Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt eine Verfassungsbeschwerde aus dem Jahre 2013 zu der Frage, ob die Ausweitung der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.20001 aufgrund der damit bewirkten Abkehr von einer zuvor geltenden Wesentlichkeitsgrenze (Beteiligungen von 10 %) zugunsten einer 1 %-Grenze insgesamt verfassungswidrig ist oder jedenfalls insoweit gegen das Grundgesetz verstößt, als danach auch Wertsteigerungen der Besteuerung unterliegen, die in der Zeit nach Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26.10.2000 bis zum Tag der erstmaligen Anwendbarkeit am 1.01.2002 angefallen sind, nicht zur Entscheidung angenommen.

Die gesetzliche Regelung
§ 17 EStG erfasst Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im Privatvermögen gehalten werden. Hierfür war bis zum Ergehen der verfahrensgegenständlichen Vorschrift eine wesentliche Beteiligung Voraussetzung, wobei die insoweit maßgebliche Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.19992 von 25 % auf 10 % abgesenkt wurde3.
Im Zuge des Systemwechsels im Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren und der gleichzeitigen Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 % durch das Steuersenkungsgesetz4 wurde auch § 17 Abs. 1 EStG geändert und die Beteiligungsgrenze auf 1 % abgesenkt.
Zu der Änderung enthielt der Gesetzentwurf der Bundesregierung folgende Begründung5:
„Künftig werden die Gewinne auf der Ebene der Kapitalgesellschaft mit 25 % Körperschaftsteuer (definitiv) belastet. Dividenden werden beim Anteilseigner nur zur Hälfte in die Ermittlung der Einkünfte einbezogen; eine Anrechnung der Körperschaftsteuer unterbleibt.
Die Besteuerung kann beim Anteilseigner dann umgangen werden, wenn der Anteilseigner seine Beteiligung vor der Gewinnausschüttung veräußert, er sich dabei die in der Gesellschaft angesammelten offenen Rücklagen vergüten lässt und der Veräußerungsgewinn nicht steuerpflichtig ist.
Gehört die Beteiligung zum Privatvermögen, ist nach geltender Rechtslage der Veräußerungsgewinn nur steuerpflichtig, wenn die Veräußerung innerhalb von 12 Monaten nach dem Erwerb erfolgt (Spekulationsgewinn) oder es sich bei einer Veräußerung zu einem späteren Zeitpunkt um eine wesentliche Beteiligung handelt.
Eine wesentliche Beteiligung setzt nach geltender Rechtslage eine Beteiligung von mindestens 10 % voraus.
Zur Vermeidung von Steuerumgehungen ist es geboten, die Grenze für die wesentliche Beteiligung auf mindestens 1 % zu senken.“
Der Finanzausschuss des Bundestages empfahl, wegen der beabsichtigten Absenkung auf 1 % das Tatbestandsmerkmal der „wesentlichen Beteiligung“ in § 17 EStG (i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002) zu streichen und zusätzlich eine absolute Beteiligungsgrenze von 5.000 DM einzuführen. Hierdurch sollte erreicht werden, dass bei der Veräußerung kleinerer Beteiligungen, die zum Beispiel bei der Gründung von Unternehmen eingegangen würden, keine Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen entstehe6.
Nachdem der Bundesrat am 9.06.2000 den Vermittlungsausschuss angerufen hatte7, wurde in dessen Einigungsvorschlag vom 04.07.2000 im Hinblick auf die hier verfahrensgegenständliche Norm nur noch die Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % vorgeschlagen8.
Diesem Vermittlungsvorschlag stimmten der Deutsche Bundestag mit Beschluss vom 06.07.20009 und der Bundesrat mit Beschluss vom 14.07.200010 zu.
Sodann wurde das Steuersenkungsgesetz am 23.10.2000 vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 26.10.200011 verkündet.
Nach § 52 Abs. 34a EStG (i.d.F. des StSenkG) war § 17 EStG (i.d.F. des StSenkG) erstmals auf Veräußerungen anzuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden, vorgenommen wurden, für das das Körperschaftsteuergesetz in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes erstmals anzuwenden war. Letzteres war grundsätzlich ab dem Veranlagungszeitraum 2001 der Fall (§ 34 Abs. 1 BVerfGtG i.d.F. des StSenkG); bei vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahren war das neue Körperschaftsteuerrecht erstmals für den Veranlagungszeitraum 2002 anzuwenden, wenn das erste im Veranlagungszeitraum 2001 endende Wirtschaftsjahr vor dem 1.01.2001 begonnen hatte (§ 34 Abs. 1a BVerfGtG i.d.F. des StSenkG).
