Streiten die Parteien über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, kann das Landesarbeitsgericht die Revision auf den Anspruchsgrund beschränkt zulassen. Aus § 61 Abs. 3 iVm. § 64 Abs. 7

ArbGG folgt nichts Abweichendes. Die Beschränkung der Revisionszulassung auf den Anspruchsgrund ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Fehlt es hieran, ist die Revision auch hinsichtlich der Höhe zugelassen.
Hat das Landesarbeitsgericht die Revision sowohl im Hinblick auf den Anspruchsgrund als auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe nur für eine Prozesspartei zugelassen und hat es über die Höhe der Forderung auch zum Nachteil der anderen Partei entschieden, ist die Beschränkung der Revisionszulassung auf die eine Prozesspartei im Hinblick auf die Anspruchshöhe aus Gründen der Parität unwirksam.
Das Landesarbeitsgericht kann die Zulassung der Revision zwar nicht auf einzelne Anspruchsgrundlagen, Rechtsfragen oder Elemente des geltend gemachten Anspruchs, wohl aber auf einen tatsächlich oder rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränken1. Es kann die Revision auf den Anspruchsgrund beschränkt zulassen, wenn über den Anspruch ein Grundurteil hätte ergehen können2. Ein Grundurteil scheidet allerdings wesensmäßig bei Ansprüchen aus, die der Höhe nach bis zum Ende des Rechtsstreits nicht summenmäßig zu bestimmen sind3.
Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG dem Grunde nach stellt einen rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs dar, über den – ebenso wie bei Schmerzensgeldansprüchen3 – durch Grundurteil entschieden werden und auf den auch der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Auch bei einem der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG gehört der Betrag des Anspruchs zum Streitgegenstand, denn insoweit kann nicht nur der Anspruchsgrund, sondern auch der zu beziffernde Betrag streitig sein. Deshalb darf über einen solchen Antrag grundsätzlich entsprechend § 304 ZPO durch Grundurteil entschieden werden.
Dass im Arbeitsgerichtsprozess ein Grundurteil nicht selbständig anfechtbar ist (§ 61 Abs. 3 iVm. § 64 Abs. 7 ArbGG), führt zu keiner anderen Bewertung4. § 61 Abs. 3 ArbGG ändert die für den Zivilprozess der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltenden Verfahrensregelungen nur zum Teil ab. Er schränkt die Zulässigkeit eines Grundurteils an sich nicht ein, sondern beschränkt nur dessen Wirkung und damit auch dessen rechtliche und praktische Bedeutung5.Die Frage nach einer auf den Anspruchsgrund beschränkten Revisionszulassung ist deshalb von der Frage nach der selbständigen Anfechtbarkeit eines Grundurteils zu unterscheiden.
Das Landesarbeitsgericht hätte die Zulassung der Revision wegen der Höhe des Anspruchs nicht auf das beklagte Land beschränken dürfen. Zwar kann die Zulassung der Revision grundsätzlich auf eine Prozesspartei beschränkt werden6 mit der Folge, dass die gegnerische Partei allein die Möglichkeit der Anschlussrevision hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings dann anerkannt, wenn eine als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage vom Landesarbeitsgericht nicht allein zum Nachteil der einen Prozesspartei entschieden wurde und deshalb auch die andere Partei von ihr nachteilig betroffen ist7. Zwar könnte vorliegend einiges dafür sprechen, dass das Landesarbeitsgericht, das seine Zulassungsentscheidung auf das Vorliegen des Zulassungsgrundes nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützt hat, davon ausgegangen ist, dass sich nur im Hinblick auf den Anspruchsgrund und nicht auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe (zumindest) eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt; dennoch hat es im Tenor seiner Entscheidung – wie unter Rn. 3 ausgeführt – die Revision für das beklagte Land unbeschränkt, dh. sowohl im Hinblick auf den Anspruchsgrund als auch im Hinblick auf die Anspruchshöhe zugelassen. Über die Höhe des Anspruchs hat das Landesarbeitsgericht indes nicht nur zum Nachteil des beklagten Landes, sondern ebenso zum Nachteil der Klägerin entschieden, weil es dieser nicht die von ihr begehrte Mindestentschädigung iHv. 10.319, 76 Euro, sondern lediglich 5.159, 88 Euro zugesprochen und die Berufung der Klägerin im Übrigen abgewiesen hat. Infolge der unbeschränkten Zulassung der Revision für das beklagte Land kann dieses mit der Revision demnach nicht nur die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Anspruchsgrund, sondern auch dessen Entscheidung über die Anspruchshöhe angreifen. Aus Gründen der Parität muss Letzteres auch für die Klägerin gelten. Sie muss sich insoweit nicht auf die Möglichkeit der Anschlussrevision verweisen lassen. Soweit das Landesarbeitsgericht die Revision im Hinblick auf die Anspruchshöhe nur für das beklagte Land zugelassen hat, ist diese Beschränkung unwirksam; insoweit wirkt die Zulassung auch zugunsten der Klägerin. An diese Zulassung ist das Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2019 – 8 AZN 268/19
- vgl. BAG 15.01.2015 – 5 AZN 798/14, Rn. 5, BAGE 150, 279[↩]
- vgl. BGH 13.07.2004 – VI ZR 273/03, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BGH 28.03.2006 – VI ZR 50/05, Rn. 10[↩][↩]
- so auch GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72 Rn. 41; aA Düwell/Lipke/Düwell 4. Aufl. § 72 Rn. 55[↩]
- vgl. BAG 1.12 1975 – 5 AZR 466/75, zu 2 der Gründe[↩]
- vgl. etwa BAG 28.05.1998 – 2 AZR 480/97, BAGE 89, 43[↩]
- vgl. BGH 26.09.2012 – IV ZR 108/12, Rn. 7[↩]
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