Aufwärtsabfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte – und keine Geringfügigkeitsgrenze

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte abfärben, verfassungsgemäß1.

Aufwärtsabfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte – und keine Geringfügigkeitsgrenze

Der in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete zeitliche Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007, der in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot2.

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG gilt die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt (Alternative 1) oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bezieht (Alternative 2). Dies gilt unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ein Gewinn oder Verlust erzielt wird oder ob die gewerblichen Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG positiv oder negativ sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStG).

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.20193 -WElektroMobFördG- findet im Streitfall Anwendung, weil der Bundesfinanzhof während des gerichtlichen Verfahrens eingetretene rückwirkende Gesetzesänderungen zu beachten hat, soweit diese verfassungsrechtlich zulässig sind4.

Mit der am 18.12.2019 in Kraft getretenen Neuregelung (vgl. Art. 39 Abs. 1 WElektroMobFördG) des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG hat der Gesetzgeber zum einen in dem neuen Satz 1 Alternative 1 den bis dahin in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG enthaltenen Zitierfehler korrigiert (statt „… im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 …“; nun „… im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 …“), zum anderen die Vorschrift um einen neuen Satz 2 ergänzt. Der neue Satz 1 ist als bloße redaktionelle Klarstellung ohne Weiteres rückwirkend anwendbar5. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG enthält keine inhaltliche Änderung gegenüber der Vorgängerregelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG, die wiederum inhaltlich § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nach Einfügung der Alternative 2 durch das Jahressteuergesetz 2007 entspricht. Die zu dieser Regelung entwickelten Grundsätze gelten daher unverändert fort.

Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG (sogenannte Aufwärtsabfärbung) lagen in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall vor:

Die GbR hat in den Streitjahren mit Einkünfteerzielungsabsicht Grundbesitz vermietet und somit eine vermögensverwaltende Tätigkeit ausgeübt. Zudem hat die GbR in den Streitjahren 2003 bis 2005 aus ihrer seit 1995 bestehenden Beteiligung an der A-KG als Mitunternehmerin gewerbliche Einkünfte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bezogen. Dies ist durch die entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheide der A-KG (Grundlagenbescheide) mit bindender Wirkung für die Gewinnfeststellungsbescheide der GbR (Folgebescheide) festgestellt (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO).

Die GbR hat diese Beteiligungseinkünfte als „andere Personengesellschaft“ im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG bezogen, denn auch eine GbR unterfällt dieser Regelung6.

Soweit die GbR meint, da eine GbR bis 2001 nicht rechtsfähig gewesen sei, sei sie auch nicht als Personengesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 anzusehen gewesen, übersieht sie, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die GbR unabhängig von der Frage der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit7 als Personengesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 angesehen hat8 und in Bezug auf die Streitjahre auch aus Sicht des Zivilrechts keine Zweifel mehr daran bestanden haben, dass eine GbR „Personengesellschaft“ im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG ist.

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen (Beteiligungs-)Einkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte der Gesellschaft abfärben, verfassungsgemäß. Der Bundesfinanzhof hält an seinen Ausführungen im Urteil vom 06.06.20199 fest10.

Zwar liegt in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht eine Ungleichbehandlung der Personengesellschaft beziehungsweise -bezogen auf das Steuerrechtssubjekt- ihrer Gesellschafter gegenüber einer Einzelperson vor. Denn während die Einzelperson auch dann noch gleichzeitig eine beziehungsweise mehrere Einkunftsarten verwirklichen kann, wenn sie sich an einer gewerblichen Personengesellschaft beteiligt, können die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die sich an einer gewerblichen Personengesellschaft beteiligt, in dieser Personengesellschaft keine weiteren Einkunftsarten verwirklichen, da die gesamte Tätigkeit der Personengesellschaft als Gewerbebetrieb gilt.

Diese Ungleichbehandlung erachtet der Bundesfinanzhof jedoch in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht für sachlich gerechtfertigt, denn die einkommensteuerrechtliche Abfärbung von Beteiligungseinkünften gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG dient der umfassenden Verstrickung des Gesellschaftsvermögens11 und damit einem legitimen Gesetzeszweck. Darüber hinaus verfolgt der Gesetzgeber auch mit der Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG die Erleichterung der Einkünfteermittlung durch die Konzentration auf nur eine Einkunftsart. Dies stellt ebenfalls einen legitimen Gesetzeszweck dar, selbst wenn das Ausmaß der Vereinfachung im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG geringer ist als im Anwendungsbereich der Alternative 112.

