Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben sich spezifische Anforderungen nicht nur an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte tatrichterliche Interpretation umstrittener Äußerungen. Maßgeblich bei der Ermittlung des Inhalts einer Meinungsäußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat1. Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung des Straftatbestands der Volksverhetzung führende Deutung zugrunde legen2.

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall begehrt ein Kreisverband der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) die Feststellung, dass die von der beklagten Stadt erlassene Verfügung rechtswidrig gewesen ist, Wahlplakate der NPD zur Europawahl 2019 zu entfernen oder unkenntlich zu machen.
Die Beklagte erteilte dem Kläger am 24.04.2019 eine bis zum 26.05.2019 befristete Sondernutzungserlaubnis, um 250 Wahlplakate anlässlich der am 26.05.2019 stattfindenden Wahl zum Europäischen Parlament im öffentlichen Straßenraum aufzuhängen. Eines dieser Plakate im Querformat zeigte in seinem rechten Drittel das Emblem der Partei in weißer und roter Farbe sowie darunter den in Weiß gedruckten Schriftzug „Widerstand – jetzt -„. Auf dem linken Teil wurden auf schwarzgrauem Hintergrund die Ortsnamen verschiedener deutscher Städte und Gemeinden genannt, die jeweils durch ein Kreuz voneinander getrennt waren. Im Vordergrund befand sich unter der in Rot gedruckten Überschrift „Stoppt die Invasion:“ der in Weiß gehaltene und durch seine Größe deutlich hervortretende Slogan „Migration tötet!“. Ohne vorherige Anhörung forderte die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 16.05.2019 auf, alle Wahlplakate mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet!“ in M. bis zum 17.05.2019, 12:00 Uhr zu entfernen oder unkenntlich zu machen. Zudem drohte sie die Durchführung im Wege der Ersatzvornahme an und ordnete die sofortige Vollziehung an. Das Plakat verletze das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Denn ihm sei die eindeutige Aussage zu entnehmen, dass sämtliche Migranten als Straftäter eine akute Bedrohung für Leib und Leben der deutschen Bevölkerung darstellten. Diese Verunglimpfung erfülle den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Von einer Anhörung sei gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW abgesehen worden.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Anfechtungsklage abgewiesen3. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen4. Die infolge der Erledigung des Verwaltungsakts statthafte und wegen der Wiederholungsgefahr zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage sei unbegründet. Die hiergegen gerichtete Revision des Kreisverbandes hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht Erfolg; das Oberverwaltungsgericht in Münster habe bei der inhaltlichen Erfassung des Wahlplakats, die es seiner Annahme zugrunde gelegt hat, die Anbringung im öffentlichen Straßenraum erfülle den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO revisiblen, in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelnden Grundsätze zur Auslegung von Meinungsäußerungen verletzt:
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist zulässig. Denn das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassungsentscheidung der Vorinstanz gemäß § 132 Abs. 3 VwGO gebunden, obwohl das Oberverwaltungsgericht NW nicht die Klärungsbedürftigkeit einer abstrakten Rechtsfrage zu einer revisiblen Rechtsnorm, sondern die Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz des konkreten Wahlplakats zum Anlass für die Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genommen hat.
Die zulässige Revision des Klägers hat Erfolg, da sich die Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässig und begründet erweist.
Der vom Kläger zuletzt gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Denn die mit der Anfechtungsklage angegriffene Verfügung der Beklagten hatte sich nach Klageerhebung mit Ablauf der Sondernutzungserlaubnis am 26.05.2019 erledigt. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, das mit dessen drohender Wiederholung begründet wird, setzt die konkrete oder hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird5. Das ist vorliegend der Fall, da der Kläger das Wahlplakat auch bei künftigen Wahlkämpfen verwenden will.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, denn die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 16.05.2019 war materiell rechtswidrig. Sie konnte nicht auf § 14 Abs. 1 OBG NRW gestützt werden, da kein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit vorlag. Der Inhalt des Wahlplakats hat unter Berücksichtigung der aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden Auslegungsgrundsätze zur Erfassung von Meinungsäußerungen nicht den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt.
