Die Abberufung eines Sonderverwalters – und die Einberufung der Gläubigerversammlung

In einem Gesamtvollstreckungsverfahren ist der Verwalter nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, in welcher über die Abberufung eines Sonderverwalters und die Aufhebung der Sonderverwaltung beschlossen werden soll.

Die Abberufung eines Sonderverwalters – und die Einberufung der Gläubigerversammlung

Die Gläubigerversammlung ist zwar auch im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung befugt, die Abberufung eines gerichtlich bestellten Sonderverwalters zu beantragen oder wenigstens anzuregen. Die für die Abberufung des Gesamtvollstreckungsverwalters geltende, auf den Sonderverwalter entsprechend anzuwendende1 Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO steht nicht entgegen.

Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO kann der Verwalter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vom Gericht abberufen werden. Anders als nach § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ist die Entlassung des Verwalters nicht von einem Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses abhängig. Schon ihrem Wortlaut nach verbietet die Vorschrift der Gläubigerversammlung nicht, sich mit der Frage zu befassen, ob die Abberufung des Verwalters oder des Sonderverwalters beantragt oder angeregt werden soll. Dass sie – anders als nunmehr § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO – die Abberufung auf Antrag der Gläubigerversammlung, des Gläubigerausschusses oder des Verwalters selbst nicht einmal erwähnt, lässt den Schluss darauf, dass solche Anträge unzulässig seien, ebenfalls nicht zu. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt den fragmentarischen Charakter der Gesamtvollstreckungsordnung hervorgehoben. Bei ihrer Auslegung ist besonders zu beachten, dass der Gesetzgeber, um den knappen Formulierungsstil der Gesamtvollstreckungsverordnung der ehemaligen DDR beizubehalten, bei umfangreichen Regelungen des übernommenen Konkursrechts in der Regel nur die Grundnorm übernommen hat. Gleiches gilt, soweit bei der Änderung und Ergänzung der Gesamtvollstreckungsverordnung wichtige Grundgedanken der Insolvenzrechtsreform, die zu jenem Zeitpunkt bereits in einem Referentenentwurf niedergelegt waren, in das für die neuen Bundesländer geschaffene Übergangsrecht übernommen worden sind2. Der im Jahre 1989 vom Bundesministerium der Justiz als Sonderdruck veröffentlichte Referentenentwurf sah in § 66 Abs. 1 Satz 2 eine dem heutigen § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende Regelung vor.

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Die Insolvenzordnung weicht bewusst von § 84 Abs. 1 Satz 2 KO ab, indem sie in § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO vorsieht, dass die Entlassung des Verwalters (auch) von Amts wegen erfolgen kann. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs3 hatte die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 KO den Nachteil, dass ein Verwalter auch bei schweren Pflichtverletzungen oder offensichtlicher Amtsunfähigkeit nicht sofort abberufen werden konnte, sondern insbesondere dann, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt worden war, noch längere Zeit im Amt blieb. Zudem bestand die Gefahr, dass ein Verwalter, der in unredlicher Absicht bestimmte Gläubiger begünstigte, deshalb nicht aus seinem Amt entfernt werden konnte, weil wegen des Widerstandes des begünstigten Gläubigers ein Entlassungsantrag nicht zustande kam. Die Insolvenzordnung räumt dem Insolvenzgericht daher die Möglichkeit ein, den Verwalter während des gesamten Verfahrens von Amts wegen zu entlassen. Die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 GesO, die im Vorgriff auf die zu erwartende bundesweit geltende Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO und in Anlehnung an diese geschaffen wurde, wird in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs als Muster einer derartigen Befugnis bezeichnet. Dass sie – anders als § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO – die Möglichkeit eines Antrags des Verwalters, des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung nicht erwähnt, heißt nicht, dass derartige Anträge unzulässig sind.

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Die Sonderverwaltung dient oft – wie auch im vorliegenden Fall – dazu, einen Schadensersatzanspruch der Masse gegen den Verwalter geltend zu machen, was dem einzelnen Gläubiger verwehrt ist4. Die Gläubiger müssen die Bestellung eines Sonderverwalters beantragen oder jedenfalls anregen dürfen; da sie nur als Gläubigerversammlung handlungsfähig sind, setzt dies eine Gläubigerversammlung voraus, bei welcher die Frage der Sonderverwaltung auf der Tagesordnung steht. Ebenso ist die Gläubigerversammlung befugt, Stellung zu der Frage zu nehmen, ob ein vom Sonderverwalter ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden soll. Im Urteil vom 17.07.20145 hat der Bundesgerichtshof dies als selbstverständlich vorausgesetzt. Ebenso selbstverständlich kann die Gläubigerversammlung Beschlüsse dazu fassen, ob die Entlassung des Verwalters oder des Sonderverwalters – oder etwa aus Kostengründen – die Aufhebung der Sonderverwaltung beantragt oder jedenfalls angeregt werden soll. Darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das Gericht und der Sonderverwalter an Beschlussfassungen der Gläubigerversammlung gebunden sind, ist hier nicht zu entscheiden, weil es lediglich um die Frage einer zulässigen Tagesordnung geht.

