Ramstein Air-Base – und die Überwachung von US-Drohneneinsätzen

Die Möglichkeit eines militärischen oder terroristischen Angriffs auf einen US-Militärflughafen in Deutschland begründet weder einen grundrechtlichen Abwehranspruch noch einen aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht ableitbaren Anspruch eines Anwohners auf Überwachung der militärischen Nutzung durch Bedienstete der Bundesrepublik Deutschland.

Ramstein Air-Base – und die Überwachung von US-Drohneneinsätzen

Durch Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG erfahren die allgemeinen Regeln des Völkerrechts – jedenfalls soweit sie einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen – eine Adressatenerweiterung des Inhalts, dass sie Rechte und Pflichten nicht nur für Staaten, sondern unmittelbar auch für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen.

Das Verbot des gezielten und unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen gemäß Art. 51 Nr. 2 und 3 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 08.06.1977 ist eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 Satz 1 GG. Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG begründet individuelle Rechte nur für unmittelbar Betroffene der Verletzung dieser allgemeinen Regel des Völkerrechts.

Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG kann sich nur auf das Bestehen und den Inhalt einer allgemeinen Regel des Völkerrechts beziehen, nicht aber darauf, ob die völkerrechtliche Regel durch Art. 25 Satz 2 GG eine Adressatenerwei-terung erfahren hat.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass § 42 Abs. 2 VwGO analog auch auf die hier erhobene, für das Begehren des Anwohners allein statthafte allgemeine Leistungsklage anwendbar ist1. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck, der vor dem Hintergrund von Art.19 Abs. 4 GG wenn auch nicht ausschließlich, so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet ist. Auch Art. 25 Satz 2 GG vermag zwar eine zur Klagebefugnis führende Rechtsstellung vermitteln, gebietet aber nicht von Verfassungs wegen den Verzicht auf die Klagebefugnis selbst. Es bedeutete einen Wertungswiderspruch, die allgemeine Leistungsklage von dieser Grundentscheidung auszunehmen. Hiernach ist die Klage nur dann zulässig, wenn der Anwohner geltend macht, durch ein Verwaltungshandeln oder dessen Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Erforderlich aber auch hinreichend ist, dass unter Zugrundelegung der Darlegungen des Anwohners die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts möglich erscheint. Hieran fehlt es, denn es ist nichts dafür erkennbar, dass der Anwohner durch die von der Beklagten verweigerte Überwachung bewaffneter Drohneneinsätze der US-Streitkräfte und -Geheimdienste in eigenen Rechten verletzt sein könnte.

Eine individuelle Rechtsposition kann der Anwohner nicht aus einem grundrechtlichen Abwehranspruch ableiten. Denn von den bewaffneten Drohneneinsätzen, deren Überwachung der Anwohner erstrebt, geht kein der Beklagten zurechenbarer Grundrechtseingriff zum Nachteil des Anwohners aus.

Der Anwohner sieht durch die streitgegenständlichen Drohneneinsätze – sofern sie völkerrechtswidrig sein sollten – eine gesteigerte Gefahr für sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie sein Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Diese leitet er daraus ab, dass die Air Base Ramstein als Folge der von ihr technisch unterstützten völkerrechtswidrigen Drohneneinsätze Ziel eines terroristischen oder militärischen Gegenschlages werden könnte und er aufgrund der Nähe seines Wohnortes zur Air Base hiervon in seinen grundrechtlich geschützten Interessen betroffen wäre. Auf eine gesteigerte Gefahr der Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG zielt auch das Vorbringen des Anwohners, im Falle eines von der Air Base Ramstein aus durch die US-Streitkräfte geführten völkerrechtswidrigen bewaffneten Konflikts werde die Air Base selbst zu einem nach humanitärem Völkerrecht legitimen Kriegsziel im Sinne von Art. 52 Nr. 2 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen zum humanitären Völkerrecht vom 08.06.1977, so dass seinem Eigentum wegen der Nähe zur Air Base ein rechtlicher Statuswechsel von einem „absolut geschützten Zivilobjekt“ zu einem bloß „relativ geschützten Kollateralobjekt“ widerfahre.

Selbst wenn zugunsten des Anwohners unterstellt wird, dass die von ihm angeführten Beeinträchtigungen seiner grundrechtlich geschützten Rechtspositionen tatsächlich im Sinne einer relevanten Grundrechtsgefährdung bestünden, beruhten diese jedoch weder unmittelbar noch mittelbar auf Eingriffshandlungen der Beklagten. Ein unmittelbarer Eingriff der Beklagten scheidet aus, weil die unmittelbare Bedrohung nach dem durch den Anwohner vorgetragenen Sachverhalt von Terroristen oder von dritten Staaten ausgeht. Als Anknüpfungspunkt für einen mittelbaren Eingriff kann zunächst nicht auf die behauptete Steuerung bewaffneter Drohneneinsätze über das Air and Space Operations Center und die SATCOM-Relaisstation abgestellt werden, weil diese nach dem Klagevorbringen allein durch Angehörige der US-Streitkräfte bzw. der US-Geheimdienste erfolgt. Selbst wenn Mitarbeiter der USA von Ramstein aus an völkerrechtswidrigen Handlungen mitwirken sollten, hat der Anwohner nicht dargetan, dass die Beklagte einer solchen Nutzung zugestimmt hat. Unter dem Gesichtspunkt eines mittelbaren Eingriffs kommt als Eingriffshandlung damit allenfalls der Umstand in Betracht, dass die Beklagte den Vereinigten Staaten von Amerika durch die hierzu getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen, namentlich den Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23.10.1954 (Gesetz betreffend den Vertrag vom 23.10.1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 24.03.19552), das Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) vom 19.06.1951 und das hierzu abgeschlossene Zusatzabkommen vom 03.08.19593 generell die militärische Nutzung der zum Bundesgebiet gehörenden streitbefangenen Liegenschaften gestattet. Die in den vorgenannten Vertragswerken erlaubte Nutzungsgestattung genügt für die Zurechnung einer spezifischen, von der Beklagten nicht gebilligten und von den Verträgen auch nicht gedeckten Nutzung nicht, erst recht nicht für die Zurechnung möglicher Reaktionen Dritter.

