Eine persönliche Beziehung des Richters zum Prozessbevollmächtigten begründet die Besorgnis der Befangenheit erst dann, wenn aus Sicht des Beteiligten Anzeichen dafür bestehen, dass sich die Voreingenommenheit für oder gegen einen Prozessbevollmächtigten auch auf die sachliche Entscheidung und mithin auf sie selbst auswirken könnte.

Ansonsten ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter ebenso wie Prozessbevollmächtigte in der Lage sind, ihre berufliche und private Beziehung zu trennen, wozu sie aufgrund ihres Amtes bzw. ihres Berufsstandes ohnehin verpflichtet sind.
Mit dieser Begründung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein die Selbstablehnung eines seiner Richter für unbegründet erklärt. Dieser Richter hat angezeigt, dass er bereits seit über 20 Jahren mit dem Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen befreundet sei. Der Prozessbevollmächtigte und er stammten beide aus dem Kreis Dithmarschen und hätten – allerdings in einem zeitlichen Abstand von fünf Jahren – dieselbe Schule besucht. Aufgrund schon seit Jahren unterschiedlicher Wohnorte (diese seien ca. 120 km entfernt voneinander) finde ein persönlicher Kontakt nicht häufig statt; sie telefonierten auch nur gelegentlich. Sie träfen sich allerdings auf Feierlichkeiten (etwa auf Geburtstagsfeiern, auch von gemeinsamen Freunden) und hätten mit ihren Familien auch bereits mehrfach Silvester (zuletzt zum Jahreswechsel 2018/2019) zusammen gefeiert. Über den Jahreswechsel 2018/2019 seien sie gemeinsam (mit ihren Familien) im Skiurlaub gewesen und auch über den Jahreswechsel 2021/2022 sei ein gemeinsamer Skiurlaub geplant.
Das Oberverwaltungsgericht befand die Selbstablehnung als unbegründet. Die in der Erklärung gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 ZPO mitgeteilten Gründe rechtfertigen nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Voraussetzung ist nicht, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Eine rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus1.
Persönliche Beziehungen zwischen dem Richter und Verfahrensbeteiligten können grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit begründen. Diese Beziehungen können in einer freundschaftlichen Verbundenheit oder auch feindseligen Einstellung bestehen. Dabei lassen sich keine festen Regeln aufstellen, vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Allerdings sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Pflegt der Richter enge persönliche Kontakte mit einem Beteiligten oder ist er mit ihm eng befreundet, wird es näher liegen anzunehmen, dass der Prozessgegner den Eindruck haben muss, der Richter werde sein persönliches Verhältnis nicht völlig vom Streitverfahren trennen können. Hingegen begründet eine persönliche Beziehung des Richters zum Prozessbevollmächtigten die Besorgnis der Befangenheit erst dann, wenn aus Sicht des Beteiligten Anzeichen dafür bestehen, dass sich die Voreingenommenheit für oder gegen einen Prozessbevollmächtigten auch auf die sachliche Entscheidung und mithin auf sie selbst auswirken könnte2. Ansonsten ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter ebenso wie Prozessbevollmächtigte in der Lage sind, ihre berufliche und private Beziehung zu trennen, wozu sie aufgrund ihres Amtes bzw. ihres Berufsstandes ohnehin verpflichtet sind3.
Nach diesen Maßstäben kann aus der Sicht eines objektiv und vernünftig urteilenden Beteiligten eine Besorgnis der Befangenheit des Richters hier nicht angenommen werden. Sie lässt sich nicht bereits mit der zwischen ihm und dem Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen bestehenden – nicht besonders engen – Freundschaft begründen; auf deren nähere Modalitäten wie gemeinsame Freizeitaktivitäten bis hin zu gemeinsam verbrachten Urlauben kommt es dabei nicht an4. Der Richter hat die betreffenden Umstände den Beteiligten frühzeitig mitgeteilt. Aus der Selbstanzeige ergibt sich nicht, dass er sich mit dem Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen inhaltlich über den Rechtsstreit ausgetauscht hat; dies wäre auch – wie erwähnt – mit der beiderseits bestehenden Pflicht zur Verschwiegenheit nicht vereinbar.
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig -Holstein, Beschluss vom 19. Oktober 2021 – 5 KS 11/21
- BVerwG, Beschluss vom 11.09.2018 – 9 A 2.18 5[↩]
- Thür. OVG, Beschluss vom 23.04.2008 – 4 EO 195/08 5[↩]
- OLG Rostock, Beschluss vom 28.07.2020 – 4 W 26/20 11; OLG Naumburg, Beschluss vom 19.07.2012 – 3 WF 156/12; LSG Chemnitz, Beschluss vom 27.09.2011 – L 7 SF 114/11 AB 5; vgl. auch LSG Kassel, Beschluss vom 12.12.2005 – L 9 SF 106/05 AL 8; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 42 Rn. 13[↩]
- vgl. OLG Rostock, a.a.O. Rn. 13[↩]
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