Verjährung trotz Klageerhebung

Die erst nach Ablauf der Verjährungsfrist im Schadensersatzprozess erfolgte bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes eines im Wege der objektiven Klagehäufung nachträglich – noch vor Ablauf der Verjährungsfrist – eingeführten weiteren Streitgegenstandes, hat für die Verjährung keine Rückwirkung.

Verjährung trotz Klageerhebung

Insoweit greift die gegenüber der Forderung aus Delikt erhobene Verjährungseinrede durch, weil deliktische Ansprüche nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist Streitgegenstand geworden sind, da die Klägerin diesen Anspruch nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechend in den Prozess eingeführt hat und dies nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mit verjährungshemmender Wirkung nachholen konnte.

Der Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB ist aufgrund der nachträglichen Klagehäufung, hinsichtlich derer sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2010 vor dem Landgericht rügelos eingelassen hat (§§ 267, 295 ZPO), rechtshängig geworden.

Die nachträgliche Klagehäufung kann durch Erhebung eines weiteren Anspruchs im Laufe des Prozesses entstehen1. Dabei tritt die Rechtshängigkeit des Anspruchs erst in dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechender Schriftsatz zugestellt wird (§ 261 Abs. 2 ZPO). Auf die nachträgliche Klagehäufung, die bei einem Wechsel bzw. einer Ergänzung des Streitgegenstandes gegeben ist, findet § 263 ZPO entsprechende Anwendung2. Eine Änderung des Streitgegenstandes ist anzunehmen, wenn der neue Tatsachenvortrag den Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert bzw. erweitert3. Keine Klageänderung liegt danach vor, wenn bei gleicher Tatsachengrundlage ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt geltend gemacht wird4. Danach liegt etwa im Übergang von einem Anspruch aus eigenem Recht zu einem solchen aus abgetretenem Recht, wie auch im umgekehrten Fall, wegen der Änderung des dazu vorgetragenen Lebenssachverhalts grundsätzlich ein Wechsel des Streitgegenstandes im Sinne einer Klageänderung gem. § 263 ZPO5.

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Nach Maßgabe dessen ist vorliegend schon in der Erklärung der Klägerin im Schriftsatz vom 24.11.2011, sich gegenüber der Beklagten auch auf einen ihr zustehenden Schadensersatzanspruch wegen unerlaubter Handlung zu berufen, eine nachträgliche Klagehäufung zu sehen. Denn die Klägerin hat damit einen in seinem Kern veränderten Lebenssachverhalt in den Prozess eingeführt. Die seitens der Klägerin ursprünglich geltend gemachten Ansprüche aus der Bürgschaft beruhen auf einem völlig anderen Rechtsgrund als die nunmehr streitgegenständliche Forderung aus unerlaubten Handlungen der Beklagten, die diese in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin begangen hat. Während es bei dem Lebenssachverhalt betreffend die Bürgschaftsforderung um eine Haftung aus vertraglicher Verpflichtung geht, stehen bei den Schadensersatzansprüchen Straftaten der Beklagten in Rede. Wenngleich die sich daraus ergebende Forderung der Klägerin bis zu einer Höhe von 97.520,00 € teilidentisch ist, da die Schäden insoweit den verbürgten Ansprüchen gegen die Insolvenzschuldnerin aus den Einzelkreditverträgen entsprechen, sind die den Ansprüchen zugrunde zu legenden Tatsachen vollständig verschieden. Hier tritt auch nicht die deliktische Forderung an die Stelle derer aus Bürgschaft, wie dies etwa bei einer ursprünglich auf Herausgabe des Grundstücks gerichteten Klage, an deren Stelle – wegen der Unmöglichkeit der Herausgabe – der Erlös tritt, der Fall ist. Der Anspruch auf Verschaffung des Surrogats der geschuldeten Leistung dient demselben Ziel und war deshalb in seinem Kern bereits Gegenstand der Klage6. Dem gegenüber besteht ein Anspruch aus unerlaubter Handlung unabhängig von der Bürgschaftsforderung, steht mithin neben diesem, weshalb er nicht von Anfang an Gegenstand oder Ziel der Klage war.

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Rechtshängig geworden ist der mit Schriftsatz vom 24.11.2010 erstmals in den Prozess eingeführte Streitgegenstand „deliktische Ansprüche“ frühestens mit Zustellung des Schriftsatzes vom 28.04.2011, die am 11.05.2011 erfolgte, spätestens aber mit Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2011. Demgegenüber enthielt der Schriftsatz vom 24.11.2010 keine hinreichend bestimmte Angabe des Anspruchsgegenstandes „deliktische Ansprüche“, weshalb dessen Zustellung deren Rechtshängigkeit nicht bewirkt hat.

