Wahlfachprüfung im Ersten Staatsexamen – und der Spielraum der Universität

Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung einer Studien- und Prüfungsordnung ist der im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG den Universitäten vom Gesetzgeber eröffnete Spielraum einzustellen.

Wahlfachprüfung im Ersten Staatsexamen – und der Spielraum der Universität

Mit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11.07.20021, das zum 1.07.2003 in Kraft getreten ist, hat der Bundesgesetzgeber die „Substanz des allgemeinen Ausbildungswesens“2 an die Länder und die Universitäten gegeben und die Eigenständigkeit der jeweiligen Prüfungen betont. Die Wahlfachprüfung der „Ersten Prüfung“ sollte vollständig auf die Universitäten übertragen3 und damit die rechtswissenschaftlichen Fakultäten gestärkt werden, die die Prüfung allein durchzuführen und zu verantworten haben4.

In Baden-Württemberg ergeben sich die Vorgaben zu Prüfungen im Rahmen des Schwerpunktstudiums an Juristischen Fakultäten in Baden-Württemberg aus dem Deutschen Richtergesetz (DRiG), dem Juristenausbildungsgesetz (JAG BW) und der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung des Landes (JAPrO BW) sowie der Studien- und Prüfungsordnung für den Studiengang Rechtswissenschaften der Universität (JuSPO 2007).

Grundsätzlich kann die Befähigung zum Richteramt nur erworben werden, wenn ein Studium mit einer ersten Prüfung abgeschlossen wird, die aus der universitären Schwerpunktprüfung und der staatlichen Pflichtfachprüfung besteht (§ 5 DRiG). Die Inhalte von Pflichtfächern und Schwerpunkten (§ 5a DRiG) sind ebenso wie Prüfungen (§ 5d DRiG) allgemein geregelt. Nach § 5d Abs. 1 Satz 2 DRiG ist die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen zu gewährleisten; nach § 5d Abs. 2 Satz 2 DRiG ist im Schwerpunkt mindestens eine schriftliche Leistung zu erbringen.

In Baden-Württemberg sieht das Juristenausbildungsgesetz in § 1 Abs. 3 Satz 1 JAG BW vor, dass die Schwerpunktbereichsprüfung der Ersten Juristischen Prüfung von den Universitäten in eigener Verantwortung abgenommen wird. Nach der Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung gibt es die „Universitätsprüfung“ (§ 1 Abs. 2 Satz 3), für deren Vorbereitung und Durchführung die Universitäten zuständig sind (§ 2, 2. Halbsatz). Für die Staatsprüfung, die das Landesjustizprüfungsamt vorbereitet und durchführt (§ 2, 1. Halbsatz), wird geregelt, wann aufgrund mangelnder schriftlicher Leistungen keine Zulassung zur mündlichen Prüfung erfolgt (§ 16) und wie sich die Endnote der Staatsprüfung errechnet (§ 19). Das Land gibt zudem vor, wie die Endnote der Universitätsprüfung zu bilden ist (§ 32 Abs. 1), wann die Universitätsprüfungsleistungen erbracht werden müssen (§ 33 Abs. 1 und 2 in der bis zum 6.05.2013 geltenden Fassung) und dass die Universitätsprüfung nur einmal wiederholt werden kann (§ 33 Abs. 3 in der bis zum 6.05.2013 geltenden Fassung).

Die hier beschwerdeführende Universität gab in der JuSPO 2007 vor, dass in der Schwerpunktbereichsprüfung insgesamt drei Prüfungsleistungen zu erbringen waren (§ 10 Abs. 2): eine Studienarbeit, eine Aufsichtsarbeit und eine mündliche Prüfung. Die Prüfung war insgesamt nur bestanden, wenn alle Prüfungsleistungen erfolgreich abgelegt wurden (§ 14 Abs. 1); die einzelnen Leistungen wurden gewichtet (§ 14 Abs. 2). Eine nicht bestandene Prüfungsleistung konnte einmal wiederholt werden (§ 17 Abs. 1). War die Wiederholungsprüfung erfolglos, war die Schwerpunktbereichsprüfung endgültig nicht bestanden (§ 17 Abs. 3).

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Der Kläger des Ausgangsverfahrens studierte Rechtswissenschaften bei der Universität. In der universitären Schwerpunktbereichsprüfung erzielte er in der Aufsichtsarbeit im ersten Versuch zwei Punkte, in der Wiederholungsprüfung einen Punkt. Er klagte auf die Feststellung, dass er zur Fortsetzung der Schwerpunktbereichsprüfung berechtigt sei.

