Zuständigkeit zur gesonderten Feststellung freiberuflicher Einkünfte bei späterer Verlegung des Tätigkeitsorts

Grundsätzlich ist für die Steuern vom Einkommen natürlicher Personen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 AO das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Maßgeblich für die Bestimmung der Zuständigkeit ist insoweit der Zeitpunkt der Veranlagung bzw. des Verwaltungshandelns1. Geht die örtliche Zuständigkeit durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände von einer Finanzbehörde auf eine andere Finanzbehörde über, so tritt der Wechsel der Zuständigkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt (§ 26 Satz 1 AO).

Zuständigkeit zur gesonderten Feststellung freiberuflicher Einkünfte bei späterer Verlegung des Tätigkeitsorts

Besondere Verfahrens- und Zuständigkeitsregeln gelten u.a., wenn der Steuerpflichtige Einkünfte aus einer freiberuflichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes) erzielt. In diesem Fall verbleibt es grundsätzlich bei der örtlichen Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts für die Veranlagung zur Einkommensteuer. Die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit sind aber gemäß § 179, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO gesondert festzustellen. Für die gesonderte Feststellung ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dem die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 AO) -Tätigkeitsfinanzamt-. Eine gesonderte Feststellung der Einkünfte erfolgt nicht, wenn nach den Verhältnissen zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO) oder wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, insbesondere weil die Höhe des festgestellten Betrags feststeht (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AO).

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Das Finanzamt ist danach im hier entschiedenen Fall, in dem ein freiberuflich tätiger EDV-Berater sein Büro während des Einspruchsverfahrens verlegt hatte, nicht nachträglich für die Veranlagung des EDV-Beraters zur Einkommensteuer in den Streitjahren zuständig geworden:

Das Finanzamt ist nicht zum Wohnsitzfinanzamt des EDV-Beraters geworden. Den tatrichterlichen Feststellungen ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass der EDV-Berater nicht nur im Jahr 2007 die Büroräume für seine berufliche Tätigkeit im Bezirk des Finanzamt angemietet, sondern dorthin auch seinen Wohnsitz verlegt oder dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 AO gehabt hat.

Das Finanzamt kann nicht über die sog. Großstadt-Regel des § 19 Abs. 3 Satz 1 AO zur Veranlagung des EDV-Beraters für die Streitjahre zuständig geworden sein. Danach ist bei freiberuflicher Tätigkeit des Steuerpflichtigen das Tätigkeitsfinanzamt abweichend von § 19 Abs. 1 AO auch für die Veranlagung zur Einkommensteuer zuständig, wenn die Tätigkeit innerhalb der Wohnsitzgemeinde, aber im Bezirk eines anderen Finanzamts als dem Wohnsitzfinanzamt ausgeübt wird.

Zwar hat das Finanzgericht keine Feststellungen dazu getroffen, an welchem Ort der EDV-Berater seine (inländische) berufliche Tätigkeit in den Streitjahren i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO vorwiegend ausgeübt hat. In Betracht kommen auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen aber nur entweder A-Stadt, B-Stadt oder der Ort der seinerzeitigen Wohnung des EDV-Beraters in – C-Stadt (Z-Straße). In den beiden erstgenannten Fällen wären zuständige Tätigkeitsfinanzämter das Finanzamt A oder das für B-Stadt zuständige Finanzamt (Finanzamt B) gewesen, im letztgenannten Fall wäre zuständiges Tätigkeitsfinanzamt das Finanzamt C.

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Das Finanzamt kann in keinem der drei Fälle das zuständige Tätigkeitsfinanzamt gewesen sein. Dass das Finanzamt ab dem Veranlagungszeitraum 2007 zum Tätigkeitsfinanzamt geworden ist, hat nicht dazu geführt, dass dieses nunmehr im Hinblick auf die Streitjahre anstelle des Finanzamt A, des Finanzamt B oder des Finanzamt C auch für die Streitjahre (nachträglich) zum Tätigkeitsfinanzamt geworden wäre. Anders als das Finanzgericht angenommen hat, sind für die Bestimmung des zuständigen Tätigkeitsfinanzamts die Verhältnisse am Schluss des Gewinnermittlungszeitraums und nicht die Verhältnisse im Veranlagungszeitpunkt maßgeblich. Für die Frage, ob Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert festzustellen sind, kommt es allein auf die Verhältnisse im jeweiligen Feststellungszeitraum an. Dementsprechend stellt § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO in der hier maßgeblichen Fassung des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12 19932 ausdrücklich auf die Zuständigkeit nach Maßgabe der Verhältnisse am Ende des Gewinnermittlungszeitraums ab. Überholt ist die zu der früheren Fassung der Norm ergangene Rechtsprechung3, die auf die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Veranlagung abgestellt hatte und auf die sich das Finanzgericht für seine abweichende Auffassung berufen hat.