Als zutreffend erweist sich das Prüfprogramm des Oberverwaltungsgerichts. Die Begründetheit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO setzt voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig war, der Kläger dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wurde und der Verwaltungsakt deshalb – wenn er sich nicht erledigt hätte – vom Verwaltungsgericht hätte aufgehoben werden müssen. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht NRW die Rechtswidrigkeit und subjektive Rechtsverletzung nicht für den Erfolg der Fortsetzungsfeststellungsklage als hinreichend angesehen, sondern zusätzlich verlangt, dass der Verwaltungsakt im Falle fehlender Erledigung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vom Gericht hätte aufgehoben werden müssen. Denn § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gibt nicht mehr Rechtsschutz, als der Kläger im Falle mangelnder Erledigung des angegriffenen Verwaltungsakts hätte beanspruchen können6.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Ordnungsverfügung auf § 14 Abs. 1 OBG NRW gestützt. Nach dieser Vorschrift können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Vorinstanz hat § 14 Abs. 1 OBG NRW dahingehend ausgelegt, dass das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit u. a. die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung umfasst und demzufolge bei Erfüllung des Straftatbestands der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB verletzt ist. Diese Auslegung der irrevisiblen landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO hinzunehmen. Er ist insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob das Auslegungsergebnis revisibles Recht verletzt. Das ist nicht der Fall, da weder das Verständnis des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit noch der konkrete Gefahrenbegriff einen Verstoß gegen Bundes(verfassungs)recht erkennen lässt.
Das Berufungsurteil unterliegt jedoch hinsichtlich der Auslegung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB und dessen Anwendung auf den vorliegenden Fall voller revisionsgerichtlicher Überprüfung. Denn durch den Blankettbegriff der öffentlichen Sicherheit hat der Landesgesetzgeber Straftatbestände des Strafgesetzbuchs in Bezug genommen, die ihrerseits gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zum revisiblen Bundesrecht gehören.
Zwar werden Vorschriften oder Begriffe des Bundesrechts durch Verweisungen des Landesgesetzgebers in der Mehrzahl der Fälle nicht zum revisiblen Recht, sondern gelten nur kraft landesgesetzlicher Anordnung. Denn typischerweise erlangt Bundesrecht durch Rezeption in den Sachbereichen, die der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen, nur durch den Anwendungsbefehl des Landesgesetzgebers Geltung7. Unmittelbar anwendbar auf den zu entscheidenden Fall sind die bundesrechtlichen Regelungen in diesen Fällen nicht eo ipso, sondern werden es erst durch die insoweit konstitutive Verweisung des Landesgesetzgebers. Setzt indes der Landesgesetzgeber – wie hier – einen Straftatbestand des Strafgesetzbuchs als geltend voraus und knüpft an ihn lediglich eine eigene ordnungsrechtliche Rechtsfolgenregelung, wird der bundesrechtliche Straftatbestand weiterhin aufgrund des Normsetzungsbefehls des Bundes angewendet, da sich sein sachlicher Anwendungsbereich durch die Verweisung nicht ändert. Ob die Voraussetzungen des Straftatbestands erfüllt sind, ist deshalb eine revisible Vorfrage für die Anwendung der landesrechtlichen Norm8. Auch wenn sich das Oberverwaltungsgericht NRW zu der Frage, ob § 14 Abs. 1 OBG NRW den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Bundes- oder Landesrecht rezipiert, nicht explizit geäußert hat, spricht die von ihm angeführte Begründung der Revisionszulassung dafür, dass es ebenfalls von einer Rezeption als Bundesrecht ausgeht.
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat den Inhalt des Wahlplakats dahingehend gewürdigt, dass durch die Anbringung im öffentlichen Straßenraum der Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt sei. Damit hat es die vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entwickelten revisiblen Auslegungsgrundsätze für die Erfassung des Inhalts von Meinungsäußerungen verletzt.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Auf dieses Grundrecht können sich auch Parteien gemäß Art. 21 GG im Kontext der Sichtwerbung durch Wahlplakate berufen9. Textliche und bildliche Aussagen auf Wahlplakaten stellen – ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts – ein vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasstes Werturteil dar; auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz. Er besteht deswegen unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird10. Über den Inhalt einer Äußerung hinaus erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch auf ihre Form, so dass auch polemische oder verletzend formulierte Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts fallen11. Insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, vermittelt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern. Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie deshalb nicht dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG9.
Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Im vorliegenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB begründet. Bei diesem Straftatbestand handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das dem Schutz der Menschlichkeit dient und seinen verfassungsrechtlichen Rückhalt letztlich in Art. 1 Abs. 1 GG findet12. Behörden und Gerichte haben jedoch bei der Auslegung und Anwendung des § 130 StGB die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auch auf der Ebene der Normanwendung im konkreten Fall zur Geltung kommt13. Weder das vom Oberverwaltungsgericht NRW angeführte Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 07.03.196614 noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte15 gibt Anlass, diese Maßstäbe zu modifizieren.
Als Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung einer in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallenden Äußerung muss ihr Sinn zutreffend erfasst worden sein16. Da schon auf der Deutungsebene Vorentscheidungen über die rechtliche Zulässigkeit einer Äußerung fallen, ergeben sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur spezifische Anforderungen an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte Interpretation umstrittener Äußerungen17. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat18. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest, denn der objektive Sinn wird auch vom Kontext und den Begleitumständen einer Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind17. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen in nur schlagwortartiger Form zusammenfasst19.
Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen20. Dabei brauchen sie nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden21. Bleibt die Äußerung mehrdeutig, weil sich nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausschließen lassen, ist diejenige Variante zugrunde zu legen, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist. Insoweit ist bei der Auslegung von Äußerungen, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten, mit Blick auf das Gewicht des Grundrechts der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und die grundsätzliche Vermutung für die Freiheit der Rede in der liberalen Demokratie nicht engherzig zu verfahren22.
Zwar hat das Oberverwaltungsgericht NRW seiner Entscheidung diese Auslegungsgrundsätze maßstäblich zugrunde gelegt, ist ihnen aber in der Anwendung bei der Ermittlung der Aussage des Wahlplakats nicht gerecht geworden. Auch wenn die Bestimmung des Inhalts von (Meinungs-)Äußerungen revisionsrechtlich zur Tatsachenfeststellung i. S. d. § 137 Abs. 2 VwGO zu zählen ist und demzufolge der freien Beweiswürdigung des Tatrichters gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt23, muss sie sich im Rahmen der revisionsgerichtlichen Überprüfung an den vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleiteten Auslegungsgrundsätzen messen lassen, deren Verletzung der Kläger zudem explizit gerügt hat. Insoweit gilt hier nichts anderes als bei der Überprüfung der Auslegung von Willenserklärungen anhand der gesetzlichen Auslegungsregeln, bei denen das Revisionsgericht im Falle eines Verstoßes zur eigenen Auslegung der Erklärung befugt ist24.
Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Interpretation der Aussagen auf dem Plakat die Augen davor verschlossen, dass diese im Kontext eines Wahlkampfes standen, in dem konkurrierende Politikentwürfe typischerweise nur verkürzt und zugespitzt einander gegenübergestellt werden25. Zwar hat es bei der Nachzeichnung des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht der politischen Parteien zu überspitzten und polemischen Äußerungen im politischen Meinungskampf erwähnt, ist darauf aber bei seiner konkreten Würdigung des Wahlplakats nicht näher eingegangen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines Wahlkampfes als Begleitumstand ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Äußerung – wie hier auf einem Wahlplakat – ersichtlich ein Anliegen in nur schlagwortartiger Form zusammenfasst19.