Die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist mit Blick auf die verfolgten Ziele nach Auffassung des Bundesfinanzhofs verhältnismäßig. Sie fügt sich mit ihrer Typisierung in das Regelungssystem von Einkommen- und Körperschaftsteuer ein und gleicht -was die steuerliche Verstrickung von Wirtschaftsgütern betrifft- die Stellung von Personengesellschaften derjenigen von Kapitalgesellschaften an, die ausschließlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen (§ 8 Abs. 2 KStG). Dabei stehen die mit § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG verbundenen Nachteile für die Personengesellschaft beziehungsweise ihre Gesellschafter in einem vertretbaren Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Ziel. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der aus Sicht des Bundesfinanzhofs gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 2 GewStG, die dazu führt, dass keine gewerbesteuerlichen Belastungen eintreten13. Zudem ist zu beachten, dass die mit der Abfärbewirkung verbundene Gewerblichkeit -insbesondere bei der Umqualifizierung von Einkünften aus der Vermögensverwaltung- auch zu steuerlichen Vorteilen führen kann14 und für den Steuerpflichtigen die zumutbare Möglichkeit besteht, den mit der Abfärbung verbundenen Belastungen durch eine entsprechende gesellschaftsrechtliche Gestaltung, insbesondere die Gründung einer zweiten, personenidentischen Gesellschaft, zu entgehen. Somit führt die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht zu einer übermäßigen Belastung für die betroffene Personengesellschaft und ihre Gesellschafter13.

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Der Bundesfinanzhof hat die Erwägungen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 15.01.200815 nicht ohne Weiteres auf die vorliegend maßgebliche Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG übertragen, sondern eine differenzierte Betrachtung angestellt16. Dabei hat er unter anderem berücksichtigt, dass der bezweckten Vereinfachung der Einkünfteermittlung im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG weniger Bedeutung beigemessen werden kann13. Darüber hinaus unterstreichen die vom Bundesfinanzhof für notwendig erachtete verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG und die hierzu angestellten Erwägungen, dass er dem Gesetzeszweck des Schutzes des Gewerbesteueraufkommens im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ebenfalls eine andere Bedeutung beigemessen hat.

Eine sogenannte Bagatellgrenze -wie diese von der Rechtsprechung für gemischt tätige freiberufliche Personengesellschaften entwickelt wurde und die auch im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG (sogenannte Seitwärtsabfärbung) zu beachten ist17- gilt im Zusammenhang mit der Aufwärtsabfärbung nicht. Die Regelung ist auch ohne eine entsprechende Bagatellgrenze verfassungsgemäß.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hat die sogenannte Bagatellgrenze entwickelt, um die Seitwärtsabfärbung bei gewerblichen Tätigkeiten von äußerst geringem Ausmaß mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu begrenzen. Das BVerfG hat die darin zum Ausdruck kommende restriktive Auslegung dieser Norm durch den Bundesfinanzhof als eines von mehreren Argumenten zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1988 geltenden Fassung (= § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG nach Einfügung der Alternative 2 durch das Jahressteuergesetz 2007) herangezogen18.

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 15.01.200815 die in der sogenannten Bagatellgrenze zum Ausdruck kommende restriktive Auslegung des Gesetzes durch den Bundesfinanzhof als ein Argument für die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F. angeführt hat, folgt hieraus nicht, dass für alle im Gesetz genannten „Abfärberegelungen“ eine Bagatellgrenze unverzichtbar ist. Dementsprechend hat das BVerfG im Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 246/9819 die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.198520 bejaht, ohne sich mit einer Bagatellgrenze zu befassen.

Zudem kann die Schaffung nicht im Gesetz vorgesehener Bagatellgrenzen durch die Rechtsprechung (wie auch immer diese konkret ausgestaltet sein mögen) nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen. Dies gilt erst recht in Ansehung der Neuregelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des WElektroMobFördG, der nunmehr vorsieht, dass die Seitwärtsabfärbung unabhängig davon eintritt, ob aus der Tätigkeit ein Gewinn oder Verlust erzielt wird, und dass die Aufwärtsabfärbung unabhängig davon eintritt, ob die von der Obergesellschaft aus der Beteiligung bezogenen gewerblichen Einkünfte positiv oder negativ sind. Dabei hat der Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStG zwar insgesamt auf die ausdrückliche Kodifizierung einer Bagatellgrenze verzichtet. Er hat jedoch in der Begründung des Gesetzentwurfs deutlich gemacht, dass die von der Rechtsprechung entwickelte Bagatellgrenze bei Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG n.F. -und damit in den Fällen einer Seitwärtsabfärbung- weiterhin zu beachten ist (hierzu ausführlich BFH, Urteil vom 30.06.2022 – IV R 42/19, BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, Rz 40 ff.). Eine vergleichbare Aussage für die Fälle der Aufwärtsabfärbung fehlt hingegen.

