Die Rücklage der Industrie- und Handelskammer

Die Bildung von angemessenen Rücklagen gehört zu einer geordneten Haushaltsführung. Daher handelt es sich bei den Mitteln für angemessene Rücklagen ebenfalls um Kosten der Industrie- und Handelskammer im Sinne des § 3 Abs. 2 IHKG1.

Die Rücklage der Industrie- und Handelskammer

Besteht bei der Bildung des Haushaltsansatzes für eine Rücklage nach dem Finanzstatut der Industrie- und Handelskammer ein Beurteilungsspielraum, darf das Verwaltungsgericht nicht seine Beurteilung an die Stelle der behördlichen Einschätzung setzen. Es hat jedoch zu prüfen, ob allgemeingültige Wertungsmaßstäbe, insbesondere das haushaltsrechtliche Gebot der Schätzgenauigkeit, beachtet sind.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG werden die Kosten der Errichtung und der Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG ist der Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) jährlich nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen. Mit Blick auf die Beitragserhebung legt das Gesetz damit eine zweistufige Willensbildung der Kammer zugrunde. Auf einer ersten Stufe stellt die Kammer den Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) auf. Der Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) gilt für ein Haushaltsjahr (Wirtschaftsjahr) und ist – als Plan – im Voraus aufzustellen; vor dem Hintergrund der in diesem Jahr beabsichtigten Tätigkeiten der Kammer prognostiziert er unter Berücksichtigung der erwartbaren Einnahmen und Ausgaben den voraussichtlichen Bedarf, den es durch Beiträge zu decken gilt. Auf einer zweiten Stufe wird dieser voraussichtliche Bedarf alsdann gemäß einer Beitragsordnung im Wege der Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt.

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Die Prüfung, ob ein Beitragsbescheid rechtmäßig ist, erfordert damit nicht nur die Feststellung, ob der im Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) festgesetzte Mittelbedarf der Kammer – die nicht durch Einnahmen (anderweitig) gedeckten Kosten ihrer Tätigkeit – durch eine Beitragsordnung rechtmäßig auf die Kammerzugehörigen umgelegt und ob die Beitragsordnung auch im Einzelfall fehlerfrei angewendet wurde. Geboten ist vielmehr ebenfalls die Feststellung, ob die Festsetzung des Mittelbedarfs der Kammer im Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) den insofern zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt. Der Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) ist der gerichtlichen Überprüfung nicht schlechthin entzogen. Er ist auch der inzidenten Überprüfung im Beitragsrechtsstreit nicht entzogen. Beides wäre mit dem Gebot des Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG, gegen die Beitragserhebung der Industrie- und Handelskammer effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, unvereinbar.

Hiergegen kann die Industrie- und Handelskammer nicht auf ihre Befugnis zur Selbstverwaltung verweisen. Hinter dieser Argumentation steht ersichtlich die Sorge, die gerichtliche Überprüfung könne eine kraftvolle Betätigung der Selbstverwaltung allzu sehr einengen. Diese Sorge ist unbegründet. Jede Autonomie besteht nur in den ihr vom Gesetz gezogenen Grenzen, und es ist Aufgabe der Gerichte, über die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen zu wachen. Wie weit diese gerichtliche Kontrolle reicht, hängt davon ab, wie eng gezogen die gesetzlichen Grenzen sind. Wie noch zu zeigen sein wird, besitzt die Kammer bei der Aufstellung ihres Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) einen sehr weiten Gestaltungsspielraum.

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Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz2 hält die gerichtliche Überprüfung der Ansätze des Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) zwar grundsätzlich für möglich, erklärt sie aber im Beitragsprozess für unzulässig und möchte sie einer gesonderten Unterlassungs- oder Feststellungsklage vorbehalten. Hierfür beruft es sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, derzufolge ein Kammermitglied die Zahlung des Kammerbeitrags nicht mit Einwänden gegen die Beitragsverwendung verweigern darf3. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde. Die zitierte Rechtsprechung betrifft lediglich solche Einwände gegen die Beitragsverwendung, die sich gegen bestimmte Tätigkeiten der Kammer richten. Es trifft zu, dass ein Kammermitglied nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Kammer zwar gerichtlich auf Unterlassung von Tätigkeiten in Anspruch nehmen kann, die außerhalb ihres gesetzlichen Aufgabenkreises liegen4, dass es mit dieser Begründung jedoch nicht die Entrichtung des Kammerbeitrags verweigern kann5. Dies findet seine Begründung darin, dass der Kammerbeitrag der Finanzierung der gesamten Kammertätigkeit dient und daher nicht mit der gebotenen Bestimmtheit einer einzelnen Tätigkeit zugeordnet werden kann. Mit Blick auf die Kammertätigkeit ist der Kammerbeitrag daher verwendungsneutral. Das führt indes nicht dazu, die Ansätze des Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) im Beitragsprozess generell ungeprüft als gegeben hinzunehmen. Gerade die gesetzlichen Bestimmungen für die Haushaltsführung selbst berühren das einzelne Kammermitglied regelmäßig nur über die Beitragspflicht; dann muss es deren Einhaltung gerade im Beitragsprozess zur gerichtlichen Prüfung stellen können.

