Verständigungsgespräche im Zwischenverfahren – und die Mitteilungspflicht des Gerichts

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ist der Vorsitzende verpflichtet, zu Beginn der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes und vor der Belehrung und Vernehmung des Angeklagten zur Sache mitzuteilen, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt.

Verständigungsgespräche im Zwischenverfahren – und die Mitteilungspflicht des Gerichts

Die Mitteilungspflicht greift bei sämtlichen Vorgesprächen ein, die auf eine Verständigung abzielen; die Mitteilung bloß des letzten zwischen den Verfahrensbeteiligten geführten Gesprächs reicht nicht aus1.

Solche Verständigungsgespräche liegen vor, wenn das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit Strafzumessungsfragen oder gar konkrete Vorstellungen zum Strafmaß thematisiert werden2. Die Mitteilungspflicht bezieht sich dabei auch auf erfolglos gebliebene Gespräche. In einem solchen Fall ist jedenfalls über den Verständigungsvorschlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten zu informieren3.

Nach diesen Grundsätzen unterlag das von der Strafkammer, wenngleich in anderer Besetzung, mit den Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren geführte Gespräch der Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, da die Strafkammer mit den Verfahrensbeteiligten erörtert hat, dass eine Bewährungsstrafe dann möglich sei, wenn sich der Angeklagte zu bestimmten Anklagevorwürfen geständig zeige. Insbesondere handelte es sich bei dem Gespräch, das in Anwesenheit der gesamten Strafkammer stattgefunden hat, nicht etwa lediglich um „sondierende Äußerungen“ nur eines Mitglieds des Spruchkörpers4.

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An der Mitteilungspflicht ändert sich auch durch die zwischen dem Vorgespräch und der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte vollständige Neubesetzung der Strafkammer nichts. Schon aus dem Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Verständigungsgespräche, die mit dem Gericht in anderer Besetzung geführt worden sind, nicht von der Mitteilungspflicht erfasst wären. Ein Wechsel der Gerichtsbesetzung im Zeitraum zwischen Eingang der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist gesetzlich zulässig und insbesondere bei länger andauernden Zwischenverfahren keine Seltenheit. Schon im Hinblick auf die Regelung des § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG (reduzierte Besetzung der Strafkammern) und im Hinblick auf die fehlende Beteiligung der Schöffen bei Vorgängen außerhalb der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) besteht zwischen der Besetzung der Kammer im Zwischenverfahren einerseits und im Hauptverfahren andererseits regelmäßig keine Identität.

Gleichwohl hat der Gesetzgeber darin keinen Anlass gesehen, die Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzuschränken. Gegen eine solche Ausnahme spricht insbesondere der Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher auf eine Verständigung abzielenden Vorgespräche dient neben der notwendigen Information der Öffentlichkeit vor allem der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen – ebenso wie die Schöffen – in der Regel nicht anwesend ist5. Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten eine wirksame Kontrolle von Verständigungen sichergestellt werden6. Zudem ist es für die Willensbildung des Angeklagten von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten Verständigungsgespräche informiert wird7. Mit diesem Schutzzweck wäre es nicht vereinbar, in dem Umstand, dass die Besetzung der Strafkammer zwischen dem Gespräch und der Hauptverhandlung hinsichtlich eines oder auch sämtlicher Richter gewechselt hat, einen Grund für den Ausschluss der Mitteilungspflicht zu sehen.

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Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.

Ein Mangel des Verfahrens an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß nicht auszuschließen ist8. Dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren liegt ein einheitliches Regelungskonzept zugrunde, nach dem der grundsätzlichen Zulassung von Verständigungen auf der anderen Seite Schutzmechanismen gegenüberstehen, namentlich Transparenz- und Dokumentationspflichten des Gerichts, die u.a. eine effektive Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen6. Dies hat zur Folge, dass jeder Verstoß gegen derartige Vorschriften die Verständigung insgesamt „bemakelt“ und damit zur Rechtswidrigkeit der Verständigung führt9. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzeswidrige Verständigung, beruht auch das Urteil regelmäßig auf dem Verfahrensverstoß.

Das Gericht hat das vom Angeklagten nach einer unter Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zustande gekommenen Verständigung abgelegte Geständnis verwertet und seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Das Urteil beruht daher auf einer rechtswidrigen Verständigung10.

Umstände, die zur Annahme eines Ausnahmefalls, in dem ein Beruhen auszuschließen wäre, führen könnten, sind nicht ersichtlich.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 4 StR 126/14

  1. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218; Beschluss vom 08.10.2013 – 4 StR 272/13, StV 2014, 67; Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 313 f.[]
  2. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 52c[]
  3. BGH, Beschluss vom 09.04.2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417; KK-StPO/Schneider, 7. Aufl., § 243 Rn. 37[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 20.10.2010 – 1 StR 400/10, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Hinweis 1[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218[]
  6. BVerfG, NStZ 2013, 295, 297 f.[][]
  7. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, aaO[]
  8. BVerfG, NStZ 2013, 295, 298; BGH, Urteile vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218; und vom 10.07.2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 313[]
  9. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218, aaO[]
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