Die Gestattung der militärischen Nutzung durch die genannten Verträge schließt von vornherein nur solche Nutzungen ein, die nach der deutschen Rechtsordnung rechtmäßig sind. So wird die in Art. 53 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut enthaltene Nutzungsermächtigung an ausländische Streitkräfte durch Art. 53 Abs. 1 Satz 2 insoweit beschränkt, als für die Benutzung solcher Liegenschaften das deutsche Recht gilt, soweit in diesem Abkommen und in anderen internationalen Übereinkünften nicht etwas anderes vorgesehen ist und sofern nicht die Organisation, die interne Funktionsweise und die Führung der Truppe und ihres zivilen Gefolges sowie andere interne Angelegenheiten, die keine vorhersehbaren Auswirkungen auf die Rechte Dritter oder auf umliegende Gemeinden und die Öffentlichkeit im allgemeinen haben, betroffen sind. Außerdem bestimmt Art. II Satz 1 des NATO-Truppenstatuts allgemein, dass die ausländischen Truppen und ihr ziviles Gefolge die Pflicht haben, das Recht der Bundesrepublik als Aufnahmestaat zu achten. Zu den damit auch durch die ausländischen Truppen zu beachtenden Rechtsvorschriften gehören im vorliegenden Zusammenhang namentlich das Verbot eines Angriffskrieges gemäß Art. 26 GG sowie völkerrechtliche Bestimmungen zu militärischer Gewaltanwendung, wenn und soweit diese nach näherer Maßgabe von Art. 25 GG oder Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind.

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Klagebefugnis eines Feststellungsbeteiligten,

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zur Aufstellung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland entschieden, dass der deutschen Staatsgewalt die Folgen ihrer Zustimmung hierzu nicht zuzurechnen sind, wenn sie die Herrschaft über den Eintritt dieser Folgen nicht hat4. Das Verfassungsgericht hat vielmehr den seinerzeit von den Beschwerdeführern befürchteten Entschluss der Sowjetunion, im Krisenfall einen auf die Standorte von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern zielenden nuklearen „Gegenschlag“ zu führen, als die wirkungsmächtigste Ursache für die angenommene Gefährdung von Leib und Leben der Beschwerdeführer gewertet. Die Umstände, die danach als wesentliche Bedingung für das Eintreten dieser Gefahr erscheinen, sind einer bestimmenden Einflussnahme durch die Bundesrepublik Deutschland entzogen. Die wesentliche Ursache für die Grundrechtsgefährdung ist vielmehr ein eigenständiges Handeln eines fremden Staates, das die Bundesrepublik Deutschland aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen nicht steuern kann. Daraus resultierende Eingriffe in Leib oder Leben eines Einzelnen sind den deutschen Staatsorganen nicht zuzurechnen5.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auf den vorliegenden Fall übertragbar und führt dazu, dass die vom Anwohner befürchtete Gefährdung seines Lebens, seiner körperlichen Unversehrtheit und seines Eigentums nicht dem deutschen Staat als von ihm zu verantwortender Eingriff zugerechnet werden kann. Derartige Gefährdungen werden allein durch die Gestattung einer militärischen Nutzung der streitgegenständlichen Liegenschaften auf der Air Base Ramstein unabhängig von deren Völkerrechtskonformität weder bezweckt noch sonst billigend in Kauf genommen. Etwaige Terrorakte oder militärische Angriffe anderer Staaten auf die Air Base in Ramstein entziehen sich der grundrechtlichen Verantwortlichkeit der deutschen Hoheitsgewalt. Sie haben ihre Ursache vielmehr in einer durch die Bundesrepublik rechtlich wie tatsächlich nicht steuerbaren Reaktion Dritter auf ein rechtmäßiges politisches Handeln im Rahmen einer durch Art. 1 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 2 GG geleiteten Außen- und Verteidigungspolitik6.

Die Möglichkeit einer Betroffenheit in eigenen Rechten kann der Anwohner auch nicht aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht ableiten, der die Beklagte nicht nachkommt. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe abzuleiten. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren7. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt aber nur dann vor, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückbleiben8. Dies muss der Anwohner zur Begründung seiner Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO schlüssig darlegen. Ist die Klage – wie hier – zudem auf die Ergreifung ganz bestimmter, konkreter Maßnahmen gerichtet, bedarf es zusätzlich der Darlegung, dass allein die hier begehrte Überwachung des Drohneneinsatzes geeignet ist, der Schutzpflicht Genüge zu tun.