Rechtshängigkeit tritt entweder durch Zustellung eines den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Schriftsatzes oder durch Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ein7. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfordert eine konkrete Darlegung des Anspruchsgrundes sowie die bestimmte Angabe des Anspruchsgegenstandes, wobei die Individualisierung durch Bezugnahme auf andere Schriftstücke zulässig ist, wenn die dortige Darstellung aus sich heraus verständlich ist. Ferner bedarf es eines hinreichend bestimmten Klageantrags8. Eine hinreichende Konkretisierung des Schadensersatzanspruchs ist vorliegend erst im Schriftsatz vom 28.04.2011 erfolgt, da erst darin dargelegt wird, aus welchen Delikten, wegen derer die Beklagte strafrechtlich verurteilt wurde, sich der Anspruch herleiten soll. Ferner ist erst darin der Betrag genannt, hinsichtlich dessen Ansprüche aus Delikt geltend gemacht werden sollen. Außerdem wird durch die Bezugnahme auf die einzelnen Gegenstände der Verurteilung verdeutlicht, welcher – im Strafurteil wiedergegebene – Sachverhalt zugrunde gelegt werden soll. Im Schriftsatz vom 24.11.2010 hat sich die Klägerin demgegenüber nur ganz allgemein auf deliktische Ansprüche berufen, ohne zu Grund oder Höhe näher vorzutragen, oder auf den Inhalt des – erst später vorgelegten – Strafurteils Bezug zu nehmen. Dies genügte nicht den Anforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 28.04.2011 nicht explizit einen Antrag angekündigt hat, war dies aber entbehrlich, weil der Antrag betreffend die deliktische Forderungen vom ursprünglich gestellten Antrag zumindest umfasst war (§ 264 Nr. 2 ZPO) und der Umfang ihres Begehrens aufgrund ihrer Angaben individualisiert werden konnte, was ausreicht.

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Die Beklagte hat durch rügelose Einlassung nach § 267 ZPO, die unwiderruflich ist, in die Klageänderung i. S. v. § 263 ZPO eingewilligt, indem ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2011 Klagabweisungsantrag gestellt hat, ohne die Klageänderung zu rügen. Darauf, dass die deliktischen Ansprüche bis dahin nicht ordnungsgemäß i. S. v. § 253 Abs. 2 S. 2 ZPO zum Streitgegenstand gemacht waren, hat die Kammer explizit hingewiesen. Daraus war für die Beklagte zu ersehen, dass das Gericht nicht von einer Sachdienlichkeit der Klageerweiterung ausging, weshalb sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage mit der Rüge fehlender Sachdienlichkeit hätte verbinden müssen. Soweit die Beklagte mit der Berufungsbeantwortung ihre Zustimmung ausdrücklich verweigert hat, ist dies unerheblich, da – wie schon gesagt – ihre rügelose Einlassung unwiderruflich ist und der Verlust des Rügerechts mit dessen unterbliebener Ausübung eintritt (§ 295 ZPO).

Unabhängig davon, ob deliktische Ansprüche gegenüber der Beklagten bereits mit Zustellung des Schriftsatzes vom 28.04.2011 oder erst aufgrund deren rügeloser Einlassung zur Klageänderung in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2011 rechtshängig und damit Streitgegenstand der Klage geworden sind, greift gegenüber den Ansprüchen der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung (§ 214 BGB) durch, da die Rechtshängigkeit und damit eine Hemmung durch Rechtsverfolgung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, in beiden Fällen nicht rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist für deliktische Ansprüche am 31.12.2010 eingetreten ist, die auch nicht mehr nach Ablauf der Verjährungsfrist wirksam nachgeholt werden konnte.

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Die Verjährung von Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte aus unerlaubter Handlung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB trat mit Ablauf des 31.12.2010 ein. Für die Ansprüche gilt die kenntnisabhängige Verjährungsfrist gem. §§ 195, 199 Abs. 1 Satz 1 BGB, die vorliegend mit Ablauf des 31.12.2007 begonnen hat. Die Klägerin hat eine vor Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils am 27.09.2007 bestehende Kenntnis von den den Anspruch begründenden Tatsachen verneint. Die insoweit darlegungs und beweisbelastete Beklagte9 hat eine frühere Kenntnis der Klägerin weder behauptet noch unter Beweis gestellt, sodass sie insoweit zumindest beweisfällig bleibt. Damit begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2007 und endete mit Ablauf des Jahres 2010 (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).

