Berufungsrücknahme – und die erstattungsfähige Höhe der Verfahrensgebühr

Im Bereufungsverfahren entsteht die Verfahrensgebühr eines Prozessbevollmächtigten nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 RVG in Höhe einer 1, 6fachen Gebühr. Diese ist für die Berufungsbeklagte auch dann erstattungsfähig, wenn die Berufung später – etwa auf einen Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO – zurückgenommen wird.

Berufungsrücknahme – und die erstattungsfähige Höhe der Verfahrensgebühr

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nahm die Klägerin die Beklagte in erster Instanz erfolglos aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung im Zusammenhang mit der Ablösung von Darlehen in Anspruch. Gegen das klageabweisende landgerichtliche Urteil legte sie am 13.07.2012 Berufung ein. Daraufhin bestellte sich am 20.07.2012 der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für die zweite Instanz und beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Die Klägerin begründete ihre Berufung am 17.09.2012. Auf Hinweis des Berufungsgerichts vom 19.10.2012 gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO nahm die Klägerin ihre Berufung mit der Kostenfolge des § 516 Abs. 3 ZPO zurück. Dem Antrag der Beklagten, für das Berufungsverfahren eine 1, 6fache Verfahrensgebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG aus einem Streitwert bis 65.000 € nebst einer Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG und der Umsatzsteuer auf die Vergütung gemäß Nr. 7008 VV RVG gegen die Klägerin festzusetzen, hat das Landgericht entsprochen1. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht München zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen2. Die vom OLG München zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshofs ebenfalls zurückgewiesen:

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Nach Nr. 3201 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG ermäßigt sich die Verfahrensgebühr zwar bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags, wozu auch die Beendigung durch Rücknahme der Berufung gehört, auf eine 1, 1fache Gebühr. Hat der Rechtsanwalt aber bereits einen Schriftsatz eingereicht, der Sachanträge enthält, kommt eine vorzeitige Beendigung des Auftrags und damit eine Ermäßigung der Gebühr nicht mehr in Betracht3.

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG ist zudem zu entnehmen, dass allein die Stellung der Sachanträge die volle Verfahrensgebühr auslöst, auch wenn der Schriftsatz des Rechtsmittelgegners keinen Sachvortrag zur Begründung seines Antrags enthält4.

Diese Kosten sind der Berufungsbeklagten nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erstatten, weil sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten notwendig sind, bestimmt sich grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei eine die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Nach Einreichung der Rechtsmittelbegründung hat der Rechtsmittelgegner ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe eine Zurückweisung des Rechtsmittels anzustreben und einen entsprechenden Antrag anzukündigen. Stellt der Rechtsmittelgegner vor Einreichung der Rechtsmittelbegründung einen Zurückweisungsantrag und geht die Rechtsmittelbegründung anschließend ein, ist die Verteidigung bei wertender Betrachtung ebenfalls notwendig. Es liefe auf eine unnötige Förmelei hinaus; vom Rechtsmittelgegner zu fordern, nach Eingang der Rechtsmittelbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einzureichen, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen5. Für die Frage der Erstattungsfähigkeit kommt es mithin nicht auf die zeitliche Reihenfolge der jeweiligen Anträge an.

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Der Umstand, dass das Berufungsgericht nach Vorlage der Berufungsbegründung nicht in der Sache entschieden hat, weil die Klägerin die Berufung auf Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zurückgenommen hat, ändert, wie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung inzwischen geklärt ist, an der Erstattungsfähigkeit der 1, 6fachen Verfahrensgebühr nichts6. Ist die Verteidigung des Rechtsmittelgegners in dem Zeitpunkt notwendig, in dem die Rechtsmittelbegründung eingereicht wird, kann es keinen Unterschied machen, auf welche Weise das Rechtsmittelverfahren später beendet wird. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.11.20097 betraf die anders gelagerte Frage, ob der Berufungsbeklagte nach einem ihm mitgeteilten Hinweis des Berufungsgerichts auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift Anlass hatte, innerhalb der mit dem Hinweis verbundenen Stellungnahmefrist kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. September 2014 – XI ZB 21/13

  1. LG München I, Beschluss vom 15.04.2013 – 27 O 2189/09[]
  2. OLG München, Beschluss vom 02.10.2013 – 11 W 1802/13[]
  3. BGH, Beschluss vom 23.10.2013 – V ZB 143/12, NJW-RR 2014, 185 Rn. 5 f. mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 02.10.2008 – I ZB 111/07, NJW-RR 2009, 859 Rn. 9[]
  5. BGH, Beschluss vom 23.10.2013 – V ZB 143/12, NJW-RR 2014, 185 Rn. 10[]
  6. BGH, Beschluss vom 23.10.2013 – V ZB 143/12, NJW-RR 2014, 185 Rn. 11 ff.[]
  7. BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VIII ZB 60/09, NJW-RR 2010, 1224 Rn. 10[]
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