Diesem Maßstab wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Der Anwohner hat insbesondere nicht dargelegt, warum ein messbar erhöhtes Risiko für Terrorangriffe und militärische Vergeltungsschläge gerade aufgrund der von ihm behaupteten Völkerrechtswidrigkeit bestimmter Drohneneinsätze der Vereinigten Staaten von Amerika bestehe. Auch der von ihm in der Revisionsverhandlung herangezogene Terroranschlag auf den Brüsseler Flughafen im März 2016 spricht eher gegen eine solche Einschätzung. Außerdem ergibt sich aus seinem Vorbringen nicht, aus welchem Grund die zur Beachtung deutschen Rechts verpflichtenden Regelungen des NATO-Truppenstatuts und die vom Anwohner selbst eingeräumten Konsultationen der zuständigen deutschen Stellen mit den US-Streitkräften in Ramstein ungeeignet sein sollen, die Völkerrechtskonformität des von der dortigen Air Base ausgehenden militärischen Handelns zu wahren. Schließlich steht einer Verpflichtung der Beklagten zu einer bestimmten Form des Tätigwerdens entgegen, dass die Bundesregierung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik einen weiten Entscheidungsspielraum hat, wie sie ihrer grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens nachkommen will9. Der Anwohner hat keine Gründe dafür dargelegt, warum dieser Entscheidungsspielraum hinsichtlich des von ihm für völkerrechtswidrig erachteten Drohneneinsatzes auf eine einzige Maßnahme beschränkt sein sollte. Zudem hat er nicht vorgetragen, dass die begehrte Überwachung der Steuerung bewaffneter Drohneneinsätze durch eigenes Personal nach dem NATO-Truppenstatut überhaupt verlangt werden kann.

Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rgibt sich keine weitergehende Verantwortung der Beklagten zur Abwehr von Grundrechtseingriffen oder zur Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten, die geeignet wäre, eine Klagebefugnis des Anwohners zu begründen.

Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen El Masri/Mazedonien10, Al-Nashiri/Polen11 und Nasr und Ghali/Italien12 Maßstäbe dafür entwickelt, unter welchen Voraussetzungen ein Staat nach Art. 1 EMRK für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, die Amtsträger eines Drittstaates auf seinem Territorium begehen. Im Fall des deutschen Staatsangehörigen El Masri hat der EGMR die Verantwortlichkeit Mazedoniens für Foltermaßnahmen von CIA-Agenten auf mazedonischem Territorium (Flughafen Skopje) insbesondere daraus abgeleitet, dass die Handlungen auf mazedonischem Hoheitsgebiet in der Gegenwart von Amtsträgern Mazedoniens stattgefunden haben, die das Vorgehen der CIA gegenüber Herrn El Masri billigten und aktiv unterstützten13. Im Fall des saudischen Staatsangehörigen Al-Nashiri, der von der CIA auf polnischem Territorium gefoltert und inhaftiert wurde, hält der EGMR Polen für verantwortlich, weil polnische Amtsträger Art und Ziel der CIA-Aktivitäten auf polnischem Territorium kannten und bei der Vorbereitung und Durchführung der CIA-Überstellungen, geheimen Haft und Vernehmungen auf seinem Staatsgebiet kooperierten, u.a. durch Transport von CIA-Teams mit Gefangenen im Land und die Bereitstellung des Flughafens Stare Kiejkuty für geheime CIA-Festnahmen14. Im Fall des ägyptischen Staatsangehörigen Nasr, der von der CIA aus Italien mit einer Zwischenlandung auf der Air Base in Ramstein nach Ägypten entführt und dort inhaftiert und gefoltert wurde, begründet der Gerichtshof die Verantwortlichkeit Italiens damit, dass die italienischen Amtsträger wussten, welchem Ziel die CIA-Operation diente und dabei aktiv mitwirkten15.

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Der EGMR hält einen Staat danach nur dann für mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, die Vertreter eines Drittstaats auf seinem Territorium begehen, wenn die Verletzungshandlungen mit dessen stillschweigender oder ausdrücklicher Billigung durchgeführt werden. Dabei stellt er auf die Kenntnis des Staates von der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen und auf eigene Handlungen zur Unterstützung der Verletzungshandlungen ab. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits eine qualifizierte Kenntnis von den behaupteten völkerrechtswidrigen Drohneneinsätzen durch die USA in Abrede gestellt, die von deutschem Territorium aus gesteuert würden. Zudem werden keine aktiven Unterstützungsmaßnahmen deutscher Staatsorgane hierzu vorgebracht. Das Zur-Verfügung-Stellen der Infrastruktur eines Militärflughafens nach dem NATO-Truppenstatut reicht auch unter Zugrundelegung der EGMR-Rechtsprechung nicht, um eine Mitverantwortung Deutschlands an einer Grundrechtsgefährdung einer in Deutschland lebenden Person durch Handlungen auf der Air Base in Ramstein zu bejahen. Noch weniger lässt sich danach eine Mitverantwortung Deutschlands für Handlungen bejahen, die weder von deutschen Amtsträgern noch von den auf deutschem Territorium handelnden US-Bediensteten begangen werden, sondern die sich lediglich – wie vom Anwohner befürchtet – aus einer Reaktion Dritter auf den Drohneneinsatz ergeben könnten, die außerhalb des deutschen Territoriums agieren16.

Der Anwohner kann eine subjektive Rechtsstellung zur Begründung seiner Klagebefugnis auch nicht aus Art. 25 Satz 2 GG i.V.m. Rechtssätzen des Völkerrechts ableiten. Nach Art. 25 Satz 1 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteile des Bundesrechts. Art. 25 Satz 2 Halbs. 1 GG regelt, dass diese völkerrechtlichen Regeln den Gesetzen vorgehen, also im Rang über einfachem Gesetzesrecht stehen. Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG bestimmt, dass sie Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen. Auf Halbsatz 2 stützt sich der Anwohner, um aus dem allgemeinen Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta und aus dem Verbot des gezielten oder unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen nach dem humanitären Völkerrecht eine individuelle Rechtsstellung abzuleiten.

