Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts

Im Rahmen der Festsetzung der Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts ist die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr nur dann anzurechnen, wenn sie tatsächlich bezahlt worden ist.

Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts

Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwalts, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet ist1.

Dies führt zur Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die von dem beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse geltend gemachte Verfahrensgebühr aber nur dann, wenn die Geschäftsgebühr tatsächlich an ihn gezahlt worden ist2.

Die Staatskasse wird im Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG unmittelbarer Gebührenschuldner und tritt insoweit an die Stelle des Mandanten; sie ist daher nicht Dritter im Sinne des § 15 a Abs. 2 RVG. Nach der zum 5.08.2009 in Kraft getretenen Norm des § 15 a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt auch im Fall der Anrechnung beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Der Rechtsanwalt hat mithin die Wahl, welche Gebühren er fordert und – falls die Gebühren von unterschiedlichen Personen geschuldet werden – welchen Schuldner er in Anspruch nimmt. Ihm ist es lediglich verwehrt, insgesamt mehr als den Betrag zu verlangen, der sich aus der Summe der beiden Gebühren abzüglich des anzurechnenden Betrages ergibt3.

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Zwar kommt es nach dem Wortlaut der Regelung in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 RVG nur darauf an, dass die Geschäftsgebühr entstanden ist, das heißt durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst wurde, nicht aber darauf, ob sie tatsächlich gezahlt ist. Zweck der Anrechnung ist es zu verhindern, dass die gleiche – oder annähernd gleiche – Tätigkeit zweimal honoriert wird4. Insoweit wurde vertreten, dass es für diese Anrechnung ohne Bedeutung ist, ob der beigeordnete Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr oder einen Vorschuss darauf bereits erhalten hat oder ob mit der Zahlung der Gebühr wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist5.

Ebenfalls zum 5.08.2009 ist jedoch § 55 Abs. 5 RVG neu gefasst worden. Nach § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG hat der Rechtsanwalt in seinem Festsetzungsantrag anzugeben, ob und welche Zahlungen er bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat; spätere Zahlungen hat er nach § 55 Abs. 5 Satz 4 unverzüglich anzuzeigen. Diese Angaben des Rechtsanwalts ermöglichen dem Urkundsbeamten bei der Festsetzung die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen nach § 58 RVG vorzunehmen. Ausweislich der Gesetzesbegründung6 sollten durch die Regelung des § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG dem Urkundsbeamten damit alle für die Festsetzung der Vergütung erforderlichen Daten zur Verfügung stehen, um ermitteln zu können, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln sind.

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Diese Regelung würde aber keinen Sinn ergeben, wenn eine Anrechnung auf die festzusetzende Gebühr auch in anderen Fällen als dem der Zahlung erfolgen soll, wenn z.B. auch die bloße Entstehung der anzurechnenden Gebühr ausreichen würde. Von dem Urkundsbeamten müssten dann erst diese Voraussetzungen abgefragt werden, so dass ihn die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben im Festsetzungsantrag – anders als vom Gesetzgeber gewollt – gerade nicht in die Lage versetzen würden, die festzusetzende Vergütung zu ermitteln. Durch die Tatsache, dass § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG nur eine Anzeige von Zahlungen vorsieht, bringt das Gesetz damit zum Ausdruck, dass es für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Prozesskostenhilfe-Vergütungsverfahren – abweichend von der üblichen Kostenfestsetzung – nur auf die gezahlte, nicht schon auf die entstandene Geschäftsgebühr ankommt7.

Allein die vorliegend im Vergleich erfolgte Titulierung der Geschäftsgebühr zu Lasten der Beklagten rechtfertigt eine Anrechnung noch nicht. Das folgt bereits daraus, dass nicht absehbar ist, ob der titulierte Anspruch überhaupt realisiert werden kann. Wären auf die titulierte Geschäftsgebühr Zahlungen unmittelbar an den Kläger erfolgt, wäre es der Landeskasse unbenommen geblieben, nach § 120 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO vorzugehen und einen Teil der von der Landeskasse aufgebrachten Kosten von dem Kläger zurückzuverlangen.

