Freigabe von Überbrückungsgeld – für eine künstliche Befruchtung

Die tatbestandliche Voraussetzung des § 52 Abs. 3 JVollzGB III B-W (entsprechend § 51 StVollzG), dass das Überbrückungsgeld nur für Ausgaben in Anspruch genommen werden kann, die der Eingliederung des Gefangenen dienen, greift mit der „Eingliederung“ einen – gerichtlich voll überprüfbaren1 – Rechtsbegriff auf, der auch an anderen Stellen im baden-württembergischen Justizvollzugsgesetzbuch – wie zuvor schon im Strafvollzugsgesetz – Verwendung findet (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Nr. 1 JVollzGB III; § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) und namentlich an den in § 2 Abs. 4 JVollzGB III (der § 3 Abs. 3 StVollzG entspricht) niedergelegten Eingliederungsgrundsatz anknüpft.

Freigabe von Überbrückungsgeld – für eine künstliche Befruchtung

Dieser besagt letztlich nichts anderes, als dass dem Gefangenen durch den Vollzug und seine Maßnahmen eine Teilnahme an dem Leben in Freiheit ermöglicht werden soll und umfasst damit auch Hilfen, die nicht unmittelbar der Verhinderung erneuter Straffälligkeit dienen2.

Von den einer Eingliederung dienenden Maßnahmen sind danach insbesondere reine Konsumhandlungen und ausschließlich der Befriedigung privater Bedürfnisse der Gefangenen dienende Investitionen abzugrenzen – etwa die Anschaffung eines Fernsehgeräts3, einer Fernsehantenne4 oder eines Wasserkochers5. Eine sinnvolle und gebotene Beschränkung des dadurch eröffneten weiten Anwendungsbereichs des § 52 Abs. 3 JVollzGB III ist dagegen erst im Rahmen des der Anstalt eröffneten Folgeermessens vorzunehmen6.

Bei der Anwendung dieser Maßstäbe dienen die im hier entschiedenen Fall streitigen Maßnahmen zur Familienplanung der Eingliederung des Strafgefangenen, da der Aufbau sozialer und insbesondere familiärer Strukturen fraglos der Integration des Gefangenen in die Gesellschaft nützlich ist. Dem steht die Menschenwürde des zu zeugenden Kindes schon deshalb nicht entgegen, weil ein Verstoß hiergegen nur in Betracht käme, wenn das Kind zum bloßen Objekt des Handelns degradiert würde. Feststellungen dazu, dass der Kinderwunsch des Strafgefangenen und seiner Ehefrau allein dadurch motiviert wäre, Vollzugslockerungen zu erreichen, hat die Strafvollstreckungskammer indes nicht getroffen.

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Das im Rahmen des § 52 Abs. 3 JVollzGB III auszuübende Ermessen wird im Übrigen maßgeblich einerseits durch den Charakter als Ausnahme gegenüber der in § 52 Abs. 1 JVollzGB III aufgestellten Regel, wonach das Überbrückungsgeld den notwendigen Lebensunterhalt der Gefangenen und ihrer Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll, bestimmt7. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die sich aus § 53 JVollzGB III ergebenden Verfügungsbeschränkungen in das Eigentumsgrundrecht des Gefangenen eingreifen und daher nur gerechtfertigt sind, soweit sie zur Sicherung des Zwecks, für den das Überbrückungsgeld zu bilden ist, geboten sind8.

Von maßgeblicher Bedeutung kann danach sein, ob das Überbrückungsgeldsoll auch bei einer Bewilligung des Rückgriffs auf den vorhandenen Betrag bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt wieder erreicht werden kann9, oder umgekehrt die Maßnahme aus anderen – verfügbaren – Mitteln finanziert werden kann10. Soweit der Gefangene vorhandene Mittel in Kenntnis des Bedarfs verbraucht hat, neigt das Oberlandesgericht zu der Auffassung, dass dies einer Freigabe des Überbrückungsgelds nicht von vorneherein entgegensteht, aber in die Ermessensabwägung mit einbezogen werden darf. Darüber hinaus sind die Bedeutung der zu finanzierenden Maßnahme für die Integration des Gefangenen und ihre Dringlichkeit in Bezug zu der eigentlichen Zweckbestimmung des Überbrückungsgelds, den Lebensunterhalt nach der Entlassung zu sichern, in Bezug zu setzen und gegeneinander abzuwägen. Im vorliegenden Fall wird auch zu berücksichtigen sein, ob die Finanzierung ggf. erforderlicher weiterer Maßnahmen bei der Umsetzung des Kinderwunsches im Weg künstlicher Befruchtung gesichert ist.

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Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 6. Mai 2013 – 1 Ws 33/13 L

  1. vgl. dazu OLG Bremen StV 1984, 166; OLG Hamm NStZ 1985, 573; Kamann/Spaniol in Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl.2012, § 115 Rn. 29 – jeweils zu § 8 StVollzG[]
  2. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl.2008, § 3 Rn. 7 f.[]
  3. OLG Celle, Beschluss vom 02.01.1991 – 1 Ws 278/90, bei juris[]
  4. OLG Hamm, Beschluss vom 01.06.1987 – 1 Vollz (Ws) 57/87[]
  5. OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2003 – 1 Ws (Vollz) 3/03, bei juris[]
  6. vgl. dazu OLG Hamm, a.a.O., und Beschluss vom 16.06.1994 – 1 Vollz (Ws) 117/94; OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186 und 1983, 310 – jeweils zu § 51 StVollzG[]
  7. vgl. OLG Karlsruhe, ZfStrVo 1988, 371; OLG Hamm, a.a.O., OLG Frankfurt, a.a.O. – jeweils zu § 51 StVollzG; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O., § 51 Rn. 7; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl.2009, § 51 Rn. 14; Arloth, StVollzG, 3. Aufl.2011, § 51 Rn. 10[]
  8. vgl. OLG Hamburg ZfStrVo 2003, 118[]
  9. vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 310; OLG Hamburg, a.a.O.; Däubler/Galli in Feest/Lesting, a.a.O., § 51 Rn. 13[]
  10. vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 2006, 62; OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 186; Däubler/Galli, a.a.O.[]