Berufsfachschule für Physiotherapeuten – und die staatliche Anerkennung

In Niedersachsen existiert keine Rechtsgrundlage für einen Verwaltungsakt, mit dem die staatliche Anerkennung einer Berufsfachschule für Physiotherapie nachträglich geändert oder ergänzt wird.

Berufsfachschule für Physiotherapeuten – und die staatliche Anerkennung

Jeder Verwaltungsakt, der die Rechte des von ihm Betroffenen gestaltet, bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dieser Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes1 und ist nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Verwaltung der Länder verbindlich. Ihm wird nur dann Rechnung getragen, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden ist, die den in Frage stehenden Sachverhalt des behördlichen Tätigwerdens nach allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung erfasst und dabei inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Dieser Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verpflichtet danach auch den Landesgesetzgeber, in grundrechtsrelevanten Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen, wobei es dem Gesetzgeber allerdings nicht von vornherein verwehrt ist, Generalklauseln zu verwenden und Spielräume zu eröffnen2.

Dies gilt auch für die Grundrechtsrelevanz behördlicher Regelungen der Statusangelegenheiten von Privatschulen, an denen nach § 9 Satz 2 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG)3 eine Ausbildung durchgeführt werden kann, welche zur Erteilung der Erlaubnis des Führens der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ oder „Physiotherapeut“ führt. Die durch eine Behörde verliehene staatliche Anerkennung solcher Schulen wird in § 9 Satz 2 MPhG vorausgesetzt. Sie ist damit zwingender Bestandteil der aufgrund des Bundesgesetzes gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geregelten Berufsausbildung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und schränkt im Verhältnis zu den Berufsbewerberinnen und -bewerbern die Freiheit der Wahl des so bezeichneten Berufs durch die Vorgabe einer bestimmten Schulart ein. Im Verhältnis zum Schulträger schränkt das Erfordernis einer staatlichen Anerkennung von Schulen, die errichtet werden, um Schülerinnen und Schüler für den Beruf mit der Bezeichnung „Physiotherapeutin“ bzw. „Physiotherapeut“ auszubilden, unmittelbar das Grundrecht der Privatschulfreiheit aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG ein. § 9 Satz 2 MPhG setzt mit der staatlichen Anerkennung einen behördlichen Rechtsakt voraus, mit welchem diesen Schulen der Status von Ausbildungsstätten für die in den §§ 9 ff. MPhG geregelte Berufsausbildung verliehen wird. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verlangt deshalb, dass durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung geregelt wird, welche Behörde über die staatliche Anerkennung dieser Schulen entscheidet und welche inhaltlichen Voraussetzungen, die sich nicht bereits aus den bundesrechtlichen Ausbildungsregelungen ergeben, für die Verleihung der Eigenschaft einer staatlich anerkannten Schule erfüllt sein müssen.

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Aus dem MPhG lässt sich eine entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Verwaltungsakten, welche die Voraussetzungen einer staatlichen Anerkennung in Bezug auf die Anforderungen an die Beschäftigungsverhältnisses der Schulleitungen und die Gestaltung und Gliederung der in der gemäß § 13 MPhG erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV)4 im Einzelfall verbindlich regelt, nicht herleiten. Dasselbe gilt für die Frage, welche Behörde des Landes Niedersachsen für den Erlass solcher Verwaltungsakte zuständig wäre. Vielmehr beschränkt sich der Bundesgesetzgeber in § 14 Abs. 1 und 2 MPhG darauf zu bestimmen, welches Land jeweils die Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 4 MPhG und nach § 6 Abs. 2 oder § 12 MPhG zu treffen hat. Hat aber der Bundesgesetzgeber insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr.19 GG keinen Gebrauch gemacht, ist die Regelung der Zulassung der Physiotherapeutenschulen sowie der Eingriffsmöglichkeiten der Schulaufsicht gemäß Art. 72 Abs. 1 GG eine Aufgabe der Gesetzgebung der Länder, denen hinsichtlich der staatlichen Anerkennung die Fachaufsicht für die Physiotherapeutenschulen obliegt.

In Niedersachsen fehlt es vollständig an einer gesetzlichen Regelung der staatlichen Schulaufsicht über die Berufsfachschulen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und deren Inhalt (Art. 7 Abs. 1 GG). Aus dem gemeinsamen Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums und anderer oberster Landesbehörden „Zuständige Behörde für andere als ärztliche Hilfsberufe“5 ergibt sich nur, dass die Niedersächsische Landesschulbehörde mit Verbindlichkeit für die Praxis der Landesverwaltung zur zuständigen Behörde für die in § 14 MPhG genannten Gegenstände der gegenüber den Ausgebildeten bzw. Auszubildenden zu treffenden Erlaubnis, Verkürzungs- und Anrechnungsentscheidungen und für die Anwendung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten bestimmt worden ist. Im Übrigen existiert auch eine Verwaltungsvorschrift, welche die zuständige Behörde übergangsweise bis zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen ermächtigen könnte, die rechtlichen Verhältnisse einer staatlich anerkannten Schule für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten hoheitlich zu gestalten, im Land Niedersachsen nicht.