Darüber hinaus ist die Schaffung einer Bagatellgrenze vorliegend entbehrlich, weil die Folgen der vom Gesetz gewollten umfassenden steuerlichen Verstrickung des Gesellschaftsvermögens der vermögensverwaltenden Obergesellschaft durch die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG begrenzt werden. Werden die Rechtswirkungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG durch eine solche Auslegung des § 2 Abs. 1 GewStG hinreichend beschränkt, bedarf es keiner zusätzlichen Bagatellgrenze für „äußerst geringe Beteiligungen“ beziehungsweise „den Bezug äußerst geringer Einkünfte aus einer solchen Beteiligung“ für den Bereich der einkommensteuerrechtlichen Abfärbung.

Die in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete zeitliche Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007 auf Veranlagungszeiträume vor 2006, die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, unterliegt ebenfalls keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung verstößt insbesondere nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot21. Somit war auch keine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO zwecks Vorlage an das BVerfG geboten.

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Die in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete rückwirkende Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007, die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, stellt -jedenfalls für die Streitjahre vor 2006- eine „echte“ Rückwirkung dar.

Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll22. Im Steuerrecht liegt eine „echte“ Rückwirkung vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert23.

So verhält es sich im Streitfall. § 52 Abs. 32a EStG 2007 ordnet die Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007 für Veranlagungszeiträume vor 2006 und damit (auch) für solche an, die im Zeitpunkt der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2007 am 18.12.2006 bereits abgeschlossen waren.

Diese „echte“ Rückwirkung ist ausnahmsweise verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gesetze mit „echter“ Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig24. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind aber -ohne dass dies abschließend wäre- Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist25. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war26. So tritt das Rückwirkungsverbot namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war27 oder weil ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei28. Dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erst recht verfassungsrechtlich nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach29. Bei einer Rechtsprechungsänderung kann sich ein berechtigtes Vertrauen auf eine von höchstrichterlicher Rechtsprechung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis abweichende Rechtslage jedenfalls vor dieser Änderung nicht bilden, insbesondere wenn mit einer gesetzlichen Regelung keine Verschlechterung gegenüber dem Rechtszustand vor der Rechtsprechungsänderung verbunden war30.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Gesetzgeber mit § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 i.V.m. § 52 Abs. 32a EStG 2007 in zulässiger Weise eine Rechtslage festgeschrieben, die vor dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.10.200431 einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen hat. Die GbR konnte bis zum BFH-Urteil vom 06.10.200431 nicht auf eine Rechtslage vertrauen, nach der eine Abfärbewirkung gewerblicher Beteiligungseinkünfte bei einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft ausgeschlossen war. Ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der erstmals im Urteil des Bundesfinanuzhofs vom 06.10.200431 niedergelegten Rechtsauffassung konnte sich ebenfalls nicht bilden32.

Nach der durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 mit Wirkung vom 25.12.1985 eingefügten Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 galt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer OHG, einer KG oder einer anderen Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt. Die Regelung führte dazu, dass die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft in vollem Umfang als Gewerbebetrieb galt, auch wenn sie nur teilweise gewerblich war. Die Vorschrift sollte ohne materielle Rechtsänderung die zuvor in § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG enthaltene gleichartige Regelung ersetzen33.

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 wurde mit dem Jahressteuergesetz 2007 durch die Anfügung eines weiteren Halbsatzes („oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 bezieht“) ergänzt. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007 wurde angefügt, nachdem der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 06.10.200431 -entgegen der bis dahin geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung34- entschieden hatte, dass eine Umqualifizierung der gesamten Einkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft in gewerbliche Einkünfte allein aufgrund gewerblicher Beteiligungseinkünfte mangels originärer gewerblicher Tätigkeit ausscheide. Nach der Begründung der Regierungsvorlage sollte mit der Gesetzesänderung „die bisherige Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung wiederhergestellt und gesetzlich abgesichert werden“35. Dabei habe (bereits) § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F. verhindern sollen, dass bei einer Personengesellschaft neben gewerblichen Einkünften solche weiterer Einkunftsarten entstehen. Dieses Ziel werde verfehlt, wenn die Obergesellschaft neben ihren gewerblichen Einkünften als Mitunternehmerin noch Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart erziele36.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung vertrat bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags der A-KG im Juli 1995 zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 die Auffassung, dass die Beteiligung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (Obergesellschaft) an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft) zur Folge habe, dass die gesamten Einkünfte der Obergesellschaft zu Einkünften aus Gewerbebetrieb werden37. Dass jenes -am 27.04.1995 (Leitsätze) beziehungsweise am 08.06.199538 im Betriebs-Berater veröffentlichte- Urteil die Beteiligung einer landwirtschaftlich tätigen Personengesellschaft an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft betraf, steht dem -anders als die GbR meint- nicht entgegen. Denn die Entscheidungsgründe des Urteils beziehen ausdrücklich auch die vermögensverwaltende Obergesellschaft in die Erwägungen zur Umqualifizierung nicht gewerblicher Einkünfte durch gewerbliche Beteiligungseinkünfte ein39.

