Platzverweis bei Räumung einer Traktorenblockade

Die Polizei ist berechtigt, für die Räumung einer Traktorenblockade um die Räumungsstelle einen Bereich festzulegen, innerhalb dessen sie den Aufenthalt von Personen als Gefahr ansieht. Verlassen Personen trotz Aufforderung diesen Gefahrenbereich nicht, kann die Polizei einen Platzverweis ohne eine weitere individuelle Prüfung des Vorliegens einer Gefahr aussprechen.

Platzverweis bei Räumung einer Traktorenblockade

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Gefahr ist eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (§ 2 Nr. 1 a Nds. SOG). Wie sich aus der beispielhaften Aufzählung in § 17 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG ergibt, kann sich die den Erlass eines Platzverweises rechtfertigende Gefahr (Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des Staates) bereits daraus ergeben, dass ein Einsatz zur Gefahrenabwehr – hier der Polizei – objektiv behindert wird1. Dabei ist von der Erkenntnislage zu Beginn der Räumungsarbeiten auszugehen, sog. ex ante-Prognose.

Die Aufforderung, sich vor die Absperrung zu begeben, stellt einen derartigen Platzverweis und nicht ein Aufenthaltsverbot nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG dar, denn die Maßnahme galt nur vorübergehend für die Zeit der Räumung der Landmaschinen.

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Die Einschätzung der Polizei, dass die Anwesenheit von Zivilpersonen, die die Räumungsstelle nicht lediglich in Polizeibegleitung passieren wollten, sondern sich dort aufhalten wollten, eine Gefahr darstellt, ist nicht zu beanstanden. Unbegleitete Personen jenseits der Polizeikette hätten ohne Überwindung weiterer Hindernisse die Fahrbahn betreten können. Dadurch hätten sie nicht ausschließlich sich selbst gefährdet, was möglicherweise von der grundrechtlich geschützten Selbstbestimmung gedeckt wäre, sondern auch schutzbereite Dritte. Für den Fall, dass die Zivilpersonen in eine gefährliche Situation geraten wären, wäre es naheliegend gewesen, dass ihnen Polizeibeamte, die fortlaufend den Rad-/Gehweg beschritten, zu Hilfe geeilt wären. Zivilpersonen jenseits der Absperrung hätten damit auch fremde Rechtsgüter, namentlich Leib und Leben anderer Personen, und somit die öffentliche Sicherheit gefährdet. Dabei genügte bereits die Möglichkeit, dass die Zivilpersonen die Straße betreten könnten. Denn die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts waren wegen der hohen Bedeutung der Individualrechtsgüter Leib und Leben abgesenkt. Je größer oder folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sein kann, umso geringer sind die an die Wahrscheinlichkeit zu stellenden Anforderungen2.

Auch hätten verweilende Zivilpersonen die Arbeit der Polizei beeinträchtigen können. Mit der Räumung der Blockade war die Polizei zur Abwehr einer Gefahr, nämlich zur Gewährleistung eines ungestörten Transports der Brennelemente, tätig. Wenn Personen die zu räumende Fahrbahn betreten hätten, hätten sie die Entfernung der Fahrzeuge behindert, denn die Fahrer hätten auf sie Rücksicht nehmen müssen. Dies hätte die Räumung auch angesichts der einbrechenden Dunkelheit und der mangelnden Wendigkeit der Fahrzeuge verzögert. Damit war das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit auch in der Ausprägung der Funktionsfähigkeit von staatlichen Einrichtungen betroffen.

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Die Polizei war deshalb berechtigt, für die Räumung einen Gefahren- und Arbeitsbereich festzulegen, innerhalb dessen sich ohne besondere Berechtigung keine Zivilpersonen aufhalten durften. Diese Betrachtungsweise gewährleistet die effektive Durchführung des ungestörten Transports der Brennelemente. Bei der Bemessung des Gefahrenbereichs stand der Polizei ein Ermessen zu. Dass der Abstandsbereich hier ermessensfehlerhaft oder willkürlich festgelegt wurde, ist nicht ersichtlich. Soweit der Kläger behauptet, der Bereich sei extra groß gefasst worden, um ihn von der genauen Beobachtung der Räumung auszuschließen, handelt es sich um eine bloße Spekulation, für die sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben haben. Die Einrichtung des Gefahrenbereichs war auch verhältnismäßig.

Die Polizei musste somit nicht hinsichtlich jeder einzelnen, sich dort aufhaltenden Person aufklären, ob diese sich auf die zu räumende Fahrbahn begeben würde. Dadurch wären unverhältnismäßig viele Polizeikräfte gebunden worden, die gefehlt hätten, um an der Absperrung mitzuwirken oder Passanten auf dem Rad-/Fußweg entlang der Räumungsstelle zu geleiten.

Nachdem die Polizei den einzuhaltenden Abstandsbereich ordnungsgemäß festgelegt hatte, durfte sie den Kläger anweisen, sich daraus zu entfernen und sich vor die polizeiliche Absperrung zu begeben. Es kommt für das Vorliegen einer Gefahr deshalb nicht darauf an, ob der Kläger auf der Böschung bleiben und nicht näher an die Räumungsstelle gehen wollte. Eine individuelle Prüfung ist nicht mehr erforderlich3. Ein besonderes Aufenthaltsrecht, sich jenseits der Polizeiabsperrung aufzuhalten, hatte der Kläger nicht. Durch das Beobachten übte er seine allgemeine Handlungsfreiheit und sein Recht auf körperliche Bewegungsfreiheit aus. Eine Wahrnehmung fremder Eigentumsrechte, beispielsweise der Eigentümer der Landmaschinen, hat der Kläger weder behauptet noch ist sie erkennbar.

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Der Platzverweis war auch verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen, um die Gefahr abzuwenden. Der Platzverweis war nicht deshalb ungeeignet, weil Fußgänger in Begleitung von Polizeibeamten den Rad-/Gehweg entlang der Räumungsstrecke beschritten. Die Fußgänger befanden sich zwar näher an den Rangierarbeiten als der auf der Böschung stehende Kläger. Sie wurden jedoch von Beamten begleitet, die sich mit Kollegen abstimmen konnten und tatsächlich gewährleisteten, dass die Passanten den vorgesehenen Weg nicht verließen. Darüber hinaus genügte es, dass der Platzverweis gegenüber dem Kläger einen Schritt in Richtung der Abwehr der Gefahr bedeutete. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Polizei Polizisten mit der Begleitung von Fußgängern betraute, nicht aber mit der Beaufsichtigung des Klägers. Zum einen war die Interessenlage der betroffenen Personen verschieden: Während die Fußgänger die Räumungsstelle nur (kurzfristig) passieren wollten, wollte der Kläger sie (fortlaufend) beobachten. Zum anderen handelte es sich um Personengruppen, so dass es nachvollziehbar erscheint, wenn die Polizei sich vorrangig um deren Belange kümmert. Da der Platzverweis nur sehr kurz dauerte, war der Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers nur sehr gering und stand nicht außer Verhältnis zu dem Zweck, den reibungslosen Ablauf der Rangierarbeiten und die Sicherheit von Leib und Leben zu gewährleisten.

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  1. vgl. Böhrenz/Unger/Siefken, Nds. SOG, 9. Aufl. 2008, § 17 Rn.5; Pewestorf/Söölner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht – Berliner Kommentar, 2009, zu dem insoweit wortgleichen § 29 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Bln, Rn. 5[]
  2. Saipa, Nds. SOG, Loseblattsammlung, Stand Mai 2013, § 2 Rn. 5; st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 02.06.1991 – 1 C 4/90[]
  3. so auch Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rn. 438[]