Ein Arbeitnehmer (hier: ein Berliner Straßenbahnfahrer) hat gemäß § 611 BGB Anspruch auf Vergütung der Zeit, die für die Auswahl, Anprobe und Entgegennahme der Dienstkleidung sowie für die Hin- und Rückfahrt zur und von der Ausgabestelle erforderlich war.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Vergütung der für das Abholen von Dienstkleidung aufgewendeten Zeit. Der in Berlin wohnhafte Straßenbahnfahrer ist bei der Berliner Verkehrsbetriebe als Straßenbahnfahrer beschäftigt. Er ist dem Betriebshof Weißensee zugeordnet. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Tarifgebundenheit der „Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin“ (im Folgenden: TV‑N) Anwendung. Für den Straßenbahnfahrer wird ein Kurzzeitkonto im Sinen von § 10 Abs. 4 TV‑N geführt. Es gilt eine mit dem Gesamtpersonalrat am 19.02.2001 geschlossene Dienstvereinbarung „Trageordnung für Dienstkleidung“ (im Folgenden: DV). Aufgrund einer Anweisung der Berliner Verkehrsbetriebe sind die Mitarbeiter verpflichtet, die nach den Regelungen der DV zu tragende Dienstkleidung außerhalb ihrer Dienstzeit in einer von zwei Ausgabestellen abzuholen. Sie haben die Öffnungszeiten der Ausgabestellen zu beachten, sind aber ansonsten in der Wahl des Zeitpunkts frei. Bis zum Jahre 2007 wurden für das Abholen der Dienstkleidung jährlich 120 Minuten auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Dies beruhte auf einer Abrede zwischen der Berliner Verkehrsbetriebe und dem Personalrat. Seit 2008 gewährt die BVG keine Zeitgutschriften mehr. Der Straßenbahnfahrer fuhr am Mittwoch, dem 15.12 2010, außerhalb seiner Dienstzeit von seiner Wohnung zur Ausgabestelle und zurück, um sich mit neuer Dienstkleidung zu versorgen.
Das Bundesarbeitsgericht sprach ihm hierfür einen Anspruch auf Arbeitsentgelt zu:
Der Straßenbahnfahrer hat, indem er die Dienstkleidung abholte, eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht.
Aufgrund Tarifgebundenheit findet auf das Arbeitsverhältnis der TV‑N Anwendung. Die streitgegenständlichen Zeiten sind im erforderlichen Umfang als Teil der nach den tariflichen Bestimmungen vergütungspflichtigen Arbeitszeit einzuordnen, denn der TV‑N regelt die Vergütungspflicht nicht abweichend vom Gesetz. § 8 Abs. 1 TV‑N regelt lediglich die Dauer der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit. Auch der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 1 TV‑N kann keine Eingrenzung entnommen werden. Danach zählen zur Arbeitszeit Lenkzeiten, Vorbereitungs- und Abschlusszeiten und betrieblich veranlasste Wegzeiten. Geregelt sind damit nur die innerhalb der Dienstschichten, auf die sich § 9 Abs. 1 TV‑N bezieht, anfallenden Wegzeiten, wie zB die während einer Schicht für Führerstands- oder Fahrzeugwechsel aufgewendeten Zeiten. Zudem verdeutlicht die Formulierung, „zur Arbeitszeit zählen insbesondere“, dass auch außerhalb der dienstplanmäßigen Arbeitsstunden vergütungspflichtige Arbeitszeit anfallen kann. Im Übrigen stellen die Regelungen in § 9 Abs. 8 und 9, § 11 Abs. 1, § 22 Nr. 10 TV‑N auf außerhalb der Dienstschichten liegende Zeiten ab.
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB allein an die Leistung der versprochenen Dienste an und ist unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt1.
Zu den „versprochenen Diensten“ iSv. § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt2. Der Arbeitgeber verspricht regelmäßig die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Direktionsrechts abverlangt3. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient4.