Das finanzgerichtliche Ausgangsverfahren
Der beschwerdeführende Aktionär ist Gründungsgesellschafter einer im Jahr 1993 errichteten GmbH, die im Jahr 2000 in eine AG umgewandelt wurde. Seine Beteiligung an der GmbH beziehungsweise AG betrug während dieser Zeit zwischen 4, 9 % und 7 %. Im August 2003 (Streitjahr) erzielte der Aktionär einen Gewinn aus der Veräußerung von Aktien der AG oberhalb des in § 17 Abs. 3 EStG (i.d.F. des StSenkG) festgelegten Freibetrags.
Diesen Veräußerungsgewinn unterwarf das Finanzamt gemäß § 17 EStG (i.d.F. des StSenkG) unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens der Besteuerung, wobei es zunächst noch den Teil des Veräußerungsgewinns versteuerte, der auf die Zeit bis zum Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes (26.10.2000) entfiel. Der gegen die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2003 erhobene Einspruch des Aktionärs blieb erfolglos.
Nachdem der Aktionär dagegen Klage vor dem Finanzgericht erhoben hatte, erging ein richterlicher Hinweis, wonach aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.12.201012 unter entsprechender Anwendung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 127, 61 Wertsteigerungen bei den Aktien bis zum Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes (26.10.2000) freizustellen seien. Das Finanzamt folgte diesem Hinweis und änderte die Einkommensteuerfestsetzung zugunsten des Aktionärs entsprechend ab.
Im Nachgang zu dieser Änderung erklärte der Aktionär, der Änderungsbescheid entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 127, 61. Gleichwohl sei der Veräußerungsgewinn insgesamt von der Besteuerung auszunehmen, da der entsprechende Besteuerungstatbestand des § 17 EStG (i.d.F. des StSenkG) gegen das Grundgesetz verstoße.
Das Finanzgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Der angefochtene Steuerbescheid sei rechtmäßig, § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG13.
Gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf legte der Gesellschafter Revision ein. Er vertrat weiterhin die Auffassung, § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) sei verfassungswidrig, sodass aufgrund der Nichtigkeit dieser Vorschrift eine Versteuerung des Veräußerungsgewinns ohne Rechtsgrund erfolge. In seiner Revisionsbegründungsschrift vom 30.11.2011 rügte er nur einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch Einführung der 1 %-Schwelle.
Nachdem der Bundesfinanzhof die Revision mit Gerichtsbescheid vom 23.05.2012 als unbegründet zurückgewiesen hatte, beantragte der Aktionär mit Schriftsatz vom 09.08.2012 die Durchführung der mündlichen Verhandlung und erweiterte inhaltlich seine Begründung zur Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Hilfsweise für den Fall, dass § 17 EStG (i.d.F. des StSenkG) nicht insgesamt verfassungswidrig sein sollte, stellte er den Antrag, Wertsteigerungen bei den Aktien zwischen der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes (26.10.2000) und dessen Inkrafttreten am 1.01.2002 in entsprechender Anwendung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 127, 61 von der Besteuerung auszunehmen. Der Wert der Aktien habe am 31.12.2001 25 Euro betragen. Dieser Wert ergebe sich aus einer Kapitalerhöhung im Mai 2001 sowie aus einer Aktienveräußerung durch den Aktionär am 19.12.2001. Bei beiden Vorgängen sei ein Aktienwert von 25 Euro zugrunde gelegt worden, was aus bestimmten – erstmalig im Revisionsverfahren vorgelegten – Dokumenten folge, nämlich aus dem Auszug eines Berichts einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie aus dem Inhalt des Kaufvertrags vom 19.12.2001.
Der Bundesfinanzhof wies die Revision mit ebenfalls verfahrensgegenständlichem Urteil vom 24.10.2012 als unbegründet zurück14. Die 1 %-Grenze des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG liege im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit.
Ob Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens besteuert werden, sei eine Entscheidung politischer Gestaltung und liege innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums15.
