Mitbesitz und das Abhandenkommen einer beweglichen Sache

Eine bewegliche Sache kommt dem mitbesitzenden Eigentümer nicht im Sinne von § 935 Abs. 1 BGB abhanden, wenn er selbst den unmittelbaren Besitz ohne Willen des eigentumslosen Mitbesitzers freiwillig aufgibt.

Mitbesitz und das Abhandenkommen einer beweglichen Sache

Ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums (hier: an dem BMW) durch den Erwerber setzt nach § 932 Abs. 1 Satz 1, § 929 Satz 1 BGB voraus, dass dieser sich mit dem Verkäufer über den Übergang des Eigentums an dem Fahrzeug geeinigt, der Verkäufer ihm den unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug verschafft hat und dass der Erwerber bei Vollendung des Eigentumserwerbs gutgläubig war. Das war er nach § 932 Abs. 2 BGB, wenn sie zu diesem Zeitpunkt weder wusste noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der BMW nicht dem Verkäufer, sondern einem Dritten gehörte.

Nach § 935 Abs. 1 BGB scheidet der gutgläubige Erwerb des Eigentums an einer beweglichen Sache trotz der Gutgläubigkeit des Erwerbers aus, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war. Eine bewegliche Sache kommt ihrem Eigentümer abhanden, wenn dieser den Besitz an ihr unfreiwillig verliert1.

Ein unfreiwilliger Besitzverlust kann unter allerdings im Einzelnen streitigen Bedingungen eintreten, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache nach Maßgabe von § 855 BGB durch einen Besitzdiener ausübt und dieser die Sache ohne den Willen des Eigentümers einem Dritten überlässt2.

Besitzdiener ist nach § 855 BGB, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden3, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen4.

Allein die Tatsache, dass jemand zu dem Besitzer in einem Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis steht und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses die Weisungen des Besitzers zu befolgen hatte, macht diesen nicht zu Besitzdienern des Auftraggebers bzw. Geschäftsherren. Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann. Solche Befugnisse sehen weder das Auftrags- noch das Geschäftsbesorgungsrecht vor. Deshalb werden der Beauftragte, der Geschäftsbesorger ebenso wie Werkunternehmer als Besitzmittler angesehen5, nicht als Besitzdiener.

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Nichts anderes ergibt sich aus einem Vergleich mit dem Rechtsverhältnis des Verkäufers eines Fahrzeugs zu dem Kaufinteressenten, dem er eine Probefahrt ermöglicht. Es ist zwar richtig, dass der Kaufinteressent, der mit dem ihn interessierenden Fahrzeug eine Probefahrt unternimmt, als Besitzdiener des Verkäufers angesehen wird6. Ob dem ohne weiteres gefolgt werden kann, kann dahinstehen. Anerkannt ist jedenfalls, dass der Inhaber der Fahrzeugschlüssel jedenfalls dann nicht mehr nur Besitzdiener des Eigentümers, sondern selbst unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs ist, wenn sich der Eigentümer seiner Einflussmöglichkeiten begibt7.

Ein Abhandenkommen des BMW ergibt sich auch nicht daraus, dass der Eigentümer ihn dem Beauftragten nicht zur beliebigen Verwendung, sondern nur dazu überlassen hat, das Fahrzeug der Bank vorzuführen und ihr gegebenenfalls zur Sicherheit zu übereignen. Damit hat der Eigentümer zwar mit dem Auftragnehmer einen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen, auf Grund dessen er mittelbarer Besitzer des BMW blieb. Eine eigenmächtige Weggabe der Sache durch den Besitzmittler – hier des Auftragnehmers – steht aber, anders als ein eigenmächtiges Verhalten eines Besitzdieners, dem gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten nicht entgegen8. Sie führt zwar zur Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses und dazu, dass der mittelbare Besitzer – hier der Eigentümer – den mittelbaren Besitz ohne seinen Willen verliert. Der Verlust des mittelbaren Besitzes ist aber für den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs nach § 935 Abs. 1 BGB nicht entscheidend9. Den unmittelbaren Besitz, auf dessen unfreiwilligen Verlust es nach der Vorschrift ankommt, hat der mittelbare Besitzer mit der Begründung des Besitzmittlungsverhältnisses freiwillig aufgegeben10.

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Ein Abhandenkommen des BMW ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Ehefrau des Eigentümers Mitbesitz an dem BMW hatte und diesen verlor, als er den BMW dem Auftragnehmer übergab.

Zwar scheidet der gutgläubige Erwerb des Alleineigentums an einer in unmittelbarem Besitz mehrerer Mitbesitzer stehenden Sache nach wohl unbestrittener Ansicht aus, wenn der Erwerber den Besitz von einem Mitbesitzer ohne Wissen und Wollen der anderen Mitbesitzer erlangt11. Diskutiert wird diese Möglichkeit bislang aber nur für den Fall, dass die Mitbesitzer der Sache auch Miteigentümer sind12, und für den Fall, dass der Mitbesitzer, der sich oder einem Dritten den Alleinbesitz an der Sache verschafft, selbst nicht deren Eigentümer ist13. Hier geht es aber weder um die eine noch um die andere Fallgestaltung, sondern darum, dass der Dritte den Besitz von dem Mitbesitzer erlangt, in dessen Alleineigentum die Sache steht.

