Absenkung der Zahl der Freistellungen für den Betriebsrat

Die Absenkung der Zahl der Regelfreistellungen gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von 5 auf 1 über eine Betriebsvereinbarung gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG zum Zwecke der Verhinderung einer Freistellung zugunsten der Minderheitenliste kann rechtsmissbräuchlich sein.

Absenkung der Zahl der Freistellungen für den Betriebsrat

Zulässigkeit eines Feststellugnsantrags[↑]

Die Frage, ob die Betriebsvereinbarung („BV Freistellung“) Rechtsgültigkeit hat und somit nur ein Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen ist, oder ob wegen der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung fünf Betriebsratsmitglieder freizustellen sind, betrifft ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO.

Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist jedes durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Dabei sind einzelne Rechte und Pflichten ebenso Rechtsverhältnisse wie die Gesamtheit eines einheitlichen Schuldverhältnisses. Kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sind dagegen abstrakte Rechtsfragen, bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses oder rechtliche Vorfragen. Die Klärung solcher Fragen liefe darauf hinaus, ein Rechtsgutachten zu erstellen1. Eine Feststellungsklage muss sich allerdings nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken, sondern kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken2.

Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung bilden ein Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift und stellen demnach ein feststellungsfähiges betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis dar3. Deshalb kann die Geltung einer Betriebsvereinbarung auch zum Gegenstand eines Feststellungsantrags in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erhoben werden4).

Den Antragstellern steht auch ein Feststellungsinteresse zur Seite.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist für die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Erforderlich ist grundsätzlich, dass es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis handelt. Zumindest müssen sich aus der begehrten Feststellung noch konkrete gegenwärtige oder zukünftige Rechtsfolgen ableiten lassen5.

Das Vorliegen eines Feststellungsinteresses könnte deshalb fraglich sein, weil selbst ein Obsiegen mit dem Feststellungsantrag nicht notwendigerweise gegenwärtige Rechtsfolgen für die Antragsteller während der derzeitigen Amtszeit des Betriebsrates mit sich bringen würde.

Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Fehlerhaftigkeit betriebsratsinterner Wahlen, zu denen auch die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gehört, grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 19 BetrVG nur durch Anfechtung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG geltend gemacht werden kann6. Im Rahmen einer solchen Anfechtung, wäre sie erfolgt, hätte die Wirksamkeit der Absenkung der Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gemäß der BV Freistellung inzidenter als Vorfrage geprüft werden müssen. Weil eine solche Anfechtung nicht erfolgte, gilt nunmehr die Freistellungswahl aus dem Jahr 2014 als wirksam7. Dem steht auch nicht die Entscheidung des BAG vom 20.04.20058 entgegen. In dieser Entscheidung wurde befunden, dass bei einer Erhöhung der Anzahl der Freistellungen während der Amtszeit des Betriebsrats eine Neuwahl aller freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl stattzufinden habe, ohne dass es einer vorherigen Abberufung der bislang Gewählten bedürfte. Vorliegend soll jedoch keine Erhöhung der Anzahl der Freistellungen stattfinden. Es soll vielmehr lediglich festgestellt werden, dass die BV Freistellung unwirksam ist und deshalb die gesetzliche Freistellungsstaffel anwendbar ist und auch zum Zeitpunkt der Freistellungswahl bereits anwendbar war. Schlägt aber die Feststellung der Unwirksamkeit der BV Freistellung nicht auf die Wirksamkeit der durchgeführten Freistellungswahl durch, können die Antragsteller nur noch zum gewünschten Ziel einer höheren Anzahl an Freistellungen kommen, wenn sich die Betriebsratsmehrheit zu einer Neuwahl unter Abberufung des bisher freigestellten Betriebsratsvorsitzenden bereit zeigt.

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Es kann aber letztlich dahingestehen, ob die begehrte Feststellung des Rechtsverhältnisses gegenwärtige Rechtsfolgen zu zeitigen vermag. Jedenfalls zukünftige Rechtsfolgen hat die begehrte Feststellung allemal. Denn steht die Unwirksamkeit der BV Freistellung fest, so ergibt sich hieraus zwangsläufig, dass bei künftigen Freistellungswahlen die Staffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten ist und demnach fünf freizustellende Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, selbst wenn die nächste Freistellungswahl erst in der Amtszeit des Folgebetriebsrates erfolgen sollte.

Antragsfrist[↑]

Der Feststellungsantrag ist begründet. Die angegriffene BV Freistellung ist unwirksam. Das hat das Arbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis und teilweise auch mit zutreffender Begründung zu Recht erkannt.

