Arbeitgeber können sich gegenüber dem vom Stellenbewerber geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht mit Erfolg darauf berufen, der Stellenbewerber sei für die ausgeschriebene Stelle objektiv nicht geeignet.

Zwar befindet sich eine Person nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann in einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn sie für die ausgeschriebene Stelle „objektiv geeignet“ ist1. Dies hat das Bundesarbeitsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass eine Benachteiligung nur angenommen werden könne, wenn eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet sei, nicht ausgewählt oder nicht in Betracht gezogen worden sei. Könne hingegen auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stehe dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG, das nur vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht aber eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren wolle.
An dieser Rechtsprechung hält das Bundesarbeitsgericht allerdings nicht fest.
Wie das Bundesarbeitsgericht bereits in seinen Urteilen vom 20.01.20162 sowie vom 22.10.20153 ausgeführt hat, spricht gegen das Erfordernis der „objektiven Eignung“ bereits der Umstand, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG den Entschädigungsanspruch für Personen, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären, nicht ausschließt, sondern lediglich der Höhe nach begrenzt. Denn auch bei „benachteiligungsfreier Auswahl“ würden die Bewerber nicht eingestellt, denen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle fehlt.
Könnte nur ein „objektiv geeigneter“ Bewerber eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen, würde dies auch dazu führen, dass ihm die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung – hier: durch die Richtlinie 2000/78/EG – verliehenen Rechte entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs4 durch einen zu eng gefassten Vergleichsmaßstab praktisch unmöglich gemacht, jedenfalls aber übermäßig erschwert würde.
Das Erfordernis der „objektiven Eignung“ des Anspruchstellers als Kriterium der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG würde den Entschädigungsprozess mit der schwierigen Abgrenzung der „objektiven Eignung“ von der „individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation“ belasten und dadurch die Wahrnehmung der durch das AGG und die Richtlinie 2000/78/EG verliehenen Rechte erschweren.
Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung stets ausgeführt, dass maßgeblich für die objektive Eignung nicht allein das formelle Anforderungsprofil sei, welches der Arbeitgeber erstellt habe, sondern dass es insoweit auf die Anforderungen ankomme, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber zulässigerweise stellen dürfe. Der Arbeitgeber dürfe an den/die Bewerber/in keine Anforderungen stellen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt seien5. Die objektive Eignung sei allerdings zu unterscheiden von der individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen Benachteiligung und Grund iSv. § 1 AGG eine Rolle spiele. Damit werde gewährleistet, dass der Arbeitgeber über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich frei entscheiden könne, wie Art. 12 Abs. 1 GG es gebiete, aber nicht durch das Stellen hierfür nicht erforderlicher Anforderungen an Bewerber/innen die Vergleichbarkeit der Situation selbst gestalten und den Schutz des AGG de facto beseitigen könne. Denn auch Bewerber/innen, welche die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten könnten, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, bedürften des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünsche, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung seien6.
Das Erfordernis der „objektiven Eignung“ des Anspruchstellers als Kriterium der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG würde die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG aber auch aus einem anderen Grund übermäßig erschweren.