Der Gesetzgeber treffe mit der Einführung der 1 %-Grenze eine neue Systementscheidung. Dementsprechend erkläre er in der BT-Drs. 14/3366, S. 118, dass die Wesentlichkeit nicht mehr relevant sei. Vielmehr komme § 17 EStG (i.d.F. des StSenkG) ausweislich der Gesetzesmaterialien16 die neue Funktion zu, grundsätzlich sicherzustellen, dass es nicht durch Veräußerung der Beteiligung möglich sei, die Halbeinkünftebesteuerung auf der Ebene des Anteilseigners zu vermeiden, der seine Anteile nicht in einem Betriebsvermögen halte. Insoweit erachte es der Gesetzgeber zur Vermeidung von Steuerumgehungen für geboten, die Grenze für die wesentliche Beteiligung auf 1 % zu senken17. Es komme nicht darauf an, dass der Gesetzgeber sein genanntes Ziel, wie der Aktionär meine, treffsicher und in folgerichtiger Fortführung seiner – schon mit der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 10 % sowie der Verlängerung der sogenannten Spekulationsfristen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 begonnenen – Gesetzgebungslinie einer zunehmend weitergehenden Besteuerung privater Wertzuwächse auch mit einer ausnahmslosen Gewinnbesteuerung bei Beteiligungsveräußerungen habe erreichen können. Auch dass ein prozentualer Anteil an einer Kapitalgesellschaft die Leistungsfähigkeit des Gesellschafters in Abhängigkeit von der Größe der Gesellschaft abbilde, mache die prozentuale Beteiligung nicht zum gleichheitswidrigen Anknüpfungspunkt für die Einkommensbesteuerung. Vielmehr füge sich diese typisierende tatbestandliche Abbildung einer Minimalgrenze für den Steuerzugriff in die bisherige Struktur des § 17 EStG ein. Es handele sich im Gesamtkontext des Einkommensteuergesetzes um ein praktikables Kriterium für die Abgrenzung steuerbarer und nichtsteuerbarer Anteilsveräußerungen. Sie biete eine hinreichend klare Differenzierung für den Gesetzesvollzug.
Nicht zu beanstanden sei auch die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen von der Gesetzesverkündung bis zum Inkrafttreten der 1 %-Grenze.
Zur rückwirkenden Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25 % auf 10 % bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 habe das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 127, 61 keine Gleichheitswidrigkeit im Hinblick auf Wertsteigerungen zwischen Verkündung und Inkrafttreten der neuen Rechtslage angenommen. Die Erfassung von Wertsteigerungen von der Verkündung bis zum Inkrafttreten der 1 %-Grenze sei eine Frage des Vertrauensschutzes, nicht eine von Art. 3 Abs. 1 GG.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Aktionär eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Die verfahrensgegenständliche Norm sei wegen Verstoßes gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit sowie gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verfassungswidrig. Darüber hinaus widerspreche die rückwärts gerichtete Steuerverstrickung Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liege nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde habe keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG), weil die Maßstäbe für die Vereinbarkeit der Besteuerung privater Veräußerungen von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Art. 3 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich geklärt seien18. Ihre Annahme sei auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Aktionärs angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg habe. Sie sei unzulässig, soweit sie die Rüge einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die steuerliche Erfassung der Wertsteigerungen ab dem Zeitpunkt der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes bis zu dessen Inkrafttreten betreffe. Im Übrigen sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
Teilweise Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Soweit der Aktionär eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) im Verhältnis zu denjenigen Steuerpflichtigen mit einer Beteiligung zwischen 1 % und 10 % rügt, die eine Veräußerung von Anteilen in der Zeit zwischen der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes und dessen Inkrafttreten vorgenommen haben, genügt seine Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
Eine Begründung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG erfordert, dass der Aktionär die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte hinreichend deutlich aufzeigt19. Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden20. Bei Urteilsverfassungsbeschwerden ist zudem in der Regel eine ins Einzelne gehende argumentative Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung erforderlich. Es bedarf demnach einer substantiierten Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht und mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts21.
Diesen Anforderungen genügt die Begründung der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht in Bezug auf den Einwand des Aktionärs, im Streitfall hätten die Wertsteigerungen bei den Aktien bis zum Tag vor dem Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes nicht besteuert werden dürfen. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Aufarbeitung der Rechtslage zum einfachen Recht sowie zum Verfassungsrecht.
Zunächst hätte es einer nachvollziehbaren Darlegung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Steuersenkungsgesetzes und der zeitlichen Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) auf die Veräußerung von Anteilen an der Aktiengesellschaft bedurft, an der der Aktionär beteiligt war. Der Aktionär ging in seiner Klageschrift davon aus, dass § 17 Abs. 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) seit dem 1.01.2003 galt. In seinem Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof machte er dagegen geltend, die Regelung sei zum 1.01.2002 in Kraft getreten. Er begründete dies jedoch nicht näher, sondern verwies lediglich auf eine Quelle im Schrifttum22. Auch in seiner Verfassungsbeschwerde geht er ohne Weiteres vom Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes am 1.01.2002 aus, ohne dass er sich mit den einschlägigen Regelungen des Steuersenkungsgesetzes auseinandersetzt.
Die Änderungen des Einkommensteuergesetzes durch Art. 1 des Steuersenkungsgesetzes sind insgesamt am 1.01.2001 in Kraft getreten (vgl. Art.19 Abs. 1 StSenkG). Der zeitliche Anwendungsbereich von § 17 Abs. 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) ergibt sich aus § 52 Abs. 34a EStG in Verbindung § 34 Abs. 1 und Abs. 1a BVerfGtG (i.d.F. des StSenkG). Danach kommt es für den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung von § 17 Abs. 1 BVerfGtG (i.d.F. des StSenkG) darauf an, ob das Wirtschaftsjahr der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden, mit dem Kalenderjahr übereinstimmt23. Dazu verhält sich die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht.