Die Antragsteller nicht durch die Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 BetrVG an der Geltendmachung der Unwirksamkeit der BV Freistellung gehindert sind. § 19 BetrVG ist – wie oben bereits ausgeführt – nur auf betriebsratsinterne Wahlakte entsprechend anwendbar. Die Freistellungswahl wird vorliegend aber nicht angegriffen. Dass die Feststellung der Unwirksamkeit der BV Freistellung nicht unmittelbar auf die nicht angegriffene Freistellungswahl durchschlägt, wurde oben ebenfalls bereits ausgeführt.

Abschluss der Betriebsvereinbarung durch den alten Betriebsrat[↑]

Die BV Freistellung wurde vom zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung zuständigen (alten) Betriebsrat abgeschlossen.

Die Amtszeit des Betriebsrats beträgt gem. § 21 Satz 1 BetrVG vier Jahre. Die Amtszeit beginnt gem. § 21 Satz 2 BetrVG mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, oder wenn (wie vorliegend) zu diesem Zeitpunkt noch ein Betriebsrat besteht, mit Ablauf dessen Amtszeit. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die vierjährige Amtszeit entsprechend dieser Vorschrift erst am 29.03.2014 geendet hat.

Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers endete die Amtszeit des alten Betriebsrats nicht vorzeitig mit der Konstituierung des neuen Betriebsrats.

§ 29 Abs. 1 BetrVG hat der Wahlvorstand die Mitglieder des (neu gewählten) Betriebsrats vor Ablauf einer Woche nach dem Wahltag zu einer Sitzung einzuberufen, bei welcher gem. § 26 Abs. 1 BetrVG der neue Betriebsratsvorsitzende zu wählen ist. Dies führt aber noch nicht zu einem Beginn der Amtszeit des neuen Betriebsrats. Vielmehr stehen vor Ablauf der Amtsperiode des alten Betriebsrats dem neuen schon gewählten Betriebsrat keinerlei Amtsbefugnisse zu. Vor der Beendigung der Amtszeit des alten Betriebsrats gefasste Beschlüsse des neuen Betriebsrats wären unwirksam9.

Der alte Betriebsrat war am 18.03.2014 auch nicht deshalb am Abschluss der Betriebsvereinbarung gehindert, weil er bereits mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 13.03.2014 aufgelöst wurde. Bei einer Auflösungsentscheidung endet die Amtszeit des Betriebsrats nämlich sofort und unmittelbar erst ab Rechtskraft der Entscheidung, welche bei Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde erst mit Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beziehungsweise mit der Entscheidung über diese Beschwerde oder nach erfolgter Zulassung mit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorliegt10. Am 18.03.2014 lief die Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde noch.

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Die Geltungsdauer der BV Freistellung war auch nicht auf die Dauer der Amtszeit des abschließenden alten Betriebsrats beschränkt.

Eine Betriebsvereinbarung endet mit Ablauf der Zeit oder Erreichung des Zwecks, für die sie abgeschlossen wurde11, durch Aufhebungsvertrag oder durch eine ablösende neue Betriebsvereinbarung12 oder durch Kündigung, vergl. § 77 Abs. 5 BetrVG. Die Geltungsdauer von Betriebsvereinbarungen ist nicht auf die Amtszeit des jeweiligen Betriebsrates beschränkt. Ihre Laufzeit ist vielmehr allein abhängig von der darüber in der Betriebsvereinbarung selbst getroffenen Bestimmung. Dies ergibt sich aus den Regelungen des § 77 Abs. 5 und 6 BetrVG13.

Etwas anderes gilt auch nicht für eine Betriebsvereinbarung gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG.

Zum einen ist zu bedenken, dass der eigentliche Geschäftsführungsakt in der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder selbst liegt14, nicht jedoch bereits in der die Anzahl der Freistellungen bestimmenden Betriebsvereinbarung.

Entscheidend ist aber, dass § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG Abweichungen von der Regelstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entweder durch Betriebsvereinbarung oder aber durch Tarifvertrag zulässt. Dass die Geltungsdauer von Tarifverträgen auf die jeweilige Amtszeit der Betriebsräte beschränkt wäre und die Tarifvertragsparteien deshalb mit jeder neuen Amtszeit von Betriebsräten neue Tarifverträge abschließen müssten, ist abwegig. Wenn aber Absenkungen der Anzahl der Freistellungen durch die Tarifvertragsparteien auch amtszeitübergreifend erfolgen dürfen, stellt sich die Frage, warum die Betriebsparteien die nämliche Regelung durch die im Gesetz als gleichwertig benannte Betriebsvereinbarung nicht auch treffen dürfen sollen. Der Gesetzgeber hat jedenfalls für die nämliche Organisationsentscheidung keine Differenzierung zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag getroffen.

