Enteignung zukünftiger Verkehrsflächen

Die in einem iso­lier­ten Stra­ßen­be­bau­ungs­plan als Ver­kehrs­flä­chen fest­ge­setz­ten Flä­chen kön­nen nur auf der Grund­la­ge des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ent­eig­net wer­den, wenn ent­eig­net wer­den soll, um sie ent­spre­chend den Fest­set­zun­gen des Be­bau­ungs­plans als Ver­kehrs­flä­chen zu nut­zen. An­de­re als städ­te­bau­li­che Ent­eig­nungs­vor­schrif­ten wer­den auf­grund der Sperr­wir­kung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB als Ent­eig­nungs­grund­la­ge ver­drängt. Un­er­heb­lich ist, wel­che Zwe­cke der Vor­ha­ben­trä­ger mit der Ver­wirk­li­chung der fest­ge­setz­ten Nut­zung ver­bin­det.

Enteignung zukünftiger Verkehrsflächen

Die in einem isolierten Straßenbebauungsplan als Verkehrsflächen festgesetzten Flächen können nur auf der Grundlage des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB enteignet werden, wenn enteignet werden soll, um diese Flächen als Verkehrsflächen zu nutzen.

Sind die zu enteignenden Grundflächen durch einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 3 BauGB festgesetzt worden sind, der nur Festsetzungen über die Verkehrsflächen, den Straßenkörper, das Zubehör und eventuell über grünordnerische Flächen enthält, ist die damit bezweckte Planung einer Ortsumgehungsstraße im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB aus städtebaulichen Gründen erforderlich, und sollen die betreffenden Flächen für den Bau der geplanten Ortsumgehungsstraße in Anspruch genommen werden, so bietet unter diesen Voraussetzungen § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, der die Enteignung zulässt, um ein Grundstück entsprechend den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten, eine geeignete Grundlage für die städtebauliche Enteignung. Eine Enteignung auf landesrechtlicher Rechtsgrundlage ist gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung bleiben zwar „die Vorschriften über die Enteignung zu anderen als den in Absatz 1 genannten Zwecken“ unberührt. Mit der Enteignung zur Verwirklichung der durch Bebauungsplan festgesetzten Straßenverkehrsflächen wird aber kein anderer, sondern gerade der in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genannte Zweck verfolgt. Ein Wahlrecht zwischen städtebaulicher und sonstiger Enteignungsgrundlage räumt das Gesetz nicht ein.

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Der Wortlaut des § 85 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BauGB bringt diese Rechtsfolge klar und unmissverständlich zum Ausdruck.

Hiernach ist für die Abgrenzung zu anderen als städtebaulichen Enteignungsvorschriften allein maßgeblich, ob der mit einem Vorhaben konkret verfolgte Enteignungszweck in § 85 Abs. 1 BauGB „genannt“ ist. Ist das der Fall, kann nur auf städtebaulicher Grundlage enteignet werden. Andere als städtebauliche Enteignungsvorschriften bleiben in diesem Fall nicht „unberührt“; sie sind angesichts der in § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zum Ausdruck kommenden Exklusivität städtebaulicher Enteignungszwecke und vorbehaltlich der Regelung in § 85 Abs. 2 Nr. 2 BauGB als Rechtsgrundlage für die Enteignung grundsätzlich gesperrt1. Ist demgegenüber der mit dem Vorhaben verfolgte Zweck in § 85 Abs. 1 BauGB nicht „genannt“, ist der Weg der städtebaulichen Enteignung2 versperrt; § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB steht einer Enteignung auf anderer als städtebaulicher Grundlage nicht entgegen.

„Genannt“ ist in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB der Zweck, zu enteignen, um „entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten“. Dieser Zweck der städtebaulichen Enteignung dient der Planverwirklichung3. Der Bebauungsplan, dessen Aufgabe es ist, die bauliche oder sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde zu leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB), ist auf Umsetzung angelegt. Er bildet gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 BauGB die Grundlage für weitere, zum Vollzug des Baugesetzbuchs erforderliche Maßnahmen. Vollzugsinstrument ist unter anderem die städtebauliche Enteignung gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB4. Soll zur Verwirklichung der Festsetzungen eines Bebauungsplans enteignet werden, wird kein anderer, sondern gerade der in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genannte Zweck verfolgt. Infolgedessen greift auch die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Andere als städtebauliche Enteignungsvorschriften bleiben in diesem Fall nicht „unberührt“ und werden als Enteignungsgrundlage verdrängt.

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Das bedeutet nicht, dass andere als städtebauliche Enteignungsgrundlagen allein durch die Existenz eines Bebauungsplans stets und ausnahmslos verdrängt würden. § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt voraus, dass gerade zur Verwirklichung der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung enteignet werden soll. Soll zur Verwirklichung einer anderen als der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung enteignet werden, ist § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB tatbestandlich nicht einschlägig und steht deshalb als Rechtsgrundlage für die Enteignung nicht zur Verfügung. Folglich tritt auch die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht ein. Die Unzulässigkeit einer Enteignung auf anderer als städtebaulicher Grundlage kann sich in diesem Fall allerdings daraus ergeben, dass die mit der Enteignung verfolgte Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht und deshalb gemäß § 30 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig ist.

Diese auf den Wortlaut gestützte Auslegung wird durch Sinn und Zweck der Vorschriften über die städtebauliche Enteignung untermauert.