Die Abholung der Dienstkleidung ist vergütungspflichtig, weil sie dem Straßenbahnfahrer von der Berliner Verkehrsbetriebe im Rahmen des ihr zustehenden Direktionsrechts abverlangt wurde, mit seiner eigentlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängt und ausschließlich den Interessen der Berliner Verkehrsbetriebe diente.
Die von der Berliner Verkehrsbetriebe verlangte Beschaffung der Dienstkleidung hängt mit der eigentlichen Tätigkeit des Straßenbahnfahrers – dem Führen von Straßenbahnen – unmittelbar zusammen. Nach der Dienstvereinbarung, die auf das Arbeitsverhältnis des Straßenbahnfahrers unmittelbar und zwingend einwirkt, sind alle Mitarbeiter, die kundenrepräsentative Aufgaben wahrnehmen, verpflichtet, bei der Ausführung ihres Dienstes Dienstkleidung zu tragen (Nr. 3 Abs. 1 DV). Ohne ordnungsgemäße Dienstkleidung werden sie nicht zum Dienst zugelassen (Nr. 3 Abs. 17 DV). Zu diesen Mitarbeitern gehört auch der Straßenbahnfahrer. Als Straßenbahnfahrer ist er „ständiger Dienstkleidungsträger“ iSd. Nr. 3 Abs. 1 DV. Der Straßenbahnfahrer darf mithin nur in Dienstkleidung als Straßenbahnfahrer tätig werden. Aufgrund der Weisung der Berliner Verkehrsbetriebe und weil es ihm – mangels Bereitstellung der Dienstkleidung an der Dienststelle – andernfalls nicht möglich wäre, seine Tätigkeit, den Vorgaben der Dienstvereinbarung entsprechend, jederzeit vorschriftsmäßig gekleidet (Nr. 3 Abs. 11 DV) auszuüben, steht nicht nur das Tragen, sondern auch das Abholen der Dienstkleidung nicht zur Disposition des Straßenbahnfahrers.
Die Mitarbeiter wurden von der Berliner Verkehrsbetriebe ohne nähere zeitliche Festlegung angewiesen, die Dienstkleidung an einer der beiden Ausgabestellen abzuholen. Durch diese Weisung wurde das Abholen der Dienstkleidung zu einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung der Dienstkleidungsträger.
Der Bezug der Dienstkleidung am 15.12 2010 war erforderlich. Nach Nr. 4.1 DV sind die Dienstkleidungsartikel durch den Dienstkleidungsträger im gleitenden Verfahren im Rahmen seines Wertpunktekontos auszutauschen. Die Dienstvereinbarung gibt nicht vor, wie häufig der regelmäßige Austausch der Dienstkleidung vorzunehmen ist. Den Bestimmungen über die Führung des Wertpunktekontos in Anlage 4 DV ist jedoch zu entnehmen, dass der regelmäßige Austausch jedenfalls einmal im Kalenderjahr als erforderlich anzusehen ist. Andernfalls würden die dem Dienstkleidungsträger pro Kalenderjahr zustehenden 100 Wertpunkte größtenteils verfallen, weil sie nur zu 20 % in das nächste Kalenderjahr übertragen werden können. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wie oft der Straßenbahnfahrer im Jahr 2010 eine Ausgabestelle aufgesucht hat. Dem Straßenbahnfahrer standen am 15.12 2010 allerdings noch 120 Wertpunkte zur Verfügung, so dass er die Ausgabestelle im Jahr 2010 erstmals aufgesucht haben muss. Gegenteiliges hat auch die BVG nicht behauptet.
Die „Fremdnützigkeit“ ergibt sich aus der Weisung der Berliner Verkehrsbetriebe und zudem aus dem der Dienstvereinbarung zu entnehmenden Zweck der Dienstkleidung.