Daraus ergibt sich zugleich, dass auch das zuständige Tätigkeitsfinanzamt nach den Verhältnissen am Schluss des Gewinnermittlungszeitraums zu bestimmen ist und eine spätere Verlegung des Tätigkeitsorts diese Zuständigkeit nicht mehr beeinflusst4. Zwar handelt es sich bei § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO der Sache nach nicht um eine Zuständigkeitsregelung; die Vorschrift gibt vielmehr vor, in welchen Fällen es einer gesonderten Feststellung bedarf. Jedoch ergibt die dort vorgegebene Ausnahmeregel, nach der es (nur) dann keiner gesonderten Feststellung bedarf, wenn das zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums zuständige Tätigkeitsfinanzamt auch für die Einkommensteuerveranlagung zuständig ist, nur dann einen Sinn, wenn dieses Tätigkeitsfinanzamt seine Zuständigkeit behält, auch wenn der Tätigkeitsort später verlegt wird. Denn andernfalls würde ein Finanzamt über die betreffenden Einkünfte entscheiden, welches zum Zeitpunkt des Schlusses des Gewinnermittlungszeitraums nicht das zuständige Tätigkeitsfinanzamt gewesen ist. Dies will § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO offenkundig verhindern. Denn das Erfordernis der gesonderten Feststellung durch das Tätigkeitsfinanzamt soll dem Umstand Rechnung tragen, dass jene Behörde „näher am Fall“ und mit den beruflichen Verhältnissen besser vertraut ist5.

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Die Aufhebung der Einspruchsentscheidung kann nicht gemäß § 127 AO unterbleiben. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden könnte. Die Vorschrift ist hier aber nicht einschlägig. Denn eine Entscheidung über die Höhe der bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigenden Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ohne (Grundlagen-)Bescheid des zuständigen Tätigkeitsfinanzamts im Rahmen eines Verfahrens der gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO verletzt nicht nur die Regeln über die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden. Die gesetzliche Zuweisung der Zuständigkeit für das Verfahren der gesonderten Feststellung an das Tätigkeitsfinanzamt basiert auf der Annahme dessen größerer Sachnähe und damit auf einem sachlichen Kriterium. Aus diesem Grund liegt in der Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ein nicht gemäß § 127 AO heilbarer Rechtsfehler6. Das gilt auch in der Konstellation des Streitfalls, in der eine sich irrtümlich als zuständig gewordenes Tätigkeitsfinanzamt ansehende Behörde, die sich nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AO auch zur Einkommensteuerfestsetzung befugt sieht, eine gesonderte Feststellung der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nicht für erforderlich erachtet7.

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Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang, ob es sich vorliegend -wie das Finanzamt meint- bei den Einkünften des EDV-Beraters aus freiberuflicher Tätigkeit um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, der nach § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO eine gesonderte Feststellung entbehrlich machen würde. Denn ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vorliegen, kann verbindlich nur in dem Feststellungsverfahren entschieden werden8.

Das Finanzgericht ist von einer anderen Beurteilung ausgegangen. Sein Urteil und die angefochtene Einspruchsentscheidung des Finanzamt sind aufzuheben. Die Sache ist an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Dieser Handhabung steht nicht entgegen, dass eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung grundsätzlich eines entsprechenden Klageantrags bedarf9. Das Finanzgericht hat vor einer Entscheidung über die angefochtenen Bescheide den Abschluss des Einspruchsverfahrens abzuwarten10 und kann das Klageverfahren ggf. bis zum Erlass einer Einspruchsentscheidung aussetzen11.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. Oktober 2014 – I R 71/13

  1. vgl. BFH, Urteil vom 22.09.1989 – III R 227/84, BFH/NV 1990, 568; Klein/Rätke, AO, 12. Aufl., § 19 Rz 5[]
  2. BGBl I 1993, 2310, 2346, BStBl I 1994, 50, 86[]
  3. z.B. BFH, Urteil vom 11.12 1987 – III R 228/84, BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230[]
  4. Hessisches FG, Urteil vom 06.06.2002 – 3 K 4101/99, EFG 2002, 1270; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz 72; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 180 AO Rz 401; Klein/Ratschow, a.a.O., § 180 Rz 31[]
  5. BFH, Urteile vom 10.06.1999 – IV R 69/98, BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691; vom 17.12 2003 – XI R 13/01, BFH/NV 2004, 909; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 180 AO Rz 70[]
  6. vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230; in BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691, von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 127 Rz 13; Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 127 AO Rz 33; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 127 AO Rz 11, jeweils m.w.N.[]
  7. vgl. auch den Fall bei FG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.1997 – 12 K 158/97, EFG 1997, 1280; und Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 180 AO Rz 71[]
  8. vgl. BFH, Beschluss vom 22.08.2013 – X B 16-17/13, BFH/NV 2013, 1763; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 180 AO Rz 73[]
  9. dazu z.B. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 44 Rz 32 ff.[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 24.04.2007 – I R 33/06, BFH/NV 2007, 2236[]
  11. von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 44 Rz 151[]
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