Vorliegend haben die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung eine Kündigungsmöglichkeit frühestens zum 31.12 2015 festgelegt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die damaligen Betriebsparteien keine Zwecksetzung verfolgten, nur eine Regelung für die Amtszeit des alten Betriebsrates treffen zu wollen. Dies hätte auch keinen Sinn gemacht. Denn das Ende der Amtszeit des alten Betriebsrates stand unmittelbar bevor. Sie wollten vielmehr bewusst den neuen Betriebsrat bis weit in seine Amtszeit hinein binden. Dies war der eigentliche Zweck des Abschlusses der Betriebsvereinbarung „kurz vor Torschluss“.

Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung wegen Rechtsmissbrauchs[↑]

§ 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG erlaubt nicht nur Abweichungen von der Freistellungsstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach oben, sondern auch nach unten15. Die Grenze der Absenkung der Anzahl der Freistellungen liegt im Rechtsmissbrauch16. Ein solcher Rechtsmissbrauch liegt hier jedoch vor.

Eine Rechtsausübung ist wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig, wenn diese als solche zu missbilligen ist, entweder weil die Rechtsausübung der Art oder den Begleitumständen nach ungehörig ist oder weil ihr überhaupt kein schutzwürdiges Interesse des Ausübenden zugrunde liegen kann, ihr einzig möglicher Effekt mithin die Benachteiligung des Betroffenen ist, wenn sie also lediglich zur Schädigung anderer taugt17. Es ist deshalb bei Abschluss einer die Zahl der Freistellungen absenkenden Betriebsvereinbarung rechtsmissbräuchlich, wenn diese dazu dienen soll, die Vertreter der Minderheitenliste bewusst auszuschalten18. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Absenkung der Anzahl der Freistellungen nicht erfolgen darf, wenn damit eine ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben des Betriebsrates nicht mehr gewährleistet ist. Eine solche Absenkung wäre eine Verletzung der gesetzlichen Pflichten des Betriebsrats19. Die Verringerung der Freistellungen muss die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats vor Augen haben20. Außerdem ist die verfassungsrechtliche Bedeutung des betriebsverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzes zu berücksichtigen. Der Minderheitenschutz wie er durch die Grundsätze der Verhältniswahl in der Betriebsverfassung verankert wurde, beruht auf einer Ausstrahlung des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch Minderheitengewerkschaften fördern im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen21. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung des Minderheitenschutzes in § 38 Abs. 2 BetrVG bedarf daher der Absicherung gegen Umgehungen22. Die Zielsetzung des durch Gesetz bestimmten Minderheitenschutzes ist zu respektieren. Erfolgt ein Verzicht auf Freistellungen, so bedarf es hierfür sachliche und hinreichend gewichtige Gründe23. Es stellt somit einen Rechtsmissbrauch dar, wenn der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber zur Absenkung der Regelfreistellung abschließt in Kenntnis, dass die (reduzierten) Freistellungen zur Bewältigung der regelmäßigen Amtsgeschäfte nicht ausreichen und er sich statt dessen (somit nicht bloß ergänzend) auf die Möglichkeit von Befreiungen verweisen lässt, wenn dies damit einhergeht, dass der Grundsatz der Verhältniswahl keine Anwendung mehr findet, somit der Minderheitenschutz ausgehebelt wird und der Betriebsrat sich dieser Folgen bewusst ist.

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In Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Absenkung der Regelfreistellungen durch die BV Freistellung rechtsmissbräuchlich in bewusster Absicht einer Gesetzesumgehung erfolgte.

Für die bewusst umgehende Motivationslage spricht bereits die zeitliche Abfolge, wie es zum Abschluss der Betriebsvereinbarung kam.