Die Tragepflicht nach Nr. 3 Abs. 1 DV dient ausweislich Nr. 2 DV der Attraktivität des Angebots der Berliner Verkehrsbetriebe. Auch soll es die Dienstkleidung ermöglichen, die Mitarbeiter aufgrund ihres einheitlichen Erscheinungsbilds der Berliner Verkehrsbetriebe zuzuordnen. Es ist ihnen nach Nr. 3 Abs. 14 und 15 DV untersagt, die Dienstkleidung durch private Kleidungsstücke zu ersetzen und sie außerdienstlich, abgesehen vom Weg zum; und vom Dienst, zu nutzen.
Einer Fremdnützigkeit steht nicht entgegen, dass es gestattet ist, die Dienstkleidung auf dem Weg zum; und vom Dienst zu tragen. Ein Beschäftigter, der auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeit Dienstkleidung trägt, ist im öffentlichen Raum ohne Weiteres als Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe erkennbar, weil die Dienstkleidung aufgrund ihrer Uniformität und ihrer Ausstattung mit „Emblemen entsprechend dem Corporate Design“ (vgl. Nr. 3 Abs. 6 DV), auch wenn sie in dezenten Farben gehalten ist, einen hohen Bekanntheitsgrad aufweist. An einer derartigen Offenlegung ihres Arbeitgebers gegenüber Dritten sowie einer Verbreitung des Bekanntheitsgrads des Unternehmens besteht außerhalb der Arbeitszeit kein objektiv feststellbares eigenes Interesse der Arbeitnehmer. Das Tragen der Dienstkleidung auf dem Weg zur und von der Arbeit dient vielmehr dem Interesse der Berliner Verkehrsbetriebe5, zumal es dem Straßenbahnfahrer aufgrund des Fehlens von Umkleidevorrichtungen nicht möglich ist, die Dienstkleidung erst am Arbeitsplatz anzulegen.
Die Vergütungspflicht erstreckt sich auf die gesamte Zeitspanne, die benötigt wird, um die Dienstkleidung abzuholen. Vergütungspflichtig ist nicht nur die erforderliche Zeit zur Auswahl, Anprobe und Entgegennahme der Dienstkleidung, sondern auch die erforderliche Wegzeit.
Durch die Anordnung, die Dienstkleidung an einer der beiden Ausgabestellen abzuholen, wird das Zurücklegen des Weges zu und von der Ausgabestelle zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung und ist damit als Teil der versprochenen Dienste vergütungspflichtig6. Es handelt sich um eine fremdnützige, den betrieblichen Belangen dienende Tätigkeit, die von der Berliner Verkehrsbetriebe veranlasst ist, weil sie die Entgegennahme der Dienstkleidung nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür von diesem getrennte, aus der Dienststelle ausgelagerte Ausgabestellen vorsieht, die der Arbeitnehmer zwingend aufsuchen muss.
Die streitgegenständlichen Wegzeiten sind aufgrund der Anweisung der Berliner Verkehrsbetriebe, die Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit abzuholen, nicht an die Stelle der nicht vergütungspflichtigen Zeit des Zurücklegens des Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstelle7 getreten, sondern zusätzlich angefallen und daher vergütungspflichtig.
Die für das Abholen der Dienstkleidung erforderliche Zeit ist, zusätzlich zum bereits gezahlten Monatsentgelt, mit dem tariflichen Stundenentgelt zu vergüten.
Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit getroffen werden8. Dies gilt auch für die Beschaffung von Dienstkleidung außerhalb der Dienststelle. Doch enthält der TV‑N keine spezielle Vergütungsregelung für das Abholen der Dienstkleidung, so dass die Höhe des dem Straßenbahnfahrer hierfür zu zahlenden Stundenentgelts nach den allgemeinen tariflichen Bestimmungen zu ermitteln ist.
