Innenhaftungsfälle in der D&O-Versicherung – und das Abtretungsverbot für Freistellungsansprüche

Eine in den Versicherungsbedingungen einer eine Versicherung für Organe und leitende Angestellte (im Folgenden: D&O-Versicherung) enthaltene Bestimmung, dass der Freistellungsanspruch des Versicherten vor einer endgültigen Feststellung weder abgetreten noch verpfändet werden kann – außer wegen der zwingenden Regelung in § 108 Abs. 2 VVG die Abtretung an den geschädigten Dritten – ist in so genannten Innenhaftungsfällen nicht anwendbar.

Innenhaftungsfälle in der D&O-Versicherung – und das Abtretungsverbot für Freistellungsansprüche

Ob in so genannten Innenhaftungsfällen der D&O-Versicherung der geschädigte Versicherungsnehmer Dritter im Sinne von § 108 Abs. 2 VVG und entsprechender Abtretungsklauseln der Versicherungsbedingungen sein kann, ist in der Literatur umstritten. Die Frage stellt sich in gleicher Weise, wenn der Freistellungsanspruch – wie im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – an ein in den Versicherungsvertrag einbezogenes Tochterunternehmen der Versicherungsnehmerin abgetreten wird.

Der verbreiteten Auffassung, Dritter im Sinne der Regelung zum Abtretungsverbot könne nur sein, wer außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehe, was auf den Versicherungsnehmer als Partei des Versicherungsvertrages nicht zutreffe1, liegt im Wesentlichen die Befürchtung zugrunde, eine Vereinigung von Haftpflicht- und Freistellungsanspruch in einer Hand erhöhe die Missbrauchsgefahr, die in der Haftpflichtversicherung aus einem kollusiven Zusammenwirken („friendly understanding“) der versicherten Person und des Versicherungsnehmers ohnehin entstehen könne2. Trete der Versicherte den Deckungsanspruch an den geschädigten Versicherungsnehmer ab, habe das zur Folge, dass der Versicherungsnehmer, der wenn auch in gewissen Grenzen den Versicherer bei der Abwehr des Haftpflichtanspruchs unterstützen solle, selbst Inhaber dieses Anspruchs werde. Die Regelung des § 108 Abs. 2 VVG beruhe auf zwei für die D&O-Versicherung nicht zutreffenden Erwägungen des Gesetzgebers. Er habe es zum einen Versicherungsnehmern ermöglichen wollen, sich aus der gesamten Schadenangelegenheit herauszuziehen und stattdessen dem Geschädigten einen Zahlungsanspruch gegen den Versicherer zu verschaffen; zum anderen habe der Geschädigte, der oft keine Kenntnis vom Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer habe, vor Nachteilen bei nachlässiger Behandlung der Angelegenheit durch den Versicherungsnehmer und vor dessen Insolvenz geschützt werden sollen3. Diese Ziele würden aber verfehlt, wenn der Geschädigte selbst Versicherungsnehmer sei4. Der Abtretbarkeit des Deckungsanspruchs stehe im Übrigen auch das Trennungsprinzip entgegen5.

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Die herrschende Meinung nimmt demgegenüber zutreffend an, auch ein Unternehmen sei als Versicherungsnehmerin einer D&O-Versicherung in Innenhaftungsfällen geschädigter Dritter im Sinne von § 108 Abs. 2 VVG, so dass ein in Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregeltes Verbot, den Freistellungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag vor seiner endgültigen Feststellung abzutreten, der Abtretung an die geschädigte Versicherungsnehmerin nicht entgegenstehe6.

Diese weite Auslegung des Begriffs „Dritter“ in § 108 VVG erscheint interessengerecht. Dafür spricht zunächst, dass die Missbrauchsgefahr, auf die sich die erstgenannte Auffassung wesentlich stützt, nicht auf die D&O-Versicherung beschränkt ist7, sondern auch in anderen Sparten der Haftpflichtversicherung besteht, dass im Übrigen Missbrauch und kollusives Zusammenwirken zwischen Versicherungsnehmer oder versicherter Person und Geschädigtem auch dann möglich sind, wenn die Abtretung des Deckungsanspruchs unterbleibt8. Der Annahme, eine Vertragspartei könne nicht geschädigter „Dritter“ sein, liegt ersichtlich der gesetzliche Normalfall des § 100 VVG zugrunde, dass ein Haftpflichtversicherungsvertrag für eigene Rechnung geschlossen ist. Sie berücksichtigt aber nicht, dass bei einer Versicherung für fremde Rechnung, wie sie die hier in Rede stehende D&O-Versicherung darstellt, der Begriff des Geschädigten nicht in der Weise eingegrenzt werden kann, dass alle am Vertrag beteiligten Personen von vornherein nicht geschädigte Dritte sein können9. Denn wenn der Versicherer unter anderem Schadensersatzansprüche der Versicherungsnehmerin und ihrer Tochterunternehmen deckt, können diese auch die Stellung einer geschädigten Dritten einnehmen.

