cic oder Gewährleistungansprüchen nach Gefahrübergang?

Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragschluss sind im Sachbereich der §§ 434 ff. BGB nach Gefahrübergang grundsätzlich ausgeschlossen; das gilt jedoch, wie der BGH in einer aktuellen Entscheidung nunmehr auch für das seit 2002 geltende neue Schuldrecht entschieden hat, zumindest dann nicht, wenn der Verkäufer den Käufer über die Beschaffenheit der Sache arglistig getäuscht hat.

cic oder Gewährleistungansprüchen nach Gefahrübergang?

Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen auf die Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 280 i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) im Sachbereich der §§ 434 ff. BGB zurückgegriffen werden darf, ist umstritten und bislang nicht höchstrichterlich geklärt1.

Teilweise wird vertreten, Ansprüche aus kaufrechtlicher Gewährleistung und solche aus Verschulden bei Vertragsschluss bestünden stets nebeneinander. Es handle sich um unterschiedliche Haftungssysteme, die verschiedene Zwecke verfolgten und unterschiedliche Voraussetzungen hätten2.

Eine zweite Auffassung lehnt einen Rückgriff auf die Regeln des Verschuldens bei Vertragsschluss nach Gefahrübergang stets ab, sofern es um Verhaltenspflichten des Verkäufers im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kaufsache geht. Der Käufer sei durch das Gewährleistungsrecht der §§ 434 ff. BGB hinreichend geschützt. Das gelte auch bei vorsätzlichem Verhalten des Verkäufers3.

Die wohl herrschende Meinung erkennt zwar grundsätzlich einen Vorrang des Gewährleistungsrechts nach Gefahrübergang an, lässt hiervon aber Ausnahmen zu:

Ein Teil der Lehre meint, bei vorsätzlichem Verhalten hafte der Verkäufer auch aus Verschulden bei Vertragsschluss, weil der Verkäufer in diesem Fall nicht schutzwürdig sei und kein berechtigtes Interesse an der Möglichkeit der Nacherfüllung habe4.

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Teilweise wird eine weitere Ausnahme für den Fall befürwortet, dass der Umstand, auf den sich das Verschulden des Verkäufers bei dem Vertragsschluss bezieht, zwar zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung hätte gemacht werden können, dies aber nicht geschehen ist. Einem Käufer, der von dem Verkäufer irregeführt worden sei und der deshalb keinen Anlass gehabt habe, eine Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen, könne der Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss nicht abgeschnitten werden5.

Der BGH entscheidet die Rechtsfrage nunmehr dahin, dass nach Gefahrübergang zwar von einem grundsätzlichen Vorrang der §§ 434 ff. BGB auszugehen ist, eine Ausnahme jedoch zumindest bei vorsätzlichem Verhalten geboten ist.

Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung der Konkurrenzfrage. Der Gesetzgeber hat die Problematik zwar gesehen, sie aber offenbar Rechtsprechung und Lehre zur Klärung überlassen6. Im Übrigen lässt sich den Materialien lediglich entnehmen, dass die Heranziehung der Grundsätze über das Verschulden bei Vertragsschluss zumindest beim Unternehmenskauf zugunsten der kaufrechtlichen Regelungen zurückgedrängt werden sollte7. Das spricht eher für als gegen eine abschließende Sonderregelung durch die §§ 434 ff. BGB.

Systematische und teleologische Erwägungen erhärten die Annahme einer Sperrwirkung. Nach ständiger Rechtsprechung war das bis zum 31. Dezember 2001 geltende Schuldrecht von einem grundsätzlichen Vorrang der Bestimmungen der §§ 459 ff. BGB a.F. geprägt, der nur bei Vorsatz entfiel8. Zwar ist das für diese Lösung seinerzeit ins Feld geführte Argument – die Beschränkung des § 463 BGB a.F. auf Vorsatz dürfe über die Anwendung der Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsschluss nicht unterlaufen werden -, nunmehr obsolet geworden; das geltende Recht billigt gewährleistungsrechtliche Schadensersatzansprüche nunmehr schon bei Fahrlässigkeit zu (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 2, 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die von der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB abweichenden Verjährungsfristen (§ 438 BGB) die Annahme einer Sperrwirkung stützen können, weil es für den hier in Rede stehenden Sachbereich nahe liegen dürfte, § 438 BGB auf Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss entsprechend anzuwenden9. Indessen bestehen auch hiervon abgesehen kaufrechtliche Besonderheiten, die die Annahme einer Sperrwirkung gebieten. So steht dem Verkäufer grundsätzlich das Recht zur Nacherfüllung zu (§ 439 BGB), und Ansprüche wegen eines Mangels sind grundsätzlich schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers ausgeschlossen (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Sonderregelungen würden unterlaufen, wenn die Regeln über das Verschulden bei Vertragsschluss daneben stets anwendbar wären. Der Gesetzgeber hätte in sinnwidriger Weise etwas weithin Überflüssiges normiert. Davon kann nicht ausgegangen werden.

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Der Annahme einer Sperrwirkung steht nicht entgegen, dass Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss und solche aus § 437 BGB an unterschiedliche Haftungsgrundlagen anknüpfen. Denn bei der gebotenen teleologischen Betrachtungsweise ist nicht die formale Anknüpfung – Verletzung vor-vertraglicher (gesetzlicher) Verpflichtungen bei § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, Mangelhaftigkeit der Sache bei § 437 BGB – von entscheidender Bedeutung, sondern der Umstand, dass der Gesetzgeber die Verletzung vorvertraglicher Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kaufsache dem späteren Vertrag zuordnet10. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass Schadensersatzansprüche wegen Lieferung einer anfänglich mangelbehafteten Sache, die an einen vor Abschluss der Vertrages liegenden Umstand anknüpfen (§ 311a Abs. 2 BGB), nach § 438 BGB verjähren11. Für behebbare Mängel, die sich auf ein anfängliches Leistungshindernis gründen, kann nichts anderes gelten. Auf die Beschaffenheit der Sache bezogene Aufklärungspflichten sind daher in dem einen wie in dem anderen Fall grundsätzlich dem vertraglichen Regime unterworfen.