Des Weiteren hat es bei dem Slogan „Migration tötet“ von dem entpersonalisierten Begriff der Migration unmittelbar darauf geschlossen, dass nur alle in Deutschland lebenden Migranten als Personen angesprochen sein könnten. Zwar hat es gesehen, dass diese Aussage auf den Vorgang der Migration als solchen und nicht auf Personen abstellt. Die sich daran unmittelbar anschließende Würdigung „Nicht einmal der Kläger trägt jedoch vor, … dass unbefangene Betrachter dem Plakat die Aussage entnehmen könnten, der Migrationsvorgang als solcher sei gefährlich.“ trägt jedoch nicht den von der Vorinstanz offenbar als naheliegend oder gar zwingend angesehenen Gegenschluss, dann könne nur die Gruppe der in Deutschland lebenden Migranten gemeint sein. Die Annahme, das Wahlplakat könne nicht mehr als (überspitzter und polemischer) Beitrag zu der Debatte im Sinne einer Kritik an der Migrationspolitik verstanden werden, bleibt eine bloße, nicht weiter argumentativ unterfütterte Behauptung. Auf andere Deutungsvarianten wie einer nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllenden Kritik an der Migrationspolitik der Bundesregierung, die insbesondere in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.201926, dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Weimar vom 22.10.201927 sowie den Beschlüssen von Strafgerichten28 aufscheint, ist die Vorinstanz nicht näher eingegangen. Sie hat diese vielmehr komplett ausgeblendet.
Die Ortsnamen auf dem Plakat als tatsächliche Anknüpfungspunkte für körperliche Übergriffe von Migranten auf Deutsche hat das Oberverwaltungsgericht generalisierend verstanden. Mit einer objektiv ebenfalls möglichen limitierenden Lesart, die die genannten Tatorte gerade nicht auf alle Migranten als (potentielle) Täter beziehen würde, hat es sich überhaupt nicht auseinandergesetzt. Auch die Deutung des Wortes „Invasion“ im Berufungsurteil, nach der sich die Aussage aufdränge, Ausländer beabsichtigten allgemein die Tötung Deutscher, lässt wiederum eine mögliche Interpretation als – freilich überspitzte – Kritik an der deutschen Migrationspolitik außer Acht.
In der gebotenen Gesamtbetrachtung seiner Beweiswürdigung drängt sich der Eindruck auf, das Oberverwaltungsgericht NRW habe bei der Auslegung der Aussagen des Wahlplakats aus den Augen verloren, dass der Deutung einer Äußerung – wie oben ausgeführt – nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden, sondern der Sinn zugrunde zu legen ist, den sie objektiv nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Es hat strafrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten, die das Bundesverfassungsgericht und andere Gerichte aufgezeigt haben, nicht mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen. Der durch den Wortlaut und die Umstände der Äußerung in objektiver Lesart eröffneten Bandbreite von Deutungsvarianten, für die sich konkrete Anhaltspunkte finden, hat es sich verschlossen. Da sich aber die Äußerung auf dem Wahlplakat objektiv als mehrdeutig erweist, weil nichtstrafbare Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausgeschlossen werden können, hätte das Oberverwaltungsgericht NRW seiner rechtlichen Beurteilung nicht die Variante zugrunde legen dürfen, die den Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Auf dieser Verletzung revisibler, in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelnder Auslegungsregeln beruht das Berufungsurteil, das sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Im Übrigen weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass der vom Oberverwaltungsgericht NRW selbständig tragend zur Auslegung des Wahlplakats für möglich erachtete Rückgriff auf das Parteiprogramm der NPD ebenfalls rechtsfehlerhaft ist. Denn maßgeblich für das Verständnis eines Wahlplakats ist allein dessen Äußerung selbst29 und nicht die dahinterstehende parteiliche Programmatik30. Denn dieses Wissen kann dem Rezipienten nicht als präsent unterstellt werden. Entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts NRW gilt auch dann nichts Abweichendes, wenn es sich – wie hier – um eine Partei handelt, hinsichtlich derer das Bundesverfassungsgericht selbst die Verfassungswidrigkeit durch Urteil festgestellt hat. Denn das Bundesverfassungsgericht hat auch in Bezug auf die NPD ausdrücklich ausgeschlossen, die parteiliche Programmatik zur Bestimmung des Bedeutungsinhalts (eines Wahlwerbespots) heranzuziehen31.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. April 2023 – 6 C 8.21
