Insolvenzrecht im Februar 2015

Insolvenzanfechtungen, Schneeballsysteme, Zusammenveranlagung in der Insolvenz und das Zwangsgeld gegen säumige Insolvenzverwalter.

Schneeballsysteme –  und die Insolvenzanfechtung der Kapitalrückzahlung

Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist eine in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag vorgenommene Rechtshandlung, die eine kongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt, dann anfechtbar, wenn der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte. Die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO greift demgegenüber bereits dann ein, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Rechtshandlung des Schuldners die Gläubiger benachteiligte. Anders als in § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird weder die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch eine Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon vorausgesetzt.

Die Zahlungen, welche die Schuldnerin an den Gläubiger geleistet hat, stellen Rechtshandlungen dar, welche die (übrigen) Gläubiger benachteiligt haben. Eine Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) ist gegeben, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert worden ist, wenn sich also die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten. Diese Voraussetzung ist unproblematisch erfüllt.

Bei den subjektiven Tatbestandsmerkmalen der Vorsatzanfechtung handelt es sich um innere Tatsachen, welche oft nicht unmittelbar nachgewiesen, sondern nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden können. Den für eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sprechenden Beweisanzeichen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Sind beide Teile über die Zahlungsunfähigkeit unterrichtet, kann von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis beim Gläubiger ausgegangen werden, weil der Schuldner in einem solche Fall weiß, nicht sämtliche Gläubiger befriedigen zu können, und dem Gläubiger bekannt ist, dass infolge der ihm erbrachten Leistung die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereitelt oder zumindest erschwert wird1. Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie diesem bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war. In diesen Fällen handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er auf Grund konkreter Umstände, etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können, mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann2. Diese Grundsätze gelten nach gefestigter Bundesgerichtshofsrechtsprechung auch dann, wenn eine kongruente Leistung angefochten wird3.

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Im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen war im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Schuldnerin (mindestens) drohend zahlungsunfähig. Die Schuldnerin war als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden und verfügte über Immobilien und Unternehmensbeteiligungen. Nach dem vom Insolvenzvewalter vorgelegten Gutachten der H. GmbH stellt die etwa im Jahre 1999 begonnene Emission von Inhaber-Teilschuldverschreibungen jedoch einen erheblichen Teil ihrer geschäftlichen Aktivitäten dar. Verwendungszweck der zu Zinssätzen von 5, 25 v.H. bis 7 v.H. jährlich, also recht hoch verzinsten Anleihen war die Förderung des Geschäftszwecks der Anleihen. Bereits bei der erstmaligen Fälligkeit einer Anleihe wurde zur Aufbringung des Rückzahlungsbetrages eine neue Anleihe aufgenommen. Weder die Zinsen noch die Rückzahlungen konnten also aus dem sonstigen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin erwirtschaftet werden; sie wurden vielmehr vom Geld der neu geworbenen Anleger bezahlt. Die Rückzahlung fälliger Inhaber-Teilschuldverschreibungen wurde durch die Aufnahme neuer Anleihen in den Monaten zuvor vorbereitet. Dem genannten Gutachten zufolge überstieg bis einschließlich 2004 die Summe der neu aufgenommenen Anleihen die zur Rückzahlung fälligen Anleihen. Bis zum 1.10.2005 traten zeitweilig Liquiditätslücken auf, die jedoch innerhalb von drei Wochen durch Neuemission von Inhaber-Teilschuldverschreibungen geschlossen werden konnten. Von diesem Zeitpunkt an gelang es der Schuldnerin nicht mehr dauerhaft, die Liquiditätslücken durch Neuemissionen zu schließen. Vom 1.12 2005 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, auch nur 90 v.H. der jeweils fälligen Forderungen zu befriedigen. Anfang Januar 2006 teilte sie den Gläubigern mit, aufgrund technischer Probleme könnten Zahlungen vorerst nicht geleistet werden, und zahlte nur noch an diejenigen Gläubigern, die sich anwaltlich vertreten ließen oder mit Strafanzeigen und Medienkampagnen drohten. Die am 11.01.2006 fälligen Anlagen wurden ebenfalls nicht zurückgezahlt.

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Der Gläubiger, dem die Kenntnisse seiner Bevollmächtigten zugerechnet werden (§ 166 Abs. 1 BGB), kannte die mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin.

