetz geworden. Es blieb vielmehr bei der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fassung.

Sinn und Zweck des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Regelungskonzepts, das die Schaffung umfassender Transparenz in Bezug auf Verständigungen im Strafprozess vorsieht21, sprechen ebenfalls für eine Negativmitteilungspflicht. Wie sich aus § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Verpflichtung zu expliziter „Fehlanzeige“ einer Verständigung der Transparenz und der Beachtung der gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung dienlich ist22.

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Abschiebung statt Entziehungsanstalt

Auch der Zweite Bundesverfassungsgericht des Bundesverfassungsgerichts legt die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dahingehend aus, dass sie eine Negativmitteilungspflicht beinhaltet23:

Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Absatz 4 Satz 1 StPO24 oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Absatz 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein […], sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand25. Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

Der vom Bundesverfassungsgericht hier verwendete Begriff der „Negativmitteilung“ bezieht sich – entgegen der Annahme des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 10.07.201326 tatsächlich um die Pflicht zur Mitteilung gescheiterter Verständigungsgespräche. Der nachfolgende Hinweis auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 30.08.201127 zeigt jedoch deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht gerade auch diejenigen Fälle gemeint hat, bei denen eine Mitteilung darüber unterblieben ist, dass keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben.

Soweit das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, dass Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO unterliegen28, ist damit nach dem Kontext der Gründe29 die Pflicht zur (Positiv-)Mitteilung des wesentlichen Inhalts von Gesprächen gemeint (vgl. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO: „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt“). Diese Aussage lässt daher nicht den Schluss zu, dass es bei lediglich organisatorischen Vorgesprächen keinerlei Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO bedarf, auch keiner Negativmitteilung.

Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Mmitteilungspflicht[↑]

Die Annahme, im vorliegenden Fall sei trotz Fehlens einer Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO jedenfalls ein Beruhen des erstinstanzlichen Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs. 1 StPO) auszuschließen, weil zweifelsfrei feststehe, dass es keinerlei Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben habe23, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Aufklärung der entsprechenden Verfahrenstatsachen nicht stattgefunden hat. Zwar trägt der Beschwerdeführer lediglich zu Gesprächen der Verteidiger mit dem Staatsanwalt und zu einem Gespräch zwischen dem Verteidiger des Mitangeklagten und dem beisitzenden Richter vor, dessen Einordnung als mitteilungspflichtige Erörterung nach den konkreten Umständen zweifelhaft sein mag. Dass es darüber hinaus im Vorfeld keinerlei Verständigungsgespräche gegeben hat, deren Inhalt nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilen gewesen wäre, kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers aber nicht zweifelsfrei entnommen werden.

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Verständigung im Strafprozess - und die vereinbarte Revisionsrücknahme

Ob ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des Gesetzes bei einem Verstoß gegen die Negativmitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch, wie der Beschwerdeführer meint, damit begründet werden könnte, dass sich der Angeklagte in dem Glauben befunden habe, es hätten Verständigungsgespräche stattgefunden, und ihn eine Negativmitteilung möglicherweise von der Abgabe eines Geständnisses abgehalten hätte, und ob ein solches Verständnis des Beruhens vom Schutzzweck des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO umfasst wäre, ist letztlich eine Frage des einfachen Rechts. Verfassungsrechtlich geboten erscheint dieses Verständnis jedenfalls nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits darauf hingewiesen, dass nach seiner Auslegung des Verständigungsgesetzes ein Ausschluss des Beruhens auch bei einem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand23, und dass diese Auslegung mit der Verfassung in Einklang steht30.

Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG[↑]