Unabhängig davon hat der Aktionär nicht hinreichend dazu vorgetragen, ob der von ihm erstmals in der Revisionsinstanz behauptete Aktienwert am 31.12.2001, aus dem sich nach seiner Rechtsauffassung ein niedrigerer steuerbarer Wertzuwachs bis zum Veräußerungszeitpunkt ergab, im fachgerichtlichen Verfahren noch hätte Berücksichtigung finden können. Dies wäre jedoch angesichts der verfahrensrechtlichen Regeln zur Berücksichtigung neuen Tatsachenvortrags in der Revisionsinstanz erforderlich gewesen.
Der vom Aktionär geltend gemachte Aktienwert für den 31.12.2001 ist nicht durch das Finanzgericht festgestellt worden. Dazu bestand für das Gericht verfahrensrechtlich schon deshalb kein Anlass, weil der Aktionär nach dem Ergehen des Änderungsbescheids, in dem das Finanzamt entsprechend dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.12.201024 den Aktienwert am Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes (26.10.2000) berücksichtigt hatte, vor dem Finanzgericht erklärte, der Änderungsbescheid entspreche insoweit den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 127, 61.
Erst im Revisionsverfahren, nämlich im Rahmen des Antrags auf mündliche Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid des Bundesfinanzhofs trug der Aktionär zu dem für den Einwand gegen die steuerliche Erfassung von Wertzuwächsen im Zeitraum zwischen der Verkündung des Gesetzes und dem Inkrafttreten nach seiner Auffassung maßgeblichen tatsächlichen Umstand – also dem Aktienwert zum 31.12.2001 – vor. Indes unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts gemäß § 118 Abs. 2 FGO nur die Tatsachen, die sich aus dem Urteil der Tatsacheninstanz, hier also aus der finanzgerichtlichen Entscheidung ergeben25. Bei dem Vorbringen des Aktionärs zum Aktienwert am 31.12.2001 handelt es sich dagegen um einen neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann26. Ob gleichwohl der Rechtsstreit vom Bundesfinanzhof zum Zwecke weiterer Feststellungen hätte an das Finanzgericht zurückverwiesen werden müssen, wenn dieses einen Wertzuwachs zwischen dem 26.10.2000 und dem 31.12.2001 materiell-rechtlich fehlerhaft der Besteuerung unterworfen haben sollte, wird von dem Aktionär nicht erörtert.
Daneben dessen fehlt es an einer hinreichend substantiierten Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), dessen Verletzung der Aktionär im Hinblick auf Wertsteigerungen der veräußerten Anteile im Zeitraum zwischen der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes und der erstmaligen Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 EStG rügt.
Allerdings beanstandet der Aktionär zu Recht, dass der Bundesfinanzhof insoweit von vornherein keinen Anknüpfungspunkt für die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG gesehen hat27. Damit setzt sich der Bundesfinanzhof in Widerspruch zu der auch von ihm herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 127, 61. In dieser Entscheidung zur Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG von 25 % auf 10 % durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat der Zweite Bundesverfassungsgericht die Besteuerung von nach der alten Rechtslage steuerfreien Wertsteigerungen, die bis zum Zeitpunkt des (rückwirkenden) Inkrafttretens der Neuregelung bereits entstanden waren, aber erst danach im Wege der Veräußerung realisiert worden sind, als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen Steuerpflichtigen qualifiziert, bei denen der Veräußerungsgewinn bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung entstanden war28. Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung resultiert daraus, dass im Zeitpunkt der Realisation ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen wird, sich also die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen Erfassung des Veräußerungsgewinns zugegriffen wird, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bezieht29.
Zutreffend hat der Aktionär weiter dargelegt, dass sich die hier zu beurteilende Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 mit Wirkung für künftige Veranlagungszeiträume ab 2002 deshalb von der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 unterscheidet, weil die letztgenannte Gesetzesänderung rückwirkend auf den Beginn des Veranlagungszeitraums 1999 erfolgte30, während die verfahrensgegenständliche Aufgabe der Wesentlichkeitsgrenze zugunsten der 1 %-Grenze – wie bereits ausgeführt – erst für künftige Veranlagungszeiträume, nämlich frühestens ab dem 1.01.2002 anwendbar war.