Auf diesen Fall ist § 935 Abs. 1 BGB seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Vorschrift schließt den gutgläubigen Erwerb nur aus, wenn entweder der Eigentümer selbst (Absatz 1 Satz 1) oder der unmittelbare Besitzer, der ihm den Besitz vermittelt, den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verliert (Absatz 1 Satz 2). Der Verlust des Mitbesitzes der Ehefrau erfüllt weder den Tatbestand des Satzes 1 noch den des Satzes 2 der Vorschrift. Der Eigentümer hat seinen unmittelbaren Mitbesitz nicht unfreiwillig verloren. Seine Ehefrau vermittelte ihm den Besitz an dem BMW nicht, da er selbst neben ihr unmittelbarer Mitbesitzer war.

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Die Vorschrift kann in beiden Alternativen auf diesen Fall auch nicht entsprechend angewandt werden. Das setzte voraus, dass die Vorschrift in der vorliegenden Fallkonstellation eine unbeabsichtigte Lücke aufwiese, die nach dem Plan des Gesetzes durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf diese Konstellation ausgefüllt werden müsste14. Es fehlt schon an der planwidrigen Lücke.

§ 935 Abs. 1 BGB schützt den Eigentümer vor einem Eigentumsverlust durch den gutgläubigen Erwerb eines Dritten, wenn er seinen Besitz unfreiwillig verloren hat. Der unfreiwillige Besitzverlust entwertet nämlich den unmittelbaren Besitz und die an ihn anknüpfende Eigentumsvermutung (§ 1006 BGB) als Grundlage des gutgläubigen Erwerbs. Das ist in den bisher diskutierten Fallgestaltungen nicht anders. Erlangt der Erwerber ohne den Willen des Eigentümers den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer, dem die Sache

nicht gehört, verliert ihr Eigentümer den Besitz jedenfalls unfreiwillig. Ist der Mitbesitzer zugleich Miteigentümer, verlieren zwar nicht alle Miteigentümer den Besitz unfreiwillig, wohl aber die Miteigentümer, die dem Dritten den Besitz nicht (mit)verschafft haben. In beiden Fallgestaltungen wäre die Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nicht zu rechtfertigen. Beide Fälle werden nach Wortlaut und Zweck von § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst.

Das Problem, das die Vorschrift des § 935 BGB bewältigen soll, stellt sich dagegen nicht, wenn der Dritte den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer erlangt, dem die Sache allein gehört. Der Eigentümer gibt in diesem Fall seinen unmittelbaren Besitz an der Sache zu Gunsten des Dritten freiwillig ganz auf und verschafft diesem damit den unmittelbaren Besitz, an den wiederum nach § 1006 BGB die Vermutung für dessen Eigentum knüpft. Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund, ihn vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs zu schützen. Dass die Regelung in § 935 BGB auf diesen Fall keine Anwendung findet, entspricht dem Plan des Gesetzes und dem Zweck der Vorschrift. Daran ändert es entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht nichts, dass Mitbesitzerin des Fahrzeugs im vorliegenden Fall die Ehefrau des Klägers war. Für die Geltung oder Nichtgeltung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb kommt es nach § 935 Abs. 1 BGB allein darauf an, ob der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verlieren. Auf welcher Grundlage die maßgeblichen Besitzverhältnisse beruhen, spielt dagegen für die Geltung des Verkehrsschutzes keine Rolle.

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§ 935 BGB kann auch nicht deshalb als lückenhaft angesehen werden, weil der Schutz des eigentumslosen Mitbesitzers in dieser Fallkonstellation unzureichend sei.

Zweifelhaft ist schon, ob der Schutz des Mitbesitzers unzureichend ist. Dem eigentumslosen Mitbesitzer stehen gegen den Eigentümer die materiellrechtlichen Ansprüche auf Verschaffung oder Wiederverschaffung des Mitbesitzes aus dem Rechtsverhältnis zu, auf Grund dessen er den Mitbesitz erlangt hat. Außerdem stehen ihm die allgemeinen possessorischen Ansprüche zu, die bei der vollständigen Entziehung des Mitbesitzes durch § 866 BGB nicht ausgeschlossen sind15.