Das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta und das Verbot des gezielten oder unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen in internationalen bewaffneten Konflikten nach dem humanitären Völkerrecht sind allerdings allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 Satz 1 GG. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts bestehen nach der Völkerrechtslehre und Rechtsprechung aus den Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Buchst. b des Statuts des Internationalen Gerichtshofs17, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Buchst. c IGH-Statut. Ob eine Regel eine solche des Völkergewohnheitsrechts ist oder ob es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, ergibt sich hiernach aus dem Völkerrecht selbst, welches die Kriterien für die Völkerrechtsquellen vorgibt. Eine allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts ist eine Regel, die von einer gefestigten Praxis zahlreicher, aber nicht notwendigerweise aller Staaten (usus) in der Überzeugung einer völkerrechtlichen Verpflichtung (opinio iuris sive necessitatis) getragen wird. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören hingegen nicht völkervertragliche Regelungen18.

Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta, wonach alle Mitgliedstaaten in ihren internationalen Beziehungen jede mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung und Anwendung von Gewalt zu unterlassen haben19. Hierzu gehören auch die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12.08.194920 sowie das Verbot des gezielten oder unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen nach dem humanitären Völkerrecht gemäß Art. 51 Nr. 2 und 3 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 08.06.1977 – BGBl.1990 II S. 1550 ff.21.

Nach Art. 25 Satz 1 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes. Das bedeutet, sie bedürfen – anders als sonstiges Völkerrecht, insbesondere völkerrechtliches Vertragsrecht – keines innerstaatlichen Transformationsaktes gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, um innerstaatliche Rechtsqualität zu erzeugen. Ferner stehen sie nach Art. 25 Abs. 2 Halbs. 1 GG innerstaatlich im Rang über einfachem Gesetzesrecht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich der Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor einfachem Gesetzesrecht zunächst an die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland. Daraus folgt die Pflicht der deutschen Staatsorgane, die bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen zu unterlassen, aber auch – unter bestimmten Voraussetzungen – das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich durchzusetzen, wenn dritte Staaten dieses verletzen22. Danach müssen die deutschen Behörden und Gerichte alles unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und sind gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken23.

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Nach Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG erzeugen die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Der Anwohner leitet aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm die Berechtigung ab, sich zur Begründung seiner Klagebefugnis auf eine Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots zu berufen, das im Völkerrecht ausschließlich staatengerichtet ist. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm keine Einschränkung des Inhalts, dass nur solche allgemeinen Regeln des Völkerrechts individuelle Rechte und Pflichten begründen können, die nach ihrem Inhalt und ihrem Zweck hierzu geeignet sind. Dies folgt jedoch aus der Entstehungsgeschichte und aus Sinn und Zweck des Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG.

GG wurde mit seinem bis heute weitgehend unveränderten Inhalt von dem u.a. für Völkerrecht zuständigen Berichterstatter des Unterausschusses I (Grundsatzfragen) des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee Carlo Schmid (SPD) auf der 2. Sitzung des Unterausschusses am 21.08.1948 in folgender Fassung vorgeschlagen:

„Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts sind Bestandteile des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets.“

Im vorgeschlagenen Text wurden im Unterausschuss lediglich die Worte „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ ersetzt durch „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“, um Zweifel auszuräumen, inwieweit eine völkerrechtliche Regel zur Anerkennung gediehen ist24.

Carlo Schmid hatte die von ihm vorgeschlagene Regelung bereits im Unterausschuss I u.a. wie folgt begründet25: „Ein Novum sei, dass wir nunmehr erklären: Wir betrachten das Völkerrecht nicht als Recht, das nur den Staat, aber nicht den Einzelnen im Staat verpflichtet, sondern als universelles Recht, das durch die Staatskruste hindurch bis zum Einzelnen geht. Es verleiht ihm unmittelbar Rechte und legt ihm unmittelbar Pflichten auf.“

Der Verfassungskonvent hat den Artikel dann in seinem Bericht an den Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten wie folgt begründet26: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sollen integrierender Bestandteil des Bundesrechts sein, und zwar in der Weise, daß sie unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Landesgebietes (Inländer und Ausländer) erzeugen sollen. Durch die gewählte, von Art. 4 der Weimarer Verfassung abweichende Fassung soll Streitfragen, die in der Weimarer Zeit eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben, der Boden entzogen werden. Weiter soll durch diese Fassung zum Ausdruck gebracht werden, daß das deutsche Volk gewillt ist, im Völkerrecht mehr zu sehen als nur eine Ordnung, deren Normen lediglich die Staaten als solche verpflichten.“

Durch die weiteren Beratungen des Parlamentarischen Rates zieht sich die Begründung, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Einen zu unmittelbaren Bestandteilen des Bundesrechts erklärt werden sollen und zum Zweiten aus ihnen unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebiets erwachsen sollen27. In der Fünften Sitzung des Hauptausschusses vom 18.11.1948 kam es dann zu einer Abstimmung über einen Gegenvorschlag des Abgeordneten von Mangoldt (CDU). Dieser beantragte, die vom Verfassungskonvent in Herrenchiemsee vorgeschlagene Fassung zu ändern und zu der alten Fassung des Art. 4 der Weimarer Verfassung zurückzukehren: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des Bundesrechts.“28. Begründet wurde das u.a. damit, „dass selbst Juristen und Verwaltungsfachleute Schwierigkeiten haben, den wahren Inhalt dieser Sätze zu erfassen. Wenn man diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Bundesgebiets erzeugen ließe, würde das zu einer ständigen Unsicherheit führen.“ Demgegenüber haben sich andere Abgeordnete dafür ausgesprochen, „einen großen Schritt über Weimar hinaus zu gehen“29. Der Antrag der CDU wurde mit 13 gegen 7 Stimmen abgelehnt30.