Die BV Freistellung wurde abgeschlossen durch den alten Betriebsrat fünf Tage nachdem mit Beschluss vom 13.03.2014 eben dieser alte Betriebsrat aufgelöst wurde. Der alte Betriebsrat war nur noch deshalb im Amt, weil die Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde noch nicht abgelaufen war. Die Regelamtszeit endete elf Tage nach der Beschlussfassung und dem Abschluss der Betriebsvereinbarung. Sie waren gewissermaßen die letzten Amtshandlungen des alten Betriebsrats. Dem Abschluss dieser Betriebsvereinbarung lag überhaupt kein Eigeninteresse des alten Betriebsrats mehr zugrunde. Sie konnte sich auf die Ausübung der Amtsgeschäfte des alten Betriebsrats auch überhaupt nicht mehr auswirken. Der einzige Zweck bestand demnach darin, den bereits am 10.03.2014 gewählten neuen Betriebsrat in seiner künftigen Amtsführung zu binden. Dies spiegelt sich auch in der vereinbarten Laufzeit wider, wonach die BV Freistellung frühestens zum 31.12 2015 hätte gekündigt werden dürfen, somit erstmals Mitte der Amtszeit des neuen Betriebsrats. Dem abschließenden alten Betriebsrat war die Zusammensetzung des am 10.03.2014 neu gewählten Betriebsrats bereits bekannt. Er wusste, dass die IG-nahe Minderheitenliste 1 in dieser Wahl deutliche Stimmengewinne erzielt hatte. Er wusste aus den Erfahrungen des Beschlussverfahrens 6 TaBV 5/13 auch, dass die Vertreter der IG-Metall-Liste andere Vorstellungen einer Betriebsratsarbeit haben als dies von der bisherigen und auch neuen Mehrheit unter Wohlwollen des Arbeitgebers bislang praktiziert wurde.

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Die Indizien aus dem zeitlichen Zusammenhang sind noch besser verständlich, wenn man auch den Inhalt des vorangegangenen Beschlussverfahrens 6 TaBV 5/13 betrachtet, welches am 13.03.2014 mit der Bestätigung der Auflösung des alten Betriebsrates endete. Dieser Auflösungsentscheidung lag ein Streit über eine ordnungsgemäße Amtsführung des Betriebsrats, wie sie insbesondere von der Mehrheitsliste praktiziert wurde, und der IG Metall zugrunde. Der alte Betriebsrat weigerte sich insbesondere, von der IG Metall eingeforderte Betriebsversammlungen abzuhalten. Die Motivationslage des alten Betriebsrats im damaligen Streit war insbesondere erkennbar in einer öffentlichen Aussage des alten und neuen Betriebsratsvorsitzenden anlässlich einer Jahresversammlung (Weihnachtsfeier) vom 22.11.2012, bei welcher er kundgab, die IG Metall wolle Einfluss auf die Firma nehmen, man brauche keine dritte Kraft, man stehe für eine Betriebsratsarbeit ohne IG Metall. Aus diesem Grunde werde eine von der IG Metall geforderte Betriebsversammlung auch nicht stattfinden. Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts kam in ihrem Beschluss vom 13.03.2011 zur Einschätzung, sie habe „nicht erkennen können, dass der Betriebsratsvorsitzende gewillt (sei), seine Haltung durchgreifend zu ändern.“ Der Betriebsratsvorsitzende habe sich „selbstsicher bis selbstgefällig“ gezeigt. Er habe keine „Einsicht (gezeigt), für die Zukunft die Einhaltung des Gesetzes zu geloben.“ Die 6. Kammer kam demnach noch fünf Tage vor Abschluss der Betriebsvereinbarung zur Überzeugung, dass es im Wesentlichen weiterhin das Bestreben der Betriebsratsmehrheit gewesen sei, die IG Metall von einer Betriebsratsarbeit im Betrieb des Arbeitgebers fernzuhalten. Vor diesem Hintergrund wird die Beschlussfassung vom 18.03.2014 verständlich. Durch die Absenkung der Anzahl der Freistellungen wurde eine Verhinderung der Verhältniswahl bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder erreicht und somit eine angemessene Partizipation der IG-Metall-Liste an der künftigen Betriebsratsarbeit erschwert.

Dass die Absenkung der Anzahl der Freistellungen zumindest auch darin begründet lag, solche Freistellungen der Liste 1 der IG Metall nicht zukommen zu lassen, lässt sich auch der bereits zur Amtszeit des alten Betriebsrats angestoßenen; und vom neuen Betriebsrat fortgeführten sonstigen Organisation der Betriebsratsarbeit entnehmen.