Allerdings besteht der Vorrang der kaufrechtlichen Regelungen nicht ausnahmslos. Auch unter der Geltung des neuen Schuldrechts ist eine Ausnahme jedenfalls bei arglistigem (vorsätzlichem) Verhalten des Verkäufers gerechtfertigt. Kaufrechtliche Sonderregelungen, die umgangen werden könnten, greifen dann nämlich nicht ein. Die Verjährung richtet sich bei Arglist nach der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 438 Abs. 3 Satz 1 BGB). Der Verkäufer kann sich auf einen Haftungsausschluss nicht berufen (§ 444 BGB). Er haftet auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB) und verliert im Regelfall die Möglichkeit der Nacherfüllung12. Auch nach neuem Schuldrecht ist der arglistig handelnde Verkäufer nicht schutzbedürftig13.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. März 2009 – V ZR 30/08

  1. vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Januar 2008, III ZR 224/06, NJW-RR 2008, 564, 565[]
  2. Bamberger/Roth/Faust, BGB, 2. Aufl., § 437 Rdn. 190; MünchKomm-BGB/ Emmerich, 5. Aufl., § 311 Rdn. 143; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl., § 7 Rdn. 35; Derleder, NJW 2004, 969, 974 f.; Emmerich, FS Honsell, 209, 219 ff.; Häublein, NJW 2003, 388, 391 ff.; Reischl, JuS 2003, 1076, 1079; vgl. Barnert, WM 2003, 416, 424 f.; Kindl, WM 2003, 409; Köndgen in Schulze/Schulte-Nölke [Hrsg.], Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 231, 238 f.[]
  3. AnwK-BGB/Krebs, § 311 Rdn. 76; Bamberger/Roth/ Grüneberg/Sutschet, BGB, 2. Aufl., § 311 Rdn. 79; Erman/Kindl, BGB, 12. Aufl., § 311 Rdn. 45 f.; Jauernig/Stadler, BGB, 12. Aufl., § 311 Rdn. 38; Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 311 Rdn. 14 f.; Palandt/Weidenkaff, aaO, § 437 Rdn. 51a f.; Roth, JZ 2006, 1026; Schaub, AcP 202 [2002], 757, 782 f.; Schulze/Ebers, JuS 2004, 462, 463; vgl. PWW/Medicus, BGB, 3. Aufl., § 311 Rdn. 58 ff.; so wohl auch Hk-BGB/Schulze, 5. Aufl., § 311 Rdn. 14; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB [2004], § 437 Rdn. 67 ff.[]
  4. Erman/Grunewald, aaO, vor § 437 Rdn. 15 ff.; Jauernig/Berger, aaO, § 437 Rdn. 34; jurisPK-BGB/Pammler, 4. Aufl., § 437 Rdn. 57; MünchKomm-BGB/Westermann, 5. Aufl., § 437 Rdn. 58; PWW/D. Schmidt, aaO, § 437 Rdn. 75; Huber in Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 14. Kap. Rdn. 29; Krüger in Krüger/Hertel, Der Grundstückskauf, 9. Aufl., Rdn. 669; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl., § 2 Rdn. 298; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl., Rdn. 861; Berger, JZ 2004, 276, 282 Fn. 77; Huber, AcP 202 [2002], 179, 228 Fn. 165; Kulke, ZGS 2007, 89, 92; Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926; ders., NJW 2007, 1, 4; Müller, FS Hadding, 199, 205 ff.; Rösler, AcP 207 [2007], 564, 603; Schröcker, ZGR 2005, 63, 89 f.; vgl. auch OLG Hamm ZGS 2005, 315, 317[]
  5. OLG Hamm ZGS 2005, 315, 317; MünchKomm-BGB/Westermann, aaO, § 437 Rdn. 59; Musielak, Grundkurs BGB, 10. Aufl., Rdn. 620; Canaris in E. Lorenz [Hrsg.], Karlsruher Forum, 2002: Schuldrechtsmodernisierung, S. 5, 89 f.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126; Mertens, AcP 203 [2003], 818, 839 f.; Schmidt-Räntsch, ZfIR 2004, 569, 572; Weiler, ZGS 2002, 249, 255; vgl. AnwK/Büdenbender, BGB, § 437 Rdn. 116; Rösler, AcP 207 [2007], 564, 603[]
  6. vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 161 f.[]
  7. aaO S. 242[]
  8. vgl. BGHZ 136, 102, 109; Senat, BGHZ 60, 319, 320 ff.; 114, 263, 266; Urt. v. 10. Juli 1987, V ZR 236/85, NJW-RR 1988, 10, 11; Urt. v. 3. Juli 1992, V ZR 97/91, NJW 1992, 2564, 2566; Urt. v. 5. Oktober 2001, V ZR 275/00, NJW 2002, 208, 210[]
  9. vgl. auch Canaris, aaO S. 88; Krüger in Krüger/ Hertel, aaO, Rdn. 666[]
  10. vgl. Schmidt-Räntsch, ZfIR 2004, 569, 571[]
  11. vgl. nur Schmidt-Räntsch, aaO[]
  12. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2006, V ZR 249/05, NJW 2007, 835, 837; BGH, Urteil vom 9. Januar 2008, VIII ZR 210/06, NJW 2008, 1371, 1373[]
  13. vgl. auch BGHZ 167, 19, 24[]
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