Aus den Entstehungsmaterialien ergibt sich der Wille des Verfassungsgebers, den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts eine weitergehende innerstaatliche Bedeutung beizumessen als das nach der lediglich staatengerichteten Regelung in Art. 4 der Weimarer Reichsverfassung der Fall war. Diese völkerrechtlichen Grundsätze sollen unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Bundesgebiets erzeugen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes damit auf das Erfordernis einer individuellen Betroffenheit verzichten und über die allgemeine Regel des Art.19 Abs. 4 GG hinausgehen wollten, wonach nur demjenigen der Rechtsweg offensteht, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Hierfür ergeben sich aus den Gesetzgebungsmaterialien keinerlei Anhaltspunkte. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Abgeordnete Eberhard (SPD) als Beispiel für die unmittelbare Erzeugung von Rechten und Pflichten für alle Bewohner des Bundesgebiets im Sinne des Art. 25 GG den Briand-Kellogg-Pakt von 1928 nannte, in dem der Verzicht auf einen Angriffskrieg vereinbart wurde31 und der Abgeordnete Carlo Schmid (SPD) die Haager Landkriegsordnung von 1907, in der das humanitäre Völkerrecht normiert war32. Denn Bewohner der Bundesrepublik können sich auch unter Beachtung der in Art.19 Abs. 4 GG getroffenen Regelung auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts berufen, wie sie etwa in den von den Abgeordneten Eberhard und Carlo Schmid genannten völkerrechtlichen Verträgen enthalten sind. So berechtigt Art. 25 GG etwa einen Soldaten zur Nichtbefolgung eines Befehls, dessen Ausführung gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstößt33. Auch könnten Anwohner eines Flughafens Verstöße bestimmter von dem Flughafen startender Militärflüge gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot als individuelle Rechte im Verfahren zur Erteilung der Einflugerlaubnisse geltend machen, sofern das völkergewohnheitsrechtliche Gewaltverbot gemäß Art. 25 Satz 2 GG Rechte unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets erzeugen sollte34. Es bedarf aber immer einer den Anwohner von der Allgemeinheit unterscheidenden individuellen Betroffenheit. Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Art. 25 GG einen umfassenden subjektiv-rechtlichen Anspruch auf die Wahrung objektiven Völkerrechts begründen oder ein Recht zur Popularklage normieren wollte, um allgemeine Grundsätze des Völkerrechts über die Regelung des Art.19 Abs. 4 GG hinaus durchzusetzen.

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Sinn und Zweck der in Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG getroffenen Regelung ist vielmehr, den Kreis der Adressaten der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu erweitern. Die Regelung überwindet die Beschränkung auf Staaten als Begünstigte und Verpflichtete des Völkerrechts, wie sie noch für Art. 4 der Weimarer Reichsverfassung und den seinerzeitigen Stand der Völkerrechtslehre kennzeichnend war. Sie hat daher mehr als eine lediglich deklaratorische Bedeutung, von der noch das Bundesverfassungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung ausgegangen war35.

In seiner Entscheidung zur Bodenreform vom 26.10.2004 führt das Verfassungsgericht nunmehr aus, dass es in der vom Grundgesetz verfassten staatlichen Ordnung geboten sein kann, Völkerrechtsverstöße als subjektive Rechtsverletzungen geltend machen zu können, und zwar unabhängig davon, ob Ansprüche von Einzelpersonen schon kraft Völkerrechts bestehen36. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls für Konstellationen, in denen völkerrechtliche Regelungen einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen, wie das im völkerrechtlichen Enteignungsrecht der Fall ist. Das Bundesverfassungsgericht erläutert dies für den völkerrechtlichen Schutz des Eigentums in der Weise, dass das Eigentum die private Zuordnung von vermögenswerten Gegenständen in sich trägt. Daher ist der völkerrechtliche Schutz von Eigentumspositionen, z.B. durch ein Enteignungsverbot, zumindest in seiner Schutzwirkung subjektiv gerichtet, auch wenn sich der ursprüngliche Wille dieser völkerrechtlichen Regelungen eher auf die objektive Einhaltung von gegenseitig anerkannten zivilisatorischen Mindeststandards bezogen hat37.

Ist auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Adressatenerweiterung des Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG jedenfalls für völkerrechtliche Regelungen zu bejahen, die einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen, so ist verallgemeinernd zwischen drei unterschiedlichen Arten völkerrechtlicher Normen zu differenzieren38:

Allgemeine Regeln des Völkerrechts, die sich ausschließlich an Staaten richten und nach ihrem Inhalt und Zweck auf Individuen nicht ohne Sinnverlust oder qualitativen Bedeutungswandel angewendet werden können. Hierzu zählen Regeln über die Staatensukzession, Grenzziehung, Staatenimmunität, diplomatische Immunität und völkerrechtliche Regeln über die Vornahme von Hoheitsakten im Ausland39. Diese Regeln begründen auch auf der Grundlage von Art. 25 Satz 2 GG keine individuellen Rechte.