- im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a., BVerfGE 93, 266 <295>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.2009 – 2 BvR 2179/09 – NJW 2009, 3503[↩]
- VG Düsseldorf, Urteil vom 29.04.2020 – 20 K 3926/19[↩]
- OVG NRW, Urteil vom 22.06.2021 – 5 A 1386/20, NWVBl.2022, 171[↩]
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1986 – 1 C 10.86, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 162; Beschluss vom 23.11.2022 – 6 B 22.22, NVwZ-RR 2023, 342 Rn. 13 m. w. N.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 03.03.1987 – 1 C 15.85, BVerwGE 77, 70 <73>[↩]
- BVerwG, Urteile vom 04.11.1976 – 5 C 73.74, BVerwGE 51, 268 <271 ff.> und vom 24.09.1992 – 3 C 64.89, BVerwGE 91, 77 <80> Beschlüsse vom 24.03.1986 – 7 B 35.86, NVwZ 1986, 739; und vom 02.07.2009 – 7 B 9.09, NVwZ 2009, 1037 Rn. 6[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 21.02.2013 – 7 C 4.12, NVwZ-RR 2013, 462 Rn. 14, 16; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl.2018, § 137 Rn. 75; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl.2022, § 137 Rn. 21[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 24.09.2009 – 2 BvR 2179/09 – NJW 2009, 3503 Rn. 3[↩][↩]
- BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a., BVerfGE 93, 266 <289> Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 <264 f.>[↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 13.05.1980 – 1 BvR 103/77, BVerfGE 54, 129 <138 f.> und vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 <7 f.>[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 24.09.2009 – 2 BvR 2179/09 – NJW 2009, 3503 Rn. 5[↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, BVerfGE 94, 1 <8> und vom 06.09.2000 – 1 BvR 1056/95 – NJW 2001, 61 <62>[↩]
- BGBl.1969 II S. 961[↩]
- EGMR, Urteil vom 20.04.2010 – 18788/09 – NJW-RR 2011, 984[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, BVerfGE 94, 1 <9>[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a., BVerfGE 93, 266 <295>[↩][↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a., BVerfGE 93, 266 <295> vom 25.03.2008 – 1 BvR 1753/03 – NJW 2008, 2907 <2908> sowie vom 24.09.2009 – 2 BvR 2179/09 – NJW 2009, 3503 Rn. 7[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.12.2007 – 1 BvR 3041/07 – BVerfGK 13, 1 Rn. 16[↩][↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 19.04.1990 – 1 BvR 40, 42/86, BVerfGE 82, 43 <52> vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 <14> vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, BVerfGE 94, 1 <9> und vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, BVerfGE 114, 339 <349>[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a., BVerfGE 93, 266 <295 f.>[↩]
- BVerwG, Urteil vom 30.11.2022 – 6 C 12.20, NVwZ 2023, 602 Rn. 61[↩]
- BVerwG, Urteile vom 21.07.2010 – 6 C 22.09, BVerwGE 137, 275 Rn. 32 ff.; und vom 14.12.2020 – 6 C 11.18, BVerwGE 171, 59 Rn. 35 m. w. N.[↩]
- vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 19.02.1982 – 8 C 27.81, BVerwGE 65, 61 <69> vom 19.01.1990 – 4 C 21.89, BVerwGE 84, 257 <264 f.> und vom 11.01.2011 – 1 C 1.10, BVerwGE 138, 371 Rn. 15; Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 137 Rn. 153 ff. m. w. N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.05.2019 – 1 BvQ 45/19 14[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 24.05.2019 – 1 BvQ 45/19 14[↩]
- ThürOVG, Beschluss vom 22.10.2019 – 3 EO 715/19 – ThürVBl.2021, 247 Rn. 7[↩]
- AG Garmisch-Partenkirchen, Beschluss vom 13.08.2019 – 2 Ds 12 Js 22133/19; LG München II, Beschluss vom 19.09.2019 – 1 Qs 23/19; LG Potsdam, Beschluss vom 20.12.2019 – 23 QS 56/19[↩]
- anders VG Gießen, Urteil vom 09.08.2019 – 4 K 2279/19.GI 39 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.05.2019 – 1 BvQ 43/19, NVwZ 2019, 963 Rn. 12; und vom 07.07.2020 – 1 BvR 479/20 – NJW 2021, 297 Rn. 15[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.05.2019 – 1 BvQ 43/19, NVwZ 2019, 963 Rn. 12[↩]
Bildnachweis:
- NPD Wahlplakat: Jacek Ruzyczka (bearbeitet) | CC BY-SA 4.0 International