Es fehlt jedoch eine Auseinandersetzung mit sich aus diesem Unterschied möglicherweise ergebenden Rechtfertigungsgründen. Der Aktionär hat zum Beleg für seine Auffassung lediglich auf Schrifttum verwiesen, nach der die Veräußerung von entsprechenden Anteilen bis zum 31.12.2001 nicht besteuert worden sei, so dass aufgrund des Gleichbehandlungsgebots und/oder aus Gründen des Vertrauensschutzes auch die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Wertsteigerungen aus der Steuerbarkeit ausgeklammert werden müssten31.
Er setzt sich jedoch nicht mit der Gegenauffassung auseinander, die einen entscheidenden Unterschied zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung BVerfGE 127, 61 zugrunde lag, darin sieht, dass die Anteilseigner seit der Verkündung des Gesetzes am 26.10.2000 wussten, dass ihre Beteiligung mit dem Beginn der zeitlichen Anwendbarkeit der verfahrensgegenständlichen Änderungen in die Steuerpflicht hineinwachsen würde. Ihnen musste von diesem Zeitpunkt an klar sein, dass zukünftig eintretende Wertsteigerungen bei einer Veräußerung nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) nicht mehr steuerfrei erzielt sein würden, und sie konnten sich darauf, auch durch eine Veräußerung vor dem 1.01.2002, einstellen32. Mit diesem Argument befasst sich die Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht hinreichend.
Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerde
Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. Ein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor.
Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Sachbereich des Steuerrechts einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes33. Steuerwürdigkeitsentscheidungen beruhen wesentlich auf politischen Wertungen, die nach dem Grundgesetz der Legislative zustehen und von ihr im Wege der Gesetzgebung getroffen werden müssen. Die Entscheidung des Gesetzgebers ist deshalb nur daraufhin zu überprüfen, ob sie auf sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen beruht34.
Das Bundesverfassungsgericht hat speziell im Zusammenhang mit der Versteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen wiederholt ausgeführt, der Gesetzgeber wäre nicht gehindert, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern35. Ob und inwieweit er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine Frage politischer Gestaltung36. Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Auswahl des Steuergegenstands entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es nicht nachzuprüfen hat, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat37. Das gesetzgeberische Ermessen findet auch hier seine Grenze erst im Willkürverbot, und nur die Einhaltung dieser äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit ist vom Bundesverfassungsgericht nachzuprüfen38.
Nach diesen Maßstäben ist die verfahrensgegenständliche Norm Ausdruck der Steuerwürdigkeitsentscheidung des Gesetzgebers, dass Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung unterliegen sollen, sofern die Beteiligung eine gewisse prozentuale Höhe erreicht. Damit hat der Gesetzgeber den Steuergegenstand in verfassungsgemäßer Weise gewählt. Die erweiterte steuerliche Erfassung gewinnbringender Veräußerungen von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften als solche einschließlich ihrer Zuordnung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb beruht nicht auf sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen. Auch die Differenzierung zwischen Beteiligungen unterhalb von 1 % und ab dieser Grenze ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die erweiterte steuerliche Erfassung gewinnbringender privater Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ist als solche einschließlich ihrer Zuordnung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus der das Einkommensteuerrecht prägenden Konzeption, nach der die Einkommensteuer grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten den Gedanken der Reinvermögenszugangstheorie aufgreift und deshalb auch den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen erfasst, während die Einkünfte im Rahmen der übrigen Einkunftsarten, dem Gedanken der Quellentheorie entsprechend, als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden, so dass hier Zuwächse im Stammvermögen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dieser sogenannte Dualismus der Einkunftsarten liegt als historisch gewachsene Grundentscheidung innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt39.
Der historische Steuergesetzgeber verfolgte mit der Besteuerung der Gewinne aus privaten Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften insbesondere die Absicht, solche Gewinne beim Vorliegen einer wesentlichen Beteiligung den Gewinnen aus der Veräußerung von (Anteilen an) Personengesellschaften gleichzustellen, die ebenfalls als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu erfassen waren40. Auf das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung hat er mit der Absenkung der Beteiligungsschwelle auf 1 % bei der Neufassung des § 17 EStG durch das verfahrensgegenständliche Änderungsgesetz verzichtet41.
An der fortdauernden steuersystematischen Zuordnung der verfahrensgegenständlichen Veräußerungsgewinne zu den Gewinneinkunftsarten war der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gleichwohl nicht gehindert. Nach der im Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Änderungsgesetzes maßgeblichen Rechtslage war die Veräußerung von Kapitalanteilen unterhalb der Beteiligungsgrenze, die im Privatvermögen länger als ein Jahr vor dem Veräußerungszeitpunkt gehalten worden waren, nicht mehr als ein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne der § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu erfassen42. Dementsprechend ermöglichte die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von länger als einem Jahr im Privatvermögen gehaltenen Kapitalanteilen zur gewerblichen Sphäre die Anwendung des grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten geltenden Gedankens der Reinvermögenszugangstheorie, nach der auch der Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen zu erfassen ist43. Für die Vereinbarkeit der Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit kommt es entgegen der Auffassung des Aktionärs auf diese Zuordnung ebenso wenig an, wie die systematische Unterscheidung der verschiedenen Einkunftsarten für sich allein eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann44.