Allgemeine Regeln des Völkerrechts, die bereits auf völkerrechtlicher Ebene individualbezogen sind, d.h. Einzelpersonen berechtigen oder verpflichten. Beispiele hierfür sind individuelle Menschenrechte und das Völkerstrafrecht40. Für diese Normen, die mit der Entwicklung des Völkerrechts an Bedeutung und Umfang gewonnen haben, entfaltet Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG keine konstitutive Wirkung, weil diese völkerrechtlichen Rechtssätze mit ihrem individualschützenden oder -verpflichtenden Inhalt schon aufgrund der Geltungsanordnung des Art. 25 Satz 1 GG den Einzelnen berechtigen oder verpflichten. Für diese Regeln hat Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG nur deklaratorischen Charakter.

Allgemeine Regeln des Völkerrechts, die sich zwar auf völkerrechtlicher Ebene ausschließlich an Staaten richten, ihrem Inhalt und Zweck nach aber auch der Begründung von Rechten oder Pflichten des Individuums zugänglich sind. Hierzu gehören bestimmte Normen des völkerrechtlichen Enteignungsrechts, des humanitären Kriegsvölkerrechts (u.a. Art. 51 des Zusatzprotokolls I), die Freiheiten der Hohen See (sofern sich etwa Fischereirechte Einzelner daraus ableiten lassen) und die Mindestregeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts41. Für diese Regeln ordnet Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG eine Adressatenerweiterung an, indem er sie mit Blick auf die von der Schutzwirkung erfassten Individuen zu individuellen subjektiven Rechten umformt.

Das Verbot des gezielten und des unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen gemäß Art. 51 Nr. 2 und 3 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 08.06.1977, dessen Verletzung der Anwohner geltend macht, ist danach eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die der Begründung von Rechten oder Pflichten des Einzelnen zugänglich ist. Sie schützt schon nach ihrem Wortlaut nicht allein die Zivilbevölkerung als solche, sondern auch „einzelne Zivilpersonen“ (vgl. Art. 51 Nr. 1 Satz 1, Art. 51 Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 und 4 ZP I u.a.), das entspricht auch ihrem Schutzzweck. Ob das auch für das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta gilt42, brauchte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu entscheiden. Auf diese Rechtsfrage kommt es für die Entscheidung nicht an, weil der Anwohner aus einer Verletzung des Gewaltverbots als davon nicht unmittelbar Betroffener oder an Verletzungshandlungen Beteiligter keinesfalls eine Klagebefugnis ableiten kann.

Der Anwohner kann aus einer möglichen Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta wie auch aus einer möglichen Verletzung der in Art. 51 Nr. 2 und 3 des Zusatzprotokolls I normierten Regeln des humanitären Völkerrechts keine individuellen Rechte ableiten, wie sie zur Begründung einer Klagebefugnis erforderlich wären. Auf eine Beeinträchtigung individueller Rechte im Sinne von Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG können sich allenfalls unmittelbar Betroffene berufen – etwa potentielle Opfer von Drohneneinsätzen. Hierzu gehört der Anwohner jedoch nicht.

Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG ergeben sich unter Einbeziehung seiner Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte dafür, dass für die Geltendmachung einer durch Art. 25 GG begründeten materiellen Rechtsstellung abweichend von Art.19 Abs. 4 GG eine Popularklage eröffnet werden sollte. Anders als die vor dem Grundgesetz erlassene Bayerische Verfassung vom 08.12 1946 (dort Art. 98 Satz 4 i.V.m. dem Gesetz Nr. 72 über den Verfassungsgerichtshof vom 22.07.1947) sieht das Grundgesetz gerade keine Popularklage wegen der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte vor43. Es bleibt damit bei der allgemeinen Regel des Art.19 Abs. 4 GG, dass der Rechtsweg grundsätzlich nur demjenigen offensteht, der geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Im Übrigen folgt das Erfordernis der „spezifischen Betroffenheit“, um eine Verletzung allgemeiner Regeln des Völkerrechts geltend zu machen, schon aus dem Völkerrecht selbst. So sieht etwa Art. 42 des das Völkergewohnheitsrecht systematisierenden Entwurfs der International Law Commission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit vor, dass sich auch ein Staat nur auf die Verletzung von Völkerrecht berufen kann, wenn die Verpflichtung allein ihm gegenüber besteht – Art. 42 Buchst. a – oder er von der Verletzung einer gegenüber einer Vielzahl von Staaten bestehenden Verpflichtung spezifisch betroffen ist – „specifically affects that State“44. Das Erfordernis der spezifischen Betroffenheit geht auch durch die Adressatenerweiterung nach Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG nicht verloren. Denn diese bewirkt keinen qualitativen Wandel der davon erfassten völkerrechtlichen Rechtssätze, sondern erweitert nur den Kreis ihrer Adressaten, ohne indes einen allgemeinen, gegen die Staaten gerichteten Anspruch des Einzelnen auf Beachtung objektiven Völkerrechts auch über die den Staaten selbst vom Völkerrecht eröffneten Rechte hinaus einzuräumen.