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In den nachfolgenden Urteilen vom 13.11.199740; und vom 18.04.200041 hat der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung bestätigt. Die dortigen Aussagen zur Abfärbewirkung durch das Halten einer Beteiligung an einer gewerblich tätigen (Innen-)Personengesellschaft konnten -hierauf hat das Finanzgericht zutreffend hingewiesen- nur in dem Sinne verstanden werden, dass auch gewerbliche Beteiligungseinkünfte einer vermögensverwaltenden Obergesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 zu einer Umqualifizierung ihrer übrigen Einkünfte in gewerbliche Einkünfte führen. Dass diese Aussagen zur Abfärbewirkung nicht tragend waren, hat zwar Einfluss auf die Bindungswirkung der Erwägungen des Bundesfinanzhofs für den seinerzeit entschiedenen Streitfall, nicht aber auf deren Aussagegehalt zu der Frage, welche Auffassung die Rechtsprechung seinerzeit zur Aufwärtsabfärbung von Beteiligungseinkünften bei vermögensverwaltenden Gesellschaften vertreten hat. Dementsprechend hat auch der IX. Senat in seinem Urteil vom 06.10.200442 ausdrücklich festgestellt, dass seine Entscheidung, nach der eine Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft ausgeschlossen ist, eine Abweichung von den genannten Urteilen darstelle43. Dies ergibt sich auch aus dem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil des IX. Senats vom 27.06.199544, in dem dieser unter Bezug auf das Urteil des IV. Senats vom 08.12.199445 ausgeführt hat, dass gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 die Beteiligung einer nicht gewerblich tätigen Personengesellschaft an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft grundsätzlich dazu führe, dass die Einkünfte der Obergesellschaft insgesamt als gewerbliche Einkünfte einzuordnen seien.

Die Finanzverwaltung vertrat schon vor dem Urteil des IV. Senats vom 08.12.199445 unter Verweis auf den Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 25.02.199146 die Auffassung, dass die vermögensverwaltende Personengesellschaft, die sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt, über § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 in vollem Umfang Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt47.

Sie hat sich im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 13.05.199648 sodann dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 08.12.199445 angeschlossen und festgestellt, der Bundesfinanzhof habe entschieden, dass (auch) eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, die sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteilige, nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte erziele. Ergänzend klargestellt hat die Finanzverwaltung zudem, dass die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 nur in den Fällen eingreife, in denen die Beteiligung an der Untergesellschaft zum Gesamthandsvermögen einer ansonsten land- und forstwirtschaftlich, freiberuflich oder vermögensverwaltend tätigen Obergesellschaft gehöre. Diese Auffassung spiegelte sich auch in den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) wider: Im Amtlichen Einkommensteuer-Handbuch (EStH) 1995 R 138 (5) hieß es, dass eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, die sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt, in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte bezieht. In EStH 2003 R 138 (5), EStH 2004 R 138 (5) und EStH 2005 R 15.8 (5) war geregelt, dass eine land- und forstwirtschaftlich, freiberuflich oder vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft, zu deren Gesamthandsvermögen eine Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft gehört, in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte bezieht49.

Danach bestand in der Folge des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 08.12.199445 bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags der A-KG eine Rechtslage, nach der auch vermögensverwaltende Personengesellschaften, die sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligen, davon ausgehen mussten, dass es zur Abfärbung kommt. Dementsprechend konnte auch die GbR nicht annehmen, dass ihre Beteiligungserträge aus der A-KG nicht zu einer Abfärbung führen würden.

Dem steht nicht entgegen, dass der IV. Senat in seinem Urteil vom 08.12.199445 selbst angenommen hat, von der im Schrifttum vertretenen herrschenden Meinung abzuweichen, und dass er seine Entscheidung mit systematischen Erwägungen begründet hat. Auch der Umstand, dass dieses Urteil, wie der Prozessbevollmächtigte der GbR vorträgt, in der Fachliteratur umstritten gewesen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die GbR musste aufgrund dieses Urteils gleichwohl davon ausgehen, dass ihre Beteiligungserträge aus der A-KG zu einer Abfärbung führen würden.