In dem Unternehmen des Arbeitgebers anstehende Projekte mit erheblicher Mitbestimmungsrelevanz wie die Erarbeitung einer neuen Funktionsstruktur mit Überprüfung der Levelzuordnungen, die Einführung von Vertrauensarbeitszeit, die Erarbeitung eines neuen Vergütungssystems und die Einführung variabler Vergütungen wurden einer Projektgruppe „Attraktiver Arbeitgeber“ übertragen, zu welcher der Betriebsrat fünf Mitglieder entsendet, die allesamt nicht der Liste 1 der IG Metall zugehören. Eine paritätische Besetzung wie dies zum Beispiel bei einer Übertragung auf einen Ausschuss gem. §§ 28 Abs. 1 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG erforderlich gewesen wäre, wurde durch die Verlagerung der Betriebsratsarbeit auf ein außerhalb des Betriebsrats eingerichtetes Gremium verhindert. Nehmen aber die Mitglieder der IG-Metall-Liste am Projekt „Attraktiver Arbeitgeber“ gar nicht teil, scheidet für diese maßgebliche Betriebsratsarbeit sogar die in der BV Freistellung vorgesehene Befreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG aus.

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Für die Absenkung der Anzahl der Freistellungen ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich.

Der Betriebsrat und der Arbeitgeber tragen selbst vor, dass ein wesentlicher Teil der Betriebsratsarbeit in Ausschüssen und in der Projektgruppe „Attraktiver Arbeitgeber“ erledigt wird. Insbesondere die in die Ausschuss- und Projektarbeit eingebundenen Betriebsratsmitglieder nahmen in der Vergangenheit in einem ganz erheblichen Umfang Befreiungen von ihrer beruflichen Tätigkeit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG in Anspruch, so zum Beispiel Herr F. zu ca. 75 %, Herr B. zu ca. 50 %, Herr L. zu ca. 60 %, Herr O. zu ca. 50 % und auch Frau H. (= Beteiligte zu 2) zu zuletzt noch ca. 40 %, vormals, bevor der Arbeitgeber die Erforderlichkeiten bestritt, sogar bis zu 80 %. Dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber mag einzuräumen sein, dass diese Befreiungen im Einzelfall erfolgten, nämlich jedes Mal, wenn diese Ausschuss- und Projektarbeiten ein Tätigwerden erforderten. Jedoch sind dies die Hauptaufgaben des Betriebsrats, die regelmäßig anfallen und für die der Gesetzgeber gerade pauschaliert zur Meidung einer Erforderlichkeitsprüfung Freistellungen nach § 38 Abs. 1 BetrVG vorsieht. Durch die BV Freistellung wird bewirkt, dass im Betriebsrat regelmäßig anfallende erhebliche Tätigkeiten entgegen der gesetzlichen Konzeption nicht im Rahmen von Freistellungen erbracht werden können. Die Absenkung erfolgte in Kenntnis dessen, dass die Arbeit gerade nicht mit nur einem freigestellten Betriebsrat geleistet werden kann. Für einen erheblichen Anteil der regelmäßig anfallenden Betriebsratsarbeit wird durch die BV Freistellung die Freistellung durch die an eine Erforderlichkeitsprüfung gebundene Befreiung ersetzt und nicht bloß ergänzt. Die Zustimmung zu einer solchen Betriebsvereinbarung stellte somit eine erhebliche Amtspflichtverletzung des alten Betriebsrats dar. Dies machte der (alte) Betriebsrat im Bewusstsein, dass dies dazu führen würde, dass die Minderheitenliste 1 somit nicht zu einer Freistellung würde kommen können und somit an der ordnungsgemäßen Partizipation an der Betriebsratsarbeit eingeschränkt würde.

Das Argument des Betriebsrats und des Arbeitgebers, man habe auch in der Vergangenheit keine oder weniger Freistellungen gehabt als nach der gesetzlichen Staffel vorgesehen, auch unternehmensweit würde in den anderen Betrieben des Arbeitgebers die Freistellungsstaffel nicht ausgeschöpft, trägt als Argument zur Rechtfertigung nicht. Nicht gesetzeskonformes Verhalten in der Vergangenheit und in anderen Betrieben taugt schlicht nicht zur Rechtfertigung dessen Fortsetzung.

Das Argument des Betriebsrats, es sei beabsichtigt gewesen, dass sich alle Betriebsratsmitglieder an der Betriebsratsarbeit beteiligen und nicht nur die freigestellten, überzeugt ebenso wenig. Die vorgetragenen Befreiungszeiten der einzelnen Betriebsratsmitglieder zeigen vielmehr umgekehrt, dass es nur wenige Betriebsratsmitglieder gibt, die neben der Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden in erheblichem Maße befreit wurden. Die Vorgehensweise diente vielmehr vornehmlich dazu, bestimmte Betriebsratsmitglieder von der Betriebsratsarbeit, wie zum Beispiel in der Projektgruppe „Attraktiver Arbeitgeber“, fernzuhalten.