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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat zu einer Direktklage nach § 3 Nr. 1 PflVG a.F., der nach seinem Wortlaut ebenfalls voraussetzte, dass der Anspruchsteller „Dritter“ war, entschieden, dass der durch den Fahrer eines Kraftfahrzeuges verletzte Kraftfahrzeughalter trotz seiner Stellung als Versicherungsnehmer der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ebenso wie ein nicht am Vertrage beteiligter Dritter einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer auf Ersatz seines Personenschadens erwerben könne. Soweit dem Versicherungsnehmer und Kraftfahrzeughalter ein vom Versicherungsvertrag gedeckter Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer zustehe, gebiete es die Interessenlage, ihn auch in die Verbesserung des Schutzes der Unfallgeschädigten einzubeziehen, den der Gesetzgeber mit Einführung der Direktklage nach § 3 Nr. 1 PflVG a.F. geschaffen habe10. Das lässt sich auf die ebenfalls als Versicherung für fremde Rechnung ausgestaltete D&O-Versicherung, welche auch Schadensersatzansprüche der Versicherungsnehmerin und ihrer Tochterunternehmen gegen versicherte Personen deckt, übertragen11.

Der in der Haftpflichtversicherung geltende Trennungsgrundsatz steht einer Vereinigung von Haftpflicht- und Freistellungsanspruch in einer Hand nicht entgegen12. Der nicht gesetzlich verankerte Grundsatz tritt hier schon deshalb zurück, weil die Abtretung des Deckungsanspruchs an den geschädigten Dritten vom Gesetz in § 108 Abs. 2 VVG ausdrücklich gebilligt wird. Insoweit sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zur früheren gesetzlichen Regelung in § 38 KVO entwickelt hat13 auf den Streitfall zu übertragen.

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Mit der Abtretung des Deckungsanspruchs der versicherten Person an die geschädigte Versicherungsnehmerin oder wie hier – das geschädigte, in den Versicherungsschutz einbezogene Tochterunternehmen wandelt sich dieser Anspruch in einen Zahlungsanspruch14. Als Geschädigte hat die Tochtergesellschaft weder ein rechtliches Interesse an einer Abwehr ihres Schadensersatzanspruchs noch ist ihr an einer Freistellung von diesem Anspruch gelegen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. April 2016 – IV ZR 51/14

  1. Armbrüster, r+s 2010, 441, 448 f.; Ihlas, D&O 2. Aufl.2009, 408 ff.; Ihlas in MünchKomm-VVG, D&O Rn. 253 ff.; HK-VVG/Schimikowski, 3. Aufl. § 108 Rn. 6; Schimmer, VersR 2008, 875, 878 f.[]
  2. vgl. schon zur früheren Rechtslage nach dem VVG a.F.: v. Westphalen, DB 2005, 431, 432[]
  3. vgl. BT-Drs. 16/3945 S. 87[]
  4. Armbrüster, r+s 2010, 441, 448[]
  5. Schimmer, VersR 2008, 875, 877[]
  6. Baumann, r+s 2011, 229, 230 ff.; Koch, r+s 2009, 133, 135 f.; Lange, r+s 2011, 185, 187; Langheid, NJW 2007, 3745, 3746; Römer/Langheid/Langheid, VVG 4. Aufl. § 108 Rn.20; Langheid, VersR 2009, 1043; Langheid/Goergen, VersPrax 2007, 161, 166; Klimke, r+s 2014, 105, 114; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, VVG 2. Aufl. § 100 Rn. 33a; Bruck/Möller/Koch, VVG 9. Aufl. § 108 Rn. 33; Staudinger/Richters, DB 2013, 2725, 2726; Terno, SpV 2014, 2, 5 ff.; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 41 ff.; Prölss/Martin/Voit, VVG 29. Aufl. Ziff. 10 AVB-AVG Rn. 2[]
  7. Langheid, VersR 2009, 1043[]
  8. Terno, SpV 2014, 2, 5[]
  9. Terno aaO; Bruck/Möller/Johannsen, VVG 8. Aufl. Bd. – IV Anm. B 78, H 22, 23[]
  10. BGH, Urteil vom 10.06.1986 – VI ZR 113/85, r+s 1986, 222 unter – II 2 a[]
  11. Terno aaO S. 6[]
  12. a.A. zur Rechtslage nach altem Recht noch OLG Köln r+s 2008, 468, 469 85]; OLG München VersR 2005, 540, 541 m. zust. Anm. Koch, WuB – IV F § 149 VVG 1.06 und Dreher, DB 2005, 1669; LG Marburg DB 2005, 437, 438; LG München – I VersR 2005, 543; LG Wiesbaden VersR 2005, 545[]
  13. BGH, Urteil vom 12.03.1975 – IV ZR 102/74, VersR 1975, 655 unter 1 b[]
  14. vgl. dazu BGH, Urteil vom 22.01.1954 – I ZR 34/53, BGHZ 12, 136 unter IV; BGH, Beschluss vom 12.10.2011 – IV ZR 163/10, r+s 2012, 74 Rn. 8; vgl. BT-Drs. 16/3945 S. 87; Armbrüster, r+s 2010, 441, 448, 449; Bücken/Hartwig in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 6. Aufl. § 9 Rn. 123; Koch, r+s 2009, 133, 134; Langheid, VersR 2007, 865, 867; ders. VersR 2009, 1043, 1044; Lenz in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 6. Aufl. § 25 Rn.199; v. Rintelen, r+s 2010, 133, 134 f.; HK-VVG/Schimikowski, 3. Aufl. § 108 Rn. 9; Prölss/Martin/Voit, VVG 29. Aufl. AVB-AVG Ziff. 1.1 Rn. 9, Ziff. 10 Rn. 3[]
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