Auch der Umstand, dass das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 08.12.199445 erst im Jahr 1996 -und damit nach der Gründung der A-KG- im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurde, hat -anders als die GbR meint- keine Relevanz. Die dortige Veröffentlichung bringt lediglich zum Ausdruck, dass die Finanzverwaltung das entsprechende Urteil in gleichgelagerten Fällen allgemein zur Anwendung bringen will; sie verleiht dem Urteil jedoch keine andere Qualität oder Wirkung. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Finanzverwaltung bereits vor Ergehen des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 08.12.199445 der Meinung war, dass die vermögensverwaltende Personengesellschaft, die sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt, über § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 in vollem Umfang Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt50.

Auch ist es nicht erforderlich, dass bereits im Zeitpunkt der Gründung der A-KG im Jahr 1995 eine gefestigte langjährige Rechtsprechung und einheitliche Rechtspraxis in Bezug auf die streitige Aufwärtsabfärbung bestanden hat. Es reicht vielmehr aus, dass die GbR infolge des Urteils vom 08.12.199445 und der damit übereinstimmenden Verwaltungsauffassung nicht annehmen konnte, dass der Bezug von Beteiligungserträgen aus der A-KG bei ihr nicht zu einer Aufwärtsabfärbung führen würde. Damit konnte kein schützenswertes Vertrauen der GbR entstehen.

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Ein schutzwürdiges Vertrauen der GbR dahin, dass es infolge der Beteiligungserträge aus der A-KG nicht zu einer Aufwärtsabfärbung kommt, hätte sich erstmals mit der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2004 bilden und längstens bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 Bestand haben können.

Allerdings war das Urteil des IX. Senats des Bundesfinanzhofs vom 06.10.200431, das am 17.11.2004 veröffentlicht worden ist, nicht geeignet, schutzwürdiges Vertrauen dahingehend zu begründen, dass sich eine vermögensverwaltende Personengesellschaft (Obergesellschaft) mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft) beteiligen kann, ohne dass es zu einer Aufwärtsabfärbung kommt. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung des Bundesfinanzhofs dar, auf die die Finanzverwaltung im Mai 2005 mit einem Nichtanwendungserlass51 und der Gesetzgeber mit der Änderung des § 15 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 reagiert hat. In der Begründung zum Gesetzentwurf des Jahressteuergesetzes 200735 vom 25.09.2006 heißt es dementsprechend, mit der gesetzlichen Neuregelung solle die vor der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 06.10.2004 bestehende Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung52 wiederhergestellt werden.

Insoweit hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung verfassungskonform die durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.10.200431 erfolgte Rechtsprechungsänderung rückwirkend beseitigt, indem er die im Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung 2004 bestehende gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung und einheitliche Rechtspraxis durch die Ergänzung des § 15 Abs. 3 EStG bestätigt hat. Die Rechte der GbR, die im Zeitraum zwischen der Rechtsprechungs- und Gesetzesänderung keine wirtschaftlichen Dispositionen in Bezug auf die Beteiligungseinkünfte aus der A-KG getroffen hat, wurden dadurch nicht verletzt. Denn die Situation der GbR hat sich infolge der Ergänzung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 durch das Jahressteuergesetz 2007 gegenüber dem Rechtszustand vor der Rechtsprechungsänderung nicht verschlechtert.

Dass der Gesetzgeber erst etwa zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 06.200431 reagiert hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Betroffenen konnten aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vod 18.05.200551 weder davon ausgehen, dass die Finanzverwaltung die geänderte Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs akzeptieren wird, noch konnten sie annehmen, der Gesetzgeber werde nicht auf die geänderte BFH-Rechtsprechung reagieren. Dabei ist auch zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits die Einbringung eines Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag (hier am 25.09.2006) das Vertrauen in den zukünftigen Bestand einer Rechtslage infrage stellt53. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 15.10.200854 stehen dem nicht entgegen.

Der Auffassung, dass der Gesetzgeber erst nach drei Jahren auf die Rechtsprechungsänderung reagiert habe, kann sich der Bundesfinanzhof nicht anschließen. Maßgebend ist insoweit die Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 07.10.200431 am 17.11.2004, nicht hingegen bereits der Anfragebeschluss des IX. Senats vom 22.07.2003 oder die Veröffentlichung des hierzu ergangenen Beschlusses des IV. Senats vom 06.11.200355. Denn eine Änderung der Rechtsprechung ergibt sich allein durch das Urteil vom 06.10.200431.