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Auf die im Niedersächsischen Schulgesetz (NSchG) verankerten Regelungen über die von den Schulbehörden wahrgenommene staatliche Schulaufsicht (§§ 120, 167 NSchG) kann als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die nachträgliche Änderung und Ergänzung der staatlichen Anerkennung von Physiotherapeutenschulen nicht zurückgegriffen werden. Sie sind, soweit das NSchG in seinem Elften Teil bestimmte Anforderungen an die Schulleitungen und den Unterricht an Schulen in freier Trägerschaft stellt, auf die Rechtsverhältnisse von Schulen im Sinne von § 9 Satz 2 MPhG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Bezüglich der staatlich anerkannten Physiotherapeutenschulen A. -Schulen G. und Schulen F. E. besteht zwar die Besonderheit, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Betreiberin und dem Land Niedersachsen durch das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28.11.20016 insoweit rechtskräftig geklärt ist, als es sich bei beiden Schulen um Ersatzschulen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG handelt, für die das Land Niedersachsen rechtswidrig nicht den Zugang zu einem Genehmigungsverfahren nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, 4 Abs. 3 Nds. Verfassung (NV) eröffnet hat. Daraus allein ergibt sich aber noch nicht die Möglichkeit einer analogen Anwendung der Regelungen des NSchG auf die staatliche Schulaufsicht über die Berufsfachschulen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Denn der Landesgesetzgeber hat in § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG ausdrücklich festgelegt, dass das NSchG auf diese Schulen keine Anwendung findet. Mit der abschließenden Aufzählung der in § 1 Abs. 5 Satz 2 NSchG namentlich genannten Rückausnahmen ist das Gesetz in diesem Punkt auch nicht lückenhaft, denn der Landesgesetzgeber hat sich bei der Einführung der Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG durch das Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten7 bewusst dafür entschieden, die vorhandenen Schulen für Physiotherapie nicht in den Geltungsbereich des NSchG einzubeziehen. Er hat die bis zum Erlass jenes Gesetzes geltende Verordnungsermächtigung zur Einbeziehung dieser Schulen in den Geltungsbereich des NSchG aufgehoben, um zu verhindern, dass sich Schulträger „in den Geltungsbereich des NSchG einklagen und damit erhebliche Finanzhilfeansprüche auslösen“8.

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Außerhalb des Anwendungsbereichs des NSchG gibt es ebenfalls keine Rechtssätze, welche die Beklagte dazu ermächtigten, den freien Trägern von Berufsfachschulen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im Wege des Verwaltungsakts bestimmte Mindestanforderungen in Gestalt von hauptberuflich tätigen Schulleitungen, ferner die Beachtung des Erlasses des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 13.04.20109 oder eine bestimmte Gestaltung und Gliederung der gesetzlich vorgegebenen Lehrgänge aufzugeben.

Der den schulbehördlichen Bescheiden über die Verleihung der Eigenschaft staatlich anerkannter Schulen – zum Teil nachträglich – beigefügte allgemeine Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage, „sofern es im Interesse der Ausbildung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder im sonstigen Interesse geboten sei“, lässt sich als Ermächtigungsgrundlage für die inhaltliche Änderung und Ergänzung der staatlichen Anerkennungen nicht heranziehen. Mit der Erklärung, dass einem begünstigenden Verwaltungsakt nach § 36 Abs. 2 Nr. 5 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nds. Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) ein Auflagenvorbehalt beigefügt wird, wird keine selbständige Rechtsgrundlage für die Änderung oder Ergänzung des Verwaltungsakts geschaffen. Mit einem Auflagenvorbehalt bringt die Behörde in rechtlicher Hinsicht nur zum Ausdruck, dass sich der Begünstigte im Fall einer nachträglich verfügten Auflage gegenüber der damit verbundenen Einschränkung seiner Rechtsstellung nicht auf Vertrauensschutz (§ 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG) berufen kann10.

Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 28. Mai 2014 – 6 A 6162/13

  1. BVerfG, Beschl. vom 09.05.1972, BVerfGE 33, 125 ff., 163 = DÖV 1972 S. 748[]
  2. vgl. BVerfG, Urt. vom 24.05.2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 ff. = NVwZ 2006 S. 807 ff.[]
  3. vom 26.05.1994, BGBl. I S. 1084, zuletzt geändert durch Artikel 45 des Gesetzes vom 06.12.2011, BGBl. I S. 2515[]
  4. vom 06.12.1994, BGBl. I S. 3786; zuletzt geändert durch Art. 13 der Verordnung vom 02.08.2013, BGBl. I S. 3005[]
  5. vom 23.11.2004, Nds. MBl. S. 866[]
  6. Nds. OVG, Urteil vom 28.11.2001 – 13 L 2847/00[]
  7. vom 02.07.2003, Nds. GVBl. S. 244[]
  8. vgl. Nds. Landtag, Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP vom 10.03.2003, LT-Drs. 15/30 S. 15[]
  9. Nds. MBl. S. 553[]
  10. vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 36 Rdnr. 89[]
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