Das Verwaltungsgericht Mannheim gab der Klage statt, denn die Ordnung der Universität, die JuSPO 2007, die das Bestehen aller Teilprüfungen verlange, verstoße gegen die landesrechtliche Vorgabe des § 32 Abs. 1 JAPrO BW, wonach aus allen Prüfungsleistungen eine Gesamtnote zu bilden sei. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg änderte das Urteil und wies die Klage ab. Die landesrechtliche Regelung des § 32 Abs. 1 JAPrO BW sei nicht als abschließend zu verstehen. Für das Bestehen der Schwerpunktbereichsprüfung könne universitäres Satzungsrecht höhere Anforderungen stellen. Diese seien mit Art. 12 GG vereinbar, denn alle Teilprüfungen der Schwerpunktbereichsprüfung seien zur Beurteilung der Gesamteignung für das Studienziel wesentlich. Die Revision des Studenten hielt das Bundesverwaltungsgericht für begründet, änderte das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs und wies die Berufung zurück5:

Die Bestehensregelung verletze die durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit der Studierenden. Die Vorgaben der § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 3 JusPO 2007 seien nicht hinreichend geeignet, den in §§ 5 ff. DRiG vorgegebenen Zweck der Schwerpunktbereichsprüfung zu erreichen. Ob eine Teilprüfung unerlässlicher, nicht ausgleichsfähiger Bestandteil der avisierten Qualifikation sei, habe in erster Linie der Normgeber zu beurteilen, der dabei über beträchtliche Einschätzungsspielräume verfüge. Verfassungswidrig seien Regelungen grundsätzlich nur, wenn die ihnen zugrunde liegende Einschätzung sachlich nicht vertretbar sei. Doch unterliege der universitäre Normgeber bei der juristischen Schwerpunktbereichsprüfung engeren grundrechtlichen Bindungen. Die Verbindung von Staats- und Schwerpunktbereichsprüfung in § 5 Abs. 1 DRiG richte beide Prüfungen auf denselben Zweck aus. Auch eine universitäre Bestehensregelung müsse darauf abgestimmt sein. Die Vorgaben für die Schwerpunktprüfung müssten mit der Pflichtfachprüfung kongruent sein. Soweit der Schwerpunktbereich eine Ergänzungsfunktion zum Pflichtfach habe, komme dem staatlichen Normgeber bei der Definition der Eignungsstandards schon logisch das Primat gegenüber dem universitären Normgeber zu. Auch nach dem Verweis des § 5d Abs. 6 DRiG auf das Landesrecht könne der Landesgesetzgeber die wesentlichen prüfungsrechtlichen Eckdaten verbindlich vorgeben. Demgegenüber habe die Universität breitere prüfungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, soweit der Schwerpunktbereich gegenüber dem Pflichtfachbereich eine Vertiefungsfunktion habe.

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Hier habe die Universität ihren prüfungsrechtlichen Gestaltungsspielraum überschritten. Ihre Bestehensregelung sei nicht hinreichend geeignet, den der Universitätsprüfung zugedachten Zweck zu erfüllen, die Eignung für den juristischen Vorbereitungsdienst zu ermitteln. Die Aufsichtsarbeit und die mündliche Prüfung hätten eine Ergänzungsfunktion. Sie müssten sich daher an § 16 JAPrO BW orientieren, wonach in einzelnen Teilprüfungen abgeprüfte Kenntnisse und Fertigkeiten nicht bereits für sich genommen, sondern nur in ihrer Summe ausschlaggebend seien, also nicht bestandene Teilprüfungen durch die Leistungen in anderen Teilprüfungen kompensiert werden könnten, indem eine Durchschnittsnote gebildet werde. Im Unterschied dazu verabsolutiere die Universität in § 14 Abs. 1 und § 17 Abs. 3 JuSPO 2007 die Aussagekraft einzelner Teile der Schwerpunktbereichsprüfung und weiche ersichtlich vom Ansatz der JAPrO BW ab. Demgegenüber habe die Studienarbeit eine Vertiefungsfunktion, weil sie auf wissenschaftlich-methodische Fertigkeiten ausgerichtet sei, weshalb die Universität die Bestehensregelung dafür anders fassen könne als im Landesrecht.