Die städtebauliche Enteignung zur Planverwirklichung ist streng planakzessorisch5. Durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans legt die planende Gemeinde verbindlich fest, zur Verwirklichung welcher konkreten Nutzungen auf der Grundlage des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB enteignet werden darf. Aufgrund der Besonderheiten des Bebauungsplans als Planungsinstrument wird die Gemeinwohlbindung der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, § 87 Abs. 1 BauGB) dabei in spezifischer Weise sichergestellt. Eine spezifisch städtebauliche Begrenzung des Enteignungszwecks ergibt sich aus dem Numerus clausus bauleitplanerischer Festsetzungen (§ 9 Abs. 1 bis 3 BauGB), der es der planenden Gemeinde etwa verwehrt, im Rahmen der Konfliktbewältigung auf das Instrumentarium der Planfeststellung zurückzugreifen6. Spezifischen Anforderungen unterliegt ferner die städtebauliche Abwägung (§ 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 3 BauGB), an deren planerische Bewertungen die Enteignungsbehörde im Rahmen der städtebaulichen Enteignung gebunden ist7. Spezifisch sind schließlich die Rechtswirkungen der städtebaulichen Planung; eine enteignungsrechtliche Vorwirkung kommt ihr – im Unterschied zur Planfeststellung – nicht zu8.

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All diese Spezifika sprechen für eine Verzahnung von Enteignungsgrundlage und Planungsinstrument, wie sie etwa in § 19 Abs. 1 Satz 2 FStrG zum Ausdruck kommt. Andernfalls wären Brüche an den Schnittstellen zwischen Planung und Enteignung zu besorgen. Erst recht würde das städtebauliche Entscheidungssystem konterkariert, wenn ein durch Planung konkretisierter städtebaulicher Enteignungszweck durch die Wahl nicht plangebundener Enteignungsgrundlagen beiseite geschoben und durch administrative Zweckfestlegungen ersetzt werden könnte. All dies spricht dafür, dass die städtebauliche Enteignung im Fall des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht nur akzessorisch an die Festsetzungen der städtebaulichen Planung gebunden ist, sondern dass umgekehrt das städtebauliche Planungsinstrument auch die Wahl der städtebaulichen Enteignungsgrundlage determiniert mit der Folge, dass für eine durch Bebauungsplan geplante Straße auch nur im Wege der städtebaulichen Enteignung enteignet werden kann. Städtebauliche Planungsentscheidungen „transformieren“ die Enteignung in das Städtebaurecht.

Ist für die Sperrwirkung des § 85 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BauGB mithin allein maßgeblich, ob enteignet werden soll, um die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzung zu verwirklichen, weil nur dieser Zweck in § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB „genannt“ ist, kommt es auf die Zwecke, die der Vorhabenträger mit der Verwirklichung der Festsetzungen verbindet, nicht an. Unerheblich ist deshalb, ob sich „andere Zwecke“ in der konkreten Verfolgung eines Vorhabens mit „gleichgerichteten städtebaulichen Zwecken“ treffen und welches Gewicht die städtebaulichen Zwecke im Vergleich zu den nicht städtebaulichen Zwecken jeweils haben, etwa, ob der Straßenbaulastträger mit der Verwirklichung der festgesetzten Straßenverkehrsfläche im Schwergewicht städtebauliche oder aber straßenrechtliche Zwecke verfolgt. Soweit der Senat hieran anknüpfend in einem Obiter dictum9 die Auffassung vertreten hatte, nur wenn feststehe, dass ausschließlich zu einem städtebaulichen Zweck enteignet werde, oder wenn nach den Umständen des Einzelfalls von „anderen Zwecken“ ernsthaft nicht die Rede sein könne, seien allein die §§ 85 ff. BauGB anzuwenden, ist daran nur mit der Maßgabe festzuhalten, dass diese Voraussetzungen im Falle des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ohne Weiteres erfüllt sind.

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Die Möglichkeit einer Umdeutung des streitgegenständigen Verwaltungsaktes in solche nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls im Einklang mit Bundesrecht abgelehnt. Ein Auswechseln der Rechtsgrundlage ist nicht zulässig, weil die Verwaltung wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) nur dasjenige Enteignungsgesetz anwenden darf, das der nach der Kompetenzordnung zuständige Gesetzgeber erlassen hat10.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 4 C 6.11

  1. vgl. z.B. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl.2009, § 85 Rn. 9 m.w.N.[]
  2. ungeachtet der im Baugesetzbuch geregelten sonstigen Enteignungszwecke, vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juni 2010, § 85 Rn. 3 ff.[]
  3. Halama, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand November 2012, § 85 Rn. 12[]
  4. Philipp, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Stand November 2012, § 8 Rn. 7[]
  5. BGH, Urteil vom 16.12.1982 – III ZR 141/81 – DVBl 1983, 627; Halama, a.a.O. § 85 Rn. 18 und § 87 Rn. 34[]
  6. vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 17.05.1995 – 4 NB 30.94, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82; BayVGH, Urteil vom 29.06.2006 – 25 N 99.3449 – BayVBl 2007, 429[]
  7. vgl. Halama, a.a.O. § 87 Rn. 34[]
  8. stRspr, z.B. BVerwG, Urteil vom 27.08.2009 – 4 CN 5.08, BVerwGE 134, 355 Rn. 24 m.w.N.[]
  9. BVerwG, Urteil vom 06.03.1987 – 4 C 11.83, BVerwGE 77, 86, 89[]
  10. BVerfG, Urteil vom 10.03.1981 – 1 BvR 92, 96/71, BVerfGE 56, 249, 262[]
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