Für das Absenken der Beteiligungsgrenze und die damit einhergehende Erweiterung der Besteuerung von Gewinnen aus privaten Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht ein sachlicher Grund; sie ist nicht willkürlich.
Ausweislich der bereits genannten Ausführungen in den Gesetzesmaterialien steht die Absenkung der Beteiligungsgrenze mit dem zugleich eingeführten Halbeinkünfteverfahren im Zusammenhang. Nach Auffassung des Gesetzgebers könne die Besteuerung beim Anteilseigner dann umgangen werden, wenn dieser seine Beteiligung vor der Gewinnausschüttung veräußert, er sich dabei die in der Gesellschaft angesammelten offenen Rücklagen vergüten lasse und der Veräußerungsgewinn bei einem Verkauf von im Privatvermögen länger als einem Jahr vor dem Veräußerungszeitpunkt gehaltenen, unterhalb der Beteiligungsschwelle liegenden Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nicht steuerpflichtig sei45. Zur Vermeidung von Steuerumgehungen sei es geboten, die Grenze für die Beteiligung auf mindestens 1 % zu senken46. Auch in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 16.05.200047 ist ausgeführt, die Vorschrift des § 17 EStG habe künftig grundsätzlich sicherzustellen, dass es nicht durch Veräußerung der Beteiligung möglich sei, die Halbeinkünftebesteuerung auf der Ebene des Anteilseigners zu vermeiden, der seine Anteile nicht in einem Betriebsvermögen halte16.
Das Absenken der Beteiligungsgrenze beruht also auf der sachgerechten Überlegung, dass der Gesetzgeber infolge des Systemwechsels vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren auch der Besteuerung von Beteiligungsverkäufen im Sinne von § 17 EStG eine neue Funktion beigemessen hat48. Mithin verfolgt der Gesetzgeber mit dem Absenken der Beteiligungsgrenze das legitime Ziel der Verhinderung oder zumindest Eindämmung steuerpolitisch unerwünschter Gestaltungsmöglichkeiten49.
Die Legitimität dieses Ziels wird, anders als der Aktionär meint, nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei einer Dividendenausschüttung nach einem Anteilsverkauf statt des früheren der neue Anteilseigner der Halbeinkünftebesteuerung unterliegt. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass der Gewinn des Veräußerers regelmäßig höher ist als er bei einer Veräußerung nach einer – von ihm zu versteuernden Dividendenausschüttung – wäre. Ein späterer Veräußerungsgewinn des Erwerbers, der die Dividende zu versteuern hat, ist dagegen geringer, weil dieser infolge des Erwerbs vor Ausschüttung höhere Anschaffungskosten hat. Damit wird erreicht, dass jedes Steuersubjekt das von ihm erwirtschaftete Einkommen zu versteuern hat. Die Einkommensteuer erfasst gerade die im Einkommen zu Tage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person und wird vom Grundsatz der Individualbesteuerung sowie demjenigen der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit beherrscht50.
Soweit der Aktionär geltend macht, dass Zielgruppe für die in den Gesetzesmaterialien angenommene Steuerumgehung nur Aktionäre börsennotierter Aktiengesellschaften seien, die maximal 5 % der Gesellschaften ausmachten, die der Gesetzgeber mit Art. 17 Abs. 1 EStG (i.d.F. des StSenkG) erfasse, handelt es sich um eine nicht näher belegte, bloße Behauptung. Schon der Ausgangspunkt, dass bei der GmbH und bei Fonds, auf die mehr als 90 % der betroffenen Anteilseigner entfielen, in der Praxis keine Anteilsverkäufe stattfänden, ist so nicht nachvollziehbar.
Auch die gesetzgeberische Differenzierung zwischen Beteiligungen unterhalb von 1 % und oberhalb dieser Grenze ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens besteuert, eine solche politischer Gestaltung ist51, ist bereits zweifelhaft, ob die Normierung einer Beteiligungsgrenze, unterhalb derer die Besteuerung von Gewinnen aus einer Anteilsveräußerung unterbleibt, überhaupt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellt, die der Rechtfertigung bedarf.
