Prozesskostenhilfe, Hauptsacheentscheidung – und die Begründungsmaßstäbe

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Entscheidung in der Sache unterliegen unterschiedlichen Begründungsmaßstäben.

Prozesskostenhilfe, Hauptsacheentscheidung – und die Begründungsmaßstäbe

Das Recht auf effektiven Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art.19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes1. Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Jedoch überschreiten die Fachgerichte ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen2. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen3. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in dem dafür vorgesehenen Verfahren zugeführt werden können4. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen3.

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO – hier in Verbindung mit § 166 VwGO – obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsgebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben5. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruhen6.

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Diesem Maßstab wurde in dem hier vom Bundesverfassungsgericht beurteilten Fall die PKH versagende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier7 nicht gerecht: Sie lassen in der Begründung insbesondere nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe angemessen berücksichtigt hat. Der Beschluss vom 16.08.2013 enthält zunächst auf über sechs Seiten Ausführungen zu den Erfolgsaussichten des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO. Darin setzt sich das Verwaltungsgericht mit der gegenteiligen, wohl überwiegenden Auffassung anderer Verwaltungsgerichte auseinander, bei deren Zugrundelegung der Antrag des Beschwerdeführers auf Eilrechtsschutz erfolgreich gewesen wäre, und lehnt diese Auffassung ab. Im Anschluss stellt das Verwaltungsgericht mit zwei geringfügig abweichenden Formulierungen fest, dass Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen sei, weil keine hinreichende Erfolgsaussicht bestehe. In dem die Gegenvorstellung zurückweisenden Beschluss hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass zu einer abweichenden Beurteilung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe einerseits und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes andererseits kein Anlass bestanden habe, nachdem beide zeitgleich entscheidungsreif geworden seien.

Das Verwaltungsgericht hat hiermit gegen die aus Art.19 Abs. 4 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben verstoßen. Dies gilt zunächst für den Beschluss vom 16.08.2013. Zwar ist es dem Grunde nach zulässig, dass die Entscheidungen über Prozesskostenhilfe und den Eilrechtsschutzantrag in einem Beschluss ergehen. Es ist auch von Verfassungs wegen nicht generell ausgeschlossen, dass die Begründung zur Ablehnung von Prozesskostenhilfe lediglich auf die Ausführungen zur Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO Bezug nimmt8.

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Dies ändert aber nichts daran, dass die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Sache unterschiedlichen Maßstäben unterliegen und dass sich – wie hier – aus den Umständen des Einzelfalls die Notwendigkeit einer separaten Begründung der Ablehnung von Prozesskostenhilfe ergeben kann. Eine derartige gesonderte Begründung für das Fehlen hinreichender Erfolgsaussichten wäre vorliegend erforderlich gewesen, weil es für den Zugang des Beschwerdeführers zu gerichtlichem Rechtsschutz von entscheidender Bedeutung ist, dass wohl die Mehrzahl der publizierten Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte die sich in der Sache stellende Frage in einem für den Beschwerdeführer positiven Sinn entschieden hatte. Zwar hätte dies das Verwaltungsgericht – auch bei einer obergerichtlich nicht entschiedenen Rechtsfrage – für sich genommen noch nicht zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe verpflichtet. Es hätte jedoch zumindest einer – aus einer Sicht ex ante vorzunehmenden – Prüfung und gesonderten Darlegung bedurft, ob und warum eine schwierige und ungeklärte Rechtsfrage vorlag, für deren Klärung Prozesskostenhilfe zu bewilligen gewesen wäre.

Auch mit der Begründung in dem Beschluss vom 12.09.2013 über die Gegenvorstellung verfehlt das Verwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Es steht der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht im Wege, dass sich der Richter, bevor er über den Antrag entscheidet, eine abschließende Meinung zu der rechtlichen Lösung des Falles gebildet hat. Denn für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Rechtsschutzgleichheit nicht auf die Auffassung des Richters nach Abschluss seiner rechtlichen Überlegungen, sondern auf jene des verständigen, unbemittelten Rechtssuchenden bei Klageerhebung an. Dies bedeutet, dass bei einer zeitgleichen Entscheidung über den Eilrechtsschutzantrag und den zugehörigen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe die Möglichkeit bestehen und durch das Verwaltungsgericht berücksichtigt werden muss, dass der Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz abgelehnt und gleichwohl Prozesskostenhilfe bewilligt wird, wenn der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur in einer ex-ante-Perspektive hinreichende Erfolgsaussichten besitzt.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Juli 2016 – 2 BvR 2231/13

  1. vgl. BVerfGE 78, 104, 117 f.; 81, 347, 356 m.w.N.[]
  2. vgl. BVerfGE 81, 347, 356 f.[]
  3. vgl. BVerfGE 81, 347, 357[][]
  4. BVerfG, Beschluss vom 17.02.2014 – 2 BvR 57/13 10[]
  5. vgl. BVerfGE 81, 347, 357; BVerfGK 17, 149, 152[]
  6. vgl. BVerfGE 81, 347, 357 f.[]
  7. VG Trier, Beschluss vom 16.08.2013 – 5 L 1018/13.TR[]
  8. vgl. allerdings auch mit Blick auf die einfach-rechtlichen Folgeprobleme kritisch: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.11.2004 – 7 S 2219/04 5[]