Wie das Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 20.01.20162 sowie vom 22.10.20153 ebenfalls ausgeführt hat, kann die Frage, ob eine vergleichbare Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG vorliegt, nicht ohne Vergleichsbetrachtung beantwortet werden. Denn an einer vergleichbaren Situation oder vergleichbaren Lage würde es – soweit es um die „objektive Eignung“ der/des Bewerberin/Bewerbers geht – nur dann fehlen, wenn diese/r die geforderte „objektive Eignung“ nicht aufweist, während andere Bewerber/innen, jedenfalls aber der/die ausgewählte Bewerber/in objektiv geeignet sind. Das aus dem Merkmal der vergleichbaren Situation abgeleitete Erfordernis der „objektiven Eignung“ des Bewerbers würde mithin zu einer Verengung des Vergleichsmaßstabs führen. Hierdurch würde die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG übermäßig erschwert. Dies gilt zunächst, soweit den/die Bewerber/in für das Vorliegen einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG die volle Darlegungs- und Beweislast treffen sollte. Dies gilt aber auch dann, wenn vor dem Hintergrund, dass dem/der Bewerber/in in der Regel nicht bekannt ist, wer sich außer ihm/ihr mit welcher Qualifikation/Eignung auf die ausgeschriebene Stelle beworben hat und für welchen Bewerber/welche Bewerberin der potentielle Arbeitgeber sich entschieden hat und er/sie gegen diesen auch keinen dahingehenden Auskunftsanspruch hat7, von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast auszugehen wäre, wonach es ausreichen würde, wenn der/die Bewerber/in die objektive Eignung anderer Bewerber/innen oder des/der letztlich eingestellten Bewerbers/Bewerberin bestreitet mit der Folge, dass der Arbeitgeber dann jedenfalls zur objektiven Eignung dieser Personen substantiiert vorzutragen hätte. In diesem Fall würde der Prozess in der Regel mit einer aufwändigen Tatsachenfeststellung und Klärung der Eignung oder Nichteignung der anderen Bewerber/innen, jedenfalls aber des/der ausgewählten Bewerbers/Bewerberin belastet, ohne dass sich in den Bestimmungen des AGG und den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere in denen der Richtlinie 2000/78/EG für die Zulässigkeit einer solchen Verengung des Vergleichsmaßstabs hinreichende Anhaltspunkte finden8.
Es kommt hinzu, dass das Erfordernis der „objektiven Eignung“ der/des Bewerberin/Bewerbers als Kriterium der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG dann nahezu praktisch unmöglich machen würde, wenn diese/r die/der einzige Bewerber/in um die Stelle war. In diesem Fall existiert nämlich keine konkrete Vergleichsperson; vielmehr würde es nach § 3 Abs. 1 AGG auf eine hypothetische Vergleichsperson ankommen, deren objektive Eignung oder Nichteignung sich nicht feststellen ließe.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2016 – 8 AZR 583/14
- vgl. etwa BAG 23.01.2014 – 8 AZR 118/13, Rn. 18; 14.11.2013 – 8 AZR 997/12, Rn. 29; 26.09.2013 – 8 AZR 650/12, Rn.20 ff.; 21.02.2013 – 8 AZR 180/12, Rn. 28, BAGE 144, 275; 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 35; 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, Rn. 26; 7.04.2011 – 8 AZR 679/09, Rn. 37; ausdrücklich offengelassen neuerdings von BAG 20.01.2016 – 8 AZR 194/14, Rn.19 ff.; 22.10.2015 – 8 AZR 384/14, Rn. 21; 26.06.2014 – 8 AZR 547/13, Rn. 29[↩]
- BAG 20.01.2016 – 8 AZR 194/14, Rn.19 ff.[↩][↩]
- BAG 22.10.2015- 8 AZR 384/14, Rn. 21 ff.[↩][↩]
- ua. EuGH 16.01.2014 – C-429/12 – [Pohl] Rn. 23; vgl. auch BAG 26.06.2014 – 8 AZR 547/13, Rn. 28[↩]
- vgl. etwa BAG 26.09.2013 – 8 AZR 650/12, Rn. 21 mwN; 7.04.2011 – 8 AZR 679/09, Rn. 38; 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08, Rn. 55[↩]
- vgl. etwa BAG 7.04.2011 – 8 AZR 679/09, Rn. 39; 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08, Rn. 55[↩]
- vgl. BAG 25.04.2013 – 8 AZR 287/08, Rn. 56 unter Hinweis auf EuGH 19.04.2012 – C-415/10 – [Meister][↩]
- vgl. BAG 20.01.2016 – 8 AZR 194/14, Rn. 21; 22.10.2015 – 8 AZR 384/14, Rn. 23[↩]