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Ver­trag­li­cher Bei­trags­vor­aus­ver­zicht im Städtebaurecht

Das Bundesverfassungsgericht bejaht eine Begründung subjektiver Rechte (jedenfalls) für Konstellationen, in denen völkerrechtliche Regelungen einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen, wie das im völkerrechtlichen Enteignungsrecht der Fall ist45. Wegen des erforderlichen „engen Bezugs“ zu individuellen Rechtsgütern kann grundsätzlich nach Art. 25 Satz 2 GG nur das unmittelbare Opfer einer Verletzung hochrangiger Rechtsgüter (z.B. der Enteignete selbst) subjektive Rechte aus der Völkerrechtsverletzung ableiten. Schon bei lediglich mittelbar Betroffenen liegt es fern, eine subjektive Rechtsstellung zur Geltendmachung der Völkerrechtsverletzung einzuräumen. Vielmehr bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, weiteren Personen individuelle Rechte im Rahmen eines fachgesetzlichen Verfahrens oder einer Popularklage einzuräumen. Denn in der Literatur wird mit Recht darauf hingewiesen, dass die Rechtsbegründung durch Art. 25 Abs. 2 Halbs. 2 GG eine geringe Regelungsdichte und inhaltliche Unschärfe aufweist, die den praktischen Anforderungen innerstaatlicher Anwendbarkeit nicht genügt46. Die Form, in der ein über Art. 25 Abs. 2 Halbs. 2 GG erzeugtes subjektives Recht unabhängig von der erforderlichen individuellen Betroffenheit verwirklicht werden kann, wird daher im Wesentlichen erst durch Gesetz festgelegt. Dafür ist hier zugunsten des Anwohners nichts ersichtlich. Der Anwohner kann sich für die Bestimmung der Reichweite einer verfassungsunmittelbaren Adressatenerweiterung auch nicht auf die zunehmende Einräumung von Verbandsklagerechten im Umweltrecht der Europäischen Union berufen, zumal entsprechende Rechte für die Kontrolle von militärischem Handeln nicht eröffnet wurden. Im Übrigen werden derartige Klagerechte Verbänden eingeräumt, nicht hingegen Einzelnen die Möglichkeit zur Erhebung einer Popularklage eröffnet.

Das Bundesverwaltungsgericht ist dem Antrag des Anwohners nicht gefolgt, dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 GG die Frage zur Klärung vorzulegen, ob das völkerrechtliche Gewaltverbot als allgemeine Regel des Völkerrechts allein staatengerichtet ist oder ob es – bei sich ergebender Verletzung – unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 25 GG). Für eine solche Vorlage fehlen die gesetzlichen Voraussetzungen, denn sie kann sich nur auf das Bestehen und den Inhalt einer allgemeinen Regel des Völkerrechts beziehen (die hier nicht klärungsbedürftig ist), nicht aber darauf, ob bzw. in welchem Umfang die völkerrechtliche Regel durch nationales Recht – hier: Art. 25 Satz 2 GG – eine Adressatenerweiterung erfahren hat.

Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG setzt voraus, dass das Gericht bei der Prüfung der Frage, ob und mit welcher Tragweite eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, auf ernstzunehmende Zweifel stößt, mag das Gericht selbst auch keine Zweifel haben. Ernstzunehmende Zweifel bestehen schon dann, wenn das Gericht von der Meinung eines Verfassungsorgans oder von den Entscheidungen hoher deutscher, ausländischer oder internationaler Gerichte oder von den Lehren anerkannter Autoren der Völkerrechtswissenschaft abweichen würde47. Zwar wird die Auffassung, das völkerrechtliche Gewaltverbot begründe schon als allgemeine Regel des Völkerrechts individuelle Ansprüche von einem anerkannten Autor der Völkerrechtswissenschaft vertreten48, Frieden durch Recht?, 2010, S. 169 ff.)). Aber auch Fischer-Lescano hält die entsprechenden völkerrechtlichen Normen nur „im Hinblick auf die unmittelbar geschädigten Individuen“ für bereits aus dem Völkerrecht subjektiviert49. Subjektive Rechte weiterer faktisch Betroffener leitet er hingegen aus der Adressatenerweiterung nach Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG ab50. Da der Anwohner nicht geltend macht, unmittelbar Geschädigter von den behaupteten Drohneneinsätzen des US-Militärs zu sein, kann sich seine individuelle Rechtsbetroffenheit nicht aus einer allgemeinen Regel des Völkerrechts ergeben, sondern allenfalls aus einer nationalen Adressatenerweiterung nach Art. 25 Satz 2 Halbs. 2 GG. Ob die nationale Norm einen solchen Inhalt hat, kann jedoch nicht zum Gegenstand eines Normverifikationsverfahrens nach Art. 100 Abs. 2 GG gemacht werden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. April 2016 – 1 C 3.15