Die Ausführungen des IV. Senats im Beschluss vom 06.11.200356 führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn der Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 verlangt hätte, dass die Personengesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1985 ausübt und es nicht genügt hätte, dass sie Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bezieht und auch die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG möglicherweise darauf hindeuten könnte, dass die damalige Abfärberegelung nicht auch vermögensverwaltende Personengesellschaften erfassen sollte57, so ändert dies nichts daran, dass der Bundesfinanzhof seit dem Urteil vom 08.12.199445 bis zur Rechtsprechungsänderung durch das Urteil vom 06.10.200431 angenommen hat, dass die Beteiligung einer vermögensverwaltenden Personenobergesellschaft an einer gewerblich tätigen Personenuntergesellschaft zur Folge hat, dass die gesamten Einkünfte der Personenobergesellschaft zu Einkünften aus Gewerbebetrieb werden. Vor diesem Hintergrund kann sich die GbR nicht mit Erfolg -unter Verweis auf den vermeintlich eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1985 oder dessen Gesetzeszweck- darauf berufen, sie habe darauf vertrauen können, eine Aufwärtsabfärbung infolge ihrer Beteiligung an der A-KG sei ausgeschlossen.

Der Einwand, es habe keine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, nach der es auch bei vermögensverwaltenden GbR infolge der Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft zu einer Aufwärtsabfärbung gekommen sei, greift ebenfalls nicht durch. In Anbetracht des BMF, Schreiben vom 13.05.199658 sieht der Bundesfinanzhof keinen Anlass, das Vorliegen einer entsprechenden einheitlichen Verwaltungspraxis infrage zu stellen. Verwaltungsanweisungen binden kraft der sich aus dem Behördenaufbau ergebenden Weisungsbefugnisse die nachgeordneten Verwaltungsdienststellen59. Dementsprechend besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die weisungsgebundene öffentliche Verwaltung die Verwaltungsvorschriften in ihrer Praxis beachtet hat60.

Diese Vermutung hat die GbR nicht erschüttert oder widerlegt. Hierzu reicht es nicht aus, dass ihr Prozessbevollmächtigter ausgeführt hat, ihm sei aus seiner Praxis kein einziger Fall bekannt, in dem 1995 ein Finanzamt bei einer originär vermögensverwaltenden Personengesellschaft, die an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft beteiligt sei, aufgrund von § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1985 ausschließlich gewerbliche Einkünfte angesetzt habe. Auch die Darlegungen der GbR zum Verwaltungshandeln im konkreten Streitfall sind nicht geeignet, hinreichende Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass -entgegen dem BMF, Schreiben vom 13.05.199661- die Verwaltungspraxis für vermögensverwaltende Personengesellschaften, die an gewerblichen Personengesellschaften beteiligt waren, keine Aufwärtsabfärbung angenommen hat. Im Streitfall hat das Finanzamt im Schreiben vom 28.05.1997 das Problem der „gewerblichen Prägung“ der Einkünfte der GbR infolge der Beteiligung an der A-KG angesprochen, auch wenn es hieraus zunächst noch keine Konsequenzen gezogen hat. Für die Jahre 1998 bis 2000, 2002 sowie in den Streitjahren erfasste das Finanzamt die Einkünfte der GbR als solche aus Gewerbebetrieb. Dass es 2001 erklärungsgemäß eine Aufteilung in Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Gewerbebetrieb vornahm, kann die Vermutung, dass die Verwaltungspraxis sich an die Vorgaben des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 13.05.199648 gehalten hat, nicht erschüttern. Hieraus folgt zwar, dass es in der Veranlagungspraxis in Einzelfällen zu Veranlagungen beziehungsweise Feststellungen kommen kann, die mit den (verbindlichen) Verwaltungsanweisungen nicht in Einklang stehen. Hieraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die im BMF, Schreiben vom 13.05.199648 niedergelegte Verwaltungsauffassung grundsätzlich keine Anwendung gefunden hat.

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Auch liegt es nicht in der Hand der Finanzverwaltung, den Vertrauensschutz des Bürgers durch den Erlass von Richtlinien und Erlassen entfallen zu lassen. Vorliegend hat die Verwaltung keinen aufgrund der Rechtsprechung zugunsten des Steuerpflichtigen bestehenden Vertrauensschutz durch eine die Rechtsprechung ablehnende Verwaltungsanweisung infrage gestellt. Vielmehr konnte aufgrund der seit 1994 bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung und der dieser folgenden Verwaltungspraxis bis zur Änderung der Rechtsprechung im Jahr 2004 kein Vertrauen des Bürgers dahin entstehen, dass die von einer vermögensverwaltenden GbR erzielten gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht zur Abfärbung führen würden.

