Bei der Frage, ob die AVE eines Tarifvertrags im öffentlichen Interesse geboten erscheint, hat der zuständige Minister eigenverantwortlich zu prüfen, ob die Vorteile der AVE eines Tarifvertrags etwaige Nachteile überwiegen.

Hierbei sind sowohl die Interessen der tarifgebundenen als auch diejenigen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenüberzustellen. Allein das Interesse der Tarifvertragsparteien, welches sie mit ihrem AVE-Antrag zum Ausdruck bringen, genügt ebenso wenig wie das positive Votum des Tarifausschusses.
Die Entscheidung des Ministers, ein öffentliches Interesse für die AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Dieser weite Beurteilungsspielraum ist eine Ausprägung des auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens und kann nicht mit verwaltungsrechtlichen Maßstäben gleichgesetzt werden. Durch die Stellungnahme- und Einspruchsrechte, wie sie in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 TVG geregelt sind, ist eine verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung gegeben, die eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass der Beteiligte zu 2. seinen weiten Beurteilungsspielraum sachgerecht nutzt. Dieser wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung in § 5 TVG und der hiernach zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Interessen – einschließlich der Interessen der Tarifvertragsparteien – schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist1.
Der Kampf gegen „Lohndrückerei und Schmutzkonkurrenz“ ist als öffentliches Interesse anerkannt2. Entsprechend ist es auch in der Vergangenheit sowie in anderen Bundesländern zu AVE der Entgelttarifverträge im Hotel- und Gaststättengewerbe gekommen, da ohne Allgemeinverbindlicherklärung die Gefahr weitergehender geringer und geringster Bezahlung noch größer wäre3. Da die Personalkosten ein wesentlicher Faktor im Gastgewerbe sind, liegt der Wettbewerbsvorteil durch Unterbieten der tarifvertraglichen Vergütung auf der Hand. Soweit von dem Beteiligten zu 7. darauf hingewiesen wird, dass es bereits in der Vergangenheit Allgemeinverbindlicherklärungen gegeben hat, ohne dass das Problem beseitigt worden wäre, spricht dies nicht dagegen, durch die AVE zumindest zu versuchen, flächendeckend dieser Situation entgegenzuwirken. Im Übrigen werden durch die niedrigen Löhne auch die sozialen Sicherungssysteme belastet. Der Schutz der finanziellen Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung, die bei hoher Arbeitslosigkeit oder bei niedrigen Löhnen verstärkt in Anspruch genommen werden, ist ein Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung4. Das Interesse der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, die Löhne unternehmensbezogen festzulegen, muss demgegenüber zurücktreten. Deren Belastung hält sich im vorliegenden Fall des Gastgewerbes NRW auch deshalb in Grenzen, weil nur die Tarifgruppen 1 und 2 für allgemeinverbindlich erklärt wurden.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20. September 2017 – 10 ABR 42/16
- vgl. grundlegend BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 123 ff., BAGE 156, 213[↩]
- vgl. BAG 12.10.1988 – 4 AZR 244/88; BVerwG 3.11.1988 – 7 C 115/86, zu 4 a der Gründe, BVerwGE 80, 355[↩]
- vgl. BAG 12.10.1988 – 4 AZR 244/88; ähnlich BAG 24.01.1979 – 4 AZR 377/77, BAGE 31, 241: „unangemessen niedriger Löhne bzw. Urlaubsbezüge entgegenwirken“[↩]
- vgl. BVerfG 11.07.2006 – 1 BvL 4/00, Rn. 87, 89[↩]