Nichts anderes ergebe sich aus der grundrechtlichen Lehrfreiheit. Der Grundrechtsschutz verändere sich nicht, wenn der staatliche Normgeber die Regelung von Bestehensanforderungen bei Prüfungen im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG auf die Universitäten verlagere. Prüfungsrechtliche Bestehensregelungen wirkten nicht auf die inhaltliche oder methodische Gestaltung von Lehrveranstaltungen zurück.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Universität eine Verletzung der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Lehrfreiheit. Das Bundesverwaltungsgericht habe die grundrechtlich geschützte Befugnis der Universität, Anforderungen der Schwerpunktbereichsprüfung eigenständig festzulegen, ohne verfassungsrechtlich tragfähigen Grund verkürzt. Bei der Gestaltung des Schwerpunktbereichs handelten die Universitäten nicht lediglich aufgrund einer delegierten Rechtsetzungsermächtigung im Rahmen des staatlichen Aufgabenbereichs. Vielmehr sei es gerade Ziel der Reform der Juristenausbildung gewesen, einen Teil der früheren Staatsprüfung auf die Universitäten zu verlagern. Die Schwerpunktbereichsprüfung sollte danach als rechtlich, organisatorisch und zeitlich eigenständige Prüfung von den Universitäten in eigener Verantwortung konzipiert und durchgeführt werden6. Das Bundesverwaltungsgericht habe durch das Erfordernis einer Kongruenz der Eignungsstandards zwischen Pflichtfach- und Universitätsprüfung, die sich aus dem einfachen Recht nicht ergebe, den Einschätzungsspielraum der Universität zur Bedeutung der Teilprüfungen für das Prüfungsziel über Gebühr beschränkt. Es habe die aus der Berufsfreiheit folgenden Anforderungen an Bestehensregelungen für die Schwerpunktbereichsprüfung im Studium der Rechtswissenschaft überdehnt.

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Das Bundesverfassungsgericht gab der Universität Recht. Es nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Universität aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Regelungsspielräume der Universität nicht hinreichend berücksichtigt.

Hochschulen dienen nicht nur der Pflege der Wissenschaft, sondern sind auch Ausbildungsstätten für bestimmte Berufe. Die auf einen berufsqualifizierenden Abschluss zielende Lehre ist eine den Universitäten und den Fakultäten als ihren Untergliederungen einfachgesetzlich übertragene staatliche Aufgabe. Sie können aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit daher kein Recht ableiten, die wissenschaftsorientierte Berufsausbildung autonom zu gestalten7. Den Gesetzgeber trifft im Bereich der Berufsausbildung schon im Hinblick auf die Grundrechtspositionen der Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Mitverantwortung. Es ist Sache des parlamentarischen Gesetzgebers, Rahmenregelungen für die berufsorientierte Lehre zu erlassen; er ist allerdings bei der Ausgestaltung der Berufsausbildungsfreiheit und bei der Festlegung der Rahmenbedingungen mit Blick auf die Wissenschaftsfreiheit nicht gänzlich frei. Vielmehr wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten durch die in Art. 5 Abs. 3 GG enthaltene objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde, wertentscheidende Grundsatznorm begrenzt8. Die Wissenschaftsfreiheit schützt auch die Befugnis zum Erlass von Studien- und Prüfungsordnungen9. Die Freiheit der Lehre umfasst insbesondere deren Inhalt, den methodischen Ansatz und das Recht auf Äußerung von wissenschaftlichen Lehrmeinungen10.

Das angegriffene Urteil berührt nicht nur Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Das Urteil greift in die der Universität im Rahmen ihrer akademischen Selbstverwaltung zustehende Satzungsautonomie ein, die auch die Befugnis umfasst, Prüfungsordnungen zu erlassen9. Diese Einschränkung ist nicht gerechtfertigt. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt das Grundrecht der Universität aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht hinreichend (aa). Zwar ist die Ausgestaltung von Wissenschaftsorganisationen einschließlich des Lehr- und Prüfungsrechts grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, doch lässt sich das in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellte Kongruenzerfordernis weder dem einfachen Recht noch Art. 12 Abs. 1 GG entnehmen (bb).

Die Ausgestaltung von Wissenschaftsorganisationen einschließlich des Lehr- und Prüfungsrechts ist grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt davor, dass der Gesetzgeber kein System schafft, das Entscheidungen ermöglicht, die die Freiheit von Forschung und Lehre gefährden11.

