Die Berechtigung dreier Arbeitnehmer, eine Betriebsratswahl wegen zu später Korrektur der Wählerliste (hier: Aufnahme dreier anderer wahlberechtigter Arbeitnehmer in die Wählerliste erst am Wahltag) anzufechten, besteht auch dann, wenn vorher kein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt worden war.

Deren Anfechtungsberechtigung besteht unabhängig von einer früheren Einspruchseinlegung gegen die Richtigkeit der Wählerliste nach § 4 Abs. 1 WO.
Teilweise hält man zwar dafür, Arbeitnehmer, welche keinen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt haben, könnten aus diesem Grunde die Betriebsratswahl nicht mehr anfechten1. Es wird als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn trotz der Nichtwahrnehmung des Einspruchsrechts anschließend die Betriebsratswahl angefochten werde2. Dies widerspräche Sinn und Zweck von § 4 Abs. 1 WO, der ein möglichst rasches Vorbringen von Beanstandungen erstrebe, mit dem Ziel, sie einer abschließenden Klärung zuzuführen3.
Demgegenüber wird von anderer Seite, nach Ansicht der Kammer in zutreffender Weise, die vorherige Einlegung eines Einspruches nach § 4 Abs. 1 WO nicht als Voraussetzung für eine anschließende Wahlanfechtung angesehen4. Denn die Anfechtungsbefugnis der einzelnen Arbeitnehmer nach § 19 Abs. 2 BetrVG ist von keiner weiteren Voraussetzung als der bestehenden Wahlberechtigung (§ 7 BetrVG) der anfechtenden Arbeitnehmer abhängig, die einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts, der Wählbarkeit oder des Wahlverfahrens rügen (§ 19 Abs. 1 BetrVG). Verlangte man daneben eine vorherige fristgerechte Einspruchseinlegung nach § 4 WO, so schränkte man diese Anfechtungsbefugnis durch eine dem Gesetz gegenüber rangniedrigere Vorschrift entgegen der gesetzlichen Regelung stark ein5. Der Verordnungsgeber hatte aber nur entsprechend der Ermächtigung in § 126 BetrVG zur Regelung der dort genannten gesetzlichen Bestimmungen und in deren Rahmen nähere Durchführungsbestimmungen zur Betriebsratswahl im Verordnungswege erlassen können und dürfen6. In diesem Rahmen hatte er eine Einspruchsmöglichkeit wie in § 4 WO vorsehen können, um auf diese Weise Unrichtigkeiten der Wählerliste rechtzeitig vor der Wahl zu bereinigen und so eine spätere Wahlanfechtung zu vermeiden7. Ein solcher Einspruch kann nicht entgegen der gesetzlichen Regelungen als weitere Voraussetzung für eine spätere Wahlanfechtung eingeführt und verstanden werden. Der Versäumung der Einspruchsfrist kommt keine heilende Wirkung gegenüber Verstößen gegen das Wahlrecht und/oder die Wählbarkeit zu8.)). Angesichts der verfahrensmäßigen Bedeutung des Einspruch kann in der Anfechtung der Betriebsratswahl ohne vorherige und zumutbare Einspruchseinlegung kein Rechtsmissbrauch gesehen werden,9, da die Wahlanfechtung nicht nur der Durchsetzung individueller Rechtspositionen dient10.
Diese für die Anfechtungsberechtigung einer Gewerkschaft begründete Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Differenzierungen zwischen der Anfechtungsberechtigung der Arbeitnehmer einerseits und derjenigen der Gewerkschaften oder des Arbeitgebers andererseits verbieten sich11.
Insbesondere verhält sich der Betriebsrat ebenso widersprüchlich, wenn er sich einerseits auf die unterbliebene Einspruchseinlegung nach § 4 Abs. 1 WO als Hindernis für die Anfechtungsberechtigung der Antragsteller beruft, andererseits aber die zeitliche Beschränkung der Berichtigungsmöglichkeit in der niederrangigeren Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 WO als gegenüber dem höherrangigen BetrVG und dort der Berichtigungsregelung des § 19 Abs. 1 BetrVG unbeachtlich ansehen möchte.