Jedenfalls ist der Gesetzgeber dabei nur an den Willkürmaßstab gebunden. Es ist keine Prüfung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, wie sie der Aktionär in Anknüpfung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer52 wegen des Ausmaßes der Ungleichbehandlung für geboten hält. Unabhängig von der Frage, ob die Unterschiede der Besteuerung von Gewinnen aus Anteilsveräußerungen unterhalb und oberhalb der Beteiligungsgrenze in absoluten Beträgen in Abhängigkeit von der Größe der Kapitalgesellschaft, an der der Veräußerer beteiligt ist, überhaupt das vom Aktionär angenommene enorme Ausmaß erreichen, führt die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung nicht zu einer strukturellen Ungleichbehandlung, die bei einem erheblichen Ausmaß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangen kann53. Der Gesetzgeber knüpft die Unterschiede in der Besteuerung nicht an absolute Beträge, sondern an das Gewicht der Beteiligung innerhalb der jeweiligen Kapitalgesellschaft. Dass dadurch in Relation zu dem Wert der jeweils veräußerten Anteile ein strukturell bedeutsamer Teil von Veräußerungsvorgängen von der Steuerpflicht befreit wäre54, ist nicht ersichtlich.
Für die Festlegung der Beteiligungsgrenze auf eine Mindestbeteiligung von 1 % bestehen sachliche Gründe.
Nach dem Vortrag des Bundesministeriums der Finanzen soll die Besteuerung nur solche Anteilseigner treffen, die aufgrund ihres Beteiligungsanteils ein gewisses Gewicht innerhalb der Gesellschaftsstruktur besitzen. Danach knüpft der Gesetzgeber trotz der Absenkung der Beteiligungsschwelle abweichend von der Auffassung des VIII. Bundesverfassungsgerichts des Bundesfinanzhofs55 weiterhin an eine strukturelle Vergleichbarkeit zwischen Mitunternehmern und Anteilseignern an. Zwar ist ein nennenswerter gesellschaftsrechtlicher Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen bei einer Beteiligung unterhalb von 10 % regelmäßig nicht mehr gegeben. Der IX. Bundesverfassungsgericht des Bundesfinanzhofs hat aber dargelegt, dass gerade bei Kapitalgesellschaften im Familienbesitz Anteilseigner häufig Beteiligungen zwischen 1 % und 10 % hielten und sich über Poolverträge zu einer gemeinsamen Willensbildung verpflichteten.
Die Festlegung der Beteiligungsgrenze auf 1 % entspricht den Vorschlägen der vom Bundesministerium der Finanzen eingesetzten Expertenkommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, auf die sowohl die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens als auch die damit im Zusammenhang stehende Absenkung der Beteiligungsschwelle in § 17 EStG zurückgeht56. Die Kommission hat dazu ausgeführt, die Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG jedenfalls auf 1 % sei geboten, weil andernfalls die Thesaurierung mit anschließender steuerfreier Veräußerung der Anteile günstiger als die Ausschüttung nach dem Halbeinkünfteverfahren sei. Eine gänzliche Aufhebung der Beteiligungsgrenze erscheine dagegen nicht angebracht, weil sie Kleinanleger, die durch den Erwerb von Aktien Vermögen bildeten und für das Alter vorsorgen wollten, unangemessen belasten würde. Diese legitime Überlegung hat der Gesetzgeber, der das von der Expertenkommission vorgeschlagene Reformkonzept des Halbeinkünfteverfahrens übernommen hat57, erkennbar aufgegriffen. Es ist nicht ersichtlich, dass die gewählte Regelung dafür ungeeignet wäre. Jedenfalls wird die Zahl der Kleinanleger im Verhältnis zur Gesamtzahl der Anteilseigner unterhalb einer Beteiligungsschwelle von 1 % deutlich größer sein als darüber.
Hinzu kommt nach dem seitens des Aktionärs unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Bundesministeriums der Finanzen das Ziel, weitere, zum Teil aufwendige Folgen, die sich an das Vorliegen einer „gewerblichen“ Beteiligung knüpfen, etwa bei Auslandssachverhalten und im Umwandlungssteuerrecht, unterhalb einer Bagatellgrenze zu vermeiden.
