Die plötzliche Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Mit der Unterrichtungspflicht eines durch plötzlich auftretende Krankheit an der Wahrnehmung des Einspruchstermins gehinderten Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Gericht hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Die plötzliche Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Gegen ein zweites Versäumnisurteil eines Berufungsgerichts findet die Revision ohne Zulassung gemäß § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt1. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels setzt jedoch die schlüssige Darlegung voraus, dass kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen habe2.

Die Verschuldensfrage richtet sich hierbei nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand3. Bei dieser Bewertung ist das Revisionsgericht nicht an den Informationsstand gebunden, über den das Berufungsgericht bei Erlass seiner Entscheidung verfügte4.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Klägerin im hier entschiedenen Fall nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht schlüssig dargetan, dass sie den Einspruchstermin unverschuldet versäumt hat. Vielmehr beruht die Säumnis im Termin bereits nach dem klägerischen Vortrag auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das sich die Klägerin als eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am Terminstag erkrankungsbedingt nicht zu der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anreisen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, die Prozessbevollmächtigte habe den Termin unverschuldet versäumt. Eine schuldhafte Säumnis liegt regelmäßig auch dann vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Vertagung zu ermöglichen5. Bereits aus dem dargelegten zeitlichen Ablauf ergibt sich, dass es der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen ist, das Berufungsgericht rechtzeitig telefonisch über ihre krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit selbst in Kenntnis zu setzen oder über ihren Bürokollegen informieren zu lassen.

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Die rasche Verschlechterung der bereits am Morgen des Terminstages bestehenden Krankheitssymptome trat ausweislich des klägerischen Vortrags gegen 10.45 Uhr auf, als die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Autobahn A 3 von Köln in Richtung Mülheim an der Ruhr befuhr. Dass die Prozessbevollmächtigte zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, rechtzeitig um 12.00 Uhr das Berufungsgericht erreichen zu können, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Angesichts der dargelegten erheblichen Übelkeit, unter der sie zu dieser Uhrzeit litt, und in Anbetracht der – zulässigerweise – knapp kalkulierten Fahrzeit, durfte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch nicht berechtigterweise darauf vertrauen, die nicht unerhebliche Restfahrstrecke bis zu Beginn der Terminstunde überhaupt oder zumindest ohne nennenswerte Verzögerungen absolvieren zu können. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte es der gebotenen anwaltlichen Sorgfalt entsprochen, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die im konkret vorhersehbaren Fall einer Säumnis im Einspruchstermin drohenden, schwerwiegenden Nachteile von der Mandantin abzuwenden. Hierzu wäre eine telefonische Kontaktaufnahme zu dem Berufungsgericht oder ein mit der Bitte um Weiterleitung des Verhinderungsgrundes verbundener Anruf bei dem Bürokollegen erforderlich, aber auch ausreichend gewesen. Ein solches Telefonat entweder über ein vorhandenes Mobiltelefon oder aber ein öffentliches Telefon zu führen, war der Prozessbevollmächtigten der Klägerin trotz der vorgetragenen schweren Übelkeit zumutbar. Regelmäßig ist der für einen einzigen Telefonanruf anzusetzende Kraftaufwand geringer zu bewerten als die mit einem nicht unerheblichen Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration verbundene 45minütige Fahrt mit dem Pkw auf einer vielbefahrenen Straße, welche die Prozessbevollmächtigte auch noch nach Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes absolvieren konnte. Hierbei oblag es der Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus anwaltlicher Vorsicht, die für eine Kontaktaufnahme zum Berufungsgericht erforderlichen Nummern oder aber die Telefonnummer ihres Bürokollegen angesichts des engen Zeitplans und der stets bestehenden Möglichkeit auch verkehrsbedingter Verzögerungen verfügbar zu halten.

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Spätestens jedoch vor dem Aufsuchen der Arztpraxis war es der Prozessbevollmächtigten möglich und zumutbar, das Berufungsgericht oder ihren Bürokollegen aus ihren mit Telefon und Faxgerät ausgestatteten Kanzleiräumen zu kontaktieren. Nach ihrem Vortrag begab sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegen 11.30 Uhr und damit rechtzeitig vor dem angesetzten Verhandlungstermin in die unterhalb ihrer Kanzlei gelegenen Praxisräume. Zu diesem Zeitpunkt war eine – wenn auch nur vorübergehende – Besserung ihrer Beschwerden eingetreten, so dass es für die Prozessbevollmächtigte der Klägerin nur eine geringe und damit zumutbare Anstrengung bedeutet hätte, ihre Verhandlungsunfähigkeit telefonisch oder per Fax mitzuteilen. Dass ihr Bürokollege auch im Fall eines Anrufs um 11.30 Uhr nicht mehr rechtzeitig den Termin hätte wahrnehmen können, entband die Prozessbevollmächtigte der Klägerin insoweit nicht von ihrer Pflicht, eine Vertagung des Verhandlungstermins durch das Berufungsgericht zu ermöglichen. Dieses Anliegen hätte auch ihr ortsabwesender Bürokollege an das Berufungsgericht telefonisch oder per Fax weiterleiten können.

Das Berufungsgericht hat die zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebotene Rücksichtnahme auf die Verfahrensbeteiligten nicht verletzt6. Vor Eingang des durch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandten Telefaxes um 14.02 Uhr ergaben sich für das Berufungsgericht keine Anhaltspunkte, die auf eine unverschuldete Säumnis der Klägerin hindeuteten. Zu diesem Zeitpunkt, mehr als zwei Stunden nach Beginn des Einspruchstermins, hatte das Berufungsgericht das zweite Versäumnisurteil bereits zulässigerweise verkündet.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. September 2015 – IX ZR 207/14

  1. BGH, Beschluss vom 03.03.2008 – II ZR 251/06, WM 2008, 1231 Rn. 3 mwN[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1998 – – IX ZR 152/98, NJW 1999, 724; vom 03.11.2005 – I ZR 53/05, NJW 2006, 448 Rn. 12; Beschluss vom 12.03.2013 – VIII ZB 42/12, nv Rn. 5[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2007 – IX ZR 100/06, NJW 2007, 2047 Rn. 6; vom 25.11.2008 – VI ZR 317/07, NJW 2009, 687 Rn. 11[]
  4. BGH, Urteil vom 25.11.2008, aaO[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1998, aaO; vom 03.11.2005, aaO Rn. 14; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 22. Aufl., § 514 Rn. 9; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 514 Rn. 9[]
  6. vgl. BVerfGE 93, 99, 112 ff; BGH, Urteil vom 19.11.1998 – IX ZR 152/98, NJW 1999, 724, 725; vom 03.11.2005 – I ZR 53/05, NJW 2006, 448 Rn. 18[]