Bis dahin waren deliktische Ansprüche der Klägerin – wie dargelegt – nicht rechtshängig. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB führt die Klageerhebung nur zur Verjährungsunterbrechung für den streitgegenständlichen prozessualen Anspruch10. Lediglich für einen Sonderfall, in dem der – nach Eintritt der Verjährungsfrist – geltend gemachte Anspruch auf § 281 Abs. 1 BGB a. F. an die Stelle des ursprünglich geltend gemachten, erloschenen Anspruchs getreten ist, erstreckt sich die verjährungsunterbrechende Wirkung auch auf den bei Eintritt der Verjährung nicht streitgegenständlichen Anspruch auf Herausgabe des Surrogats. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass sich der später geltend gemachte Anspruch aus dem Verteidigungsvorbringen des Schuldners ergibt, weshalb er von Vornherein damit rechnen muss, dass der Gläubiger sein Interesse mit dem wesensgleichen Anspruch weiterverfolgt11. Eine solche Konstellation ist vorliegend nicht gegeben. Vielmehr hat die Klägerin – wie bereits dargelegt – neben dem ursprünglich mit der Klage geltend gemachten Streitgegenstand „Forderung aus Bürgschaft“ den weiteren Streitgegenstand „Forderung aus Delikt“ erst nach Ablauf der Verjährungsfrist bestimmt und nachvollziehbar in das Verfahren eingeführt. Der zuletzt in der Berufungsinstanz nur noch geltend gemachte Anspruch aus Delikt diente auch nicht als Ersatz der ursprünglich streitgegenständlichen Forderung aus Bürgschaft. Dieser war vielmehr unabhängig davon und hätte seitens der Klägerin von Anfang an gegenüber der Beklagten neben dem vertraglichen Anspruch geltend gemacht werden können.

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Die Verjährungshemmung durch Klageerhebung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB für die aus Delikte geltend gemachten Ansprüche lässt sich auch nicht auf den Aspekt einer nachträglichen Individualisierung des Klageanspruchs stützen. An der zu § 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB a. F. ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die fehlende Substantiierung der im Mahnbescheid geltend gemachten Forderung im Rechtsstreit jederzeit nachgeholt werden kann, und zwar auch dann, wenn der Anspruch ohne die Unterbrechungswirkung bereits verjährt wäre12, wird nach der grundlegenden Neuregelung des Verjährungsrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.200113 nicht mehr festgehalten14. Danach kann die nachträgliche Individualisierung des Klageanspruchs zwar die Zulässigkeit der Klage herbeiführen, hat aber für die Verjährung keine Rückwirkung15. Was für das Mahnverfahren gilt, in dem nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO lediglich die Bezeichnung des Anspruchs erforderlich ist, muss erst recht hinsichtlich der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO für die Klage erforderlichen Angaben gelten. Diese Angaben zur Kennzeichnung des Streitgegenstandes sind – wie schon gesagt – auch bei einem, hier im Wege der objektiven Klagehäufung im Verlauf des Prozesses geltend gemachten weiteren Streitgegenstand Voraussetzung dafür, dass die Klage aufgrund der Zustellung des diese Angaben enthaltenen Schriftsatzes mit dem weiteren Klageanspruch rechtshängig wird. Demnach konnte die erst mit Schriftsatz vom 28.04.2011 erfolgte hinreichende Konkretisierung des weiteren Streitgegenstandes „Schadensersatzanspruch aus Delikt“, der der Beklagten am 11.05.2011 zugestellt wurde, nicht mehr rückwirkend die bereits eingetretene Verjährung dieses Anspruchs wieder beseitigen.

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Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 1. Februar 2012 – 3 U 168/11

  1. Zöller-Greger, ZPO, 29. Aufl., § 260, Rn. 3[]
  2. Greger a. a. O., § 263, Rn. 2, 7[]
  3. a. a. O.[]
  4. a. a. O., Rn. 8[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 21.10.2008 – XI ZR 466/07[]
  6. BGH, Urteil vom 17.02.2006 – V ZR 236/03[]
  7. Greger a. a. O., § 261, Rn. 6[]
  8. Greger a. a. O., § 253, Rn. 12 ff.[]
  9. vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 199, Rn. 50[]
  10. BGH, Urteil vom 04.05.2005 – VIII ZR 93/04[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 17.02.2006, a. a. O., Rn. 24 f.[]
  12. BGH, Urteil vom 08.05.1996 – XII ZR 8/95[]
  13. BGBl. I S. 3138[]
  14. BGH, Urteil vom 21.10.2008, a. a. O.[]
  15. BGH, a. a. O.[]

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