Darauf, ob dem Gesetzgeber andere Gestaltungsmöglichkeiten, wie etwa eine Differenzierung anhand einer absoluten Beteiligungsgrenze zur Verfügung gestanden hätten, kommt es vor dem Hintergrund seiner Bindung nur an das Willkürverbot nicht an. Es kann deshalb dahinstehen, ob – wie das Bundesministerium der Finanzen vorträgt – eine (zusätzliche) summenmäßige Untergrenze der Beteiligungshöhe, wie sie nach der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 16.05.2000 zunächst geplant war6, die dargestellten Zwecke der Absenkung der Beteiligungsgrenze nicht konsequent genug umgesetzt hätte.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Januar 2023 – 2 BvR 364/13
- BGBl I S. 1433[↩]
- BGBl I S. 402[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 61 <62 ff.> zur Rechtsentwicklung bis unmittelbar vor Geltung der hier verfahrensgegenständlichen Norm[↩]
- vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 24.11.2022 – 2 BvR 1424/15, Rn. 2 ff.[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2683, S. 113 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/3366, S. 13 f., 112, 118[↩][↩]
- BT-Drs. 14/3640[↩]
- BT-Drs. 14/3760, S. 3[↩]
- vgl. BT-Plenarprotokoll 14/114, S. 10799 f.[↩]
- vgl. BR-Drs. 410/00 [↩]
- BGBl I S. 1433 <1435>[↩]
- BMF, Schreiben vom 20.12.2010 – IV C 6-S 2244/10/10001, FMNR659000010, BStBl I 2011 S. 16, unter D.[↩]
- FG Düsseldorf, Urteil vom 06.10.2011 – 8 K 3811/09 E[↩]
- BFH, Urteil vom 24.10.2012 – IX R 36/11, BFHE 239, 334[↩]
- unter Hinweis auf BVerfGE 26, 302; 122, 210; 127, 61 <85>[↩]
- BT-Drs. 14/3366, S. 118[↩][↩]
- unter Hinweis auf BT-Drs. 14/2683, S. 114[↩]
- vgl. BVerfGE 27, 111 <127 ff.> 127, 61 <85 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 89, 155 <171> 98, 169 <196>[↩]
- vgl. BVerfGE 99, 84 <87> 101, 331 <346> 102, 147 <164>[↩]
- vgl. BVerfGK 20, 327 <329>[↩]
- Söffing/Bron, DB 2012, S. 1585 ff.[↩]
- vgl. Schmidt, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/BVerfGtG, § 17 EStG Rn. 1[↩]
- BMF, Schreiben vom 20.12.2010 – IV C 6-S 2244/10/10001, FMNR659000010, BStBl I 2011 S. 16 unter D.[↩]
- vgl. BFHE 133, 421 <425>[↩]
- vgl. BFHE 240, 394 <400 Rn. 38>[↩]
- vgl. BFH in dem angegriffenen Urteil, BFHE 239, 334 <337 Rn. 13>[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 61 <81 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 61 <82>[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 61 <65 f.>[↩]
- Söffing/Bron, Der Betrieb 2012, S. 1585 <1591> Gosch, in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl.2012, § 17 Rn. 34[↩]
- vgl. Nds. FG, Urteil vom 28.02.2012 – 12 K 10250/09, Rdnr. 124 f. (n. rkr.); Gragert, NWB 2012, S. 474 <477>[↩]
- BVerfGE 137, 350 <366 Rn. 41> 138, 136 <181 Rn. 123> 145, 106 <143 f. Rn. 102> stRspr; vgl. insb. zum Einkommensteuerrecht BVerfGE 99, 88 <95> 105, 73 <126> 107, 27 <47> 120, 1 <29> 122, 210 <230>[↩]
- vgl. BVerfGE 120, 1 <29> 137, 350 <366 f. Rn. 42> 145, 106 <144 Rn. 102>[↩]
- BVerfGE 27, 111 <127> 127, 61 <86>[↩]
- BVerfGE 127, 61 <86> m.w.N.[↩]
- BVerfGE 27, 111 <127> m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 27, 111 <127 f.> m.w.N.[↩]
- BVerfGE 127, 61 <85 f.> m.w.N.[↩]
- vgl. Strutz, in: Kommentar zum Einkommensteuergesetz vom 10.08.1925, II. Band, 1929, § 30 Anm. 2, m.w.N.; Blümich, in: Einkommensteuergesetz, 10. Aufl.1972, § 17 Anm. 1a[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/3366, S. 118; vgl. BFHE 209, 275 <281>[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2683, S. 113[↩]
- vgl. Trossen, in: BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow, § 17 Rn. 40[↩]
- vgl. BVerfGE 84, 348 <363 f.> 96, 1 <6> 99, 88 <95> 105, 73 <126> 116, 164 <181>[↩]
- BT-Drs. 14/2683, S. 113[↩]
- BT-Drs. 14/2683, S. 114[↩]
- BT-Drs. 14/3366[↩]
- vgl. BFHE 209, 275 <281>[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 224 <257>[↩]
- vgl. BFHE 220, 129 <137 f.>[↩]
- vgl. BVerfGE 127, 61 <86>[↩]
- BVerfGE 138, 136[↩]
- vgl. BVerfGE 138, 136 <185 Rn. 131> 148, 217 <248 Rn. 117>[↩]
- vgl. BVerfGE 138, 136 <185 Rn. 131>[↩]
- BFHE 229, 151[↩]
- vgl. Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung <Brühler Empfehlungen>, BMF-Schriftenreihe Heft 66 <1999>, S. 52[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2683, S. 94[↩]