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Die Kammer besitzt bei der Aufstellung des Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser besteht freilich nicht als globale Größe für den gesamten Bereich des Haushalts- und Finanzrechts, sondern nur, soweit er konkret in den jeweils zu beachtenden Rechtsnormen angelegt ist6. Der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, ob dieser Rahmen gewahrt ist. § 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG gebietet die Beachtung der Grundsätze einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie eine pflegliche Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen. Ferner sind – für spätere als die hier strittigen Haushaltsjahre – seit der Einfügung des § 3 Abs. 7a IHKG durch das Gesetz vom 07.09.20077 die Grundsätze kaufmännischer Rechnungslegung und Buchführung anzuwenden. Unabhängig davon sind ferner die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts sowie ergänzende Satzungsbestimmungen zu beachten. Zu den Grundsätzen des staatlichen Haushaltsrechts zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Dieses ist nicht schon dann verletzt, wenn sich eine Prognose im Nachhinein als falsch erweist; Prognosen müssen aber aus der Sicht ex ante sachgerecht und vertretbar ausfallen8.

Welche rechtlichen Anforderungen an die Aufstellung des Haushaltsplanes (Wirtschaftsplanes) sich hieraus sowie aus weiteren einschlägigen Vorschriften im Einzelnen ergeben, bedarf keiner Vertiefung. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits genügt es, die rechtlichen Anforderungen zu präzisieren, die mit Blick auf die Rücklagenbildung zu stellen sind. Insofern ist davon auszugehen, dass der Kammer die Bildung von Vermögen verboten ist9. Das schließt die Bildung von Rücklagen nicht aus, bindet sie aber an einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass es sich bei den Mitteln für angemessene Rücklagen ebenfalls um Kosten der Industrie- und Handelskammer im Sinne des § 3 Abs. 2 IHKG handelt, die in Ermangelung anderer Finanzquellen durch Beiträge zu decken sind10. Daran ist auch für die Zukunft festzuhalten, da die Bildung von angemessenen Rücklagen auch nach Einführung der Verwaltungsdoppik und der damit verbundenen Orientierung an der kaufmännischen Buchführung für die Industrie- und Handelskammern als nicht gewinnorientierte öffentlichrechtliche Körperschaften weiterhin notwendig ist und zu einer geordneten Haushaltsführung gehört11.

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Die Vorhaltung einer Mittelreserve zur Überbrückung von Einnahmeverzögerungen oder Einnahmeausfällen stellt einen solchen sachlichen Zweck dar. Allerdings muss auch das Maß der Rücklage noch von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein; eine hierdurch in ihrer Höhe nicht mehr gedeckte Rücklage wäre nicht mehr angemessen und würde einer unzulässigen Vermögensbildung gleichkommen. Hieraus folgt nicht nur, dass die IHK eine überhöhte Rücklage nicht bilden darf, sondern auch, dass sie eine überhöhte Rücklage baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen muss. Die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe muss die Kammer bei jedem Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) – und damit jährlich – erneut treffen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 9. Dezember 2015 – 10 C 62015 –

  1. Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26.06.1990 – 1 C 45.87, Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 f.[]
  2. OVG Rheinland-Pfalz, Urtiel vom 23.09.2014 – 6 A 11345/13[]
  3. BVerwG, Urteil vom 13.12 1979 – 7 C 65.78, BVerwGE 59, 242, 245 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.04.2011 – 6 A 11076/10 – LKRZ 2011, 238[]
  4. BVerwG, Urteil vom 23.06.2010 – 8 C 20.09, BVerwGE 137, 171[]
  5. BVerwG, Urteil vom 13.12 1979 a.a.O.; stRspr[]
  6. vgl. BVerwG, Urteile vom 05.08.2015 – 6 C 10.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:050815U6C10.14.0] 42; und vom 14.10.2015 – 6 C 17.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:141015U6C17.14.0] 35[]
  7. BGBl. I S. 2246[]
  8. vgl. BVerfG, Urteil vom 09.07.2007 – 2 BvF 1/04 [ECLI:DE:BVerfG:2007:fs20070709.2bvf000104], BVerfGE 119, 96, 129[]
  9. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1990 – 1 C 45.87, Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12[]
  10. BVerwG, Urteil vom 26.06.1990 a.a.O. S. 12 f.[]
  11. vgl. Jahn, GewArch 2013, 49, 53[]
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