Dem mit den Anrechnungsvorschriften verfolgten Zweck der Vermeidung einer doppelten Vergütung des Rechtsanwalts für sich entsprechende außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit wird gegenüber dem Mandanten durch die Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO genügt. Ein mit den Anrechnungsvorschriften bezweckter besonderer Schutz der Staatskasse lässt sich auch weder dem Wortlaut noch der Systematik der Vorschriften noch ihrer Entstehungsgeschichte oder den Gesetzesmaterialien entnehmen. Soweit auf die gewährte Prozesskostenhilfe Raten zu zahlen sind, steht eine Schädigung der Staatskasse ohnehin nicht zu befürchten8.

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Eine fiktive Anrechnung von erzielbarer Beratungshilfe ist dabei nicht geboten, da es nach den obigen Darstellungen auf die tatsächlich erhaltenen Zahlungen, nicht aber auf fiktive Zahlungen ankommt9.

Im vorliegend entschiedenen Fall hat die Beklagte auf die im Vergleich bezüglich der vorprozessuale Geschäftsgebühr titulierten Verbindlichkeit gegenüber dem Kläger eine Zahlung von 961,28 € unmittelbar an den Antragsteller erbracht, so dass die Voraussetzungen für eine Anrechnung dieser Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG zu Teil 3 VV RVG gegeben sind. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller die Zahlung direkt von dem Kläger als seinem Mandanten erhalten hat oder ob der Beklagte – wie im vorliegenden Fall – als Dritter die entsprechende Forderung des Antragstellers gegenüber dem Kläger erfüllt hat, § 267 Abs. 1 BGB.

Die Frage, ob eine von dem Mandanten gezahlte Geschäftsgebühr in voller Höhe auf die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 49 RVG oder zunächst auf die Differenz zwischen dieser Vergütung und der Wahlanwaltsvergütung nach § 13 RVG anzurechnen ist10, bedurfte vorliegend dabei keiner Klärung.

Selbst wenn man die gezahlte Geschäftsgebühr zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt anrechnet, ergibt sich im vorliegenden Fall ein Überschuss, welcher auf die Geschäftsgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 49 RVG anzurechnen ist.

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Ebenso wenig kam es danach noch auf die Frage an, ob auch der von dem Mandanten auf die vorprozessuale Geschäftsgebühr gezahlte Betrag auf die festgesetzte Verfahrensgebühr anzurechnen war.

Sowohl vorprozessual als auch mit der Klage wurden Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend gemacht. Der diesbezüglich vorprozessual angenommene Streitwert von 65.865,86 € hatte sich im Rechtsstreit auf bis zu 19.000,00 € reduziert, da dem Kläger nur in diesem Umfang Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Es bestand aber weiterhin Identität des Streitgegenstands.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 7. November 2013 – 2 W 235/13

  1. vgl. OLG Brandenburg, MDR 2011, 1206-1207; OLG Frankfurt, FamRZ 2013, 323-324; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn. 35 und 36 sowie § 15 a Rn. 15 m.w.N.[]
  2. vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; und JurBüro 2013, 21-22; und 2013, 467; OLG Braunschweig, FamRZ 2011, 1683-1684; Nds. FG, EFG 2012, 553-556; Gerold/Schmidt a.a.O.; Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl., § 15 a Rn. 25; Meyer/Kroiß/Winkler, RVG, 6. Aufl. § 15 a Rn. 23; im Ergebnis wohl auch: Hessischer VGH, Beschluss vom 27.06.2013 – 6 E 600/13[]
  3. vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2013, 323-324 m.w.N.[]
  4. vgl. Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., Nr. 3100 VV RVG Rn. 55[]
  5. vgl. Hamburgisches OVG, JurBüro 2009, 137-138 m.w.N.[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/12717 Seite 59[]
  7. vgl. OLG Brandenburg a.a.O; OLG Frankfurt a.a.O.; Niedersächsisches Finanzgericht a.a.O.; Gerold/Schmidt a.a.O. § 58 Rn. 41[]
  8. vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.[]
  9. vgl. Nds. FG, a.a.O.[]
  10. vgl. dazu OLG Braunschweig, a.a.O.; und Nds. FG, a.a.O.[]
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