Auch das Argument, man wolle durch die Verlagerung der Freistellung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auf die Befreiungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG dem Wunsch der Betriebsratsmitglieder Rechnung tragen, dass diese nicht durch Vollfreistellungen von der technischen Entwicklung im Betrieb abgekoppelt werden, verfängt nicht. Hierfür hat der Gesetzgeber in § 38 Abs. 1 Satz 4 BetrVG die Möglichkeit von Teilfreistellungen vorgesehen, die auch sehr flexibel gehandhabt werden können. Außerdem dürfen gem. § 38 Abs. 4 BetrVG freigestellte Betriebsratsmitglieder von betrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung nicht ausgeschlossen werden. Ihnen ist zudem ausdrücklich nach Beendigung der Freistellung die Möglichkeit zu geben, die wegen der Freistellung unterbliebene berufliche Entwicklung nachzuholen.

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Wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannte, stellt es eine vom Gesetzgeber nicht gewünschte Umgehung dar, die Freistellung für Arbeiten, die de facto regelmäßig anfallen, über Befreiungen gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG zu regeln, solange für diese Arbeiten die Freistellungsstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht ausgeschöpft wurde. Die Betriebsparteien können insoweit nicht ihre Bewertung einer besseren Organisation zu Lasten von Minderheiten an die Stelle des Gesetzgebers setzen.

Die Unwirksamkeit der BV Freistellung wurde auch nicht dadurch nachträglich geheilt, weil sie vom neuen Betriebsrat „bestätigt“ wurde durch die Ablehnung der Anträge der Antragsteller auf Kündigung derselben.

Dabei mag dahinstehen, ob eine „Bestätigung“ überhaupt möglich wäre und ob in der (intern gebliebenen) Ablehnung einer Kündigung zugleich eine Willensentäußerung gegenüber dem Arbeitgeber gesehen werden könnte, die Betriebsvereinbarung gewissermaßen heilend nochmals zu schließen. Denn es hat sich die Ausgangslage schließlich nicht geändert. Auch ein Neuabschluss oder eine Bestätigung würden am selben Rechtsmangel leiden. Diese wären gleichermaßen rechtmissbräuchlich.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 14. Dezember 2016 – 4 TaBV 10/16

  1. BAG 4.12 2013 – 7 ABR 7/12[]
  2. BAG 30.09.2014 – 3 AZR 930/12[]
  3. BAG 23.01.2008 – 1 ABR 82/06[]
  4. BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B[]
  5. BAG 20.01.2015 – 1 ABR 1/14[]
  6. BAG 20 April 2005 – 7 ABR 47/04; BAG 15.01.1992 – 7 ABR 24/91[]
  7. BAG 15.01.1992 – 7 ABR 24/91[]
  8. BAG 20.04.2005 – 7 ABR 47/04[]
  9. DKKW/Buschmann BetrVG 15. Aufl. § 21 Rn. 12 u. 13[]
  10. DKKW/Trittin BetrVG 15. Aufl. § 23 Rn. 188[]
  11. DKKW/Berg BetrVG 15. Aufl. § 17 Rn. 92; Fitting BetrVG 28. Aufl. § 77 Rn. 142[]
  12. DKKW/Berg BetrVG 15. Aufl. § 17 Rn. 93[]
  13. BAG 28.07.1981 – 1 ABR 79/79[]
  14. Fitting BetrVG 28. Aufl. § 38 Rn. 105[]
  15. BAG 11.06.1997 – 7 ABR 5/96; aA DKKW/Wedde BetrVG 15. Aufl. § 38 Rn. 28[]
  16. BAG 11.06.1997 – 7 ABR 5/96; LAG Baden-Württemberg 26.10.2007 – 5 TaBV 1/07[]
  17. LAG Baden-Württemberg 26.10.2007 – 5 TaBV 1/07[]
  18. BAG 11.06.1997 – 7 ABR 5/96[]
  19. Fitting BetrVG 28. Aufl. § 38 Rn. 30[]
  20. Richardi/Thüsing BetrVG 15. Aufl. § 38 Rn. 23[]
  21. BAG 25.04.2001 – 7 ABR 26/00[]
  22. BAG 29.04.1992 – 7 ABR 74/91[]
  23. BVerwG 22.12 1994 – 6 P 12/93[]

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