Schließlich darf nicht übersehen werden, dass im vorliegenden Fall wohl auch keine zumutbare Einspruchsmöglichkeit für die Antragsteller gegeben war. Es ist einem wahlberechtigten (§ 7 BetrVG) Arbeitnehmer zwar zuzumuten, die Wählerliste daraufhin zu überprüfen, ob er als Wahlberechtigter eingetragen ist. Allerdings ist es ihm kaum zuzumuten, die Wählerliste unabhängig von seiner Person auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen. Insbesondere in größeren Betrieben ist es bereits nicht zu erwarten, dass ein Arbeitnehmer alle weiteren (wahlberechtigten) Beschäftigten kennt. Das Auffinden eines Fehlers hinge dann allenfalls von Zufälligkeiten ab. Solches wird auch dem Wahlvorstand nicht zugemutet, der nach § 2 Abs. 2 Satz 1 WO gegen den Arbeitgeber einen entsprechenden Auskunftsanspruch hat.
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 10. März 2015 – – 6 TaBV 64/14
- LAG Düsseldorf v. 15.10.1973 – 10 TaBV 14/73, DB 1974, 684; LAG Frankfurt v. 27.01.1976 – 5 TaBV 38/75, BB 1976, 1271; LAG Frankfurt v. 14.07.1988 – 12 TaBV 140/87, juris; LAG Nürnberg v. 31.05.2012 – 5 TaBV 36/11, AiB 2013, 393, unter Rz. 26 [juris]; Fitting, a. a. O., Rz. 14; Richardi/Thüsing, a. a. O., Rz. 10; Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, 9. Aufl., § 19 Rz. 3; Etzel, HzA Gruppe 19/1, Stand 7/2012, Rz. 168; Seipel, [↩]
- LAG Frankfurt v. 27.01.1976, a. a. O.; LAG Nürnberg v. 31.05.2012, a. a. O., unter Rz. 27[↩]
- LAG Nürnberg v. 31.05.2012, a. a. O.[↩]
- vgl. BAG v. 29.03.1974 – 1 ABR 27/73, , unter II 4 b, c der Gründe; BAG v. 25.06.1974 – 1 ABR 68/73, , unter II 3 c der Gründe, betreffend die Anfechtungsbefugnis einer Gewerkschaft; ebenso für die Anfechtungsberechtigung eines Arbeitnehmers: LAG Köln v.04.05.2000 – 10 TaBV 56/99, AuR 2000, 438; DKKW/Homburg, a. a. O., Rz. 6; Galperin/Löwisch, a. a. O. Rz. 9; GK/Kreutz, a. a. O., Rz. 60; HaKo-BetrVG/ßrors, 3. Aufl., § 19 Rz. 15; HWK/Reichold, 4. Aufl., § 19 BetrVG Rz. 18; WPK/Wlotz/ce, BetrVG 4. Aufl., § 19 Rz. 5; ErfK/Koch, 15. Aufl., § 19 BetrVG Rz. 3; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/2, 7. Auflage, S. 1149 Fn. 58; MünchArbR/Joost, 3. Aufl., § 216 Rz. 222; Bulla, DB 1977, 303, 305; Gnade Festschrift für Herschel, S. 145; offen gelassen: BAG v. 27.01.1993 – 7 ABR 37/92, NZA 1993, 949, unter II 5 b der Gründe [Rz. 37, juris]; BAG v. 14. 11.2001 – 7 ABR 40/00, EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 42[↩]
- so BAG v. 29.03.1974, 25.06.1974, jeweils a. a. O.[↩]
- Müller, Festschrift für Schnorr von Carlosfeld, S. 357, 386[↩]
- vgl. auch BAG v. 29.03.1974, 25.06.1974, jeweils a. a. O.; ferner GK/Kreutz, a. a. O., Rz. 60; Müller, Festschrift für Schnorr von Carolsfeld, S. 367, 386[↩]
- so auch Richardi/Thüsing, a. a. O. Rz. 9[↩]
- GK/Kreutz, a. a. O., Rz. 60; a. M. Bulla, DB 1977, 303, 305; Richardi/Thüsing, a. a. O. Rz. 10[↩]
- GK/Kreutz, a. a. O., Rz. 60, 14[↩]
- vgl. etwa GK/Kreutz, a. a. O., Rz. 60; GK/Kreutz/Jacobs, a. a. O., § 4 WO Rz. 3; a. M. LAG Düsseldorf v. 15. 10. 173, a. a. O.; LAG Frankfurt v. 27.01.1976, a. a. O.; Fitting, a. a. O., Rz. 14; Richardi/Thüsing, a. a. O. Rz. 10; Stege/Weinspach/Schiefer, a. a. O., Rz. 3[↩]