Der Anspruch des Straßenbahnfahrers ist nicht bereits mit der Zahlung des ihm nach § 6 Abs. 1 TV‑N zustehenden Monatsentgelts abgegolten. Die BVG hat gegen die Klageforderung weder eingewandt, die dem Straßenbahnfahrer zugewiesenen Dienste hätten die mit ihm vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit nicht abgedeckt, noch hat sie behauptet, er habe nicht im vereinbarten und ihm zugewiesenen zeitlichen Umfang Arbeitsleistungen erbracht. Der streitgegenständliche, außerhalb der Dienstzeit liegende Zeitraum geht damit über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit des Straßenbahnfahrers hinaus und ist deshalb zusätzlich zum Monatsentgelt zu vergüten.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Straßenbahnfahrer mit dem Abholen der Dienstkleidung Mehrarbeits- oder Überstunden geleistet hat.
Entgegen der Auffassung der Berliner Verkehrsbetriebe gehört die Leistung von Überstunden und Mehrarbeit zu den „versprochenen Diensten“ iSv. § 611 BGB, denn der Straßenbahnfahrer ist hierzu gemäß § 3 Abs. 2 TV‑N verpflichtet9.
Im Bereich des Fahrdienstes sind Überstunden gemäß § 22 Nr. 10 TV‑N die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten, nichtdienstplanmäßigen Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten (§ 8 Abs. 1 TV‑N) hinausgehen, soweit nicht – wofür es vorliegend keine Anhaltspunkte gibt – eine abweichende Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen wurde. Mehrarbeitsstunden sind nach § 22 Nr. 4 TV‑N die nichtdienstplanmäßigen Arbeitsstunden, die der nichtvollbeschäftigte Arbeitnehmer über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinaus leistet, ohne Überstunden iSv. § 22 Nr. 10 TV‑N zu sein.
Die Abholung der Dienstkleidung geschah auf Anordnung der Berliner Verkehrsbetriebe außerhalb der Dienstzeit. Es handelt sich damit um „nichtdienstplanmäßige Stunden“ iSd. vorgenannten tariflichen Bestimmungen, die bei einer Vollzeitbeschäftigung des Straßenbahnfahrers als geleistete Überstunden iSv. § 22 Nr. 10 TV‑N, bei einer Teilzeitbeschäftigung als Mehrarbeitsstunden iSv. § 22 Nr. 4 TV‑N zu vergüten wären. Das Landesarbeitsgericht hat den Umfang der mit dem Straßenbahnfahrer vereinbarten regelmäßigen Wochenarbeitszeit nicht festgestellt. Dieser kann jedoch offenbleiben, weil für Mehrarbeit und für Überstunden ein Stundenentgelt in gleicher Höhe zu zahlen ist. Zuschläge nach § 12 Abs. 1 Buchst. a TV‑N, die neben dem Entgelt für Überstunden, nicht aber für Mehrarbeit zu zahlen wären, hat der Straßenbahnfahrer nicht geltend gemacht.
Dem Zahlungsanspruch steht nicht entgegen, dass für den Straßenbahnfahrer ein Arbeitszeitkonto nach § 10 Abs. 4 TV‑N geführt wird. Soweit auf dem gemäß § 10 Abs. 4 TV‑N einzurichtenden Kurzzeitkonto Zeitgutschriften vorzunehmen sind, wird dies im TV‑N jeweils besonders angeordnet (§ 9 Abs. 8 und 9, § 10 Abs. 1, 2 und 5 TV‑N). Für das Abholen der Dienstkleidung sieht der TV‑N eine Zeitgutschrift nicht vor. § 10 Abs. 1 TV‑N findet auf den Straßenbahnfahrer als Straßenbahnfahrer keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 TV‑N).
In welchem zeitlichen Umfang die streitgegenständlichen Zeiten für die Beschaffung der Dienstkleidung zu den „versprochenen Diensten“ iSv. § 611 BGB zählen, ergibt sich – da anderweitige Regelungen nicht bestehen – aus allgemeinen Grundsätzen10.