Auch in Bezug auf die Rechtsprechungsänderung durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 06.10.200431 gilt nichts anderes. Das der Rechtsprechungsänderung nachfolgende Handeln der Finanzverwaltung hat insoweit kein Vertrauen des Steuerpflichtigen in jene neue, geänderte Rechtsprechung zerstört, sondern lediglich -gemeinsam mit der nachfolgenden Gesetzesänderung durch das Jahressteuergesetz 2007- verhindert, dass Vertrauen in die neue, geänderte Rechtsprechung begründet werden konnte.

Aufgrund der bereits im Zeitpunkt der Beteiligung der GbR an der A-KG bestehenden Rechtslage sieht der Bundesfinanzhof keinen Anlass, die aus seiner Sicht verfassungskonforme echte Rückwirkung des § 52 Abs. 32a EStG i.d.F. des JStG 2007 zeitlich in dem von der GbR begehrten Umfang einzuschränken.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. September 2023 – IV R 24/20

  1. Bestätigung von BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649[]
  2. Bestätigung von BFH, Urteil vom 19.07.2018 – IV R 39/10, BFHE 262, 149, BStBl II 2019, 77[]
  3. BGBl I 2019, 2451[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 30.06.2022 – IV R 42/19, BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, Rz 28, m.w.N.[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 30.06.2022 – IV R 42/19, BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, Rz 30[]
  6. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 30.06.2022 – IV R 42/19, BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, Rz 35, m.w.N.; vgl. auch Rätke in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 15 EStG Rz 616; Schmidt/Wacker, EStG, 42. Aufl., § 15 Rz 613; Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 15 Rz 149; vgl. auch Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 25.02.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl II 1991, 691, unter C.IV.[]
  7. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16.07.2001 – II ZB 23/00, BGHZ 148, 291[]
  8. z.B. BFH, Urteile vom 10.08.1994 – I R 133/93, BFHE 175, 357, BStBl II 1995, 171, unter II. 2.c; vom 29.04.1993 – IV R 61/92, BFH/NV 1994, 89, unter 1.; vom 13.11.1997 – IV R 67/96, BFHE 184, 512, BStBl II 1998, 254, unter 2.a, zur Innengesellschaft; vgl. auch Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 25.02.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl II 1991, 691[]
  9. BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 30 ff., zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2009[]
  10. anderer Ansicht z.B. Niehus, Die Unternehmensbesteuerung -Ubg- 2018, 713 ff.; Paus, Finanz-Rundschau -FR- 2019, 897 ff.; HHR/Stapperfend, § 15 EStG Rz 1402; Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 15 Rz 150b[]
  11. vgl. auch Wendt, FR 2022, 473, 476[]
  12. BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 33[]
  13. BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 37[][][]
  14. vgl. im Einzelnen BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 37[]
  15. BVerfG, Beschluss vom 15.01.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1[][]
  16. vgl. BFH, Urteil vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649, Rz 37, Rz 24 ff.[]
  17. vgl. hierzu ausführlich BFH, Urteil vom 30.06.2022 – IV R 42/19, BFHE 278, 42, BStBl II 2023, 118, Rz 36 ff.[]
  18. BVerfG, Beschluss vom 15.01.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 131[]
  19. BFH/NV 2005, Beilage 3, 259[]
  20. BGBl I 1985, 2436[]
  21. so bereits BFH, Urteil vom 19.07.2018 – IV R 39/10, BFHE 262, 149, BStBl II 2019, 77, Rz 18, zur Vorgängerregelung; noch offen gelassen in BFH, Urteil vom 26.06.2014 – IV R 5/11, BFHE 246, 319, BStBl II 2014, 972, Rz 10, 28; so auch Blischke/Desens in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 15 Rz E 23; zustimmend Schmidt/Wacker, EStG, 42. Aufl., § 15 Rz 189; Füssenich in Bordewin/Brandt, § 15 EStG Rz 3149; anderer Ansicht z.B. Niehus, Ubg 2018, 713, 718; HHR/Stapperfend, § 15 EStG Rz 1400, Stand Mai 2013 -Lfg. 257-[]