Im Ergebnis kommt es im hier entschiedenen Fall auf diese Frage nicht an. Der Verwalter ist nicht befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung mit dem Ziel zu beantragen, über die Amtsführung des Sonderverwalters, über die Entlassung des Sonderverwalters aus dem Amt oder über die Beendigung der Sonderverwaltung beschließen zu lassen.

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Nach § 15 GesO wird die Gläubigerversammlung durch das Gericht einberufen. Sie muss einberufen werden, wenn das vom Verwalter beantragt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 GesO). Die Vorschrift ist derjenigen des § 93 Abs. 1 Satz 2 KO nachgebildet. Der Antrag des Verwalters ist bindend; ein Ermessensspielraum steht dem Gericht nicht zu. Auch Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Eine entsprechende Regelung enthält § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Der Sonderverwalter wird jedoch in Fällen bestellt, in welchen der Verwalter seine Aufgaben aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht wahrnehmen kann6. Die Verwaltungstätigkeit des Verwalters wird hierdurch nicht eingeschränkt, weil der Sonderverwalter in einem Bereich tätig wird, der nicht zu den Aufgaben des Verwalters gehört. Das gilt insbesondere in dem hier gegebenen Fall, in welchem der Sonderverwalter Ersatzansprüche der Gläubigergesamtheit gegen den Verwalter geltend machen soll. Der Verwalter ist insoweit nicht „Verwalter“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Konkursordnung, der Gesamtvollstreckungsordnung oder der Insolvenzordnung, hier also des § 15 Abs. 1 Satz 2 GesO. Er hat in dem Bereich, für welchen die Sonderverwaltung eingerichtet worden ist, keinerlei Kompetenzen. Damit ist er nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 GesO befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen.

Der Ausschluss jeglicher Befugnisse des Verwalters im Hinblick auf die Sonderverwaltung führt zu sachgerechten, die Interessen aller Beteiligten berücksichtigenden Ergebnissen. Die Sonderverwaltung wird im Interesse der Gläubigergesamtheit angeordnet, welcher an der ungestörten und zügigen Erledigung der dem Sonderverwalter gestellten Aufgaben, insbesondere der Klärung der etwa gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe gelegen sein muss. Dem Verwalter steht mangels Betroffenheit in eigenen Verfahrensrechten und im Interesse einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens kein Rechtsmittel gegen die Einsetzung eines Sonderverwalters zu7. Er ist nicht berechtigt, entsprechend § 59 Abs.1 InsO die Abberufung des Sonderverwalters zu beantragen8. Anträge auf Einberufung einer Gläubigerversammlung, in welcher über die Aufhebung der Sonderverwaltung oder die Entlassung des Sonderverwalters beschlossen werden soll, können die Arbeit des Sonderverwalters ebenfalls verzögern, erschweren oder – wenn so die Verjährung des geltend zu machenden Anspruchs eintritt – vollends unmöglich machen. Es ist nur folgerichtig, dem Verwalter dieses verfahrensrechtliche Instrument nicht in die Hand zu geben. Die Rechte des Verwalters, sich gegen unberechtigte Vorwürfe zu verteidigen, werden hierdurch nicht unbillig eingeschränkt. Die Berechtigung der gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe kann dann, wenn hierzu unterschiedliche Ansichten bestehen, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten eingehend geprüft werden.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. April 2015 – IX ZB 29/13

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2007 – IX ZB 240/05, WM 2007, 607 Rn. 21 ff; vom 05.02.2009 – IX ZB 187/08, WM 2009, 565 Rn. 4 f zur entsprechenden Anwendung des § 59 InsO auf den Sonderinsolvenzverwalter[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 15.07.1999 – IX ZR 239/98, BGHZ 142, 208, 210[]
  3. BT-Drs. 12/2443, S. 128 zu § 70[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2004 – IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 26; vom 17.07.2014 – IX ZR 301/12, WM 2014, 2009 Rn. 11[]
  5. BGH, Urteil vom 17.07.2014, aaO Rn. 15[]
  6. so die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs zu § 77 InsO-E, BT-Drs. 12/2443, S. 131; vgl. auch BGH, Beschluss vom 01.02.2007 – IX ZB 45/05, WM 2007, 609 Rn. 9[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2007 – IX ZB 45/05, WM 2007, 609 Rn. 6 ff, 10; vom 05.02.2009 – IX ZB 187/08, WM 2009, 565 Rn. 7[]
  8. BGH, Beschluss vom 25.01.2007 – IX ZB 240/05, WM 2007, 607 Rn. 26 f[]