Die noch nicht gewährte Prozesskostenhilfe -und die Berufungsbegründungsfrist

Prozesskostenhilfe kann in der Berufungsinstanz nicht regelmäßig mit der Begründung versagt werden, der Prozessbevollmächtigte sei unabhängig von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zur Fertigung der Berufungsbegründung bereit gewesen, so dass die Bedürftigkeit der Beklagten für die Fristversäumung nicht kausal geworden sei.

Die noch nicht gewährte Prozesskostenhilfe -und die Berufungsbegründungsfrist

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer fristwahrenden Handlung hier: der Begründung der Berufung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über seinen Prozesskostenhilfeantrag entschieden werden konnte.

Deshalb kann eine unbemittelte Partei, für die ein Anwalt formularmäßig Rechtsmittel eingelegt hat, ohne es zu begründen, die aber keinen Prozessbevollmächtigten hat, der gewillt ist, für sie weiter tätig zu werden, noch am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist einen Prozesskostenhilfeantrag stellen. Das Rechtsmittel darf dann nicht mit dem Argument verworfen werden, innerhalb der Begründungsfrist sei keine Begründung eingereicht worden1.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit der betroffenen Partei für die Fristversäumung kausal geworden ist2. Rechtsmittelfristen werden nur schuldlos im Sinne von § 233 ZPO versäumt, wenn eine Partei sich wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels zu beauftragen3. Entscheidend für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer Partei für die Versäumung der Frist ist, ob der Rechtsanwalt bereit war, das Rechtsmittel auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen und zu begründen4. Holt die Partei die Verfahrenshandlung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nach, so ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterbliebene und sodann verspätet vorgenommene Verfahrenshandlung ursächlich geworden ist. Einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe begründet werden konnte, bedarf es nicht5. Anders verhält es sich, wenn die Begründung noch innerhalb der Frist erfolgt. Dann ist davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für eine gleichwohl eintretende Fristversäumung nicht kausal geworden ist6.

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Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Frist zur Begründung der Berufung schuldlos versäumt. Sie hat innerhalb der Frist zur Berufungseinlegung einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und die Beiordnung ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Beklagte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nicht darauf vertrauen durfte, sie erfülle die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, bestehen nicht.

Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufung nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung begründet hat, hindert die Annahme nicht, die Mittellosigkeit der Beklagten sei für die Fristversäumung kausal geworden. Wird nach Fristablauf das Rechtsmittel begründet, kann, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, nicht darauf geschlossen werden, dass die Mittellosigkeit deshalb nicht kausal für die Fristversäumung geworden ist, weil der Prozessbevollmächtigte unabhängig von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu einer weiteren Tätigkeit bereit war. Darlegungen, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist begründet werden konnte, bedarf es nicht7. Mangels gegenteiliger Feststellungen ist auch vorliegend davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit der Beklagten für die Fristversäumung kausal geworden ist.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Januar 2016 – I ZB 41/15

  1. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27.09.2004 – II ZB 17/03, FamRZ 2005, 105; BGH, NJW-RR 2012, 757 Rn. 8[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2008 – VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855; BGH, NJW-RR 2012, 757 Rn. 9[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 24.06.1999 – V ZB 19/99, NJW 1999, 3271; BGH, NJW-RR 2012, 757 Rn. 9[]
  4. BGH, NJW 2008, 2855 Rn. 4[]
  5. BGH, NJW 2008, 2855 Rn. 5; NJW-RR 2012, 757 Rn. 9[]
  6. BGH, NJW 2008, 2855 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 16.11.2010 – VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 21[]
  7. vgl. BGH, NJW-RR 2012, 757 Rn. 9[]
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