Ein Beruhen der Revisionsentscheidung auf dem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Bundesgerichtshof die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge möglicherweise auch bei Bejahung einer aus dieser Vorschrift folgenden Negativmitteilungspflicht als unzulässig angesehen hätte. Von einem Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf einer Grundrechtsverletzung ist bereits dann auszugehen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung des verletzten Grundrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Welche Darlegungsanforderungen der Bundesgerichtshof bei Bejahung einer Negativmitteilungspflicht an den Vortrag des Revisionsführers gestellt hätte und ob er hiernach die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge für zulässig erachtet hätte, kann durch das Bundesverfassungsgericht nicht beurteilt werden. Denkbar wäre es gewesen, keine über den – bereits im Fehlen jeglicher Mitteilung liegenden – Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hinausreichenden Anforderungen an die Darstellung des Verfahrensablaufs zu stellen und im Freibeweisverfahren aufzuklären, ob Gespräche stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand31. Ebenso hätte, einem Vorschlag des Generalbundesanwalts in der Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde folgend, verlangt werden können, dass die Revisionsbegründung mitteilt, über welche Kenntnisse und Hinweise bezüglich etwaiger Verständigungsgespräche der Revisionsverteidiger und der Angeklagte – gegebenenfalls nach zumutbarer Einholung entsprechender Auskünfte beim Instanzverteidiger32 – verfügen. Auch wenn es sich dabei um eine Ausnahme von dem revisionsrechtlichen Grundsatz handeln mag, dass der Revisionsführer zur Beruhensfrage nicht vorzutragen braucht, geht es hierbei doch letztlich um eine Frage des einfachen Rechts, über die das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat.

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Sicherungsverwahrung bei zu erwartenden Raubtaten mit Scheinwaffe

Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 26. August 2014 – 2 BvR 2172/13 und 2 BvR 2400/13

  1. BVerfG – 2 BvR 2172/13[]
  2. LG Braunschweig, Urteil vom 23.01.2013 – 2 KLs 11/12[]
  3. BVerfG – 2 BvR 2400/13[]
  4. LG Potsdam, Urteil vom 14.12 2012 – 25 KLs 12/12[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 22.08.2013 – 5 StR 310/13; und vom 17.09.2013 – 5 StR 258/13[]
  6. BVerfGE 133, 168 ff.[][]
  7. vgl. BVerfGE 133, 168, 223, Rn. 98[]
  8. BVerfGE 133, 168, 216, Rn. 85[]
  9. BVerfGE 133, 168, 223, Rn. 98 unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 05.10.2010 – 3 StR 287/10[]
  10. vgl. BVerfGE 62, 189, 192; 80, 48, 51; 86, 59, 62 f.; stRspr[]
  11. BVerfGE 133, 168, 205 f., Rn. 66[]
  12. vgl. BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130 f.; 105, 135, 157; stRspr[]
  13. vgl. BVerfGE 11, 126, 130; 105, 135, 157[]
  14. vgl. BVerfGE 122, 248, 283 – abw. M.[]
  15. vgl. BVerfGE 96, 375, 394 f.[]
  16. vgl. BVerfGE 78, 20, 24 m.w.N.[]
  17. vgl. BVerfGE 122, 248, 284 – abw. M.[]
  18. so zu Recht Frister, in: SK-StPO, 4. Aufl.2011, § 243 Rn. 43[]
  19. BT-Drs. 16/12310, S. 16[]
  20. BT-Drs. 16/12310, S. 18[]
  21. vgl. BVerfGE 133, 168, 214 ff., Rn. 80 ff.[]
  22. vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 15[]
  23. vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f., Rn. 98[][][]
  24. vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2010 – 3 StR 287/10, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.[]
  25. vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011 – 32 Ss 87/11[]
  26. BGH, Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 47/13 – nicht nur auf die Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche, sondern umfasst auch die Mitteilung darüber, dass es keine Verständigungsgespräche gegeben hat. Anderenfalls ergäbe der Rest des Satzes keinen Sinn, weil es ausgeschlossen ist, dass einerseits eine Mitteilung über gescheiterte Verständigungsgespräche geboten gewesen wäre, andererseits jedoch „zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand“. Zwar ging es in dem zunächst in Bezug genommenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.10.2010 ((BGH, Beschluss vom 05.10.2010 – 3 StR 287/10[]
  27. OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011 – 32 Ss 87/11[]
  28. vgl. BVerfGE 133, 168, 216, Rn. 84[]
  29. vgl. insbesondere BVerfG, a.a.O., Rn. 83[]
  30. vgl. BVerfGE 133, 168, 229 ff., Rn. 108 ff.[]
  31. so im Ergebnis BGH, Beschluss vom 03.09.2013 – 1 StR 237/13[]
  32. vgl. BVerfGK 6, 235, 237 f.[]