  22. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, Rz 56; vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177, Rz 52; vom 30.06.2020 – 1 BvR 1679/17, 1 BvR 2190/17, BVerfGE 155, 238, Rz 129[]
  23. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rz 44, m.w.N.[]
  24. ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, Rz 56, m.w.N.[]
  25. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts -BVerfGK- 14, 338, Rz 14, m.w.N.[]
  26. so zuletzt BVerfG, Beschluss vom 12.07.2023 – 2 BvR 482/14, Rz 43, m.w.N.[]
  27. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, BVerfGK 14, 338, Rz 14; und vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1, Rz 67, 72, m.w.N.[]
  28. z.B. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2012 – 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20, Rz 77, m.w.N.[]
  29. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, BVerfGK 14, 338, Rz 19[]
  30. BVerfG, Beschluss vom 12.07.2023 – 2 BvR 482/14, Rz 45, m.w.N.[]
  31. BFH, Urteil vom 06.10.2004 – IX R 53/01, BFHE 207, 466, BStBl II 2005, 383[][][][][][][][][][][]
  32. vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, BVerfGK 14, 338, unter III. 1.[]
  33. BT-Drs. 10/3663, S. 8[]
  34. vgl. BFH, Urteile vom 08.12.1994 – IV R 7/92, BFHE 176, 555, BStBl II 1996, 264; vom 13.11.1997 – IV R 67/96, BFHE 184, 512, BStBl II 1998, 254; vom 18.04.2000 – VIII R 68/98, BFHE 192, 100, BStBl II 2001, 359[]
  35. BT-Drs. 16/2712, S. 44[][]
  36. BT-Drs. 16/2712, S. 45; vgl. BFH, Urteil vom 26.06.2014 – IV R 5/11, BFHE 246, 319, BStBl II 2014, 972, Rz 23[]
  37. vgl. BFH, Urteil vom 08.12.1994 – IV R 7/92, BFHE 176, 555, BStBl II 1996, 264[]
  38. Leitsätze und vollständige Entscheidung[]
  39. so auch BFH, Beschluss vom 06.11.2003 – IV ER-S 3/03, BFHE 207, 462, BStBl II 2005, 376, unter 1.[]
  40. BFH, Urteil vom 13.11.1997 – IV R 67/96, BFHE 184, 512, BStBl II 1998, 254, unter 2.c[]
  41. BFH; vom 18.04.2000 – VIII R 68/98, BFHE 192, 100, BStBl II 2001, 359, unter II. 5.d[]
  42. BFH, Urteil vom 06.10.2004 – IX R 53/01, BFHE 207, 466, BStBl II 2005, 383, unter II. 4.[]
  43. vgl. auch HHR/Rätke, § 15 EStG Rz 615[]
  44. BFH, Urteil vom 27.06.1995 – IX R 11/93, – IX R 12/93, BFH/NV 1996, 319, unter II. [Rz 13][]
  45. BFH, Urteil vom 08.12.1994 – IV R 7/92, BFHE 176, 555, BStBl II 1996, 264[][][][][][][][][]
  46. BFH, Beschluss vom 25.02.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl II 1991, 691[]
  47. OFD Düsseldorf, Verfügung vom 11.02.1993 – S 2241 A – St 11 H, Der Betrieb -DB- 1993, 510[]
  48. BMF, Schreiben vom 13.05.1996, BStBl I 1996, 621[][][]
  49. jeweils Satz 4[]
  50. OFD Düsseldorf, Verfügung vom 11.02.1993 – S 2241 A – St 11 H, DB 1993, 510[]
  51. BMF, Schreiben vom 18.05.2005, BStBl I 2005, 698[][]
  52. R 15.8 Abs. 5 Satz 4 EStR 2005[]
  53. z.B. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rz 55 ff.[]
  54. BVerfG Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, BVerfGK 14, 338, Rz 16[]
  55. BFH, Beschluss vom 06.11.2003 – IV ER-S 3/03, BFHE 207, 462, BStBl II 2005, 376[]
  56. BFH, Beschluss vom 06.11.2003 – IV ER-S 3/03, BFHE 207, 462, BStBl II 2005, 376, unter 5.b[]
  57. vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 06.11.2003 – IV ER-S 3/03, BFHE 207, 462, BStBl II 2005, 376, unter 2. und 5.b[]
  58. BMF, Schreiben vom 13.05.1996BStBl I 1996, 621[]
  59. vgl. Klein/Gersch, AO, 16. Aufl., § 4 Rz 21; Wernsmann in HHSp, § 5 AO Rz 189; vgl. auch BFH, Urteil vom 17.12.1959 – V 251/58 U, BFHE 70, 264, BStBl III 1960, 97, unter II. [Rz 17][]
  60. vgl. auch Wernsmann in HHSp, § 5 AO Rz 201; BGH, Urteil vom 28.09.1995 – IX ZR 158/94, unter II. 1.a [Rz 8], m.w.N.[]
  61. BStBl I 1996, 621[]
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