  1. vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21.12, BVerwGE 147, 312 Rn. 18 m.w.N.[]
  2. BGBl.1955 II S. 253[]
  3. Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18.08.1961, BGBl.1961 II S. 1183, 1190 ff., 1218 ff. teilw. geändert durch Abkommen vom 21.10.1971, BGBl.1973 II S. 1021, 18.05.1981, BGBl.1982 II S. 530 und 18.03.1993, BGBl.1994 II S. 2594[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 16.12 1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83, BVerfGE 66, 39, 62[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 16.12 1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83, BVerfGE 66, 39, 63[]
  6. BVerfG, Beschluss vom 16.12 1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83, BVerfGE 66, 39, 60 f.[]
  7. vgl. BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1/74 u.a., BVerfGE 39, 1, 41; Beschluss vom 20.12 1979 – 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30, 57[]
  8. stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54, 81; und vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08, NVwZ 2010, 702, 703 f.[]
  9. BVerfG, Beschluss vom 16.12 1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83, BVerfGE 66, 39, 61[]
  10. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 13.12 2012 – Nr. 39630/09, NVwZ 2013, 631[]
  11. BVerwG, Urteil vom 24.07.2014 – Nr. 28761/11, NVwZ 2015, 955[]
  12. BVerwG, Urteil vom 23.02.2016 – Nr. 44883/09[]
  13. EGMR, GK, Urteil vom 13.12 2012 – Nr. 39630/09, NVwZ 2013, 631 Rn.206 und 211[]
  14. EGMR, Urteil vom 24.07.2014 – Nr. 28761/11, NVwZ 2015, 955 Rn. 442 und 452[]
  15. EGMR, Urteil vom 23.02.2016 – Nr. 44883/09[]
  16. Drittstaaten, Terroristen[]
  17. IGH-Statut – BGBl.1973 II S. 505 ff.[]
  18. BVerfG, Beschlüsse vom 05.11.2003 – 2 BvR 1506/03, BVerfGE 109, 38, 53; und vom 15.12 2015 – 2 BvL 1/12 42 m.w.N.[]
  19. BVerfG, Urteil vom 22.11.2001 – 2 BvE 6/99, BVerfGE 104, 151, 213; BVerwG, Urteil vom 24.07.2008 – 4 A 3001.07, BVerwGE 131, 316 Rn. 88; IGH, Nicaragua v. United States, ICJ Reports 1986, 14 ff. Rn. 188[]
  20. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43.07, BVerwGE 131, 198 Rn.20[]
  21. vgl. Greenwood, in: Fleck, Handbuch des Humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, S. 22; Bothe, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl.2010, S. 698 f.; Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl.2014, S. 1226 f.[]
  22. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 24[]
  23. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 27; BVerwG, Urteil vom 24.07.2008 – 4 A 3001.07, BVerwGE 131, 316 Rn. 88[]
  24. vgl. Bericht des Unterausschusses I – Grundsatzfragen – des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, in: Protokolle zur Arbeit des Parlamentarischen Rates, Auszüge, aus: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, Hrsg., Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, Bd. 2, S.206 Fußn. 61[]
  25. Carlo Schmidt, a.a.O. Fußn. 61[]
  26. Protokolle Bd. 2 S. 517[]
  27. etwa: Zweite Sitzung des Plenums am 8.09.1948, a.a.O. Bd. 9, S. 40; 12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates am 15.10.1948, a.a.O Bd. 5/1, S. 317 f.[]
  28. Bd. 14/I, S. 158 ff.[]
  29. Abg. Eberhard, SPD, ebda, S. 162[]
  30. ebda, S. 168[]
  31. 12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates am 15.10.1948, a.a.O. Bd. 5/1, S. 317[]
  32. 12. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, a.a.O. S. 318[]
  33. so BVerwG, Urteil vom 21.06.2005 – 2 WD 12.04, BVerwGE 127, 302, 316 f.; vgl. hierzu auch Deiseroth, in: Festschrift für Martin Kutscha, 2013, 25, 38 f.[]
  34. so BVerwG, Urteil vom 24.07.2008 – 4 A 3001.07, BVerwGE 131, 316 Rn. 92[]
  35. vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.10.1962 – 2 BvM 1/60, BVerfGE 15, 25, 33 f.[]
  36. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 21 f.[]
  37. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/10, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 22[]
  38. s.a. Fischer-Lescano/Hanschmann, Subjektive Rechte und völkerrechtliches Gewaltverbot, in: IALANA, Hrsg., Frieden durch Recht?, 2010, S. 161, 168 f.[]
  39. vgl. Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl.2005, Art. 25 Rn. 59 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl.2012, Art. 25 Rn. 41; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, S. 155 ff.; Streinz in: Sachs, Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl.2014, Art. 25 Rn. 41 ff.[]
  40. vgl. Koenig, a.a.O., Art. 25 Rn. 66; Rojahn, a.a.O., Art. 25 Rn. 42; Doehring, a.a.O. S. 157 f.; Streinz, a.a.O., Art. 25 Rn. 46[]
  41. vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 22; Koenig, a.a.O., Art. 25 Rn. 60; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: September 2015, Art. 25 Rn. 50; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, Grundgesetz-Kommentar, 13. Aufl.2014, Art. 25 Rn.20; Wollenschläger, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl.2015, Art. 25 Rn. 36; Rojahn, a.a.O. Rn. 50[]
  42. so Hillgruber, a.a.O. Rn. 21, Cremer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl.2013, Bd. XI § 235 Rn. 32 und Fischer-Lescano/Hanschmann, in: IALANA, Hrsg., Frieden durch Recht?, 2010, S. 174 ff.; dagegen: Herdegen, a.a.O. Rn. 50 und Tomuschat – unter Aufgabe seiner früheren anderslautenden Auffassung, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Juni 2009, Art. 25 Rn. 99 – sowie Doehring, a.a.O. S. 165 f. verneinend für individuelle Pflichten[]
  43. zur bayerischen Popularklage wegen Grundrechtseinschränkungen vgl. Bohn, Das Verfassungsprozessrecht der Popularklage, Bd. 1224, 2012, S. 44 – 66; Huber, BayVBl.2008, 65, 68 ff.[]
  44. siehe die Anlage zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12.12 2001 – Art. 42 Buchst. b[]
  45. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, BVerfGE 112, 1, 22[]
  46. Rojahn, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl.2012, Art. 25 Rn. 51[]
  47. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.05.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288, 319; und vom 10.06.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 77; Nichtannahmebeschluss vom 13.08.2013 – 2 BvR 2660/06 u.a. – EuGRZ 2013, 563 Rn. 50 f.[]
  48. Fischer-Lescano, in: IALANA, Hrsg.[]
  49. Fischer-Lescano, a.a.O. S. 174[]
  50. Fischer-Lescano, a.a.O. S. 174 ff.[]
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