Auch wenn der Schutz des Mitbesitzers gegenüber dem mitbesitzenden Eigentümer unzureichend sein sollte, bedeutet das nicht, dass gerade die Vorschrift des § 935 BGB planwidrig lückenhaft ist. Lückenhaft ist in einer solchen Situation vielmehr die Vorschrift, deren Zweck die Bewältigung des unzureichend geregelten Problems ist16. Das wäre hier § 866 BGB, nicht § 935 BGB. Nur die erstgenannte Vorschrift befasst sich mit dem Schutz des Mitbesitzers. Die Vorschrift des § 935 BGB befasst sich dagegen mit dem Schutz des Eigentümers vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs bei einem unfreiwilligen Besitzverlust. Regelungsthema der Vorschrift ist damit der Schutz des Eigentümers, nicht der Schutz des Besitzers. Dass diese Vorschrift nicht lückenhaft sein kann, wenn der Schutz der Mitbesitzer untereinander unzureichend sein sollte, zeigt sich auch an den Folgen einer entsprechenden Anwendung auf die Entziehung des Mitbesitzes durch den mitbesitzenden Eigentümer. Die Vorschrift schlösse zwar den gutgläubigen Erwerb des Eigentums an der Sache durch einen Dritten aus und verhinderte, dass der Besitz an der Sache endgültig verlorengeht. Davon profitierte aber nur der Eigentümer. Für den eigentumslosen Mitbesitzer wäre nichts gewonnen. Er bliebe für die Wiederverschaffung des Mitbesitzes auf die materiellrechtlichen und possessorischen Ansprüche verwiesen, die ohnehin bestehen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Dezember 2013 – V ZR 58/13

  1. BGH, Urteile vom 15.11.1951 – III ZR 21/51, BGHZ 4, 10, 33; und vom 16.04.1969 – VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657; RGZ 101, 224, 225; MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 2; Staudinger/Wiegand, BGB [2011] § 935 Rn. 4[]
  2. RGZ 71, 248, 253; OLG Köln, MDR 2006, 90; zu den Einzelheiten: MünchKomm-BGB/Oechsler, BGB.06. Aufl., § 935 Rn. 10; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 28[]
  3. BGH, Urteil vom 24.04.1952 – IV ZR 107/51, LM Nr. 2 zu § 1006 BGB, Bl. 876 Rückseite; BGH, Urteil vom 30.05.1958 – V ZR 295/56, BGHZ 27, 360, 363; RGZ 77, 201, 209[]
  4. OLG Bamberg, NJW 1949, 716, 717; OLG Schleswig, SchlHA 1969, 43, 44; OLG Stuttgart, WM 2009, 1003; Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 855 Rn. 8; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 16[]
  5. RGZ 100, 190, 193; 109, 167, 170 für Auftrag; OLG Hamm, NJW-RR 1995, 1010, 1011; OLG Brandenburg, OLGR 2006, 850 für Geschäftsbesorgungsvertrag; RGZ 98, 131, 134 für Geschäftsführung ohne Auftrag; BGH, Urteil vom 11.10.1951 – IV ZR 90/50, insoweit weder in LM Nr. 2 zu Art. 3 AHKG 13 noch in LM Nr. 1 zu § 855 BGB abgedruckt, und OGHZ 2, 157, 160 für Frachtvertrag; OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 1563, 1564 aE für Werkvertrag[]
  6. OLG Köln, MDR 2006, 90; MünchKomm-BGB/Joost, 6. Aufl., § 855 Rn. 14; vorsichtig distanzierend: Staudinger/Gutzeit, BGB, [2012] § 855 Rn. 22[]
  7. OLG Schleswig, SchlHA 1969, 43, 44; Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 855 Rn. 10 aE; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 16 Abs. 2[]
  8. BGH, Urteile vom 16.04.1969 – VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657; und vom 20.09.2004 – II ZR 318/02, NJW-RR 2005, 280, 281[]
  9. BGH, Urteil vom 16.04.1969 – VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657[]
  10. MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 9[]
  11. BGH, Urteil vom 06.03.1995 – II ZR 84/94, NJW 1995, 2097, 2099; OLG München, MDR 1993, 918; OLG Braunschweig, OLGE 26, 58, 59; Bamberger/Roth/Kindl, BGB, 3. Aufl., § 935 Rn. 4; jurisPK-BGB/Beckmann, 6. Aufl., § 935 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 3; NKBGB/MellerHannich, 3. Aufl., § 935 Rn. 4; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 935 Rn. 9; Soergel/Henssler, BGB, 13. Aufl., § 935 Rn. 9; Staudinger/Wiegand, BGB [2011] § 935 Rn. 7[]
  12. BGH, Urteil vom 06.03.1995 – II ZR 84/94, NJW 1995, 2097, 2099; OLG Braunschweig, OLGE 26, 58, 59[]
  13. OLG München, MDR 1993, 918; Staudinger/Wiegand, aaO Rn. 8[]
  14. vgl. BGH, Urteile vom 12.07.2013, – V ZR 85/12, ZfBR 2013, 766, 768 Rn. 26; und vom 19.03.2004 – V ZR 214/03, VIZ 2004, 374, 375[]
  15. BGH, Urteil vom 06.04.1973 – V ZR 127/72, LM Nr. 8 zu § 854 BGB; OLG Düsseldorf, OLGZ 1985, 233, 235[]
  16. vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2004 – V ZR 214/03, VIZ 2004, 374, 375[]
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