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Der Bundesgesetzgeber hat in Wahrnehmung seiner aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 und Art. 98 Abs. 1 GG folgenden Gesetzgebungskompetenz mit § 5a DRiG eine Regelung geschaffen, welche einen Rahmen für die rechtliche Ausgestaltung des Studiums der Rechtswissenschaft enthält und die nähere Ausgestaltung dem Landesrecht zuweist (vgl. § 5a Abs. 4 DRiG). Er hat dabei die universitäre und die staatliche Prüfung im Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11.07.20021 nicht in einer Weise rechtlich, zeitlich oder organisatorisch verklammert, wie sie das Bundesverwaltungsgericht zugrunde legt. Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf sollte die Schwerpunktbereichsprüfung der ersten Prüfung „vollständig auf die Universitäten übertragen werden“ und die Hochschulen in einen „Qualitätswettbewerb“ untereinander eintreten12. Die rechtswissenschaftlichen Fakultäten hätten die Universitätsprüfung „allein durchzuführen und zu verantworten“13; es gebe nun eine „universitätsautonome Gestaltung der Prüfungsanforderungen und des Prüfungsverfahrens“14. Die Schwerpunktbereichsprüfung sei ein selbständiger Bestandteil der ersten Prüfung und insoweit auch Voraussetzung für den Vorbereitungsdienst, doch könne eine mangelhafte Universitätsprüfung gerade nicht durch eine deutlich bessere Pflichtfachprüfung ausgeglichen werden15. In der Beschlussempfehlung heißt es schließlich, dass die Universitäten die Schwerpunktbereiche „in eigener Verantwortung prüfen“16. Diese Formulierungen sprechen für sich genommen und in ihrer Gesamtheit dafür, dass die Verantwortung für die Schwerpunktbereichsprüfung vollständig bei den Universitäten liegt.

Auf das Landesrecht, das nach § 5a Abs. 4 DRiG „das Nähere“ zum Studium regelt, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an, weil es als solches im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 1 VwGO nicht revisibel ist17.

Die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften ist Aufgabe der Fachgerichte. Sie dürfen dabei die zum Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre eröffneten gesetzlichen Spielräume nicht in einer vom Gesetzgeber nicht intendierten und mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbaren Weise verengen. Dies bewirkt jedoch die Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht, wenn es unter Verkennung der grundgesetzlichen Wertungen davon ausgeht, die beschwerdeführende Universität unterliege bei Regelungen über die juristische Universitätsprüfung aufgrund eines Kongruenzerfordernisses engeren Bindungen als ein prüfungsrechtlicher Normgeber. Eine solche Kongruenz zwischen Pflichtprüfung und Schwerpunktbereichsprüfung gibt das einfache Recht nicht vor. Soweit das Bundesverwaltungsgericht ein Kongruenzerfordernis unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 GG ableitet, verengt es den vom Bundesgesetzgeber im Interesse der Satzungsautonomie der Universitäten eröffneten Spielraum in einer mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbaren Weise. Die Prüfung, ob die streitige Bestehensregelung im konkreten Fall tatsächlich den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, bleibt allerdings Aufgabe der Fachgerichte.

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Ein Kongruenzerfordernis zwischen Bestehensregelungen ergibt sich nicht aus der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG, bei der es sich um revisibles Bundesrecht handelt. Allerdings greift jede Bestehensregelung in die Berufsfreiheit der Geprüften ein. Zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter ist auch ein gewisser, sich in vernünftigen Grenzen haltender „Überschuss“ an Prüfungsanforderungen grundsätzlich hinzunehmen18. Prüfungsregelungen genügen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedoch nur, wenn sie für sich genommen geeignet, erforderlich und zumutbar sind19. Das Bestehen von Teilprüfungen kann folglich gefordert werden, wenn diese schon für sich genommen jeweils eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage für die Erreichung des Prüfungszwecks bieten20. Spezifische Anforderungen einer Kongruenz mit Staatsprüfungen sind Art. 12 Abs. 1 GG damit jedoch nicht zu entnehmen.