Der Umstand, dass die Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe bis zum Jahr 2007 für das Abholen der Dienstkleidung eine Zeitgutschrift von 120 Minuten auf dem Arbeitszeitkonto erhielten, begründet entgegen der Ansicht des Straßenbahnfahrers keinen Zahlungsanspruch aufgrund betrieblicher Übung.
Selbst wenn die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung vorlägen, könnte der Straßenbahnfahrer allenfalls eine Zeitgutschrift, nicht aber Zahlung verlangen.
Aus der bis 2007 praktizierten Gutschrift folgt auch kein auf betrieblicher Übung beruhender Anspruch auf einen pauschalierten Zeitansatz von 120 Minuten.
Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und ob er auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte11. Erbringt der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen Rechtspflicht, kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden12.
Hiernach scheidet ein Anspruch aus betrieblicher Übung bereits deshalb aus, weil die bis 2007 vorgenommene Zeitgutschrift nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf einer Abrede zwischen der Berliner Verkehrsbetriebe und der Personalvertretung beruhte. Aus der Sicht der Belegschaft stellte sich die Gewährung der Zeitgutschrift als Erfüllung dieser Dienstabsprache dar. In einem solchen Fall wird die Leistungsgewährung nicht als stillschweigendes Angebot zur Begründung einer betrieblichen Übung mit dem Inhalt der Gewährung einer bisher vertraglich und tariflich nicht vorgesehenen Leistung wahrgenommen, sondern als Vollzug der mit der Personalvertretung getroffenen Abrede.
Die Dienstabsprache selbst begründet, ohne dass es darauf ankäme, ob sich die BVG von dieser wirksam gelöst hat, keinen Anspruch des Straßenbahnfahrers auf den pauschalierten Ansatz einer vergütungspflichtigen Arbeitszeit im Umfang von 120 Minuten. Eine Dienstabsprache wirkt im Unterschied zu einer Dienstvereinbarung nicht unmittelbar anspruchsbegründend13.
Bei der Feststellung der Höhe der dem Straßenbahnfahrer zustehenden Vergütung ist zu berücksichtigen, dass nur die Zeit zu vergüten ist, die für das Abholen der Dienstkleidung erforderlich war.
Zur Ermittlung dieser Zeitspanne ist ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen, denn der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten14. „Erforderlich“ ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für die Entgegennahme der Dienstkleidung und den Weg zur und von der Ausgabestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt.
Dies bedeutet im Einzelnen:
Die Aufenthaltszeit in der Ausgabestelle ist nur zu vergüten, soweit sie unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers für die Auswahl, Anprobe und Entgegennahme der Dienstkleidung einschließlich etwaiger Wartezeiten erforderlich war.
Zur erforderlichen Wegzeit gehört nur die Zeitspanne, die unter Berücksichtigung der verfügbaren Verkehrsmittel sowie der konkreten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der Lage der Ausgabestelle, der Arbeitsstelle und der Wohnung des jeweiligen Arbeitnehmers für die Hin- und Rückfahrt zur nächstgelegenen Ausgabestelle erforderlich ist. Der Arbeitnehmer hat, auch wenn die BVG dies in ihrer Weisung nicht ausdrücklich vorgegeben hat, den Weg zu und von der Ausgabestelle und die hierfür genutzten Verkehrsmittel im Rahmen des ihm Zumutbaren so zu wählen, wie es – unter Berücksichtigung aller entstehenden Kosten – für die Arbeitgeberin am günstigsten ist. Abhängig von den konkreten örtlichen Gegebenheiten und ggf. der Zumutbarkeit des Mitführens der neuen Dienstkleidung zum und am Arbeitsplatz kann der Arbeitnehmer gehalten sein, seine Wohnung oder seine Arbeitsstelle als Ausgangs- bzw. Endpunkt des Weges zu wählen. Auch für die Bestimmung der erforderlichen Wegzeiten gilt ein modifizierter subjektiver Maßstab. Vergütungspflichtig sind nur die Zeiten, die der Arbeitnehmer bei Ausschöpfen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt.
