Vereinsverbot – und die Völkerverständigungswidrigkeit

Die Tragfähigkeit des Verbotsgrunds der Völkerverständigung für ein derart begründetes Vereinsverbot hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur unter sehr engen Voraussetzungen und auf einer konsistenten Grundlage von Indizien bejaht1.

Vereinsverbot – und die Völkerverständigungswidrigkeit

Das Bundesverwaltungsgericht hat in der bezeichneten Rechtsprechung, die die Unterstützung der in den palästinensischen Gebieten tätigen HAMAS durch die Förderung der ihr zuzuordnenden Sozialvereine betrifft, im Rahmen des objektiven Tatbestands des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit insbesondere folgende Gesichtspunkte untersucht und unter eingehender Würdigung der dazu von der Verbotsbehörde beigebrachten Indizien bejaht: Den vor allem durch ihren militärisch-terroristischen Bereich begründeten völkerverständigungswidrigen Charakter der HAMAS, die Gleichwertigkeit der militärischen, politischen und sozialen Handlungsebenen der HAMAS und ihre Verschmelzung zu einer Einheit sowie die vor allem durch personelle Verflechtungen und die Übernahme von ideologischen Grundüberzeugungen gewährleistete Einordnung der sogenannten Sozialvereine in das Gesamtgefüge der HAMAS. Nur unter diesen Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht mit einer humanitären Zweckbindung versehene und entsprechend verwandte Zuwendungen wegen ihrer die Akzeptanz der HAMAS steigernden und sie finanziell entlastenden Wirkung als zur Ausfüllung des objektiven Tatbestands des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit geeignet angesehen. Hinzukommen muss die Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen des Verbotstatbestands in Gestalt eines vorsätzlichen Handelns hinsichtlich der den Unterstützungsvorwurf begründenden Umstände und einer Identifizierung mit der HAMAS einschließlich der von ihr verübten Gewalttaten. Die abschließende Beurteilung der Frage, ob sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, hat das Bundesverwaltungsgericht wegen des Umfangs der erforderlichen rechtlichen und vor allem tatsächlichen Überprüfungen durchweg dem jeweiligen Hauptsacheverfahren vorbehalten2.

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Auch im vorliegenden Fall ist die Frage der Erfüllung des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit nach den Maßstäben des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht eindeutig zu beurteilen, zumal nicht nur wie zuletzt im Verhältnis des Urteils vom 18.04.20123 zu demjenigen vom 03.12 20044 eine bloße Fortschreibung der auf die Organisation der HAMAS und ihre sogenannten Sozialvereine in den palästinensischen Gebieten bezogenen Erkenntnisse, sondern die erstmalige Beurteilung der Hizb Allah und der Shahid Stiftung im Libanon in Rede steht. Ob dies durch eine unveränderte Übertragung der bisher aufgestellten rechtlichen Maßstäbe geschehen kann und ob sich die von der Antragsgegnerin beigebrachten Indizien in jeder Hinsicht als tragfähig erweisen, bedarf der intensiven Prüfung in dem anhängigen Hauptsacheverfahren.

Die diese Prüfung erfordernde Eigenart des zur Entscheidung stehenden Verfahrens spiegelt sich in den Indizien wider, die die Antragsgegnerin in der angefochtenen Verbotsverfügung und in ihrer Antragserwiderung vom 05.06.2014 in beachtlicher Zahl zur Ausfüllung der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Maßstäbe beigebracht hat. Beispielhaft kann darauf verwiesen werden, dass in den bisher entschiedenen Fällen die Einbindung der sogenannten Sozialvereine in die HAMAS ganz wesentlich in Gestalt von personellen Verflechtungen zum Ausdruck kam. Vergleichbare Verflechtungen zwischen der Hizb Allah und der Shahid Stiftung hat die Antragsgegnerin bisher nicht aufgezeigt. Sie sieht einen entscheidenden Beleg für die Einbindung der Shahid Stiftung in die Hizb Allah vielmehr in dem sowohl von Seiten der Hizb Allah als auch von Seiten der Shahid Stiftung auf die Feindschaft gegenüber Israel ausgerichteten Märtyrergedanken. Insoweit kann aber jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass, was die Ausrichtung der Hizb Allah anbelangt, in letzter Zeit neben den Konflikt mit Israel die Einbeziehung in die kriegerischen Handlungen in Syrien bzw. in deren Auswirkungen im Libanon getreten ist. Die durch das Vorbringen des Antragstellers aufgeworfene Frage, was dieser Umstand für die Frage einer Verbindung zwischen Hizb Allah und Shahid Stiftung bedeutet, bedarf weiterer Untersuchung. Die Antragsgegnerin hat sich hierzu bisher nur im Zusammenhang mit dem subjektiven Tatbestand des Verbotsgrunds der Völkerverständigungswidrigkeit verhalten. In diesem Zusammenhang hat ferner der Einwand des Antragstellers, die Tätigkeit der Shahid Stiftung sei, wie etwa der Betrieb eines großen Krankenhauses in Beirut belege, nicht auf die Versorgung von Waisenkindern und Hinterbliebenen beschränkt, in den Darlegungen der Antragsgegnerin bislang keine hinreichende Berücksichtigung gefunden.

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Die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten, obwohl die Erfolgsaussichten der Klage offen sind, wäre mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nur dann vereinbar, wenn die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers mit hinreichend gewichtigen Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen wäre. Dies ist nicht der Fall. Dem Anliegen der Antragsgegnerin, bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache eine Fortsetzung der Tätigkeiten des Antragstellers zu unterbinden, die Anlass der erlassenen Verbotsverfügung sind, wird vielmehr durch die in der Beschlussformel bezeichneten Maßgaben hinreichend Rechnung getragen. Diese Maßgaben werden wiederum durch den Vortrag des Antragstellers nahegelegt, er habe die Zusammenarbeit mit anderen Partnerorganisationen im Libanon niemals ausgeschlossen.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. Juli 2014 – 6 VR 1.2014 –

  1. BVerwG, Urteil vom 03.12 2004 – 6 A 10.02, NVwZ 2005, 1435 und darauf aufbauend: BVerwG, Urteil vom 18.04.2012 – 6 A 2.10, NVwZ 2012, 648[]
  2. BVerwG, Beschlüsse vom 16.07.2003 – 6 VR 10.02 – juris; und vom 27.06.2011 – 6 VR 4.10 []
  3. BVerwG, Urteil vom 18.04.2012 – 6 A 2.10[]
  4. BVerwG, Urteil vom 03.12.2004 – 6 A 10.02[]