Ob die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch einzelne Prüfungsregelungen gewahrt sind, mit denen die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit durch subjektive Zulassungsregelungen eingeschränkt wird21, müssen die Fachgerichte beurteilen. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs waren alle Teilprüfungen der Schwerpunktbereichsprüfung an der beschwerdeführenden Universität so dimensioniert, dass sie für die Gesamteignung der Prüflinge für das Studienziel wesentlich waren. Dann ist auch eine Anforderung, die das Bestehen aller Teilprüfungen erzwingt, zu rechtfertigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage jedoch nicht auseinandergesetzt, weil es, unter Verkennung der nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Satzungsautonomie der Universität auch in Prüfungsfragen9, bereits deren Gestaltungsspielraum als beschränkt angesehen hat. Es erwähnt zwar kurz die Lehrfreiheit, hält diese aber nicht für berührt. Auch lässt das Gericht die Frage, ob die Ausgestaltung der Prüfungsordnung als Satzung der akademischen Selbstverwaltung unterliegt, ausdrücklich offen. Damit verkennt das Gericht den Schutzgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, der die akademische Selbstverwaltung auch hinsichtlich der Satzungsbefugnis in Prüfungsfragen umfasst. Wird der Satzungsautonomie hingegen Rechnung getragen und ein Kongruenzerfordernis universitärer Prüfungen mit der Staatsprüfung demzufolge verneint, bleibt die Frage zu beantworten, ob jede der drei im Schwerpunkt geforderten Prüfungsleistungen bereits für sich genommen eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage über das Bestehen oder Nichtbestehen der Schwerpunktbereichsprüfung bietet. Nur dann ist die Regelung, die das Bestehen aller drei Leistungen fordert, erforderlich und damit auch verhältnismäßig.

In der Beurteilung der Prüfungsregelungen stellen sich tatsächliche Fragen, die von den Fachgerichten unter Beachtung der grundrechtlichen Wertungen zu beantworten sind. Die streitige Bestehensregelung der Universität ist streng, so dass im Vergleich zu anderen Universitäten ein höheres Risiko besteht, die Universitätsprüfung nicht zu bestehen, woraufhin auch eine geringere Zahl an Kandidatinnen und Kandidaten zum Vorbereitungsdienst zugelassen wird. Erhöht die Universität damit die Risiken für Studierende, ein Studium nicht erfolgreich abschließen zu können, ist dies grundsätzlich Teil ihrer Entscheidung in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten, wenn diese sachlich nachvollziehbar auf den Zweck ausgerichtet sind, die für den juristischen Vorbereitungsdienst ungeeigneten Kandidatinnen und Kandidaten zu ermitteln. Dies zu prüfen obliegt sowohl hinsichtlich der Bestehensregelung sowie weiteren insoweit bedeutsamen Regelungen etwa zur Begrenzung oder Freigabe von Wiederholungsversuchen den Fachgerichten.

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Die Grundrechtsverletzung hat besonderes Gewicht, weil das Bundesverwaltungsgericht die aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erwachsende Grundrechtsposition der Universität in seine Überlegungen nicht eingestellt hat. Damit fehlt es an dem Versuch, den bestehenden Konflikt mehrerer verfassungsrechtlich geschützter Positionen im Wege der praktischen Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen22.

Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht anders entschieden hätte, wenn es die verfassungsrechtlichen Maßstäbe beachtet hätte.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Juni 2015 – 1 BvR 2218/13

  1. BGBl I S. 2592[][]
  2. BT-Drs. 14/7176, S. 6[]
  3. vgl. BT-Drs. 14/7176, S. 1[]
  4. vgl. BT-Drs. 14/7176, S. 9[]
  5. BVerwG, Urteil vom 29.05.2013 – 6 C 18.12[]
  6. Verweis auf BT-Drs. 14/7176, S. 1 und 8-10[]
  7. vgl. BVerfGE 35, 79, 121 f.; 67, 202, 207[]
  8. vgl. BVerfGE 35, 79, 114 f.; 93, 85, 95; 111, 333, 353[]
  9. vgl. BVerfGE 93, 85, 93[][][]
  10. BVerfGE 35, 79, 113 f.[]
  11. vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2015 – 1 BvR 1501/13 u.a., Rn. 68; Beschluss vom 24.06.2014 – 1 BvR 3217/07, Rn. 55 ff. m.w.N.[]
  12. BT-Drs. 14/7176, S. 1[]
  13. BT-Drs. 14/7176, S. 9[]
  14. BT-Drs. 14/7176, S. 13[]
  15. vgl. BT-Drs. 14/7176, S. 13[]
  16. BT-Drs. 14/8629, S. 11[]
  17. vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.12 2009 – BVerwG 3 B 35.09 4 f.; Beschluss vom 22.09.2011 – BVerwG 8 B 41.11 5; stRspr[]
  18. BVerfGE 25, 236, , 248; 80, 1, 24[]
  19. vgl. BVerfGE 80, 1, 24 m.w.N.; stRspr[]
  20. vgl. BVerfGE 80, 1, 35; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 06.03.1995 – BVerwG 6 B 3.95 4 f. m.w.N.[]
  21. vgl. BVerfGE 80, 1, 24[]
  22. vgl. BVerfGE 128, 1, 41 m.w.N.[]