Soweit die BVG die Dauer der Hin- und Rückfahrt des Straßenbahnfahrers zur Ausgabestelle bestritten hat, ist das Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig. Die BVG ist selbst Betreiberin des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin, so dass die Fahrtzeiten der vom Straßenbahnfahrer angegebenen Busse und Straßenbahnen am 15.12 2010 eigene Handlungen der Berliner Verkehrsbetriebe betreffen. Über solche Tatsachen ist ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig.
Die BVG hat bestritten, dass der Straßenbahnfahrer die Ausgabestelle auf dem kürzest möglichen Weg aufgesucht hat. Sollte die BVG ihren diesbezüglichen Vortrag präzisieren und konkret darlegen, inwiefern ein Fahrtantritt vor oder nach Dienstende mit einem nicht unerheblich geringeren Zeitaufwand verbunden gewesen wäre, ist diesem Einwand im Hinblick auf die Bestimmung der erforderlichen Wegzeit nachzugehen. Der Berliner Verkehrsbetriebe obliegt es jedoch zunächst, unter Berücksichtigung der Öffnungszeiten der Ausgabestelle und der Dienstzeiten des Straßenbahnfahrers genau vorzutragen, auf welchem Weg und mit welchem Verkehrsmittel der Straßenbahnfahrer wann die Ausgabestelle erheblich zügiger hätte erreichen können. Die bisherigen pauschalen Behauptungen der Berliner Verkehrsbetriebe sind nicht erheblich.
Sollte die BVG substantiiert darlegen, dass die Wegzeiten bei einem Antritt des Weges vor oder nach Dienstende nicht unerheblich kürzer gewesen wären, obläge es dem Straßenbahnfahrer, dies zu widerlegen oder ggf. darzulegen, dass es ihm unzumutbar gewesen wäre, die Ausgabestelle unmittelbar vor oder nach Dienstantritt aufzusuchen. Gelänge ihm dies nicht, wäre nur die Wegzeit zu vergüten, die über die Zeit hinausgeht, die bei der Wahl der innerhalb der kürzesten Zeitspanne zurückzulegenden Wegstrecke angefallen wäre15.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. März 2014 – 5 AZR 954/12
- BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 15, BAGE 143, 107[↩]
- BAG 12.12 2012 – 5 AZR 355/12, Rn. 17 mwN[↩]
- BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 28, BAGE 143, 107[↩]
- BAG 20.04.2011 – 5 AZR 200/10, Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366[↩]
- vgl. BAG 10.11.2009 – 1 ABR 54/08, Rn.20; 17.01.2012 – 1 ABR 45/10, Rn. 32, BAGE 140, 223; 12.11.2013 – 1 ABR 59/12, Rn. 35[↩]
- vgl. BAG 12.12 2012 – 5 AZR 355/12, Rn. 17[↩]
- vgl. BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 23, BAGE 143, 107[↩]
- vgl. BAG 12.12 2012 – 5 AZR 355/12, Rn. 18; 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 29, BAGE 143, 107; 20.04.2011 – 5 AZR 200/10, Rn. 32, BAGE 137, 366[↩]
- vgl. BAG 3.09.1997 – 5 AZR 428/96, zu III 1 a der Gründe, BAGE 86, 261[↩]
- vgl. BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 24, BAGE 143, 107[↩]
- BAG 17.03.2010 – 5 AZR 317/09, Rn.20, BAGE 133, 337[↩]
- BAG 17.09.2013 – 3 AZR 300/11, Rn. 59[↩]
- vgl. BAG 10.07.2013 – 10 AZR 915/12, Rn. 41; Germelmann in Germelmann/Binkert/Germelmann PersVG Berlin 3. Aufl. § 85 Rn. 6 ff.[↩]
- BAG 19.09.2012 – 5 AZR 678/11, Rn. 24, BAGE 143, 107[↩]
- vgl. BAG 8.12 1960 – 5 AZR 304/58, zu 4 der Gründe[↩]
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