Die Bevollmächtigten des Gläubigers haben 120 Anleger gegenüber der Schuldnerin vertreten. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Vortrag des Insolvenzvewalters war ihre Kanzlei derart organisiert, dass Rechtsanwalt R. in Verbraucherschutzorganisationen und in der Verbraucherzentrale B. einschlägige Mandate akquirierte, die dann von anderen Anwälten der Kanzlei bearbeitet wurden. Auf der Webseite der Kanzlei befand sich ein Artikel der Financial Times Deutschland vom 23.01.2006, in welchem unter Darlegung von Einzelheiten über den Zahlungsverzug der Schuldnerin berichtet und Rechtsanwalt R. mit der Äußerung zitiert wurde, die Anleger seien nicht darauf hingewiesen worden, dass die Gewinne aus der Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zur Bedienung der Bonds nicht ausreichten und die Liquidität nur durch den Vertrieb weiterer Bonds aufrechterhalten werden könne.

Der Insolvenzvewalter hat darüber hinaus zwei von Rechtsanwalt M. R. , dem für den Gläubiger zuständigen Sachbearbeiter, stammende Schreiben vom 07.02.2006; und vom 08.02.2006 vorgelegt, mit welchen dieser die Inhaberschuldverschreibungen anderer Mandanten mit der Begründung kündigte, die versprochenen Zinsen könnten nicht aus den Erträgen des Unternehmens gezahlt werden, sondern nur aus immer neu aufgelegten Anleihen. Wörtlich heißt es hier: „Auf diese Risiken, die aufgrund der vorsätzlichen Geschäftspolitik der W. von vornherein feststanden und die für den Anleger ein erhebliches Verlustrisiko bis zum Totalverlust seiner Einlage bedeuten können, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden.“ Kenntnisse aus anderen Mandaten werden dem Mandanten im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts zwar grundsätzlich nicht zugerechnet. Anderes gilt jedoch, wenn der Anwalt seine Kenntnisse nicht aus diesen anderen Mandaten bezogen hat, sondern aus allgemein zugänglichen Quellen. Hat der Anwalt die fraglichen Kenntnisse sogar auf seiner Internetseite oder gegenüber einer Zeitung öffentlich bekanntgegeben, kann der Mandant einer Wissenszurechnung ebenfalls nicht mehr durch Hinweis auf die anwaltliche Schweigepflicht entgegentreten4. Die vom Insolvenzvewalter vorgelegten Schreiben lassen den Schluss darauf zu, dass den Bevollmächtigten des Gläubigers bereits im Februar 2006 das von der Schuldnerin betriebene „Schneeballsystem“ bekannt war.

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Wussten die Bevollmächtigten des Gläubigers Anfang Februar 2006, dass die Schuldnerin ein nur durch neue Anleihen zu finanzierendes „Schneeballsystem“ betrieb, kannten sie auch die der Schuldnerin mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit. Ein derartiges Finanzierungsmodell ist nicht stabil. Reichen die neu eingeworbenen Gelder nicht mehr zur Begleichung der Zins- und Rückzahlungsverpflichtungen, bricht es zusammen. Wer weiß, dass ein Schuldner seine Gläubiger nur befriedigen kann, wenn er Anleger in immer größerer Anzahl findet, weiß auch, dass dies früher oder später nicht mehr möglich sein wird. Im Rahmen eines derartigen Systems geleistete Zahlungen stammen jeweils aus dem Geld der später geworbenen Anleger, deren Befriedigung immer unsicherer wird. Der Schuldner, der so verfährt, handelt regelmäßig im Bewusstsein seiner mindestens drohenden Zahlungsunfähigkeit. Hatte der Anfechtungsgegner Kenntnis hiervon, liegt darin ein sicheres Beweisanzeichen für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. Januar 2015 – IX ZR 198/13

  1. BGH, Urteil vom 19.09.2013 – IX ZR 4/13, WM 2013, 2074 Rn. 14[]
  2. BGH, Urteil vom 05.12 2013 – IX ZR 93/11, NZI 2014, 259 Rn. 9[]
  3. BGH, Urteil vom 05.12 2013, aaO; Beschluss vom 06.02.2014 – IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496 Rn. 3[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2013 – IX ZR 13/12, NZI 2013, 133; vom 10.01.2013 – IX ZR 28/12, NZI 2013, 253; kritisch etwa Fölsing, KSI 2013, 126[]
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